Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 27.02.1985, Az.: 2 Ss (OWi) 5/84
Anwendbarkeit der Ausnahmevorschrift für Lenkzeiten bei privaten Müllabfuhrtransporten; Verstoß gegen Lenkzeiten durch öffentlich beauftragte private Müllabfuhrtransporten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 27.02.1985
- Aktenzeichen
- 2 Ss (OWi) 5/84
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1985, 15845
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1985:0227.2SS.OWI5.84.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 1 OWiG
- Art. 4 Nr. 4 VO (EWG) Nr. 543/69
- § 11 Abs. 2 OWiG
Verfahrensgegenstand
Ordnungswidrigkeit nach dem Fahrpersonalgesetz
Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde des Betroffenen
gegen das Urteil des Amtsgerichts ...
vom 21. September 1983
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht
am 27. Februar 1985
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
- 2.
Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.
Gründe
Der Betroffene war zur Tatzeit als Kraftfahrer bei der Firma ... in ... tätig, der der Landkreis ... durch Vertrag vom 31. Oktober 1974 für die Dauer von 25 Jahren die Abfallbeseitigung übertragen hat. Im Rahmen dieser Verpflichtung und aufgrund des der Firma ... obliegenden Fahrzeug- und Personaleinsatzes führte der Betroffene am 27. und 28. September 1982 einen LKW unter Nichteinhaltung der in der VO (EWG) Nr. 543/69 geregelten Lenkzeiten und -pausen. Außerdem betätigte der Betroffene in der Zeit vom 27. bis 29. September 1982 nicht die Schaltvorrichtung des EG-Kontrollgerätes in der durch die VO (EWG) Nr. 1463/70 vorgeschriebenen Weise und nahm im Schaublatt teilweise nicht die vorgeschriebenen Eintragungen vor.
Der Amtsrichter hat den Betroffenen deshalb wegen vorsätzlichen Verstoßes nach §§ 7 a Abs. 1 Nr. 1 c, 7 c Abs. 1 Nr. 4 b Fahrpersonalgesetz i.V.m. Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 543/69, Art. 17 Abs. 2 und 3 VO (EWG) Nr. 1463/70 zu einer Geldbuße von 150,- DM verurteilt.
Hiergegen richtet sich die mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Sachrüge erhebt.
Die Rechtsbeschwerde war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil es geboten ist, die nachfolgend erörterte in der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortete Rechtsfrage für den Bereich des Rechtsbeschwerdegerichts einheitlich zu beantworten (§ 80 Abs. 1 OWiG).
I.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil hält in vollem Umfang rechtlicher Nachprüfung stand.
1.
Die Rechtsbeschwerde macht in erster Linie geltend, die Vorschriften der VO (EWG) Nr. 543/69 seien gemäß Art. 4 Nr. 4 der Verordnung nicht auf die hier festgestellten Fahrten anwendbar, weil es sich dabei um den Einsatz von Fahrzeugen gehandelt habe, "die von ... Trägern der öffentlichen Gewalt zu öffentlichen Zwecken eingesetzt und nicht im Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen tätig werden".
Der Senat teilt diese Rechtsansicht nicht. Keinen berechtigten Zweifeln kann es allerdings nach dem Wortlaut des Art. 4 Nr. 4 der Verordnung unterliegen, daß in der Müllabfuhr eingesetzte Fahrzeuge, die im Eigentum oder der Verfügungsgewalt des Trägers öffentlicher Gewalt stehen, der erörterten Sonderregelung unterfallen. Die Frage, ob dies auch für Müllfahrzeuge gilt, die - wie im vorliegenden Fall - von Privatunternehmern in Erfüllung privatrechtlicher Verpflichtung für öffentliche Zwecke eingesetzt werden, ist schon nach dem Wortlaut der Verordnungsregelung, aber auch aufgrund deren Zielsetzung verneinend zu beantworten.
