Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 13.02.1964, Az.: I A 87/63
Antrag auf Fürsorgeunterstützung ; Antrag auf Beihilfe für die Anschaffung orthopädischer Schuhe; Rückforderung überzahlter Sozialhilfeleistungen; Rücknahme eines begünstigenden fehlerhaften Verwaltungsaktes
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 13.02.1964
- Aktenzeichen
- I A 87/63
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1964, 12229
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1964:0213.I.A87.63.0A
Rechtsgrundlagen
- § 812 BGB analog
- § 818 Abs. 3 BGB
Verfahrensgegenstand
Rückzahlung zuviel gezahlter Beihilfe.
Die I. Kammer Braunschweig des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Februar 1964
durch
den Präsidenten Groß,
den Verwaltungsgerichtsrat Schilling,
Gerichtsassessor Figge sowie
die ehrenamtlichen Verwaltungsrichter Ehrhoff und Eisfelder
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 76,-- Deutsche Mark nebst 4 vom Hundert Verzugszinsen seit dem 11. Juni 1963 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die jetzt 45 Jahre alte Beklagte ist verwitwet. Ihr Ehemann ist als vermißter Soldat für tot erklärt worden. Sie hat einen am 9. Februar 1945 geborenen ehelichen Sohn ... und einen am 30. März 1947 geborenen unehelichen Sohn .... Beide Kinder befinden sich in der Berufsausbildung. Die Beklagte bezog in den Jahren von 1945 bis 1959 zeitweilig Sozialhilfe.
Im Jahre 1958 beantragte sie eine Beihilfe für die Anschaffung orthopädischer Schuhe für ihren Sohn ..., der von Geburt an Klumpfüße hat. Die Klägerin gewährte darauf am 25. März 1958, 6. März 1959, 25. Februar 1960, 6. Mai 1960 und 6. April 1961 Beihilfen für die Anfertigung orthopädischer Maßschuhe.
Im März 1959 bewilligte die Klägerin der Beklagten einen Zuschuß von 145,05 DM und im Februar 1960 einen Zuschuß von 171,85 DM. Beide Beträge entsprechen den Kostenanschlägen des. Orthopädie-Schuhmachermeisters ... vom 2. Februar 1959 und 20. Januar 1960. Die Allgemeine Ortskrankenkasse erstattete für die im März 1959 gewährte Beihilfe 40,-- DM und für die im Februar 1960 gewährte Beihilfe 60,-- DM. Für die im März 1959 gekauften orthopädischen Maßschuhe beantragte die Klägerin am 11. Februar 1959 auch bei dem Landesversorgungsamt Niedersachsen - Pensionsabteilung - eine Beihilfe. Das Landesversorgungsamt setzte die Behilfe für den Rechnungsbetrag von 145,04 DM auf 80,-- DM fest, die am 27. Februar 1959 zur Zahlung an die Klägerin angewiesen wurden. Für die im Februar 1960 gekauften orthopädischen Schuhe beantragte die Klägerin am 30. Januar 1960 beim Landesversorgungsamt ebenfalls eine Beihilfe, die ihr in Höhe von 46,-- DM gewährt wurde.
Die Beklagte setzte die Klägerin weder von ihren Beihilfeanträgen noch davon in Kenntnis, daß diese auch gewährt wurden. Erst durch Schreiben des Landesversorgungsamtes vom 5. Januar 1962 erfuhr die Klägerin, daß das Landesversorgungsamt für die am 6. März 1959 und am 25. Februar 1960 bewilligten Schuhe Beihilfen in Höhe von 80,-- und 46,--DM an die Beklagte gezahlt habe.
Auf eine Anfrage der Fürsorgestelle der Klägerin, wie sie sich der Rückzahlung von insgesamt 126,-- DM zuviel erhaltener Beihilfen aus Fürsorgemitteln denke, erklärte die Beklagte gegenüber der Fürsorgerin Frau ..., daß sie die Schuld in Höhe von 126,-- DM anerkenne, jedoch bitte, ihr nachzulassen den Betrag in monatlichen Raten von 20,-- DM, beginnend am 1. Juli 1962 zu zahlen. Die Klägerin erklärte sich darauf bereit, daß die Beklagte mit der Ratenzahlung am 1. September 1962 beginnt.
Am 12. Oktober 1952 erklärte sich die Beklagte gegenüber dem Sachbearbeiter Schiller der Beklagten erneut bereit, 126,-- DM zurückzuzahlen. Entgegen ihrer Zusage zahlte sie in den Folgenden Monaten Raten von nur 10,-- DM. Mit Schreiben vom 3. Mai 1963 teilte sie auf Anfrage mit, daß sie sich außerstande sehe, ihrer Rückzahlungsverpflichtung weiter nachzukommen. Die Klägerin erwirkte darauf gegen die Beklagte am 31. Mai 1963 bei den Amtsgericht Braunschweig einen Zahlungsbefehl in Höhe von 76,-- DM. Hiergegen legte die Beklagte fristgerecht Widerspruch ein. Das Amtsgericht Braunschweig erklärte sich durch Beschluß vom 21. August 1963 für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das Verwaltungsgericht Braunschweig.
