Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 02.06.2010, Az.: L 7 AL 71/08

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
02.06.2010
Aktenzeichen
L 7 AL 71/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 47906
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 19.10.2007 - AZ: S 9 AL 603/05

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist eine Minderung des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) ab 01. April 2005 in Höhe von 805,00 € gemäß §§ 37b, 140 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) in der bis zum 31.12.2005 gültigen Fassung streitig.

Der im Jahre 1979 geborene Kläger ist von Beruf Radio- und Fernsehmechaniker und bezog im Anschluss an den Wehrdienst in der Zeit vom 01. März 2004 bis 18. Juli 2004 Alg nach einem Bemessungsentgelt von 448,17 € wöchentlich. Am 19. Juli 2004 nahm der Kläger auf Vermittlung durch die Beklagte eine bis zum 31. Dezember 2004 befristete Beschäftigung als Antennenmonteur bei der Firma F. in G. auf. Am 03. Januar 2005 wurde diese Beschäftigung bis zum 31. März 2005 verlängert.

Am 04. Februar 2005 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte mit Wirkung vom 01. April 2005 Alg. Mit Bescheid vom 09. Mai 2005 bewilligte die Beklagte Alg für 220 Kalendertage nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 64,02 € (tägliches Leistungsentgelt 41,99 €, täglicher Zahlbetrag 12,60 €). Bereits mit Bescheid vom 06. Mai 2005 hatte die Beklagte ihm mitgeteilt, dass eine Minderung des Anspruchs gemäß § 140 SGB III eingetreten sei. Der Kläger hätte sich spätestens am 04. Januar 2005 arbeitsuchend melden müssen; die am 04. Februar 2005 erfolgte Arbeitsuchendmeldung sei um 31 Tage verspätet gewesen. Für jeden Tag der verspäteten Meldung mindere sich der Anspruch auf Leistungen um 35,00 € täglich, längstens jedoch für 30 Tage, also um 1.050,00 €. Die Höhe des Abzugs von der täglichen Leistung betrage 12,64 €, beginne am 01. April 2005 und werde voraussichtlich mit der Zahlung des Alg für 84 Leistungstage enden.

Den gegen die Minderung des Alg eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2005 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 28. Juni 2005 Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Er trägt vor, dass er aus dem Gesetzestext nicht ersehen könne, welche Vorschrift er verletzt habe. Nach dem Wortlaut von § 37b Satz 2 SGB III habe er sich frühestens 3 Monate vor Ablauf der Befristung arbeitsuchend melden müssen. Dem sei er nachgekommen. Die Auffassung der Beklagten, die Meldepflicht sei einen Tag nach Abschluss des Arbeitsvertrages, also am 04. Januar 2005 entstanden, da das Arbeitsverhältnis nicht länger als 3 Monate bestanden hätte, werde vom Gesetz so nicht gestützt. Selbst wenn ihm objektiv sorgfaltswidriges Verhalten vorzuwerfen wäre, weil er sich nicht sofort am 04. Januar 2005 arbeitsuchend gemeldet habe, sei ihm keine subjektive Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen, da er davon überzeugt gewesen sei, dass er sich frühestens 3 Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitslos melden müsse.

Demgegenüber hat die Beklagte vorgetragen, dass der Kläger kurz vor Aufnahme des befristeten Beschäftigungsverhältnisses mit Aufhebungsbescheid vom 19. Juli 2004 eindringlich auf eine Verpflichtung zur frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung und auf die Folgen der §§ 37b, 140 SGB III hingewiesen worden sei.

Mit Bescheid vom 06. Juli 2007 änderte die Beklagte den angefochtenen Bescheid dergestalt ab, dass der Minderungsbetrag nur noch insgesamt 805,00 € betrage, da die Meldung um 23 Tage zu spät erfolgt sei. Für Tage, an denen das Amt nicht dienstbereit gewesen sei, erfolge keine Minderung. Ein Betrag in Höhe von 245,00 € wurde an den Kläger ausgezahlt.

Das SG Hannover hat die Beklagte unter Änderung des angefochtenen Bescheides verurteilt, dem Kläger ab 01. April 2005 ungekürztes Alg zu zahlen. Der Kläger sei seiner Verpflichtung, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes seines Arbeitsverhältnisses arbeitsuchend zu melden zwar nicht nachgekommen, er habe jedoch die Verpflichtung, sich rechtzeitig arbeitsuchend zu melden, nicht grob fahrlässig verletzt. Der Gesetzestext sei derart missverständlich formuliert, dass es dem Kläger nicht angelastet werden könne, wenn er nach Lektüre des Gesetzestextes nicht erkannt habe, dass er sich 3 Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätte arbeitsuchend melden müssen.

Das Urteil wurde der Beklagten am 06. Mai 2008 zugestellt.

