Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.12.1976, Az.: 2 Ss 447/76

Angemessene Berücksichtigung des Unterhaltsbetrags für unterhaltsberechtigte Familienangehörigen bei der Verhängung von Tagessätzen; Verhängung von Tagessätzen durch das Gericht bei monatlicher Unterhaltsverpflichtung eines Angeklagten gegenüber seinen Kindern und seiner Ehefrau; Ausschluss des Unterhaltsanspruches einer Ehefrau wegen eines Verzichts auf Arbeitslohn; Leistungsfähigkeit eines Angeklagten hinsichtlich der Unterhaltsverpflichtungen bei der Verhängung von Tagessätzen; Nettoeinkommen eines Angeklagten bei der Bestimmung der Höhe des Tagessatzes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
15.12.1976
Aktenzeichen
2 Ss 447/76
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1976, 14994
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1976:1215.2SS447.76.0A

Fundstelle

  • NJW 1977, 1248 (Volltext mit amtl. LS) "Berücksichtigung des Kindergeldes"

Verfahrensgegenstand

Vergehen gegen das Pflichtversicherungsgesetz

In der Strafsache
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts ... vom 1. Juni 1976
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht in der Sitzung vom 15. Dezember 1976
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie
der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
einstimmig beschlossen:

Tenor:

Unter Verwerfung der weitergehenden Revision wird das angefochtene Urteil hinsichtlich der Festsetzung der Höhe des Tagessatzes mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts ... zurückverwiesen.

Gründe

1

1.

Zum Schuldspruch und zur Zahl der verhängten Tagessätze erachtet der Senat die Revision in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft einstimmig für offensichtlich unbegründet.

2

2.

Hinsichtlich der Höhe des einzelnen Tagessatzes ist dagegen das angefochtene Urteil nicht frei von durchgreifenden Bedenken.

3

Nach den getroffenen Feststellungen ist der Angeklagte jetzt als Gebrauchtwagenhändler mit eigener Firma tätig, sein monatliches Einkommen beträgt ca. 1.500,- DM netto. Er hat für den Unterhalt seiner - in dem Betrieb stundenweise unentgeltlich mitarbeitenden - Ehefrau sowie seiner sechs Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren zu sorgen. Die Strafkammer ist davon ausgegangen, daß 600,- DM monatlich für die Unterhaltsverpflichtung des Angeklagten gegenüber seinen Kindern und seiner Ehefrau abzuziehen seien, weil dieser Betrag den dörflichen und sonstigen einfachen Verhältnissen, in denen die Familie des Angeklagten lebt, angemessen sei. Außerdem ist sie der Meinung, daß die Ehefrau keine Unterhaltsansprüche geltend machen könne, weil sie auf die ihr zustehenden Gelder auf Arbeitslohn gegenüber ihrem Ehemann verzichtet habe. Es bleibe danach für den Angeklagten ein Betrag von 900,- DM monatlich, so daß der vom Strafrichter mit 30,- DM festgesetzte Tagessatz nicht zu beanstanden sei.

4

Was zunächst den zuletzt angeführten Gesichtspunkt - die Ehefrau könne keine Unterhaltsansprüche geltend machen, weil sie auf Arbeitslohn verzichtet habe, - betrifft, so kann dieser schon deswegen keine Berücksichtigung finden, weil angesichts der hierzu knappen Feststellungen sich bisher nicht ausschließen läßt, daß die Ehefrau im Rahmen des § 1356 Abs. 2 BGB a.F. im Betrieb ihres Mannes mitgearbeitet und es sich deshalb hierbei nicht um eine Vergütungspflichtige Berufstätigkeit gehandelt hat.

