Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 10.03.1983, Az.: 5 VG D 48/82
Anerkennung als Asylberechtigter wegen Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen ; Schriftliche Androhung der Abschiebung unter Fristsetzung bei Ausreiseverpflichtung des Ausländers; Wegfall der Asylrechtsgarantie bei Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen vor einer erstmaligen rechtskräftigen Entscheidung über das Asylbegehren ; Offensichtliche Unbegründetheit eines Asylbegehrens ; Erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung durch das Bundesamt als Voraussetzung der Versagung von Asyl
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 10.03.1983
- Aktenzeichen
- 5 VG D 48/82
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1983, 15108
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:1983:0310.5VG.D48.82.0A
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 1 AsylVfG a.F.
- § 10 Abs. 2 S. 1 AsylVfG a.F.
- Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG a.F.
Fundstelle
- NJW 1983, 2782 (amtl. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Abschiebungsandrohung (§§ 10, 11 AsylVfG) - vorläufiger Rechtsschutz -
Prozessführer
Indischer Staatsangehöriger ...
Prozessgegner
Landkreis Soltau-Fallingbostel,
vertreten durch den Oberkreisdirektor, Postfach 80, 3032 Fallingbostel 1.
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Der Rechtsschutzantrag eines Asylbewerbers gegen die angedrohte Abschiebung noch vor rechtskräftiger Entscheidung über sein erstmaliges Asylbegehren hat immer Erfolg, wenn er Inhaber einer asylverfahrensunabhängigen Aufenthaltserlaubnis oder wenn sein Asylbegehren nicht offensichtlich unbegründet ist.
- 2.
Die Asylrechtsgarantie wird in der Regel zunichte gemacht, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen vor einer erstmaligen rechtskräftigen Entscheidung über das Asylbegehren durchgesetzt werden.
In der Verwaltungsrechtssache
hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Stade
am 10. März 1983
beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (5 VG A 531/82) gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 21. Dezember 1982 wird angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Gründe
I.
Der am ... 1958 geborene Antragsteller ist indischer Staatsangehöriger und gehört zur Glaubensgemeinschaft der Sikh. Er reiste am 30. März 1982 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter, weil er in seinem Heimatland aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt werde. Zusammen mit dem Asylantrag legte er ein in punjabischer Schrift abgefaßtes "Personal Statement" vor.
Bei seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 7. Juli 1982 erklärte der Antragsteller: Er sei im November 1980 Mitglied der illegalen Khalistan-Party geworden. Diese Partei habe Tara Singh 1967 in Amritsar gegründet und deren Ziel sei die Unabhängigkeit des Punjab. Er habe nur an den Versammlungen und Demonstrationen der Partei teilgenommen. Der Parteiführer sei Dr. Jagjit Singh Chohan. Er selbst habe in Indien keinerlei Schwierigkeiten gehabt und sei weder von der Polizei noch von einer anderen staatlichen Behörde gesucht oder verfolgt worden. Indien habe er verlassen, weil am 11. Januar 1982 sein Vater als Mitglied der Khalistan-Party von der Polizei verhaftet worden sei und er deshalb befürchtet habe, ebenfalls verhaftet zu werden.
Mit Bescheid vom 7. Dezember 1982 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet deshalb ab, weil der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht habe, einer Sikh Homeland-Partei oder Khalistan-Partei angehört zu haben, da es eine solche Partei in Indien nie gegeben habe und auch jetzt nicht gebe, und im übrigen, selbst im Falle der Zugehörigkeit zur Sikh-Homeland-Bewegung, ihm keine asylerhebliche Verfolgung in dem rechtsstaatlich verfaßten Indien drohe.
Zusammen mit der Ablehnung durch das Bundesamt forderte der Antragsgegner den Antragsteller mit Verfügung vom 21. Dezember 1982 unter Abschiebungsandrohung auf, die Bundesrepublik Deutschland unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Verfügung, zu verlassen.
