Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.09.1979, Az.: 2 Ws 140/79
Kontrolle der Post eines Prozessbevollmächtigten an einen Gefangenen nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 19.09.1979
- Aktenzeichen
- 2 Ws 140/79
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1979, 16585
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1979:0919.2WS140.79.0A
Rechtsgrundlagen
- § 148 Abs. 2 StPO
- § 148a StPO
Fundstellen
- MDR 1980, 249-250 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1980, 1118 (Volltext mit amtl. LS)
Der 29 Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
am 19. September 1979
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Landgericht ...
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde ... vertreten durch seinen Verteidiger Rechtsanwalt ... in ... gegen die vom Überwachungsrichter bei dem Amtsgericht ... durchgeführte Kontrolle der Verteidigerpost nach §§ 148 Abs. 2, 148 a StPO wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.
Gründe
Der Beschwerdeführer ist - zusammen mit ... und ... - durch das rechtskräftige Urteil des 4. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Juli 1977 (IV - 15/75 OLG Düsseldorf/1 BJs 50/75 GBA) wegen gemeinschaftlichen Mordes in zwei Fällen - jeweils begangen in Tateinheit mit Geiselnahme und versuchter Nötigung eines Verfassungsorgans - in jedem der beiden Fälle zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden (§§ 211, 239 b Abs. 1, 105 Abs. 1 Nr. 3, 23, 25, 52, 53 StGB). Er verbüßt diese Freiheitsstrafe zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt .... Zur Vertretung seiner Interessen in dem Verfahren - 1 BJs 50/75 GBA - hat er u.a. Rechtsanwalt ... in ... als Verteidiger beauftragt und - schriftlich - bevollmächtigt. Unter dem 11. Dezember 1978 (BJs 98/78) zeigte der Generalbundesanwalt gegenüber dem Amtsgericht ... an, daß er - u.a. - gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des - durch bestimmte Geschehnisse belegten - Verdachts des Vergehens nach § 129 a StGB führe. Zugleich brachte der Generalbundesanwalt in seinem Schreiben seine Auffassung zum Ausdruck, daß gemäß §§ 148 Abs. 2, 148 a StPO nach Einleitung des erwähnten Ermittlungsverfahrens gegen den Beschwerdeführer, dessen Verteidigerpost von dem dafür zuständigen Richter am Amtsgericht zu kontrollieren sei. Demgemäß habe er - der Generalbundesanwalt - die Justizvollzugsanstalt gebeten, die Verteidigerpost zur Durchführung der Überwachungsmaßnahmen dem Amtsgericht ... vor zulegen. Entsprechend dieser Bitte verfuhr die Justizvollzugsanstalt ... in der Folgezeit, in dem sie aus- und eingehende, den Beschwerdeführer betreffende Verteidigerpost, dem Überwachungsrichter bei dem Amtsgericht ... zur Kontrolle vorlegte. Sowohl der Beschwerdeführer als auch sein Verteidiger (...) hatten sich mit einer Kontrolle der Verteidigerpost ausdrücklich einverstanden erklärt (§ 148 Abs. 2, S. 1 StPO), wenn auch unter der Voraussetzung, daß eine derartige Kontrolle gesetzlich vorgeschrieben sei, oder vorbehaltlich einer etwaigen gerichtlichen Entscheidung, nach welcher eine solche Kontrolle unzulässig sei. Der nach § 148 a StPO zuständige Überwachungsrichter bei dem Amtsgericht ... kontrollierte sodann auch laufend die ihm jeweils von der JVA vorgelegte Verteidigerpost - sei es, daß sie von dem Beschwerdeführer stammte oder an diesen gerichtet war - und leitete sie an den jeweiligen Adressaten weiter, soweit er keinen Grund zur Beanstandung fand. In einem Ball - soweit dem Senat bekannt geworden - kam es dagegen zu einer Beanstandung eines Teils der von Rechtsanwalt ... an den Beschwerdeführer gerichteten Verteidigerpost durch den Überwachungsrichter, die im Ergebnis dazu führte, daß jener Teil der Verteidigerpost vorläufig, in Verwahrung genommen (§ 148 a Abs. 1, S. 2 StPO) und insoweit Anzeige gem. § 138 StGB an den Generalbundesanwalt erstattet wurde.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die vom Überwachungsrichter bei den Amtsgericht ... regelmäßig durchgeführte Kontrolle der ihm von der JVA jeweils vorgelegten Verteidigerpost. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, daß hierfür im vorliegenden Fall eine gesetzliche Grundlage nicht gegeben sei. Er macht unter Hinweis auf einen Beschluß des OLG Düsseldorf vom 28. März 1979 (1 Ws 222/79 - 1 Ws 230/79/8 Js 134/77 StA Düsseldorf) geltend, daß eine Kontrolle der Verteidigerpost durch den Überwachungsrichter nach §§ 148 Abs. 2, 148 a StPO nur dann zulässig sei, wenn er, der Beschwerdeführer, in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren nach § 129 a StGB inhaftiert oder wegen einer solchen Straftat Untersuchungshaft oder Strafhaft vorgemerkt sei. Das ergebe sich unmißverständlich aus § 29 StVollzG. Da aber keine dieser Voraussetzungen vorlägen, sei die durchgeführte Kontrolle seiner Verteidigerpost unzulässig. Der im Beschwerdeverfahren angehörte Generalbundesanwalt ist den Ausführungen des Beschwerdeführers entgegengetreten.
