Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 28.02.2006, Az.: 13 W 04/06

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
28.02.2006
Aktenzeichen
13 W 04/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 42656
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2006:0228.13W04.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - AZ: 11 T 1172/05
AG Lingen - AZ: 16 XIV 2353

Fundstelle

  • InfAuslR 2006, 333-334

Tenor:

  1. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird festgestellt, daß die vom 20. Dezember 2005 an angeordnete Sicherungshaft rechtswidrig gewesen ist.

    Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

    Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Beteiligten auferlegt.

    Dem Betroffenen wird Prozeßkostenhilfe bewilligt.

    Ihm wird Rechtsanwalt F... beigeordnet.

    Wert der weiteren Beschwerde: 3.000,00 EUR.

Gründe

1

Der Betroffene reiste am 26. April 2006 auf dem Luftwege in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. April 2004 einen Asylantrag, der vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 22. Juni 2004 als unbegründet abgelehnt wurde. Das Asylverfahren ist seit dem 30. Juli 2005 rechtskräftig abgeschlossen.

2

Der Betroffene war seitdem vollziehbar zur Ausreise verpflichtet, der er freiwillig jedoch nicht nachkam. Am 05. Dezember 2005 ordnete das Amtsgericht Hameln auf Antrag des Beteiligten im Wege der einstweiligen Anordnung mit der Maßgabe der sofortigen Vollziehbarkeit gegen den Betroffenen die einstweilige Freiheitsentziehung zur Sicherung seiner Abschiebung bis längstens zum 19. Dezember 2005 an. Seine Abschiebung war auf den 07. Dezember 2005 terminiert. Nachdem anläßlich der Aufnahme des Beschwerdeführers in der JVA HL...am 06. Dezember 2005 festgestellt worden war, daß er zwei Ringe verschluckt hatte, wurde er in das Justizvollzugskrankenhaus L... verbracht.

3

In Unkenntnis dieser Tatsache gab das Amtsgericht Hameln am 09. Dezember 2006 das Verfahren über die Fortdauer der Abschiebehaft an das Amtsgericht Hannover ab, in dessen Bezirk üblicherweise in der JVA HL...die Abschiebehaft vollzogen wird. Das Amtsgericht Hannover lehnte jedoch am 13. Dezember 2005 die Übernahme des Verfahrens ab, weil der Betroffene nicht in der JVA H, sondern in der JVA L... einsitze und nicht erkennbar sei, daß er bis zum Ablauf der angeordneten Abschiebehaft in die JVA H...überstellt werde. Am 14. Dezember 2005 beantragte der Beteiligte beim Amtsgericht Lingen den Erlaß eines weiteren Haftbeschlusses zur Sicherung der Abschiebung (Verlängerung) gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG auf die Dauer von drei Monaten vom 20. Dezember 2005 an. Wegen der dem Betroffenen zuzurechnenden Selbstverletzung habe seine Abschiebung nicht wie geplant am 07. Dezember 2005 durchgeführt werden können. Neuer Abschiebetermin sei der 23. Januar 2006.

4

Nach der noch am 14. Dezember 2005 erfolgten richterlichen Anhörung des Betroffenen entschied das Amtsgericht am selben Tag antragsgemäß und ordnete zugleich die sofortige Wirksamkeit seiner Haftentscheidung an. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluß vom 14. Dezember 2005 (Bl. 23/24 d.A.) verwiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht Osnabrück mit Beschluß vom 10. Januar 2006, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 41 - 43 d.A.), als unbegründet zurückgewiesen.

5

Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, mit der er die fehlende örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Lingen rügt.

6

Über die beantragte Verlängerung der Sicherungshaft habe nicht das vom Beteiligten angerufene Amtsgericht Lingen, sondern stattdessen das unverändert zuständig gebliebene Amtsgericht Hameln entscheiden müssen.

