Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 22.10.1982, Az.: 2 UF 118/82

Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz durch Zugrundelegen des vollen Einkommens bei der Berechnung nachehelichen Unterhalts trotz Betreuung eines gemeinsamen Kindes

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
22.10.1982
Aktenzeichen
2 UF 118/82
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1982, 17865
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1982:1022.2UF118.82.0A

Verfahrensgegenstand

Unterhalt

Prozessführer

Versuchsfahrer ...

Prozessgegner

Hausfrau ...,

In dem Rechtsstreit
hat der 2. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts ...
die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ...
auf die mündliche Verhandlung vom 1. Oktober 1982
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - ... vom 2. Juni 1982 abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die Zeit vom 1. Dezember 1980 bis 30. Juni 1981 über freiwillig gezahlten Unterhalt von monatlich [xxxxx]0,- DM hinaus weitere 601,02 DM ([xxxxx]monatlich 85,86 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 1. März 1981 sowie ab 1. Juli 1981 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 585,86 DM zu zahlen.

Auf den Unterhalt ab 1. Juli 1981 sind die im Verfahren 9 [xxxxx]1249/80 des Amtsgerichts ... zu Gunsten der Klägerin in der Zeit vom 1. August 1981 bis 31. Juli 1982 gepfändeten Unterhaltsbeträge von insgesamt 6.[xxxxx]0,- DM anzurechnen. Darüber hinausgehende Zahlungen und Pfändungen sind bei entsprechenden Nachweis anzurechnen.

Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges werden gegeneinander aufgehoben.

Von den Kosten des Berufungsrechtszuges tragen die Klägerin 2/3 und der Beklagte 1/3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird nach § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

1

Die Berufung des Beklagten ist teilweise begründet. Entgegen den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil ist der Beklagte verpflichtet, der Klägerin für die Zeit von Dezember 1980 bis Juni 1981 über freiwillig gezahlten Unterhalt von monatlich [xxxxx]0,- DM hinaus lediglich einen weiteren Unterhalt von monatlich 85,86 DM und ab 1. Juli 1981 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von nur 585,86 DM zu zahlen.

2

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Unterhaltsberechnung ein bereinigtes Nettoeinkommen von monatlich 2.067,- DM bei ihm zugrundezulegen. Für den nachehelichen Unterhaltsanspruch, den die Klägerin geltend macht, sind die Belastungen des Beklagten aus dem Steuerstrafverfahren (Darlehensaufnahme zur Zahlung der Geldstrafe und der Verfahrenskosten) nicht vorab einkommensmindernd zu berücksichtigen. Zu ihrer Zahlung hat der Beklagte nämlich erst aufgrund des Urteils des Amtsgerichts ... vom 25. Februar 1981, also nach rechtskräftiger Scheidung verpflichtet worden. Diese Zahlungsverpflichtung hat demgemäß die ehelichen Lebensverhältnisse der Parteien, an denen sich der Unterhaltsanspruch ausrichtet, nicht - mit - geprägt. Das die strafbare Handlung von dem Beklagten bereits während der Ehe begangen war, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.