Die Beklagte hat am 23. Mai 2008 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, der Kläger könne sich nicht auf unverschuldete Rechtsunkenntnis berufen, weil er durch das Merkblatt (Aushändigung am 13. Februar 2004) und den Aufhebungsbescheid vom 19. Juli 2004 ausreichend über die Meldepflicht informiert worden sei. Zudem habe das Bundessozialgericht (BSG) bezüglich der Hinweise zur Meldepflicht nach § 37b SGB III im Merkblatt und in den Bescheiden der Beklagten in mehreren Entscheidungen (BSG, Urteil vom 28.08.2007 - B 7/7a AL 56/06 R -, Urteil vom 17.10.2007 - B 11a/7a AL 72/06 R -) festgestellt, dass von einer inhaltlich richtigen Information durch die Beklagte auszugehen sei. Weiter weist die Beklagte unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG (u. a. Urteile. 20.10.2005 - B 7a AL 28/07 R - und B 7a AL 50/05 R -) darauf hin, dass die Obliegenheit zur frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung auch bei von vornherein befristeten Arbeitsverhältnissen durch die Norm des § 37b SGB III ausreichend inhaltlich bestimmt sei. Zudem habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt, so auch nicht bei der Abmeldung aus dem Leistungsbezug mitgeteilt, dass der Arbeitsvertrag befristet gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19. Oktober 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und beruft sich weiterhin auf den Gesetzeswortlaut des § 37b SGB III.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die den Kläger betreffende beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der Verhandlung und der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das SG Hannover ist zu Recht davon ausgegangen, dass die angefochtenen Bescheide über die Minderung des Alg des Klägers rechtswidrig waren. Der Kläger kann die Bewilligung von Alg mit Wirkung ab 01. April 2005 in voller Höhe, das heißt ohne Berücksichtigung eines Anrechnungsbetrages gemäß § 140 SGB III beanspruchen.

Streitgegenstand sind die Bescheide der Beklagten vom 06. Mai 2005 und 09. Mai 2005 (beide sind als einheitliche Verfügung zu werten) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2005 und des Änderungsbescheides vom 06. Juli 2007. Weil der Kläger seine Klage ausdrücklich auf die Anfechtung der Minderung beschränkt hat, bedarf es keiner umfassenden Überprüfung des angefochtenen Bescheides nach Grund und Höhe. Gegenstand der rechtlichen Überprüfung ist lediglich die Rechtsmäßigkeit der Leistungsminderung im angefochtenen Bescheid.

Gemäß § 140 SGB III in der ab 01.07.2003 bis zum 31.12.2005 gültigen Fassung (Art. 1 Nr. 19 Erstes Gesetz für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl. I S. 4607) mindert sich das Alg, das dem Arbeitslosen aufgrund des Anspruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist, wenn sich der Arbeitslose entgegen § 37b SGB III nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet hat (Satz 1). Die Minderung besteht in einer Kürzung des Leistungssatzes des Alg, die sich nach der Dauer der Verspätung und nach der Höhe des Bemessungsentgelts richtet, längstens für 30 Tage, wobei die Minderung maximal die Hälfte des Leistungsanspruchs betrifft (Sätze 2 - 4). Gemäß § 37b SGB III in der ebenfalls ab 01.07.2003 gültigen Fassung (Art. 1 Nr. 6, Art. 13 Abs. 3 des Ersten Gesetzes für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) sind Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich beim Arbeitsamt arbeitsuchend zu melden. Im Fall eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat die Meldung jedoch frühestens 3 Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen (Satz 2).

Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28.08.2007 - B 7/7a AL 56/06 R -, Urteil vom 17.10.2007 - B 11a/7a AL 72/06 R -) ist die Obliegenheit zur frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung auch bei vornherein befristeten Arbeitsverhältnissen durch die Norm des § 37b SGB III ausreichend bestimmt. Nach Sinn und Zweck der Regelung des § 37b Satz 2 SGB III ist die Vorschrift so auszulegen, dass die Meldung "spätestens" drei Monate vor Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses, ansonsten unverzüglich zu erfolgen hat (BSG, a. a. O.). Maßgebend für die Entscheidung der Verletzung der Obliegenheit des § 37b Satz 1 SGB III auf Seiten des Versicherten ist die Beurteilung des Verschuldens nach einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab. Rechtlicher Ansatzpunkt hierfür ist § 121 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der eine Legaldefinition der Unverzüglichkeit enthält. Insoweit ist eine doppelte Verschuldensprüfung erforderlich; diese betrifft zum einen die Kenntnis der beziehungsweise die fahrlässige Unkenntnis über die Meldepflicht, zum anderen betrifft sie das vorwerfbare Fehlverhalten für jeden einzelnen Tag der versäumten Arbeitsuchendmeldung. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen sind an das Vorliegen der Voraussetzungen für das Verschulden besonders hohe Anforderungen zu stellen. Dies folgt aus dem Umstand, dass der Wortlaut des § 37b Satz 2 SGB III missverständlich formuliert ist hinsichtlich des Zeitpunkts des Entstehens der Obliegenheit zur frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung und die Norm auch von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit unterschiedlich ausgelegt worden ist. Dies kommt zum Ausdruck in dem Umstand, dass die Regelung durch das 5. Gesetz zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze vom 22.12.2005 (BGBl. I, S. 3676) mit Wirkung ab 01.01.2006 neu gefasst worden ist (vgl. hierzu im Einzelnen LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30.10.2007 - L 7 AL 216/06 -).