Gegen die ihm gemeinsam am 23. Dezember 1982 zugestellten Bescheide hat der Antragsteller am 30. Dezember 1980 Klage erhoben und gleichzeitig gegen die Verfügung des Antragsgegners um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Zur Begründung seines Antrages trägt er vor: Das Bundesamt habe seinen Asylantrag zu Unrecht als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Insbesondere erscheine der Bescheid dürftig abgefaßt und ungenügend begründet. Bedenklich stimme, daß das Bundesamt teilweise bereits bei derartig einschneidenden Ablehnungsbescheiden zu Formularbegründungen übergegangen sei. Im übrigen würden ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der §§ 11 Abs. 1, 10 Abs. 2 AsylVfG bestehen; denn mit der Möglichkeit eines gerichtlichen Eilrechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO werde dem Effizienzgebot des Art. 19 Abs. 4 GG nicht genüge getan.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 21. Dezember 1982 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er verweist auf die Gesetzeslage, nach der die angefochtene Verfügung die zwingend vorgeschriebene Maßnahme darstelle, deren Ausführung nicht in seinem Ermessen gestanden habe.
Wegen des weiteren Sachverhaltes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte, die Ausländerakte des Antragsgegners und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes Bezug genommen. Diese Vorgänge waren Gegenstand der Beratung.
II.
Der statthafte Antrag wahrt die gesetzliche Wochenfrist (§ 11 Abs. 2 iVm. § 10 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG).
Der Antrag ist begründet.
1.
Die Ausländerbehörde droht die Abschiebung unter Fristsetzung schriftlich an, wenn der Ausländer zur Ausreise verpflichtet ist (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG), weil das Bundesamt seinen Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und er nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung ist oder ihm der Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes nicht auf andere Weise ermöglicht wird (§ 11 Abs. 1 AsylVfG). Der Rechtsschutzantrag eines Asylbewerbers gegen die angedrohte Abschiebung noch vor rechtskräftiger Entscheidung über sein erstmaliges Asylbegehren hat danach immer Erfolg, wenn er Inhaber einer asylverfahrensunabhängigen Aufenthaltserlaubnis oder wenn sein Asylbegehren nicht offensichtlich unbegründet ist.
Die Annahme eines offensichtlich unbegründeten Asylantrages ist von vornherein nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen gerechtfertigt. Die Asylrechtsgarantie des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG wird in der Regel zunichte gemacht, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen vor einer erstmaligen rechtskräftigen Entscheidung über das Asylbegehren durchgesetzt werden (BVerfG DÖV 1981, 463). Der in Art. 19 Abs. 4 GG auch für Ausländer in vollem Umfang verbürgte Anspruch auf effektiven gerichtlichen Schutz (BVerfGE 35, 382, 401; 40, 95, 98 f. [BVerfG 10.06.1975 - 2 BvR 1074/74]; 42, 120, 123) [BVerfG 07.04.1976 - 2 BvR 728/75]wird illusorisch, wenn die Verwaltungsbehörden irreparable Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit vollständig in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht geprüft haben (BVerfGE 35, 382, 401 f.).
Ob der Gesetzgeber ohne Verletzung von Verfassungsrecht an die Bewertung eines (vermeintlich) unbegründeten Asylantrages als "offensichtlich" durch das Bundesamt die unverzügliche Ausreisepflicht knüpfen, die Ausländerbehörde zum Erlaß einer Abschiebungsandrohung verpflichten, die grundsätzlich aufschiebende Wirkung einer dagegen erhobenen Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 1 VwGO) ausschließen und den Betroffenen auf ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO verweisen konnte, durfte aus Anlaß dieses Falles mangels Entscheidungserheblichkeit nicht im Wege eines Vorlagebeschlusses an das Bundesverfassungsgericht nachgegangen werden (Art. 100 GG iVm. §§ 80 ff. BVerfGG).