3

Entgegen der Auffassung des Beklagten verstößt es auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn der Unterhaltsberechnung sein volles Einkommen aus der von ihm ausgeübten Erwerbstätigkeit trotz der Betreuung eines gemeinsamen Kindes zugrundegelegt wird. Nach dem Grundgedanken von § 1577 Abs. 2 BGB hat der "Doppelbelastung" des Beklagten dadurch Rechnung zu tragen, daß ihm als voll erwerbstätigen Ehepartner, der ein Kind betreut, von seinem Einkommen so viel verbleiben muß, daß sein voller Unterhalt, der an den ehelichen Lebensverhältnissen zu messen ist (§ 1578 BGB), und nicht nur sein Mindestunterhalt gedeckt ist (vgl. auch OLG Koblenz, FamRZ 1981, S. 253). Das darüber hinaus erzielte Einkommen ist nach Billigkeit anzurechnen. Bei dieser Bewertung ist auf die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen und auch auf die ehelichen Lebensverhältnisse, soweit diese auf die wirtschaftlichen Verhältnisse nach Ehescheidung Einfluß haben. Dies bedeutet, daß bei einer sog. "Alleinverdienerehe" es grundsätzlich nicht unbillig ist, wenn das Einkommen des vor und nach Ehescheidung voll erwerbstätigen Ehepartners in vollem Umfang berücksichtigt wird. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist ein allgemeiner Grundsatz, das Einkommen aus voller Erwerbstätigkeit eines Ehepartners bei gleichzeitiger Betreuung eines gemeinsamen Kindes immer als Einkommen aus unzumutbarer Arbeit zu behandeln ist, den unterhaltberechtlichen Vorschriften und insbesondere auch der Bestimmung des § 1578 BGB nicht zu entnehmen. Auch eine generelle Regelung, daß Einkommen aus unzumutbarer Arbeit stets nur zur Hälfte anzurechnen ist, gibt es nicht (vgl. BGH, FamRZ 1982, S. 779).

4

Als Erwerbseinkommen der Klägerin sind monatlich 200,- DM fiktiv anzunehmen, die sie bei Ausübung einer ihr angebotenen und zumutbaren Putztätigkeit hatte verdienen können. Dazu kann auf die Ausführung im angefochtenen Urteil Bezug genommen werden.

5

Darüber hinaus ist ihr ein fiktives Arbeitseinkommen nicht anzurechnen, da insbesondere nach der Auskunft des Arbeitsamtes ... vom 23. Oktober 1981 kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß sie bei intensivem Bemühen um eine Teilzeitbeschäftigung ein höheres Einkommen hatte erzielen können. Insoweit wird auf die Ausführungen im Beschluß des Senats vom 2. August 1982 verwiesen.

6

Ferner ist es trotz der Hinweise der Klägerin auf die Prozeßkostenvorschußpflicht im Zugewinnausgleichsverfahren gerechtfertigt, ihr ein Zinseinkommen von fiktiv 100,- DM ab 1. Juli 1981 aus dem Zugewinngleichheitsbetrag von 20.000,- DM anzurechnen. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien war es der Klägerin zuzumuten, 15.000,- DM zu einem Zinssatz von mindestens 8 % anzulegen und sich bei den Anschaffungen zur Ergänzung des Hausrates und der Herrichtung einer eigenen Wohnung erheblich einzuschränken und mit einem Betrag von ca. 2.000,- DM, der ihr nach Zahlung von Gerichts- und Anwaltskostenvorschüssen im Zugewinnausgleichsverfahren zur freien Verfügung verblieb, auszukommen.

7

Ausgehend von einem anrechenbaren Nettoeinkommen des Beklagten von monatlich 2.067,- DM errechnet sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin nach den vom Senat in ständiger Rechtsprechung angewandten Grundsätzen der Düsseldorfer Tabelle mit 3[xxxxx]auf 885,86 DM. Auf diesen Unterhaltsanspruch sind für die Zeit von Dezember 1980 bis 30. Juli 1981 monatlich fiktive Einkünfte der Klägerin von 200,- DM und ab 1. Juli 1981 von 300,- DM anzurechnen. Daß bei Berechnung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin die sog Differenzmethode keine Anwendung findet, weil die Klägerin nach der Geburt des Kindes Jörg im Mai 1969 nicht mehr berufstätig war und somit während der Ehe nur ein bis zwei Monate eine Erwerbstätigkeit ausübte, ist im Beschluß des Senats vom 2. August 1982 dargelegt worden. Hierauf wird Bezug genommen. Daher errechnet sich für die Zeit von Dezember 1980 bis 30. Juni 1981 ein Unterhaltsanspruch der Klägerin von monatlich 685,86 DM und ab 1. Juli 1981 von monatlich 585,86 DM.

