Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.02.1985, Az.: 2 Ss (OWi) 15/85
Voraussetzungen für einen wirksamen Bußgeldbescheid als Verfahrensgrundlage; Strafverfahren wegen Abgabe eines verschreibungspflichtigen Medikaments ohne die erforderliche Verschreibung; Begriff der Abgabe im Arzneimittelgesetz (AMG)
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 14.02.1985
- Aktenzeichen
- 2 Ss (OWi) 15/85
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1985, 31122
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1985:0214.2SS.OWI15.85.0A
Rechtsgrundlagen
- § 96 AMG
- § 97 Abs. 1 AMG
- § 97 Abs. 3 AMG
Fundstelle
- NJW 1985, 2206-2207 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Ordnungswidrigkeit nach dem Arzneimittelgesetz
In der Bußgeldsache
hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle
auf die mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts ... - Abteilung 44 - vom 24. September 1984
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht
am 14. Februar 1985
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Betroffene wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die darin erwachsenen notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
Die Betroffene war zur Tatzeit als pharmazeutisch-technische Assistentin in einer Apotheke tätig. Am 15. Oktober 1983 legte ihr eine unbekannt gebliebene Person ein ärztliches Rezept über eine Packung des ein Opium-Alkaloid enthaltenden verschreibungspflichtigen "Remedacen" vor. Der Name der Person, für die das Arzneimittel bestimmt war, war unleserlich geschrieben. Nachdem die Betroffene das Rezept einem der in der Apotheke beschäftigten Apotheker vorgelegt und dessen Zustimmung zur Abgabe des Medikamentes eingeholt hatte, händigte sie es dem Vorleger des Rezeptes aus.
Der Amtsrichter hat die Betroffene deshalb wegen fahrlässigen Verstoßes nach § 97 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 96 Nr. 11 Arzneimittelgesetz (AMG) zu einer Geldbuße von 100 DM verurteilt.
Hiergegen richtet sich die mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde der Betroffenen, die die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Die Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, um der Wiederholung des noch aufzuzeigenden Rechtsfehlers entgegenzuwirken und den Begriff des "Abgebens" im Sinne des § 96 Nr. 11 AMG einzugrenzen (§ 80 Abs. 1 OWiG).
Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch der Betroffenen.
Das Verhalten der Betroffenen erfüllt nicht den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit.
I.
Keinen rechtlichen Bedenken begegnet allerdings die Ansicht des Tatrichters, der Bußgeldbescheid der Bezirksregierung ... vom 3. Februar 1984 stelle eine ausreichende Verfahrensgrundlage dar. Der Bußgeldbescheid trägt in der Urschrift das Namenszeichen des Ausfertigenden, was nach herrschender Ansicht für seine Wirksamkeit ausreicht (Göhler, OWiG, 7. Aufl., Rdn. 32 zu § 66). Daß die der Betroffenen zugestellte Ausfertigung des Bescheides keinen Ausfertigungsvermerk und keinerlei Unterschrift trägt, berührt nur die Wirksamkeit der Zustellung und den hiervon abhängigen Lauf der Rechtsbehelfsfristen. Da das Verfahren aufgrund des rechtzeitigen Einspruchs der Betroffenen fortgeführt worden ist, kommt etwaigen Mängeln der Zustellung des Bußgeldbescheides jetzt keine rechtliche Bedeutung mehr zu.
II.
1.
Rechtsbedenkenfrei ist der Amtsrichter ferner zu dem Ergebnis gelangt, daß im hier zu erörternden Fall ein Arzneimittel ohne die erforderliche Verschreibung im Sinne des § 96 Nr. 11, § 97 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 1 und 2 Nr. 1 AMG abgegeben worden ist.
Das Medikament "Remedacen" enthält nach den Feststellungen Codein - ein Alkaloid des Opiums - und fällt deshalb nach der Anlage zur Verordnung über verschreibungspflichtige Arzneimittel (Arzneimittelverordnung) unter die nach § 1 Abs. 1 dieser Verordnung verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Die Verschreibung muß den Anforderungen des § 2 der genannten Verordnung entsprechen (§ 1 Abs. 2 der Arzneimittelverordnung), d.h. neben anderem den Namen der Person enthalten, für die das Arzneimittel bestimmt ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 der Arzeimittelverordnung). Es kann dahinstehen, ob generell die Angabe des Familiennamens und Vornamens zu fordern ist (so Kloesel-Zyran, Arzneimittelrecht, Anm. 7 zu § 2 der Arzneimittelverordnung), eine Voraussetzung, die nach den Feststellungen hier wohl nicht erfüllt wäre. Jedenfalls aber muß - wenn nur der Familienname angegeben ist - dieser deutlich lesbar und damit unverwechselbar sein. Nur dann wird dem Sinn und Zweck der Verordnung Rechnung getragen, daß anhand des Namens desjenigen, für den das Arzneimittel bestimmt ist, mit Hilfe des (ebenfalls auf dem Rezept anzugebenden) verordnenden Arztes jederzeit und ohne Schwierigkeiten die Person ermittelt werden kann, an die das Medikament abgegeben worden ist. Daß im Einzelfall - wie hier - auch bei einer unleserlichen Namensangabe des Empfängers des Medikamentes, dessen Identität durch Zuhilfenahme der Patientenkartei des verordnenden Arztes schließlich unter Schwierigkeiten doch noch festgestellt werden kann, ändert aus den oben genannten Gründen nichts an dem Erfordernis der Lesbarkeit.