Der bereits aus dem Asylgrundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG folgende Anspruch auf angemessenen Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 50, 16, 30) [BVerfG 08.11.1978 - 1 BvR 589/72] und eine "faire Verfahrensführung" (vgl. BVerfGE 46, 325, 334) [BVerfG 07.12.1977 - 1 BvR 734/77], ferner der in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete substantielle Anspruch auf eine wirksame und vollständige Nachprüfung des Ablehnungsbescheides in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch den Richter (BVerfGE 35, 263, 274; 42, 128, 130 [BVerfG 07.04.1976 - 2 BvR 847/75]; 46, 166, 178 [BVerfG 19.10.1977 - 2 BvR 42/76]; 60, 253, 169), [BVerfG 20.04.1982 - 2 BvL 26/81]wie endlich das Verfahrensgrundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG, sich als Beteiligter an einem gerichtlichen Verfahren zu einem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu äußern und in diesem Sinne vom Richter "zur Sache" angehört zu werden (BVerfGE 36, 92, 97 [BVerfG 10.10.1973 - 2 BvR 574/71]; 38, 35, 38), [BVerfG 02.07.1974 - 2 BvR 32/74]setzen nicht nur dem Gesetzgeber Schranken. Diese Grundrechte sind vielmehr, unbeschadet der grundsätzlich bestehenden Kompetenz der Fachgerichte zur Auslegung und Anwendung des einfachen Verfahrensrechts, auch von den Gerichten zu beachten und der Rechtsanwendung im Einzelfall zugrunde zu legen (BVerfGE 41, 323, 326 [BVerfG 11.02.1976 - 2 BvR 652/75]; vgl. auch Beus ZAR 1982, 191, 192 m.w.N.).
Nach der herkömmlichen Auslegungsformel ist ein Asylbegehren "offensichtlich unbegründet", wenn nach vollständiger Erforschung des Sachverhaltes an der Richtigkeit der getroffenen tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich bei einem solchen Sachverhalt nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre die Abweisung des Antrages geradezu aufdrängt (BVerwG, DÖV 1979, 902; NJW 1982, 1244, 1246) [BVerwG 24.11.1981 - 9 C 698/81]. Diese Formel erschöpft sich darin, ein Entscheidungsergebnis als offensichtlich zu bezeichnen, das durch sorgfältige Rechtsanwendung gewonnen wurde. Gewissenhafte Rechtsanwendung zum Schutze und zur Verwirklichung des Asylgrundrechts ist aber für das Bundesamt und die Gerichte selbstverständliche Pflicht. Zu fragen ist vielmehr, ob und inwieweit die Sicht für eine im Hinblick auf die grundrechtsgefährdende Abschiebungsfolge verantwortliche Beurteilung überhaupt offen ist, d.h. welche der anerkannten Einzeltatbestandsvoraussetzungen für die Annahme politischer Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 54, 351; BVerwGE 55, 83 [BVerwG 29.11.1977 - 1 C 33/71]; BVerwG DÖV 1982, 41) einer eindeutigen Beurteilung überhaupt zugänglich sind und, soweit dies möglich ist, ob im Einzelfall wenigstens eines dieser für die Asylrechtszuerkennung notwendigen Tatbestandsmerkmale nach dem aktenkundigen Sachverhalt ausgeschlossen werden kann.
