Landgericht Hildesheim
Urt. v. 12.10.1993, Az.: 3 O 344/93
Rechtfertigung der Entstellung oder anderen Beeinträchtigung eines Kunstwerks aus Gründen der öffentlichen Sicherheit; Verfüllung von Pyramidenstümpfen einer öffentlich aufgestellten Stahlskulptur mit Sand und Beton; Erfüllung einer obliegenden Verkehrssicherungspflicht
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 12.10.1993
- Aktenzeichen
- 3 O 344/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1993, 23506
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHILDE:1993:1012.3O344.93.0A
Rechtsgrundlagen
- § 14 UrhG
- § 97 UrhG
In dem Rechtsstreit
...
hat die 3. Zlvilkammer des Landgerichts Hildesheim
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. September 1993
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht und
die Richterinnen ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung der Beklagten in Höhe von 2.500,00 DM vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: (je Klagantrag 6.000,00 DM) = 12.000,00 DM.
Tatbestand
Aufgrund seines Angebotes vom 27.04.1989 hat der Kläger von der Beklagten den Auftrag zur Lieferung und Aufstellung der von ihm erstellten Skulptur "durch und durch ...." auf dem ... erhalten. Der Anschaffungspreis von 70.000,00 DM wurde aus einer Spende der Kreissparkasse Peine aufgebracht. Die Skulptur wurde Ende 1990 aufgestellt.
Sie ist aus Stahl hergestellt und besteht aus drei Teilen, nämlich einem Tor von ca. 4 Metern (so die Beklagte) bzw. 5 Metern (so der Kläger) Höhe sowie zwei nach unten und oben hin offenen Pyramidenstümpfen von 1,25 Meter (Beklagter) bzw. 1 Meter (Kläger) Höhe und einer Seitenlänge von 1,41 bzw. 1,73 Metern. Die näheren Einzelheiten ergeben sich aus den Lichtbildern Blatt 17 ff. d.A., auf die Bezug genommen wird.
Ohne den Kläger zuvor zu informieren, hat die Beklagte die Pyramidenstümpfe im Sommer 1991 verfüllt, wie aus den in bezuggenommenen Lichtbildern ersichtlich, nach Behauptung des Klägers mit Kies, nach Behauptung der Beklagten mit Sand sowie unstreitig mit einer darauf liegenden dünnen Betonschicht.
Der Kläger sieht hierin einen durch irgendwelche Umstände nicht gerechtfertigten, jedenfalls aber nicht gebotenen Eingriff in das von ihm geschaffene Werk, der auch in der wiederholt zum Ausdruck gekommenen negativen Einschätzung des Werkes durch die Beklagte seine Ursache habe.
Der Kläger beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, die in die beiden Pyramidenstümpfe der Stahlskulptur des auf dem Friedrich-Ebert-Platz in Peine stehenden Kunstwerks "durch und durch..." eingebrachte Verfüllung, bestehend aus Kies und Beton, zu beseitigen,
- 2.
an den Kläger eine angemessene Entschädigung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte macht geltend, sie sei aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen gegen sie aus dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verkehrsslcherungspflichten zu der Maßnahme veranlaßt worden. Die Stumpfe seien ständig als Abfalleimer mißbraucht (vgl. die Lichtbilder Bl. 30 d.A.) und von Stadtstreichern zur übernachtung und als Toilette genutzt worden. Außerdem hätten Kinder sie zum Klettern gebraucht und seien dabei auch hineingestürzt,- was zu telefonischen Beschwerden von Eltern geführt habe. Die Verfüllung mit Sand habe dazu geführt, daß kinder die Stumpfe als Sandkasten genutzt hätten, weswegen außerdem eine dünne Betonschicht aufgebracht worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Ihren Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat gemäß Beschluß vom 28.09.1993 (81. 46 d.A.) in Verbindung mit der prozeßleitenden Verfügung vom 09.08.1993 (61. 31134 d.A.) Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 28.09.1993 (81. 45 ff. d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet, denn dem Kläger steht ein Anspruch aus den §§ 14, 91 Abs. 1 UrhG nicht zu.
Es kann unterstellt werden, daß die fragliche Maßnahme eine Entstellung oder andere Beeinträchtigung des Kunstwerks im Sinne des § 14 UrhG ist. Der auf § 97 UrhG gestützte Anspruch setzt jedoch Rechtswidrigkeit voraus. Hieran fehlt es, denn die von der Beklagten ergriffene und vom Kläger beanstandete Maßnahme war aus Gründen der öffentlichen Sicherheit geboten und gerechtfertigt:
Das streitbefangene Werk war von vornherein zur öffentlichen Aufstellung bestimmt. Es kann seine eigentliche Bedeutung auch nur auf diese Weise entfalten. Dann muß es auch, ähnlich wie andere öffentlich aufgestellte Gegenstände, die Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfüllen. Von ihm dürfen insbesondere keine Befahren ausgehen, die nach seiner Ausführungsart durch das Kunstwerk selbst naheliegend ausgelöst werden können und die dazu führen, daß die Beklagte wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht als nach außen hin verantwortlicher Aufsteller auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden kann.
Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, daß die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die ordnungsgemäße Erfüllung von Verkehrssicherungspflichten öffentlich rechtlicher Körperschaften stellt, immer mehr gestiegen sind. Andererseits ist von Bedeutung, daß sich nach der Art des Kunstwerks im hier fraglichen Bereich der Pyramidenstümpfe sowie gerade nach dem Zweck des Werkes, dem vom Kläger betonten Aspekt der Offenheit und Durchlässigkeit, eine "Nutzung" in der Form förmlich aufdrängt, wie sie von der Beklagten beschrieben worden ist. Dabei ist hier insbesondere an die "Nutzung" durch Kinder zu denken, die der drängenden Neugier ihres Afters gemäß nicht nur in die Stümpfe hineinsehen, sondern nahezu selbstverständlich auch auf ihnen herumklettern.
Diese naheliegende Nutzungsart ist durch die Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer noch bestätigt worden. Insbesondere der Zeuge ... hat glaubhaft bekundet, daß ihm Anrufer entsprechende Beobachtungen geschildert haben, wobei vor allem die Beobachtungen eines Rentners die regelmäßige Kletternutzung durch Kinder bestätigt hat.
Daß mit einer derartigen Nutzung der Pyramidenstümpfe erhebliche Verletzungsgefahren verbunden sind, liegt auf der Hand. Dies ergibt sich einmal aus dem Material, das mit seinen ungeschützten harten Kanten erhebliche Gefährdungen bietet, sowie zum anderen aus der Gestaltung der Pyramidenstümpfe, die zunächst den Aufstieg nicht nur erleichtern, sondern geradezu anbieten, im Inneren dann aber keinen Halt mehr ermöglichen, also ein Hineinstürzen begünstigen, und ein Herauskommen für Kinder wenn nicht unmöglich machen, so doch erschweren und eben wegen der Materialart mit erheblichen Verletzungsgefahren verbinden. Entsprechende Besorgnis ist denn auch in den vom Zeugen ... geschilderten Telefongesprächen überzeugend geäußert worden.
Unter diesen Umständen war die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht gehalten, jedenfalls derartigen Befahren entgegenzuwirken. Es ist ihr nicht zuzumuten zu warten, bis die auf der Hand liegende Gefahr in einen wirklichen Schaden umgeschlagen ist. Dies würde ihrer Aufgabe und der Erfüllung der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht zuwiderlaufen.
Daß es der Beklagten möglich sein könnte, bei fehlenden Gegenmaßnahmen die Haftung wegen Verletzung der Aufsichtspflicht auf die Eltern abzuwälzen, ist - jedenfalls für einen Großteil möglicher denkbarer Haftungsfälle - mangels ständiger Aufsichtsverpflichtung ausgeschlossen; jedenfalls aber wäre in jedem Fall eine quotenmäßige Haftung der Beklagten zu erwarten.
Daß etwaige Aufklärung in Form von Zeitungsartikeln die fragliche Gefahr und damit eine Haftung nicht ausschließen könnten, bedarf keiner Ausführungen. Anderenfalls ließe sich die Haftung aus einem erheblichen Teil von Verkehrssicherungspflichtsverletzung durch erzieherisch gemeinte Pressekampagnen vermeiden.
Andere geeignete Gegenmaßnahmen als die von der Beklagten gewählte sind nicht ersichtlich. Auch der Kläger selbst trägt sie nicht vor. In Betracht kam lediglich ein Verfüllen der Pyramidenstümpfe. Dabei war die aufgrund der Zeugenaussagen festgestelltermaßen gewählte Auffüllung der Pyramidenstümpfe Im wesentlichen mit Sand und im oberen Bereich durch eine dünne Magerbetonschicht, die geeignete. Die damit verbundene Beeinträchtigung des Kunstwerks ist, da mit Rücksicht auf die öffentliche Aufstellung und die damit verbundenen Gefahren geboten und berechtigt, vom Kläger hinzunehmen.
Mit Rücksicht darauf, daß die Beklagte nicht rechtswidrig gehandelt hat, ist auch ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 97 Abs. 2UrhG ausgeschlossen.
Die nach Darstellung des Klägers zum Ausdruck gekommene negative Einstellung der Beklagten gegenüber dem Kunstwerk ist für die Entscheidung ohne Bedeutung.
Mithin war die Klage mit den Nebenentscheidungen aus den §§ 91, 709 ZPO abzuweisen.