Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 04.12.2002, Az.: 4 A 1162/01
Eingliederungshilfe; Erforderlichkeit; Hilfe zur Ausbildung; juristisches Repetitorium; Repetitor; Repetitorium; Sozialhilfe; Staatsexamen
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 04.12.2002
- Aktenzeichen
- 4 A 1162/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 42100
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs 1 Nr 5 BSHG§47V
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eingliederungshilfe kann für ein privates juristisches Repetitorium zur Vorbereitung auf das erste juristische Staatsexamen nicht beansprucht werden. Es fehlt an der sozialhilferecht erforderlichen Notwendigkeit der Maßnahmen. Denn die Teilnahme an einem privaten Repetitorium ist nicht zwingend erforderlich, um einen erfolgreichen Studienabschluß zu erreichen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Eingliederungshilfe für die Kosten eines privaten Repetitoriums.
Sie ist am 22. August 1978 geboren und körperlich wesentlich behindert im Sinne von § 39 BSHG. Sie ist deshalb auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen und behinderungsbedingt nicht in der Lage, lange zu sitzen. Seit dem Wintersemester 1998/99 studiert sie an der Universität B. Rechtswissenschaften. Für die Durchführung ihres Studiums hat der Beklagte ihr aus Mitteln der Eingliederungshilfe unter anderem die Anschaffung eines Pkw bewilligt und übernimmt die Fahrtkosten für das Erreichen der Universität sowie die Kosten für Lehrmittel.
Mit Schreiben vom 18. April 2001 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für ein juristisches Repetitorium in der Zeit vom 3. September 2001 bis zum 31. August 2002. Dieses bereite auf das erste juristische Staatsexamen vor; sie halte das Repetitorium für das Bestehen des Staatsexamens für erforderlich. Die monatliche Kursgebühr betrage 225,00 DM bei vier Veranstaltungen pro Woche zu je zwei Stunden. In den Sommerferien falle für Juli 2002 nur eine Gebühr von 100,00 DM an. Sie strebe den Beruf einer Richterin oder Staatsanwältin an. Da für diese Laufbahn in der Regel ein Abschluss mit Prädikat erforderlich sei, sei das Repetitorium für sie besonders wichtig.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18. Juni 2001 ab. Das Repetitorium sei eine zusätzliche Ausbildung, um eine mögliche berufliche Qualifikation zu erreichen. Das Ausbildungsziel (1. juristisches Staatsexamen) könne aber auch ohne diese zusätzliche Ausbildung erreicht werden. Der Beklagte sei nur verpflichtet, die Rahmenbedingungen für eine Ausbildung zu tragen und könne diese Kosten deshalb nicht übernehmen. Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 6. Juli 2001 Widerspruch. Es sei überwiegend üblich, dass Jurastudenten einen Repetitoriumskurs belegten. Die Klägerin habe zudem behinderungsbedingt den Unterrichtsstoff nur teilweise aufarbeiten können. Dass es für die Klägerin dringend erforderlich sei, an dem angebotenen Repetitorium teilzunehmen, ergebe sich zudem aus einer ärztlichen Stellungnahme vom 5. Juli 2001.
Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2001 als unbegründet zurück. Es bestehe durchaus die Möglichkeit, an der Universität durch den Besuch von kostenlosen Vertiefungs- und Klausurenkursen den Prüfungsstoff, der auch in dem Repetitorium behandelt werden würde, nochmals durchzugehen.
