Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.11.1979, Az.: 2 Ws 159/79
Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde; Unvorhersehbar langer Lauf einer Postsendung; Trennung der Wiedereinsetzungskompetenz und der Sachentscheidungskompetenz
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 09.11.1979
- Aktenzeichen
- 2 Ws 159/79
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1979, 11599
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1979:1109.2WS159.79.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AZ: Zs 1133/79
Rechtsgrundlage
- § 172 Abs. 1 StPO
Fundstelle
- MDR 1980, 335 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Aussetzung u.a.
Prozessführer
Dr. med. ..., wohnhaft in ...,
Rechtsanwalt ... in ...
In dem Ermittlungsverfahren
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf das Wiedereinsetzungsgesuch und den Antrag des Dr. med. ... in ... vertreten durch Rechtsanwalt ... in ..., auf gerichtliche Entscheidung gegenüber dem Bescheid des Generalstaatsanwalts in ... vom 17. August 1979
nach dessen Anhörung am 9. November 1979
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ...,
des Richters am Oberlandesgericht ... und
des Richters am Landgericht ...
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Dem Antragsteller wird auf seine Kosten gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde nach § 172 Abs. 1 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
- 2.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird auf Kosten des Antragstellers verworfen (§§ 174, 177 StPO).
Gründe
Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht ... hat mit Bescheid vom 29. Mai 1979 das auf die Anzeige des Antragstellers hin eingeleitete Ermittlungsverfahren eingestellt. Dieser Bescheid ist dem Antragsteller zu Händen seines Rechtsanwalts am 1. Juni 1979 zugegangen. Mit Schreiben vom 12. Juni 1979, das am selben Tage zur Post gegeben worden ist, hat der Antragsteller Beschwerde gegen den Einstellungsbescheid eingelegt. Diese Beschwerdeschrift ist am 18. Juni 1979 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen. Daraufhin hat der Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht ... den Sachverhalt erneut nachgeprüft und mit Bescheid vom 17. August 1979 die Beschwerde zurückgewiesen. Gegen diesen ihm am 22. August 1979 zugestellten Bescheid hat der Antragsteller den an das Oberlandesgericht Celle gerichteten und dort am 7. September 1979 eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Nachdem der Vorsitzende des erkennenden Strafsenats den Antragsteller auf die Versäumung der Beschwerdefrist des § 172 Abs. 1 StPO hingewiesen hat, hat der Antragsteller innerhalb einer Woche um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Frist beim Oberlandesgericht nachgesucht und zur Begründung auf die rechtzeitige Abwendung seiner Beschwerdeschrift und den unvorhersehbar langen Lauf der Postsendung hingewiesen.
1.
Dem Antragsteller war auf seine Kosten (§ 473 Abs. 6 StPO) gegen die Versäumung der Beschwerdefrist des § 172 Abs. 1 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Der Senat folgt der jetzt überwiegend vertretenen Auffassung, daß gegen die Versäumung der Frist des § 172 Abs. 1 StPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend §§ 44 f. StPO grundsätzlich möglich ist (vgl. OLG Oldenburg in NJW 1967, 1814 [OLG Oldenburg 06.04.1967 - 3 Ws 8/67]; OLG Nürnberg in MDR 1972; OLG Köln in VRS 43, 193; OLG Hamm in NJW 1973, 1055; OLG Stuttgart in NJW 1977, 61; Meyer-Goßner in Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Auflage, Rn. 19,20 zu § 172; Kleinknecht, StPO, 34. Aufl., Rn. 16 zu § 172 und in MDR 1972, 69 [OLG Celle 30.04.1971 - 2 Ws 94/71]; ausdrücklich noch offen gelassen vom OLG Celle in Nds.Rpfl. 1971, 210).
Für die Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch ist im vorliegenden - aus den nachfolgend aufgezeigten Gründen besonders gelagerten - Fall das Oberlandesgericht zuständig. In dieser Sache hat der Generalstaatsanwalt über die Beschwerde sachlich entschieden, ohne den Antragsteller auf die Fristversäumung hinzuweisen und ohne zum Ausdruck zu bringen, daß seine Überprüfung lediglich im Wege der nicht fristgebundenen Dienstaufsichtsbeschwerde erfolgt ist. Daraufhin hat der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Oberlandesgericht gestellt. Erst jetzt ist er auf die Fristversäumung hingewiesen worden und hat nun rechtzeitig beim Oberlandesgericht um Wiedereinsetzung nachgesucht.
Das Oberlandesgericht hat im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung im Klageerzwingungsverfahren nach §§ 172 f. StPO auch die Einhaltung der Frist des § 172 Abs. 1 StPO zu überprüfen. Die Einhaltung der Beschwerdefrist ist also für den gerichtlichen Abschnitt des Klageerzwingungsverfahrens bedeutsam. Ohne ihre Wahrung ist das Gericht an einer Sachentscheidung gehindert. Deswegen hat über das Wiedereinsetzungsgesuch in einem derart gelagerten Fall wie dem vorliegenden das Oberlandesgericht zu entscheiden, das bei rechtzeitiger Beschwerdeeinlegung auch zur Entscheidung in der Sache selbst berufen ist, § 46 Abs. 1 StPO. Wiedereinsetzungs- und Sachentscheidungskompetenz werden dadurch nicht sinnwidrig getrennt (vgl. hierzu OLG München in NJW 1977, 2365, 2366) [OLG München 10.05.1977 - 1 Ws 438/77]. Danach ist, wenn der Generalstaatsanwalt den Antragsteller schon sachlich beschieden hat und das Klageerzwingungsverfahren bereits beim Oberlandesgericht anhängig ist, das Oberlandesgericht zur Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch zuständig (ebenso OLG Köln in VRS 43, 193; Meyer-Goßner a.a.O. Rn. 21, 24 zu § 172; die Entscheidung des Senats vom 30.04.1971 - abgedruckt in Nds.Rpfl. 1971, 210 und in MDR 1972, 67 - betraf einen Fall, in dem noch keine Sachentscheidung des Generalstaatsanwalts ergangen war).
Die nachgesuchte Wiedereinsetzung war zu gewähren, weil der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, daß er den verspäteten Eingang seiner Beschwerde nicht zu vertreten hat, § 44 StPO. Die verzögerliche Briefbeförderung durch die Post ist dem Antragsteller nicht zuzurechnen (vgl. BVerfG in NJW 1976, 513 [BVerfG 16.12.1975 - 2 BvR 854/75]).
2.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Gründe der Bescheide der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht ... vom 29. Mai 1979 und des Generalstaatsanwalts vom 17. August 1979 treffen zu. Die beantragten weiteren Ermittlungen versprechen demgegenüber keine Aussicht auf Erfolg.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde zulässig (§ 304 Abs. 4 StPO).