a)
Hiernach ist ein Asylbegehren regelmäßig nicht offensichtlich unbegründet, wenn der Asylbewerber entweder Umstände vorträgt, die nahelegen, daß er in seinem Heimatland bereits persönlich eine nach Art und Intensität asylrechtserhebliche staatliche Verfolgungsmaßnahme erlitten hat, oder wenn sich der Bewerber erkennbar auf ein (eventuell auch nur staatlicherseits unterstelltes) Merkmal in seiner Person beruft, das grundsätzlich allein oder auch nur in Kombination mit weiteren Umständen geeignet ist, in seinem Heimatland nach Art und Intensität asylrechtserhebliche Verfolgung als solche auszulösen. Das muß in beiden Fällen unabhängig davon gelten, ob der Asylbewerber aufgrund der nach Aktenlage bekannten Umstände hinreichend persönlich gefährdet erscheint und unabhängig davon, ob die erlittene bzw. befürchtete Verfolgung nicht wenigstens auch auf politischen Gründen beruht. Denn diese beiden weiteren Voraussetzungen für eine politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG entziehen sich grundsätzlich einer Offensichtlichkeitsbeurteilung: Ob dem Asylbewerber mit der hinreichend beachtlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, kann nur in den seltensten Fällen offensichtlich verneint werden. Diese Beurteilung erfordert immer eine verständige Würdigung der gesamten Umstände seines Einzelfalles (BVerwGE 55, 82, 83) [BVerwG 29.11.1977 - 1 C 33/71], ausgerichtet auf eine absehbare Zeit, also nicht nur danach, was gegenwärtig geschieht oder als unmittelbar bevorstehend erkennbar ist (BVerwG, DÖV 1982, 41, 42). Ist diese Beurteilung persönlicher Gefährdung schon grundsätzlich mit großen Erkenntnisrisiken belastet, ist bei einem Asylbewerber, der behauptet, eine nach Art und Intensität asylrechtserhebliche Verfolgung bereits erlitten zu haben, noch besondere Zurückhaltung geboten, weil an die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses erneuter Verfolgung wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen einer schon einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen zu stellen sind (BVerfGE 54, 361, 362; BVerwG, DÖV 1982, 41). Beruft sich hingegen ein Asylbewerber in seiner Person auf ein Gruppenmerkmal, das grundsätzlich geeignet ist, in seinem Heimatstaat Repressalien als solche auszulösen, würde sich die befürchtete (Gruppen-)Verfolgung dann erfahrungsgemäß auch gegen ihn richten (BVerfGE 54, 358 ff.; BVerwG, DÖV 1983, 35, 36).
Ob die erlittene oder befürchtete Verfolgung zumindest auch dem Ziel dient, die politische Überzeugung (Nationalität, Religion usw.) des Asylbewerbers zu unterdrücken (zu bestrafen) und ihn damit als politischen Gegner des Staates zu treffen, kann für keinen Heimatstaat eines Asylbewerbers ohne vielschichtige, gewissenhafte Ermittlungen zahlreicher Einzeltatsachen und ihre gesamtschauende Würdigung (vgl. BVerwG DVBl. 1983, 34, 35) hinreichend verläßlich beurteilt und daher auch nie als offensichtlich verneint werden. Denn erforderlich ist dafür immer eine sorgfältige Untersuchung, ob sich der Staat weltanschaulichen oder religiösen Zielen verpflichtet hat, die ihren äußeren Ausdruck in Gesetzen und/oder der Gesetzesanwendung (insbesondere in Strafgesetzen und der Strafverfolgungspraxis) finden und sich gegen das Gedankengut oder sonstige Verfolgungsmerkmale des Personenkreises richten, zu dem sich der Asylbewerber rechnet. Die rechtliche Abgrenzung politischer von strafrechtlich neutraler Verfolgung im Zusammenhang mit Folterpraktiken ist noch nicht höchstrichterlich geklärt (BVerwG, Beschluß vom 18. November 1982 - BVerwG 9 B 2667.82 -). Die politische Verfolgungstendenz von Strafverfolgungsmaßnahmen läßt sich auch tatsächlich stets nur "offensichtlich" verneinen, wenn das Bundesamt oder ein Gericht stillschweigend das eigene weltanschauliche Bekenntnis unter Bezugnahme gleichlautender Auskünfte des Auswärtigen Amtes zum Maßstab macht. Der verfassungsrechtliche Asylanspruch ist aber weder von der Herkunft und der politischen Gesinnung des Verfolgten abhängig noch von der politischen Richtung, die in dem Verfolgerstaat herrscht (BVerfGE 54, 341, 356 ff.), und deshalb auch nicht abhängig von dem außenpolitischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland, auf die im Verfolgerstaat herrschende politische Richtung Rücksicht zu nehmen. Hiernach kann die allein dem Bundesamt und den Gerichten obliegende umfassende Würdigung von Tatsachenkomplexen, ob der befürchteten Strafverfolgungsmaßnahme eine politische Verfolgungstendenz innewohnt, weder durch die Würdigung des Auswärtigen Amtes oder das Zitat eines Staatslexikons (vgl. insoweit OVG Lüneburg, DVBl. 1983, 181, 182) ersetzt und erst recht nicht als offensichtlich verneint werden.