7

Demgemäß sei der gesetzliche Richter nicht gewahrt. Dem hat der Beteiligte widersprochen. Zwar habe es sich bei der Entscheidung des Amtsgerichts Lingen um die Verlängerung einer Freiheitsentziehung gehandelt. So habe sich der erste, beim Amtsgericht Hameln gestellte Haftantrag auf § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, während sich der zweite beim Amtsgericht Lingen gestellte Haftantrag auf § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG bezogen und damit eine veränderte Sach- und Rechtslage vorgelegen habe, so daß es sich bei der Entscheidung des Amtsgerichts Lingen um eine neue und eigenständige Anordnung gehandelt habe.

8

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig. Trotz der Erledigung kann der Betrof-fene das Beschwerdeverfahren mit dem Ziel weiterverfolgen festzustellen, daß die Haftanordnung vom 20. Dezember 2005 an rechtswidrig gewesen ist.

9

Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

10

Das Amtsgericht Lingen war örtlich nicht zuständig. Gemäß § 4 Abs. 1 FEVG ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, ihren gewöhnlichen Wohnsitz hat. Daneben kann auch das Gericht am Haftort zuständig sein, wenn sich die Person bereits im Gewahrsam einer Anstalt befindet. Insoweit können im Einzelfall beide Gerichtsstände gleichwertig nebeneinander bestehen. Gemäß § 4 FGG gebührt jedoch unter mehreren zuständigen Gerichten demjenigen der Vorrang, das als erstes in der Sache tätig geworden ist. Dies war das Amtsgericht Hameln, das als erstes am 05. Dezember 2005 entschieden hatte. Eine an sich mögliche und auch zulässige Abgabe an das Amtsgericht Lingen ist zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Das Amtsgericht Lingen war demgemäß zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht zuständig. Dieser Zuständigkeitsmangel ist zu keinem späteren Zeitpunkt nachträglich geheilt worden. Eine spätere Abgabe ist weder durch das Amtsgericht Hameln noch durch das Amtsgericht Hannover erfolgt. Das Landgerichts Osnabrück als zweite Tatsacheninstanz vermochte den Mangel ebenfalls nicht in eigener Zuständigkeit zu heilen. Es handelt sich bei ihm nicht um das den hier beteiligten Amtsgerichten übergeordnete Gericht. Der Antrag des Beteiligten vom 14. Dezember 2005 beim Amtsgericht Lingen stellte keinen neuen, eine neue Zuständigkeit begründenden Antrag dar. Er war vom Land-kreis selber in der Überschrift seines Antrages als Verlängerungsantrag gekenn-zeichnet worden. Für ihn gilt § 12 FEVG, in dem § 4 FEVG ausgespart ist. Danach ist das Gericht für die Fortdauerentscheidung zuständig, das über die Anordnung der Freiheitsentziehung entschieden hat, sofern nicht von der Abgabemöglichkeit Gebrauch gemacht worden ist.

11

Der Zuständigkeitsmangel ist wegen der zwischenzeitlich erfolgten Abschiebung des Betroffenen insgesamt nicht mehr heilbar, so daß auf seinen entsprechenden Antrag die Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung seit dem 20. Dezember 2005 festzustellen war.

12

Auf die weiteren Rügen, die unbegründet gewesen wären, brauchte nicht mehr ein-gegangen zu werden.

13

Gerichtskosten waren wegen unrichtiger Sachbehandlung nicht zu erheben, § 16 KostO. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen hat der Senat dem Beteiligten gemäß § 16 FEVG auferlegt. Zwar lag in materieller Hinsicht ein begründeter Anlaß für den Antrag auf Fortdauer der Sicherungshaft im Sinne von § 16 Satz 1 FEVG vor. Der Beteiligte hat den Antrag jedoch bei dem örtlich unzuständigen Amtsgericht Lingen gestellt. Dies war für den Beteiligten auch erkennbar, nachdem die Beschlüsse des Amtsgerichts Hameln vom 09. und 13. Dezember 2006 vorlagen.