Die Klägerin hat am 6. September 2001 Klage erhoben, mit der sie geltend macht:
Sie könne wegen ihrer Behinderung nicht lange sitzen und sei daher deutlich eingeschränkt belastbar. Das habe zur Folge, dass sie nicht über längere Zeit Vorlesungen besuchen könne. Sie habe deshalb den Vorlesungsstoff nur teilweise aufarbeiten können. Nur mit Hilfe des Repetitoriums könne sie ein überdurchschnittliches Examen ablegen, um die angestrebte Tätigkeit im Öffentlichen Dienst antreten zu können.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin Eingliederungshilfe in der Form der Übernahme der Kosten eines juristischen Repetitoriums in der Zeit vom 3. September 2001 bis zum 31. August 2002 zu bewilligen und den Bescheid vom 18. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2001 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin habe zwar dem Grunde nach Anspruch auf Eingliederungshilfe. Auf die Übernahme der Kosten für eine konkrete Maßnahme bestehe aber nur dann ein Anspruch, wenn diese Maßnahme ohne Alternative zwingend geboten sei. Der Besuch eines privaten Repetitoriums sei für den Studienabschluss nicht erforderlich. Hierauf bereiteten die Vorlesungen an der Universität vor. Soweit die Klägerin wegen ihrer Behinderung nur eingeschränkt Vorlesungen besuchen könne, komme in Betracht, das Studium ggf. zu verlängern. Im Übrigen würden an der Universität Wiederholungs- und Vertiefungskurse zur Vorbereitung auf das erste Staatsexamen angeboten. Diese seien kostenlos und dauerten lediglich 1 Zeitstunden. Inhaltlich glichen diese Veranstaltungen einem privaten Repetitorium. Zusätzlich würden an der Universität wöchentlich Übungsklausuren unter Examensbedingungen geschrieben. Die Klägerin befinde sich zu Beginn des in Aussicht genommenen Repetitoriums im 7./8. Fachsemester. An der Universität in B. finde in diesem Studienabschnitt das Schwerpunktstudium statt. Raum für ein zusätzliches Repetitorium bestehe daher nicht, zumal das Repetitorium nach den Angaben des Veranstalters eine Nacharbeitung im Umfang von 35 Wochenstunden erfordere.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klägerin kann die begehrte Bewilligung von Kosten eines Repetitoriums aus Eingliederungshilfemitteln nicht beanspruchen. Insoweit sind die angefochtenen Bescheide aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Dazu im Einzelnen:
Gemäß § 39 BSHG ist Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, Eingliederungshilfe zu gewähren. Die Klägerin ist diesem Personenkreis zuzuordnen. Damit hat sie grundsätzlich einen Anspruch auf eine entsprechende Hilfegewährung. Zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe zählen gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG u. a. Hilfen zur Ausbildung für einen angemessenen Beruf. Dabei ist gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Eingliederungshilfeverordnung auch die Hilfe zur Ausbildung an einer Hochschule zu rechnen. Aus diesem grundsätzlich bestehenden Hilfeanspruch erwächst indes kein Rechtsanspruch auf eine zwingende Hilfegewährung in dem von der Klägerin gewünschten Umfang. Denn das gesamte Sozialhilferecht steht unter dem Vorbehalt der Notwendigkeit. Dies bedeutet, dass eine Hilfegewährung regelmäßig nur dann in Betracht kommen kann, wenn diese zur Erreichung des damit nach dem Gesetz verfolgten Zweckes erforderlich und geboten ist. Dem entsprechend hat der Beklagte eine Kraftfahrzeughilfe sowie Hilfen für Fahrt- und Lehrkosten gewährt. Bei der streitgegenständlichen Hilfe in Form der Übernahme von Kosten eines privaten Repetitoriums handelt es sich nicht um eine sozialhilferechtlich erforderliche Maßnahme. Dies wäre dann der Fall, wenn ohne den Besuch eines solchen Repetitoriums ein angemessener Studienabschluss prinzipiell nicht zu erreichen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Zwar dürfte es zutreffen, dass ein Großteil der Studentinnen und Studenten der Rechtswissenschaften auch heute noch zur Examensvorbereitung auf Leistungen eines privaten Repetitoriums zurückgreift. Allein hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass damit die Erforderlichkeit dieser Maßnahme belegt wäre. Denn an den Universitäten und insbesondere auch an der Universität B. gibt es gegenwärtig ein weit gefächertes Angebot von examensvorbereitenden Vorlesungen, Veranstaltungen und Seminaren, die in ähnlicher Weise auf die Prüfungen vorbereiten, wie dies ein privater Repetitor anbietet. Diese kostenfreien Veranstaltungen dürften dabei teilweise sogar für die Klägerin geeigneter sein, da sie vom zeitlichen Umfang her geringer sind, was der Klägerin, die mit längerem Sitzen Probleme hat, entgegenkommt. Dafür, dass die von der Universität angebotenen Veranstaltungen qualitativ das Niveau privater Repetitorien nicht erreichen, ist nicht ersichtlich. Daraus folgt sogleich, dass das Gericht keine Anhaltspunkte dafür hat, dass das von der Klägerin angestrebte Prädikatsexamen nur mit Hilfe eines privaten Repetitoriums erreichbar wäre. Das Gericht verkennt nicht, dass es für die Klägerin wünschenswert sein mag, den von ihr beschrittenen Weg zum Abschluss ihres Studiums zu Ende zu gehen, also vorrangig auf eine Examensvorbereitung durch einen privaten Repetitor zu setzen. Diese Entscheidung der Klägerin schließt es jedoch nicht mit ein, dass damit von einer sozialhilferechtlichen Notwendigkeit auszugehen wäre, die das nach § 4 Abs. 2 BSHG dem Sozialhilfeträger eingeräumte Ermessen im Sinne des Anliegens der Klägerin binden würde.
Bei dieser Sach- und Rechtslage war die Klage abzuweisen.