b)
Unabhängig davon, ob sich der Asylbewerber auf eine bereits erlittene, nach Art und Intensität asylerhebliche Verfolgung oder auf ein asylerhebliche Verfolgung auslösendes Merkmal beruft, ist die (vermeintliche) Unbegründetheit seines Asylbegehrens auch dann nie "offensichtlich", wenn der Asylbewerber trotz persönlicher Anhörung im Rahmen der Vorprüfung (§ 12 Abs. 1-4 AsylVfG) keine zumutbare Gelegenheit hatte, seine Verfolgungsfurcht umfassend in seiner Muttersprache darzulegen oder wenn nach seinem Vorbringen sich aufdrängende Fragen oder Widersprüche ohne erkennbaren Klärungsversuch geblieben sind. Derartige Mängel können nur durch seine persönliche Anhörung vor Gericht geheilt werden. Eine mündliche Verhandlung zur persönlichen Anhörung des Asylbewerbers durch das Gericht im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO läuft aber dem gesetzlichen Beschleunigungszweck zuwider: Diese mündliche Verhandlung stünde prozeßökonomisch dem Hauptsacheverfahren gleich, das in einem "offensichtlich unbegründeten" Fall gerade nicht abgewartet werden soll. Im Erfolgsfalle schließt sich eine weitere mündliche Verhandlung über die Klage an (§ 11 Abs. 3 AsylVfG), die den Beschleunigungsgedanken dann in sein Gegenteil verkehrt.
Nach dem Vorbringen des Asylbewerbers sich aufdrängende Fragen oder Widersprüche sind auch dann ungeklärt geblieben, wenn der entscheidende Beamte des Bundesamtes (§ 4 Abs. 3 AsylVfG) die Angaben des Asylbewerbers nach Aktenlage als unglaubhaft würdigt, ohne daß zuvor eine von dem Asylbewerber in seiner Heimatsprache vorgelegte Erklärung übersetzt worden ist, und ohne daß diese Übersetzung oder die gegen seine Glaubwürdigkeit herangezogenen allgemeinen Erkenntnisquellen zum Gegenstand einer persönlichen Anhörung gemacht worden sind. Nur in diesem Fall hat der Asylbewerber eine faire Chance, scheinbare Widersprüche oder Ungereimtheiten für den an der Anhörung nicht teilnehmenden Entscheidungsbeamten auszuräumen (vgl. auch OVG Saarland, Beschluß vom 4. Januar 1983 - 6 S 20/82 -) und ihm die Sicht für eine das Asylgrundrecht schützende, verantwortliche Beurteilung zu öffnen.
2.
Daran gemessen erweist sich der von dem Antragsteller erhobene Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter jedenfalls nicht als offensichtlich unbegründet.
Dafür ist schon die Sicht hier nicht offen. Es fehlt bereits an einer erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung durch das Bundesamt. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge ist das von dem Antragsteller mit dem Asylantrag vorgelegte, in punjabischer Schrift abgefaßte "Personal Statement" vom Bundesamt weder übersetzt, noch ist der Antragsteller zur Vorlage einer Übersetzung (§ 23 Abs. 2 VwVfG) aufgefordert worden, so daß den in dem Statement (möglicherweise) enthaltenen (erheblichen) Behauptungen überhaupt nicht nachgegangen und das Vorbringen des Antragstellers durch den entscheidenden Beamten des Bundesamtes nur unvollständig zur Kenntnis genommen und gewürdigt werden konnte. Die fehlende Übersetzung wird auch nicht dadurch ausgeglichen, daß der Antragsteller im Rahmen der Vorprüfung versichert hat, daß seine schriftlichen und mündlichen Angaben identisch seien. Dieses Vorgehen vereinfacht zwar die Sachverhaltsaufklärung und erspart Arbeit, ersetzt aber nicht eine verschöpfende Prüfung des Asylbegehrens des Antragstellers.