2.
Die Betroffene hat jedoch im vorliegenden Fall das Arzneimittel nicht "abgegeben" im Sinne der §§ 48 Abs. 1, 96 Nr. 11 AMG.
"Abgabe" im Sinne des vorgenannten Gesetzes ist die Einräumung der Verfügungsgewalt an einen anderen durch körperliche Übergabe des Arzneimittels seitens des Verfügungsberechtigten (Erbs-Kohlhaas, Anm. 17 zu § 4 AMG; vgl. auch Anm. VI E zu § 7 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz). Diese Verfügungsberechtigung lag im vorliegenden Fall bei Herausgabe des Arzneimittels an den Vorleger der ärztlichen Verschreibung nicht bei der Betroffenen sondern bei dem Apotheker, dem sie die Verschreibung zuvor vorgelegt hatte. Allein dieser hat das Medikament im Sinne des Arzneimittelgesetzes "abgegeben". Das ergibt sich aus folgendem:
Die auf der Ermächtigung des § 21 Abs. 1 des Apothekengesetzes beruhende Apothekenbetriebsordnung bestimmt, daß pharmazeutisch-technische Assistenten bei pharmazeutischen Tätigkeiten, zu denen auch die Abgabe von Arzneimitteln gehört (§ 2 Abs. 2 Apothekenbetriebsordnung), von einem Apotheker zu beaufsichtigen sind (§ 2 Abs. 4 Apothekenbetriebsordnung). In Ergänzung dieser Regelung bestimmt § 10 Abs. 5 letzter Absatz i.V.m. Abs. 4 Satz 2 Apothekenbetriebsordnung, daß der pharmazeutisch-technische Assistent die Verschreibung u.a. dann dem Apotheker vor der Abgabe des Arzneimittels vorzulegen hat, wenn die Verschreibung (oder Teile davon) unleserlich sind. Damit soll erreicht werden, daß nicht der pharmazeutisch-technische Assistent mit seinem gegenüber dem Apotheker geringeren fachlichen Wissen sondern der beaufsichtigende Apotheker die Entscheidung darüber trifft, ob das Arzneimittel trotz der fehlerhaften Verschreibung abgegeben werden soll. Kommt der pharmazeutisch-technische Assistent - wie die Betroffene - dieser Verpflichtung zur Vorlage nach, so hat er damit alles in seiner Macht stehende getan und kann nicht als Mitbeteiligter an einer Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 14 OWiG wegen einer den gesetzlichen Bestimmungen widersprechenden Abgabe von Arzneimitteln zur Verantwortung gezogen werden. Denn der pharmazeutisch-technische Assistent begibt sich durch die vorgeschriebene Vorlage eigener Entscheidungsbefugnis darüber, ob trotz der Mängel der Verschreibung das Medikament abgegeben werden soll. Diese Entscheidung geht vielmehr nach dem Willen des Verordnungsgebers in die Verantwortung des Apothekers über, dem die Verschreibung vorgelegt wird und der damit allein die oben erörterte Verfügungsberechtigung im Zusammenhang mit der Abgabe des Arzneimittels erhält. Bestimmt der Apotheker - wie hier -, daß das Arzneimittel abgegeben werde, so ist aus den genannten Gründen er der Abgebende im Sinne des Arzneimittelrechts. Der das Medikament an den Empfänger aushändigende pharmazeutisch-technische Assistent ist in einem solchen Fall lediglich als "verlängerter Arm" des Apothekers anzusehen.
Als Mitbeteiligter an einer unzulässigen Abgabe im Sinne des § 14 OWiG kann die Betroffene aber auch nicht dann angesehen werden, falls sie es unterlassen haben sollte, den Apotheker auf etwa bei ihr weiter fortbestehende Bedenken hinzuweisen. Selbst wenn der pharmazeutisch-technische Assistent nach der Entscheidung des Apothekers noch Zweifel an der Zulässigkeit der Abgabe des Medikamentes hat, kann ihm nicht zugemutet und von ihm auch nicht erwartet werden, daß er gegenüber der Weisung des Apothekers, es solle abgegeben werden, weitere Bedenken erhebt. Ihre Zweifel hatte die Betroffene in hinreichender Weise bereits dadurch zum Ausdruck gebracht, daß sie das Rezept dem Apotheker mit dem Hinweis auf die Unleserlichkeit des Namens desjenigen, für den das Arzneimittel bestimmt war, vorlegte. Die Entscheidung des sie beaufsichtigenden Apothekers (§ 2 Abs. 4 Apothekenbetriebsordnung) war für sie verbindlich, weil der pharmazeutisch-technische Assistent seinem fachlichen Wissen nach nicht als berechtigt angesehen werden kann, sich mit dem Apotheker "auseinanderzusetzen", und eine solche "Auseinandersetzung" - mag sie im Einzelfall auch noch so sachdienlich sein - mit dem geordneten Betriebsablauf in einer Apotheke nicht zu vereinbaren ist.