Die Klägerin trägt vor: Die Beklagte habe bei ihrem ersten Antrag auf Fürsorgeunterstützung das übliche Antragsformular unterschrieben, das u. a. folgende Sätze enthalten habe: "Ich verpflichte mich weiterhin, dem Fürsorgeamt von jeder Veränderung meiner wirtschaftlichen Verhältnisse (Einnahmen aus Arbeitsverdienst, Vermögen usw.) Kenntnis zu geben ... Im übrigen bin ich damit einverstanden, daß die Kosten der mir gewährten Unterstützung aus den mir auf Grund der Versicherung- und Versorgungsgesetze zustehenden Leistungen in gesetzlicher Höhe gedeckt werden." Die Beklagte könne nicht geltend machen, über den Inhalt dieser Erklärung nicht mehr unterrichtet gewesen zu sein. Sie sei in den vergangenen Jahren wiederholt auf ihre Aufklärungspflicht hingewiesen worden, weil sie die Klägerin mehrfach in anderen Fällen über anderweitige Bezüge nicht informiert habe. Wegen eines dieser Fälle sei auch ein Strafverfahren gegen die Beklagte anhängig gewesen, in dem sie wegen Unterstützungsbetruges durch Strafbefehl mit 60,-- DM Geldstrafe bestraft worden sei, weil sie Unterhaltsleistungen des Vaters ihres Unehelichen Kindes dem Fürsorgeamt nicht angegeben habe. Weiter habe die Beklagte bei der Bewilligung der Erziehungsbeihilfen für ihren Sohn ... die Änderungsmitteilungen des Landesversorgungsamtes Niedersachsen- Pensionsabteilung- vom 19. Oktober 1960 und 17. März 1961 nicht vorgelegt, so daß auch hier Überzahlungen eingetreten seien.
Die Beklagte sei wirtschaftlich durchaus in der Lage, die zu Unrecht empfangenen Leistungen zurückzuerstatten. Sie habe für sich und ihre beiden Kinder folgende Einnahmen:
Versorgungsrente für die Beklagte | DM 100,-- |
---|---|
Versorgungsrente für Sohn ... | DM 30,-- |
Invalidenrente für die Beklagte | DM 103,-- |
Invalidenrente für Sohn ... | DM 62,40 |
Vom Landesversorgungsamt für die Beklagte und Sohn ... | DM 344,54 |
Lehrlingsvergütung für Sohn ... | DM 80,-- |
Lehrlingsvergütung für Sohn ... | DM 75,-- |
DM 794,94. |
Außerdem beziehe der Vater der Beklagten, mit dem sie einen gemeinsamen Haushalt führe, eine Invalidenrente in Höhe von 119,20 DM.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 76,-- Deutsche Mark nebst 4 % Verzugszinsen seit dem 11. Juli 1963 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Sie beziehe schon seit mehreren Jahren Rente. Bei einer Rentennachzahlung habe das Fürsorgeamt jeden Pfennig vom Versorgungsamt erhalten.
Das Fürsorgeamt habe 1961/1962 eine einmalige Beihilfe vom Versorgungsamt Hannover in Höhe von 60,-- DM erhalten, ohne daß ihr Sohn orthopädische Schuhe erhalten habe.
Wenn sie eine Beihilfe von der Pensionskasse erhalten habe, habe sie immer ein zweites Paar Schuhe für ihren Sohn arbeiten lassen.
Sie sei wirtschaftlich nicht in der Lage, Rückzahlungen zu leisten. Sie zahle
für Miete | 132,-- DM |
---|---|
für Licht monatlich | 45,-- DM |
Schulgeld für ... | 25,-- DM |
Schulgeld für ... | 18,-- DM. |
Das Taschengeld für beide betrage im Monat 40,-- DM. Für Rundfunk, Zeitung und andere Ausgaben wie Schuhreparaturen habe sie monatlich 80,-- DM aufzubringen. Die Invalidenrente habe sie kapitalisieren lassen, weil sie ein Haus bauen wolle.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Parteien, die Akten des Fürsorgeamtes der Stadt Braunschweig ... Bd. I und II, ... betr. Sohn ... ... die Akten des Sozialmates der Stadt Braunschweig ... betr. Sohn ... und die Akten des Landesversorgungsamts Niedersachsen- Pensionsabteilung - (Beiheft ...) verwiesen.
II.