Darüber hinaus drängen sich zu dem Vorbringen des Antragstellers bei seiner persönlichen Anhörung Fragen und Widersprüche auf, die bisher ohne erkennbaren Klärungsversuch geblieben sind und insbesondere seine (mögliche) Parteizugehörigkeit als Anknüpfungspunkt der von ihm behaupteten politischen Verfolgung in seinem Heimatstaat nicht ausreichend erforscht erscheinen lassen. So bezeichnet sich der Antragsteller einerseits als Mitglied der Khalistan-Partei und versichert, daß diese keinen anderen Namen führe, andererseits macht er aber Angaben, die ihn als Mitglied der im Gegensatz zur Khalistan-Partei tatsächlich existierenden Khalistan-Bewegung erscheinen lassen. Seine Ausführungen zum Ziel der "Partei" (Unabhängigkeit des Punjab), zum "Partei"-Führer (Dr. Jagjit Singh Chohan), zum "Partei"-Büro in Frankfurt und zur Nichtausgabe von "Partei"-Ausweisen stimmen mit den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen zu dieser Bewegung überein (vgl. u.a. Gutachten des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg vom 4. Juni 1981 an das VG Stuttgart, Zusammenstellung des Auswärtigen Amtes an den Bundesminister der Justiz vom 11. Mai 1982, Aussagen des sachverständigen Zeugen Dr. Jagjit Singh vom 3. September 1981 vor dem VG Stuttgart und vom 29. Juni 1982 vor dem VG Wiesbaden). Auch der Hinweis des Antragstellers, daß es sich um eine "illegale Partei" handele, deutet auf die Khalistan-Bewegung hin, da nach der Aussage des Dr. Jagjit Singh vor dem VG Stuttgart am 3. September 1981 die Bewegung nicht offen agieren kann und neben dem Hauptquartier in Amritsar über Untergrundzentren verfügt. Aufgrund dieser zutreffenden Angaben drängt sich die Frage auf, ob der Antragsteller überhaupt zwischen einer "Partei" und einer "Bewegung" zu unterscheiden vermag. Im übrigen enthalten die Ausführungen des Antragstellers einen weiteren Widerspruch, dem durch das Bundesamt erkennbar nicht nachgegangen worden ist. Ausgehend von der Annahme, daß der Antragsteller die Khalistan-Bewegung gemeint haben könnte, ist dies nicht in Einklang zu bringen mit seinen Angaben zum Parteigründer (Tara Singh) und zum Gründungsjahr (1967), da die Khalistan-Bewegung von Dr. Jagjit Singh am 13. April 1970 gegründet wurde (vgl. dessen Aussage am 3. September 1981 vor dem VG Stuttgart, Gutachten des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg vom 4. Juni 1981 an das VG Stuttgart). Demgegenüber gehörte der vom Antragsteller erwähnte Tara Singh innerhalb der Akali Dal-Partei einer Gruppe an, die Ende 1967 das im Punjab von der rivalisierenden Akali Dal-Hauptgruppe um Sant Fateh Singh gebildete Koalitionskabinett stürzte und als neukonstituierte sog. Janata-Partei sodann ein Minderheitskabinett bildete (vgl. Gutachten des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg a.a.O.).
Schließlich ist dem bei der Anhörung gefertigten Protokoll auch nicht zu entnehmen, ob überhaupt und wann, welche amtlichen Auskünfte und sonstigen Erkenntnisse über Indien und die Khalistan-Partei bzw. Khalistan-Bewegung im Rahmen der Vorprüfung dem Antragsteller bekanntgegeben worden sind, und ob er zur Stellungnahme dazu aufgefordert worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Danach hat der unterlegene Antragsgegner die Kosten des Verfahrens zu tragen, obwohl er gemäß § 11 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG verpflichtet war, die angegriffene und hier fehlerfrei ausgeführte Abschiebungsandrohung zu erlassen. Das sich aus einer fehlerhaften Entscheidung des Bundesamtes ergebende Kostenrisiko hat der Gesetzgeber der Ausländerbehörde generell zugemutet.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird gemäß § 13 Abs. 1 GKG auf 4.000,- DM festgesetzt.
Die Beschwerde ist jedoch nicht zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 100,- DM nicht übersteigt (§ 25 Abs. 2 Satz 1 GKG).