5

Der Unterhaltsbetrag für die unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ist mit 600,- DM zu gering bemessen worden. Zwar hat der Tatrichter von Fall zu Fall zu entscheiden, in welcher Weise Unterhaltsverpflichtungen angemessen zu berücksichtigen sind (ständige Rechtsprechung der drei Strafsenate des Oberlandesgerichts, vgl. NJW 1975, 2029 = JR 1975, 471 mit zust. Anm. von Tröndle - = Nds.Rpfl. 1975, 201; vgl. auch OLG Oldenburg NdsPfl. 1975, 223 = VRS 49, 344 und MDR 1975, 1038). Dies kann nicht in allen Einkommensbereichen in gleicher Weise erfolgen (vgl. OLG Celle a.a.O.), muß jedoch angemessen sein. Das bedeutet aber, daß sowohl die Leistungsfähigkeit wie auch die Bedürftigkeit genügend berücksichtigt wird, so wie es sich für die ehelichen Kinder aus §§ 1602 ff. BGB ergibt. Auf den hier zu entscheidenden Fall, der sich durch ein besonders niedriges Einkommen bei grosser Zahl von Unterhaltsberechtigten hervorhebt, angewendet, heißt dies, daß die unterhaltsverpflichteten Eltern alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden haben (vgl. § 1603 Abs. 2 BGB). Wenn dabei auch auf die Erhaltung der Arbeitskraft des Ernährers (hier des Angeklagten) Rücksicht zu nehmen sein wird (vgl. Palandt, 34. Aufl., § 1603, Anm. 4 m.w.N.), so reicht auch für eine in bescheidenen, ländlichen und deshalb besonders kostengünstigen Verhältnissen lebenden Familie - wie es die des Angeklagten nach den Feststellungen ist - ein Betrag von 600,- DM nicht aus, um diesen Anforderungen gerecht zu werden, zumal in diesen Betrag der Unterhalt für die Ehefrau enthalten ist. Zu dem gleichen Ergebnis müßte man gelangen, wenn von der vom 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm (MDR 1976, 595 und NJW 1976, 722) vertretenen Auffassung, der sich zur Berücksichtigung des Unterhalts der Ehefrau das Oberlandesgericht Frankfurt (NJW 1976, 2220) angeschlossen hat, ausgegangen würde. Diese geht dahin, der Unterhalt der Kinder sei in der Weise zu berücksichtigen, daß grundsätzlich von den Sätzen der Regelunterhaltsverordnung auszugehen sei, und derjenige der nicht berufstätigen Ehefrau in der Weise, daß das danach verbleibende Nettoeinkommen der Eheleute grundsätzlich zwischen diesen zu teilen sei. Diese Rechnungsweise würde hier jedoch dazu führen, daß für die sechs Kinder im Zeitpunkt der Verhandlung vor der Strafkammer mindestens 1.074,- DM (wenn wegen der hierzu fehlenden Feststellungen davon ausgegangen wird, daß lediglich ein Kind sich im 13. Lebensjahr befand oder älter war, während die anderen Kinder jünger waren) abzusetzen wären; schon dies entspräche nicht der Leistungsfähigkeit des Angeklagten. Dann würden nämlich für dessen Unterhalt und dem seiner Ehefrau nur noch 426,- DM verbleiben, für den Angeklagten selbst nach der Berechnungsweise des Oberlandesgerichts Hamm nur noch 213,- DM. Dies Ergebnis wäre ebenfalls unangemessen und zeigt, daß die Bemessung nach dem Regelunterhalt gelten mag, wenn es vornehmlich um die Frage des Bedarfs geht, nicht aber wenn auch die beengte Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen infrage steht. So hat dann das Oberlandesgericht Hamm seine Grundsätze für die Unterhaltspflicht der Kinder in einem anders gelagerten Fall aufgestellt (NJW 1975, 722), in dem der Täter der Ehefrau und zwei Kindern unterhaltspflichtig war.

6

Das Oberlandesgericht Hamm würde im Falle der hier vorliegenden Art die Vorschrift des § 1615 h BGB beachten müssen, weil deren Voraussetzungen ersichtlich vorliegen: Der Regelunterhalt übersteigt wesentlich den Betrag, den der Vater ohne Berücksichtigung der Vorschriften über den Regelunterhalt leisten müßte. Dies Gericht würde deshalb bei der Bemessung des Unterhalts der Kinder hier auch von der Regelung ausgehen, die der Senat angewendet hat. Gleiches gilt für die Bemessung des Unterhalts der Ehefrau. Die Einkommensverhältnisse der Familie sind hier derart beengt, daß es nicht der Wirklichkeit entsprechen würde, wenn davon ausgegangen würde, die Ehefrau des Angeklagten bedürfe für ihren eigenen Unterhält genau so viel wie der Angeklagte. Es hätte deshalb hier für von der gesetzlichen Regelung der §§ 1360 ff. BGB ausgegangen werden müssen, wobei allerdings auch zu würdigen gewesen wäre, daß die Ehefrau des Angeklagten stundenweise im Betrieb mitarbeitet, woraus sich für sie möglicherweise ein besonderer Aufwand (gegenüber der nur im Haushalt tätigen Ehefrau) ergeben haben könnte.

7

Der aufgezeigte Rechtsfehler berührt nicht die Festsetzung der Zahl der Tagessätze. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Senatsbeschluß vom 26.9.1975 - 2 Ss 249/75 -), die nunmehr durch den Bundesgerichtshof in dessen auf Vorlage des Bayerischen Obersten Landesgerichts (VRS 51, 22 = NJW 1976, 1912) ergangenen Beschluß vom 30. Nov. 1976 (1 Str. 319/76) bestätigt worden ist, entschieden hat, sind die Teile der Bemessung der Geldstrafe in der Regel trennbar: Während für die Zahl der Tagessätze allein die Grundsätze des § 46 StGB maßgebend sind, richtet sich die Tagessatzhöhe in der Regel allein nach der Bestimmung des § 40 Abs. 2 StGB, also nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters. Es sind keine Umstände ersichtlich, die ein Abweichen von dieser Regel rechtfertigen könnten.

8

3.

Für die erneute Hauptverhandlung wird darauf hingewiesen, daß zu erörtern sein wird, ob und in welcher Höhe der Angeklagte für seine Kinder Anspruch auf Kindergeld hat. Gem. § 1 Nr. 1 Bundeskindergeldgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5.8.1974 (= BKGG) besteht nämlich grundsätzlich Anspruch auf Kindergeld auch für Selbständige (vgl. Schieckel, Komm. zum BKGG, § 1 Anm. 3). Das könnte bedeuten, daß der Angeklagte für seine Kinder insgesamt (50,- DM, 70,- DM und viermal 120,- DM) 600,- DM Kindergeld beanspruchen kann, § 5 BKGG. Etwa bestehende Kindergeldansprüche wären sodann dem Nettoeinkommen des Angeklagten bei der Bestimmung der Höhe des Tagessatzes gem. § 40 Abs. 2 StGB zuzurechnen, und zwar auch dann, wenn er ihm etwa zustehende Einkünfte nicht bezogen hat; gem. § 40 Abs. 2 S. 2 StGB ist in der Regel von dem Einkommen auszugehen, das der Täter hat oder "haben könnte".