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist eine Verletzung der Obliegenheitspflicht durch den Kläger nicht festzustellen, sodass eine Minderung des Alg gemäß § 140 SGB III ab dem 01. April 2005 nicht eintritt.

Zwar hat der Kläger die Drei-Monats-Frist des § 37b Satz 2 SGB III nicht eingehalten, da er sich erst am 04. Februar 2005 arbeitsuchend gemeldet hat. Unter Berücksichtigung des erforderlichen subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstabes ist ein Verschulden des Klägers im obigen Sinn nicht festzustellen. Denn nach dem Eindruck des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 02. Juni 2010 kann nicht darauf geschlossen werden, dass er nach seinem individuellen Beurteilungsvermögen fahrlässig in Unkenntnis über die ihm auferlegte Obliegenheit war. So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert, sich im Vorfeld, also noch bei Bestehen des befristeten Arbeitsverhältnisses über den Gesetzestext des § 37b SGB III informiert zu haben. Diesen Gesetzestext habe er in einem Faltblatt der Arbeitsverwaltung gelesen und kannte ihn in allen Einzelheiten. Da dieser eindeutig für ihn gewesen sei, habe er sich im Weiteren keine Gedanken darüber gemacht und sich entsprechend der gesetzlichen Regelung "frühestens" drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten arbeitsuchend gemeldet, indem er zwei Monate davor, also frühestens drei Monate davor, sich dorthin gewandt habe. Er habe sich, nach seiner glaubhaften Einlassung, auf die Aussage im Gesetzestext verlassen. Da der Kläger positive Kenntnis von dem Gesetzestext hatte und auf die Richtigkeit vertraut hat, ist ihm fahrlässige Unkenntnis nicht vorzuwerfen. Denn es hätte ihm nicht bekannt sein müssen, dass er sich spätestens drei Monate vor Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses hätte arbeitsuchend melden müssen. Dies ließ sich so dem Wortlaut des Gesetzestextes gerade auch nicht entnehmen, zumal der Kläger nach seinen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung auch keinerlei Zweifel daran hatte, den Gesetzestext anders als nach dem vorliegenden Wortlaut zu verstehen.

Auch unter Berücksichtigung des Aufhebungsbescheides anlässlich der Arbeitsaufnahme ab 19. Juli 2004 sowie des am 13. Februar 2004 ausgehändigten Merkblattes hat der Kläger bei Anwendung des subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstabes nicht schuldhaft gehandelt. Denn aus der Sicht des Erklärungsempfängers werden allgemeine Hinweise anlässlich der Abmeldung aus dem Leistungsbezug, die nicht mit der Beendigung der Leistungsgewährung zutun haben, in der Regel nicht als relevant wahrgenommen. Stehen die allgemeinen Hinweise der Beklagten nicht im Zusammenhang mit einem aktuellen, sondern mit einem eventuellen späteren Leistungsanspruch, kann in der Regel von dem Arbeitslosen nicht mehr in vorwerfbarer Weise verlangt werden, dass der in dem Aufhebungsbescheid erteilte Hinweis beachtet wird. Denn der Arbeitnehmer ist in derartigen Fällen auf die Aufnahme der neuen Arbeit und auf die damit einhergehenden Änderungen und zu treffenden Dispositionen konzentriert und misst für andere Fallgestaltungen erteilten Hinweisen eine geringere Bedeutung bei. Dies gilt hier umso mehr, da der Kläger angegeben hat, sich in der Folgezeit, so auch Anfang des Jahres 2005 mit dem Gesetzestext beschäftigt zu haben und danach auch entsprechend verfahren zu sein. Der persönliche Eindruck des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ keine Anhaltspunkte dafür erkennen, an seinen Angaben zu zweifeln. Das bedeutet, eine vorwerfbare Fahrlässigkeit in Bezug auf die Unkenntnis über die ihm auferlegte Obliegenheit im Sinne des § 37b Satz 2 SGB III ist nicht festzustellen. Diese Überzeugung hat der Senat durch die persönliche Anhörung des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 02. Juni 2010 gewonnen.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da die Beklagte auch im Berufungsverfahren unterlegen ist, hat sie die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor; insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil es um die Anwendung alten Rechts geht (§ 160 SGG).