Die Klage ist zulässig. Bei der Rückforderung überzahlter Sozialhilfeleistungen handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Leistungen, die ohne Rechtsgrund gewährt wurden. Für diesen Anspruch ist der Rechtsweg zu den allgemeinen Verwaltungsgerichten gegeben (vgl. Oestreicher, Bundessozialhilfegesetz § 92 Randnote 37). Grundsätzlich kann bei derartigen Leistungen der Träger der Sozialhilfe an den Empfänger der ungerechtfertigten Leistung unter Aufhebung oder Abänderung der Bescheide, mit denen ihm die betreffenden Leistungen gewährt worden sind, eine Aufforderung auf Rückerstattung richten (aaO Rd.Note 38). Gegen den Änderungs- oder Aufhebungsbescheid, der die Rücknahme eines begünstigenden fehlerhaften Verwaltungsakte darstellt, steht dem Betroffenen der Widerspruch und die Klage zum Verwaltungsgerichts offen. Damit ist auch für Rückforderungsansprüche entgegen der Auffassung der Klägerin der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Wenn kein Rückforderungsbescheid erlassen wird, muß nach Oestreicher (aaO Rd.Note 38 a.E.) die Durchsetzung der Rückforderung der überzahlten Beträge über den Zivilrechtsweg erfolgen. Hiernach wären die Zivilgerichte zur Entscheidung über den mit dem Zahlungsbefehl eröffneten Rechtsstreit berufen gewesen. Diese Frage bedarf jedoch keiner weiteren Erörterung, weil das Amtsgericht den Rechtsstreit mit bindender Wirkung für das Verwaltungsgericht an dieses verwiesen hat (§ 41 VwGO, 276 ZPO).
Der Anspruch ist auch begründet: Nach §§ 812fBGB, die im Über- und Unterordnungsverhältnis des öffentlichen Rechts entsprechend anwendbar sind, ist zur Herausgabe verpflichtet, wer durch die Leistung eines anderen auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt. Die Beklagte hatte einen Anspruch auf Fürsorgeleistungen für ihren körperbehinderten Sohn, soweit sie sich nicht selbst helfen konnte oder die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhielt. Nach diesem das Fürsorgerecht bestimmenden Grundsatz der Subsidiarität hatte die Beklagte einen Anspruch auf Beihilfe für die Beschaffung orthopädischer Schuhe für ihren Sohn nur insoweit, als nicht andere Kostenträger Zahlungen leisteten. Soweit das Landesversorgungsamt also ebenfalls Beihilfen für die orthopädischen Schuhe gewährte, bestand eine Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung einer Beihilfe nicht. Die Beihilfen sind daher ohne rechtlichen Grund geleistet, soweit sie zusammen mit den Leistungen des Versorgungsamtes den Kaufpreis für die Schuhe übersteigen. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, daß sie nicht mehr bereichert sei (§ 818 Abs. 3 BGB). Wenn sie den Mangel des rechtlichen Grundes bei dem Empfang oder später erfahren hat, ist sie nach § 819 BGB von dem Empfang oder der Erlangung der Kenntnis an zur Herausgabe verpflichtet, wie wenn der Anspruch auf Herausgabe zu dieser Zeit rechtshängig geworden wäre. Die Klägerin kannte den Mangel des rechtlichen Grundes bereits bei dem Empfang der Leistung durch das Versorgungsamt. Sie bezog seit 1945 Fürsorgeunterstützung. In ihrem ersten Antrag verpflichtete sie sich, dem Fürsorgeamt von jeder Veränderung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse Kenntnis zu geben. Die gleiche Verpflichtung unterschrieb sie in einem neuen Antrag am 19. September 1950. Sie ist schließlich wegen Verletzung dieser Pflicht wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 60,-- DM ersatzweise 20 Tagen Gefängnis verurteilt worden (Amtsgericht Braunschweig 9 Os 923/51). Sie wußte also, daß sie dem Fürsorgeamt jede Änderung ihrer Einkünfte mittellen mußte.
Es trifft zu, daß des Landesversorgungsamt der Beklagten am 26. April 1962 eine Beihilfe in Höhe von 51,-- DM gewährt: diesen Betrag aber an die Klägerin ausgezahlt hat. Hierbei handelte es sich aber um eine Beihilfe für am 6. April 1961 angeschaffte Schuhe. Die Klägerin irrt also, wenn sie meint, daß dieser Betrag auf den Rückforderungsanspruch der Klägerin angerechnet werden könne.
Das Familieneinkommen der Beklagten ist, selbst wenn berücksichtigt wird, daß die Invalidenrentenkapitalisiert sind, so hoch, daß sie zur Rückzahlung der noch ausstehenden 76,-- DM auch in der Lage ist.
Die Klage mußte unter diesen Umständen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 188 VwGO nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Nr. 4 ZPO in Verbindung mit § 167 VwGO.
III.
Gegen dieses Urteil ist die Berufung an das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim Verwaltungsgericht in Braunschweig schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb dieser Frist beim Oberverwaltungsgericht eingeht.