Art. 4 Nr. 4 VO (EWG) Nr. 543/69 bestimmt als wesentliche Voraussetzung für die Nichtanwendbarkeit der Verordnung klar und eindeutig, daß die von den Trägern öffentlicher Gewalt eingesetzten Fahrzeuge nicht im Wettbewerb mit gewöhnlichen Unternehmen tätig werden dürfen. Danach liegen die Voraussetzungen der erörterten Ausnahmevorschrift schon dann nicht vor, wenn mit dem Einsatz von Fahrzeugen - seien sie direkt von Trägern der öffentlichen Gewalt oder aufgrund des von ihnen geschlossenen privatrechtlichen Vertrages eingesetzt - ein irgendwie gearteter Wettbewerb (sei es auch nur mittelbar) verbunden sein kann. Dies entspricht der Zielrichtung der Verordnung, die die gleichmäßige Einhaltung von Sozialvorschriften im Bereich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (jetzt = Europäische Gemeinschaft) und damit verbunden eine Steigerung der Verkehrssicherheit bewirken will. Diese angestrebte Gleichbehandlung kann nur erreicht werden, wenn Ausnahmen von der VO (EWG) Nr. 543/69 von dem Ausschluß jedweden Wettbewerbsvorteils abhängig gemacht werden.
Bei den mit öffentlichen Aufgaben betrauten Privatunternehmen sind solche Wettbewerbsvorteile bei Nichtanwendung der Verordnung nicht auszuschließen. Die Unternehmen wären in der Lage, ausgehend von längeren als in der Verordnung geregelten Lenkzeiten den die Müllabfuhr im Wege der öffentlichen Vergabe ausschreibenden Kommunen günstigere Konditionen anzubieten als der Mitbewerber, der - etwa aus sozialen Gesichtspunkten - die erforderlichen Lenkpausen und Ruhezeiten in sein Angebot einkalkuliert. Bereits hierdurch würde eine Verfälschung des Wettbewerbs eintreten können, die mit dem Sinn und Zweck der Verordnungsregelung nicht vereinbar ist.
Der Senat kommt deshalb in Übereinstimmung mit der im Vorlagebeschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 24. Mai 1984 - 3 Ob OWi 40/84 - vertretenen Rechtsauffassung zu dem Ergebnis, daß Fahrzeuge von Privatunternehmern, denen aufgrund längerfristiger Verträge die Müllabfuhr von Kommunen übertragen worden ist, nicht der Ausnahmevorschrift des Art. 4 Nr. 4 VO (EWG) Nr. 543/69 unterfallen. Damit weicht der Senat von der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Hamm (VRS 62, 312) ab, das meint, in einem Fall wie dem vorliegenden die Anwendung der Verordnung davon abhängig machen zu können, ob im Einzelfall konkret Wettbewerbsvorteile durch Nichteinhaltung der Lenkzeiten erwachsen. Diese Abweichung nötigt aus den Gründen der auf den Vorlagebeschluß ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27.11.1984 - 1 StR 376/84 - nicht zur Vorlage nach § 121 Abs. 2 GVG. Mit seiner Auffassung befindet sich der Senat im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof (vgl. Vorabentscheidung vom 6.12.1979 - Rechtssache 47/79 - in Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 9/2 vom 11.1.80).
2.
Danach begegnet der Schuldspruch im angefochtenen Urteil keinen Bedenken. Nach den Feststellungen waren dem Betroffenen die Regelungen der VO (EWG) Nr. 543/69 und 1463/70 bekannt. Er hat (so die Urteilsgründe) in der Hauptverhandlung lediglich geltend gemacht, er sei "nunmehr" der Auffassung, daß die VO (EWG) Nr. 543/69 auf die hier zur Erörterung stehenden Fahrten nicht anzuwenden sei. Dem Betroffenen hat somit in dem allein maßgebenden Zeitpunkt der Begehung der Tat nicht die Einsicht gefehlt, etwas Unerlaubtes zu tun (§ 11 Abs. 2 OWiG), abgesehen davon, daß ein andernfalls etwa vorliegender Verbotsirrtum vermeidbar gewesen und damit rechtlich unbeachtlich wäre (§ 11 Abs. 2 letzter Halbsatz OWiG).
Der Rechtsfolgenausspruch hält gleichfalls rechtlicher Nachprüfung stand.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.