Die Beschwerde, über die der Senat gerne § 120 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 73 Abs. 1 GVG zu entscheiden hat ( BayObLG Beschluß v. 23.5.1979 - 1 St ObWs 1/79 -, Senatsbeschluß vom 11.7.1979 - 2 Ws 118/79 -), ist zulässig (§ 304 Abs. 1 StPO). Zwar greift der Beschwerdeführer mit ihr keine auf eine bestimmte Verteidigerpost bezogene Einzelentscheidung des Überwachungsrichters an, vielmehr richtet sich die Beschwerde allgemein gegen die vom Überwachungsrichter durchgeführte Kontrolle der Verteidigerpost. Das macht aber die Beschwerde nicht unzulässig. Denn dadurch, daß der Überwachungsrichter nach Kenntnisnahme von dem gegen den Beschwerdeführer laufenden Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Vergehens nach § 129 a StGB ständig die ihm von der JVA vorgelegte Verteidigerpost des Beschwerdeführers tatsächlich kontrolliert (§§ 148 Abs. 2, 148 a StPO), hat er schlüssig eine "Grundentscheidung" dahin getroffen, daß die Voraussetzungen der §§ 148 Abs. 2, 148 a StPO für die Kontrolle der Verteidigerpost vorlagen und er demgemäß die Kontrolle durchzuführen habe und auch vornehmen wolle. Dadurch ist der Beschwerdeführer in seinen Rechten unmittelbar betroffen und damit beschwert, und zwar auch dann, wenn eine durchgeführte Kontrolle im Einzelfall nicht zu einer Beanstandung der Verteidigerpost führt. Daß sich der Beschwerdeführer und sein Verteidiger mit einer Vorlage der Verteidigerpost an den Überwachungsrichter einverstanden erklärt haben (§ 148 Abs. 2 S. 1 StPO), beseitigt nicht die Beschwer. Denn die Einverständniserklärungen dienten ersichtlich lediglich dem Zwecke, jedenfalls die Möglichkeit offen zu halten, daß die Verteidigerpost, wenn auch nach Kontrolle durch den Überwachungsrichter, an den jeweiligen Adressaten weitergeleitet und nicht einfach - ohne Kontrolle - an den jeweiligen Absender zurückgesandt wird (§ 148 Abs. 2 S. 1 StPO). Das wird auch daraus deutlich, daß die Einverständniserklärungen mit der Einschränkung abgegeben wurden, daß eine Kontrolle der Verteidigerpost durch den Überwachungsrichter gesetzlich vorgeschrieben sei, oder vorbehaltlich einer gerichtlichen Entscheidung, nach welcher einer derartige Kontrolle unzulässig sei.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründete. Der Senat teilt in der Sache die vom Generalbundesanwalt vertretene Auffassung. Von dem Grundsatz, daß dem Beschuldigten, auch wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet, unbehinderter - u.a. - schriftlicher Verkehr mit seinem Verteidiger zu gestatten ist (§ 148 Abs. 1 StPO), macht § 148 Abs. 2 StPO eine Ausnahme. Danach hat - sofern das Einverständnis zur Vorlage der Verteidigerpost an den nach § 148 a StPO zuständigen Überwachungsrichter vorliegt - eine Kontrolle der Verteidigerpost stattzufinden, wenn sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet und Gegenstand der Untersuchung eine Straftat nach; 129 a StGB ist.
Diese Voraussetzungen Hegen hier vor. Der Beschwerdeführer befindet sich nicht auf freiem Fuß, weil er zur Zeit die aufgrund des rechtskräftigen Urteils des OLG Düsseldorf vom 20. Juli 1977 gegen ihn in zwei Fällen erkannte lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt. Gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren, dessen Gegenstand der Untersuchung eine Straftat nach § 129 a StGB ist. Weiterer Voraussetzungen bedarf es zur Zulässigkeit, der Kontrolle der Verteidigerpost nach §§ 148 Abs. 2, S. 1 und 2, 148 a StPO nicht. Insbesondere ist es entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers für die Zulässigkeit der Kontrolle der Verteidigerpost durch den Überwachungsrichter nicht erforderlich, daß sich der Beschwerdeführer - was hier nicht der Fall ist - wegen einer Straftat nach § 129 a StGB (oder nach § 129 StGB in Verbindung mit Art. 6 I des Gesetzes vom 18.8.1976 (BGBl. I, 2181 ff.)) nicht auf freiem Fuß - sei es in Untersuchungshaft oder in Strafhaft - befindet oder das gegen den sich wegen anderer Straftaten in Strafhaft befindlichen Beschwerdeführer wegen der vorgenannten Straftaten Strafhaft oder Untersuchungshaft vorgemerkt ist. Für eine derartige Auslegung des § 148 Abs. 2 StPO geben weder sein Wortlaut noch die Gesetzesmaterialien einen Anhalt (BT Drucksachen 7/3998 S. 16,; 7/4005, S. 12; 7/4005, S. 22; 7/5401, S. 7, S. 12; 7/5607, S. 5). Die Ausführung von Kleinknecht (34. Aufl. RdN 19 zu § 148 StPO), die die vom Beschwerdeführer vertretene Meinung stützen könnten, erscheinen zu den Ausführungen Kleinknechts (a.a.O. RdN 18 zu § 148 StPO) widersprüchlich; sie sind zumindest unklar. Mit der vom Senat vertretenen Auffassung stimmt Dünncbier LR 23, Aufl. RdN 19 zu § 148 StPOüberein.