8

Bei Zahlung diese Unterhaltsbetrages an die Klägerin ist der volle Unterhaltsbedarf des Beklagten aus dem ihm verbleibenden Einkommen gedeckt. Der volle Unterhalt des Beklagten, der sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmt, ist bei einem um die berufsbedingten Fahrkosten reduzierten monatlichen Durchschnittsnettoeinkommen von 2.829,- DM und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß von diesem Einkommen während der Ehe die vierköpfige Familie leben mußte und erhebliche Schulden zu tilgen waren, mit maximal 1.000,- DM monatlich anzusetzen. Bei Zahlung des Unterhalts von 685,- DM an die Klägerin verbleiben dem Beklagten nach Abzug des für den Unterhalt der Kinder anzusetzenden Betrages von 540,- DM monatlich 1.604,- DM. Mit diesem Betrag ist sein voller Unterhalt gedeckt auch unter Berücksichtigung der den Beklagten treffenden Darlehenstilgungsverpflichtungen, die unterhaltsrechtlich nur im Rahmen eines angemessenen Tilgungsplanes und damit mit keinesfalls mehr als 600,- DM monatlich berücksichtigt werden können.

9

Auf den Unterhaltsanspruch der Klägerin von monatlich 685,85 DM für die Zeit von Dezember 1980 bis 30. Juni 1981 sind die vom Kläger unstreitig geleisteten Zahlungen von monatlich 600,- DM anzurechnen. Dies ergibt sich schon aus der Antragstellung und dem Urteilstenor erster Instanz. Für diesen Zeitraum errechnet sich somit eine Unterhaltsdifferenz von 601,02 DM zu Gunsten der Klägerin. Auf diesen Unterhaltsrückstand sind keine Zahlungen des Beklagten aus der Gehaltspfändung zu verrechnen. Die Pfändungsbeträge einschließlich freiwilliger Zahlungen des Beklagten übersteigen nicht den für den Zeitraum vom 1. Juli 1981 bis 31. Juli 1982 fälligen Unterhalt. Bei der Verrechnung findet § 366 Abs. 2 BGB insoweit keine Anwendung, als Zahlungen oder Pfändungen aufgrund der einstwilligen Anordnung vom 20. November 1979 - 12 F 301/79 (S 5) AG ... erbracht worden sind und damit zunächst auf den Unterhalt für den jeweils laufenden Monat zu verrechnen sind.

10

Im Januar 1981 hat die Klägerin durch freiwillige Zahlung des Beklagten 600,- DM und aufgrund der Gehaltspfändung 650,- DM erhalten. Der Betrag von 650,- DM kann jedoch nicht auf den Unterhaltsrückstand für Dezember 1980 bis Juni 1981 verrechnet werden, da der Beklagte nicht dargelegt hat, daß für Januar 1981 der Unterhalt "doppelt" gezahlt worden ist. Es bestehen nämlich Zweifel, ob die Pfändung im Januar 1981 den Unterhalt für diesen Monat betrifft. Da mehr als der titulirte Betrag von 600,- DM gepfändet wurde, liegt die Annahme nahe, daß zu diesem Zeitpunkt auf der Grundlage der Unterhaltszahlungsverpflichtung aus der einstweiligen Anordnung Unterhaltsrückstände aus dem Jahre 1980 bestanden. Diese Unklarheit, die auch der Beklagte nicht klären konnte, geht zu seinen [xxxxx]sten; der Kläger hat damit eine Tilgung des für Dezember 1980 bis Juni 1981 errechneten - rückständigen - Betrages durch die Januar-81-Pfändung nicht schlüssig dargelegt.

11

Für die Zeit vom 1. August 1981 bis 31. Juli 1982 errechnet sich bei einem monatlichen Unterhaltsbetrag von 585,86 DM ein Gesamtunterhalt von 7.030,32 DM. Durch Pfändung - 9 [xxxxx]1249/80 AG ... sind von August 1981 bis Juli 1982 insgesamt 8.600,- DM an die Klägerin gezahlt worden. Diese Zahlungen sind auf die Unterhaltsschuld für denselben Zeitraum anzurechnen. Weitere freiwillige Zahlungen für diesen Zeitraum hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht mehr behauptet.

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

13

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 1[xxxxx] [xxxxx]ZPO.