3.
Das angefochtene Urteil enthält keine Feststellungen darüber, ob die Verschreibung das nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 Apothekenbetriebsordnung erforderliche Namenszeichens des Apothekers auf weist, der das Arzneimittel abgegeben oder die Abgabe beaufsichtigt hat. Dies ist im Ergebnis rechtlich unbedenklich. Denn jede der denkbaren, im folgenden erörterten Fallgestaltungen führt zu dem Ergebnis, daß die Handlungsweise der Betroffenen nicht als ordnungswidrig im Sinne des Arzneimittelrechts zu werten wäre:
a)
Hätte der Apotheker das Rezept mit seinem Namenszeichen versehen, so wäre der Regelung des § 10 Abs. 5 Nr. 2 Apothekenbetriebsordnung voll Rechnung getragen. Das Namenszeichen soll die spätere Feststellung ermöglichen, wer das Arzneimittel abgegeben hat. Dies ist im vorliegenden Falle der Apotheker.
b)
Hätte die Betroffene das Rezept abgezeichnet, so würde dies zwar der Vorschrift des § 10 Abs. 5 Apothekenbetriebsordnung widersprechen, wäre aber nicht ahndbar.
Allerdings sieht § 10 Abs. 5 Apothekenbetriebsordnung vor, daß der Apothekenleiter dem pharmazeutisch-technischen Assistenten die Befugnis zum Abzeichnen von Verschreibungen übertragen kann. Das bedeutet, daß der Assistent dann mit Ausnahme der Sonderfälle des § 10 Abs. 4 Satz 2 (z.B. Unleserlichkeit der Verschreibung) selbst darüber entscheiden kann, ob er das verschriebene Medikament abgeben will. Selbst wenn der Betroffenen diese Befugnis erteilt worden sein sollte, hätte sie im vorliegenden Fall nicht selbst abzeichnen dürfen. Zwar bestimmt die Apothekenbetriebsordnung nicht ausdrücklich, daß das Abzeichnungsrecht des Assistenten dann entfällt, wenn er eine Verschreibung vor Abgabe des Arzneimittels dem Apotheker vorlegen muß. Dies ergibt sich jedoch aus dem Gesamtzusammenhang und dem Sinn der Verordnungsregelung. Wie unter II. 3. a) dargelegt, soll das Namenszeichen auf der Verschreibung denjenigen erkennen lassen, der in eigener Verantwortung das Arzneimittel abgegeben hat. Dies ist aus den oben dargelegten Gründen bei Vorlage der Verschreibung an ihn der Apotheker und nicht der pharmazeutisch-technische Assistent. Würde man auch in einem solchen Falle das Namenszeichen des Assistenten ausreichen lassen, wäre nachträglich nicht oder doch jedenfalls nur unter Schwierigkeiten feststellbar, wer das Arzneimittel abgegeben hat.
Die Betroffene hätte, falls sie im vorliegenden Fall abgezeichnet haben sollte, dennoch nicht ordnungswidrig im Sinne des § 13 Nr. 3 g Apothekenbetriebsordnung gehandelt, denn danach ist nur eine Zuwiderhandlung gegen die Vorschrift über die Abzeichnung des Rezepts (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 der Apothekenbetriebsordnung) ahndbar, die "bei der Abgabe von Arzneimitteln" erfolgt. Da nicht die Betroffene, sondern der Apotheker im Rechtssinne "abgegeben" hat, hätte die Betroffene den Tatbestand des § 13 Nr. 3 g Apothekenbetriebsordnung nicht erfüllt.
c)
Wiese das hier zur Erörterung stehende Rezept keinerlei Namenszeichen eines der in der Apotheke Beschäftigten auf, wäre auch dies der Betroffenen nicht anzulasten. Einmal griffe auch hier der Gesichtspunkt ein, daß sie das Medikament nicht "abgegeben" hat; zum anderen ist es aus den unter II. 2. dargelegten Gründen nicht Aufgabe der Betroffenen, den Apotheker zu beaufsichtigen, d.h. hier auf die Pflicht zur Abzeichnung hinzuweisen; vielmehr kann und darf sie sich darauf verlassen, daß der Apotheker seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.