Soweit sich der Beschwerdeführer für seine Auffassung auf § 29 Abs. 1 S. 2 StVollzG beruft, ist zwar zuzugeben, daß nach dieser Vorschrift die Überwachung der Verteidigerpost nur zulässig ist, wenn dem Vollzug der Freiheitsstrafe eine Straftat nach § 129 a StGB (oder nach § 129 StGB in Verbindung mit Art. 6 I des Gesetzes vom 18.8.1976) zugrunde liegt oder wenn gegen einen Strafgefangenen im Anschluß an die dem Vollzug zugrunde liegende Verurteilung eine Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach den genannten Vorschriften zu vollstrecken ist. In diesen Fällen "gelten §§ 148 Abs. 2, 148 a StPO entsprechend". Der hier vorliegende Falls Führung eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts einer Straftat nach § 129 a StGB gegen einen Verurteilten, der sich im Vollzug einer Freiheitsstrafe befindet, welcher eine andere Straftat als nach § 129 a StGB (§ 129 StGB i.V.m. Art. 6 I des Gesetzes vom 18.8.1976) zugrunde liegt, ist überhaupt nicht Gegenstand der Regelung des § 29 Abs. 1 S. 2 StrVollzG. Insoweit kommt vielmehr § 122 Abs. 2 StrVollzG in Betracht. Danach sind §§ 148 Abs. 2, 148 a StPO anzuwenden § 122 Abs. 2 StrVollzG knüpft mithin ohne Einschränkung unmittelbar an die Voraussetzungen der §§ 148 Abs. 2, 148 a StPO an - im Gegensatz zu § 29 Abs. 1 S. 2 StrVollzG, der nur eine entsprechende Anwendung der §§ 148 Abs. 2, 148 a StPO vorsieht -. § 122 Abs. 2 StrVollzG knüpft auch nicht etwa an § 122 Abs. 1 StrVollzG an. Dafür spricht schon der Wortlaut "Bezugsworte" wie etwa "in dem Fällen des Absatzes 1 ..." fehlen in § 122 Abs. 2 StrVollzG. Auch die Entstehungsgeschichte und die Gesetzesmaterialien (BT Drucksache 7/5607, S. 10) zeigen, worauf der Generalbundesanwalt mit. Recht hinweist, auf, daß § 122 Abs. 2 StrVollzG nicht an die Voraussetzungen des § 122 Abs. 1 StrVollzG anknüpfte, § 722 Abs. 1 geltender Fassung stammt nämlich aus einer Zeit, in der es die Möglichkeiten nach den §§ 148 Abs. 2, 148 a StPO noch nicht gab. § 122 Abs. 2 StrVollzG wurde zugleich mit der Schaffung der Kontrollmöglichkeit nach §§ 148 Abs. 2, 148 a StPO durch das Gesetz zur Änderung des StGB der StPO, des GVG, der BRAO und des StrVollzG vom 18. Aug. 1976 - BGBBl. 1 S. 2181 - der Bestimmung des § 122 StrVollzG hinzugefügt, die damals nur aus dem Inhalt des heutigen § 122 Abs. 1 StrVollzG bestand. Das geschah aber nicht, um den Anwendungsbereich der §§ 148 Abs. 2, 148 a StPO einzuzwängen, was schon daraus hervorgeht, daß nach § 122 Abs. 2 StrVollzG die §§ 148 Abs. 2, 148 a StPO anzuwenden sind, mithin unmittelbar und ohne Einschränkung (s. auch die Begründung in BT Drucksache 7/5607, S. 10; vergl. ferner die insoweit allerdings nicht eindeutigen Ausführungen in Callies-Müller-Dietz 2. Aufl. RdN 5 zu § 29 StrVollzG u. RdN 5 zu § 122 StrVollzG). Nach allem vermag der Senat der gegenteiligen Auffassung des OLG Düsseldorf in dem oben erwähnten Beschluß nicht zu folgen. Daß schließlich Rechtsanwalt dulden Beschwerdeführer nicht in dem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Vergehens nach § 129 a StGB verteidigt, steht ebenfalls der Zulässigkeit der Kontrolle der Verteidigerpost - soweit sie das Verteidigerverhältnis Rechtsanwalt ... - Beschwerdeführer betrifft - nicht entgegen (§ 148 Abs. 2, S. 2 StPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).