Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 21.08.2014, Az.: 2 A 987/13

Überschreiten der Altersgrenze; weiterführende Ausbildung; allgemeinbildende Ausbildung; erfolglose Bewerbungsbemühungen; Zweiter Bildungsweg; fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung; Verzögerung des Studienbeginns; Wechsel des Studienfachs; Vertreten müssen; Ausbildungsförderung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
21.08.2014
Aktenzeichen
2 A 987/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 42566
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Entscheidung eines Absolventen des sog. Zweiten Bildungsweges, nach der Erlangung der fachgebundenen Hochschulzugangsberechtigung anstelle der Inkaufnahme von Wartesemestern oder der Aufnahme eines Parkstudiums ohne Numerus Clausus noch eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben, um seine Chancen für die Zulassung zum Wunschstudium zu erhöhen, liefert einen Grund, der geeignet ist, das Hinauszögern des Beginns des berufsbildenden Ausbildungsabschnitts - hier Aufnahme eines Hochschulstudiums - zu entschuldigen.

Tenor:

Dem Kläger wird ratenfreie Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwalt H. aus I. beigeordnet.

Der Rechtsstreit wird gemäß § 6 Abs. 1 VwGO dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Gründe

Gemäß § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist Prozesskostenhilfe demjenigen zu gewähren, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn die vom Kläger am 18. Dezember 2013 erhobene Verpflichtungsklage gegen den Bescheid des im Namen der Beklagten handelnden Amtes für Ausbildungsförderung des Studentenwerks J. vom 14. November 2013, mit dem der Antrag des Klägers vom 19. August 2013 auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für das Studium der Immobilienwirtschaft (Bachelor) an der HAWK in K. zum Wintersemester 2013/2014 unter Hinweis auf das Überschreiten der Altersgrenze gem. § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG abgelehnt wurde, hat hinreichende Aussicht auf Erfolg und der Kläger hat seine „Prozessarmut“ glaubhaft gemacht.

Die Kammer vermag sich bei der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Auffassung der Beklagten, der heute 32-jährige Kläger könne sich wegen des Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung im sog. Zweiten Bildungsweg zwar auf die Ausnahme des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG berufen, habe sein Studium jedoch nicht unverzüglich nach Erreichen der Zugangsvoraussetzungen i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG - hier dem Erwerb der fachbezogenen Hochschulzugangsberechtigung am 1. Juli 2011 - aufgenommen, nicht anzuschließen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zu dem unbestimmten Rechtsbegriff „unverzüglich“ ausgeführt, dieser sei im Anschluss an die Legaldefinition dieses Begriffs in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB so zu verstehen, dass der Auszubildende nach Abschluss der Ausbildung an einer der genannten Ausbildungsstätten des Zweiten Bildungsweges den nächsten Ausbildungsabschnitt ohne   schuldhaftes   Zögern beginnen müsse. Schuldhaft und damit vom Auszubildenden zu vertreten sei ein Verhalten nach allgemeinen, auch im öffentlichen Recht geltenden Rechtsgrundsätzen nur dann, wenn dieses Verhalten eine rechtliche Obliegenheit verletze und dem Auszubildenden vorwerfbar sei. Nicht vom Auszubildenden zu vertreten seien demgemäß jedenfalls Verzögerungen infolge rechtlicher oder tatsächlicher Hinderungsgründe, wie sie in § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG allgemein als Gründe für die Freistellung von der Altersgrenze anerkannt seien (BVerwG, Urteil vom 21. November 1991 - 5 C 40/88 -, FamRZ 1992, S. 1111 f., zit. nach juris Rn. 10).

Ob persönliche oder familiären Gründe i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG zugunsten des Klägers - etwa mit Blick auf den von ihm geltend gemachten labilen Gesundheitszustand, die durchlebte Insolvenz und ihrer finanziellen Auswirkungen oder aber die angespannte familiäre Situation (zeitweilige Alleinerziehung von 2 bzw. ab Oktober 2012 von 3 kleinen Kindern) - hier tatsächlich vorlagen, braucht die Kammer im Verlauf des Klageverfahrens wohl nicht weiter aufzuklären. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in dem zitierten Urteil vom 21. November 1991 (a.a.O.) auch klargestellt, dass die Entscheidung eines Absolventen des sog. Zweiten Bildungsweges, nach der Erlangung der fachgebundenen Hochschulzugangsberechtigung auch noch eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben, mithin vor Aufnahme eines Studiums noch eine weiterführende allgemeinbildende Ausbildung i.S.d. § 7 Abs. 1 BAföG zu beginnen und im vorliegenden Fall des Klägers - anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Sachverhalt - im August 2013 mit Erwerb des schulischen Teils der (allgemeinen) Fachhochschulreife auch erfolgreich abzuschließen, jedenfalls einen Grund liefert, der geeignet ist, das Hinauszögern des Beginns des (berufsbildenden) Ausbildungsabschnitts zu entschuldigen. In § 7 Abs. 1 BAföG werde die Förderung einer allgemeinbildenden Ausbildung weder in zeitlicher Hinsicht noch durch den Abschluss einer entsprechenden Ausbildung eingeschränkt. Damit eröffne das Gesetz die Möglichkeit, unter Inanspruchnahme von Ausbildungsförderung durch den zeitlich hintereinanderliegenden Besuch und planmäßigen Abschluss mehrerer Ausbildungsstätten allgemeinbildender Art eine höhere schulische Qualifikation zu erwerben, ohne dass damit die Einheitlichkeit der (Gesamt-)Ausbildung in Frage gestellt wäre (BVerwG, a.a.O., Rn. 13).

Der Kläger hat - zu den Gründen der Aufnahme des Studiums im Alter von 31 Jahren befragt - mit Schreiben vom 14. Oktober 2013 gegenüber dem Studentenwerk u.a. dargelegt, dass er zum Zeitpunkt des Erwerbs der fachbezogenen Hochschulzugangsberechtigung seine Chancen, mit seinem Abschluss (Gesamtnote 3,3) einen Studienplatz im Bereich der Wirtschaftswissenschaften für das Wintersemester 2011/2012 zu erlangen, als sehr gering einschätzt habe. Er habe sich damals bei verschiedenen Universitäten beworben, jedoch ohne Erfolg. Um seine Chancen zur Erlangung eines akademischen Abschlusses zu erhöhen, habe er sich noch 2011 entschieden, an der Erwachsenenschule (Kolleg) in L. das Abitur nachzuholen. Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass der Kläger diese erfolglosen Bewerbungsbemühungen bisher im Verwaltungs- und Klageverfahren nicht näher spezifiziert hat; die damalige subjektive Einschätzung des Klägers im Hinblick auf die Erfolgsaussichten seiner Bewerbungen um die Aufnahme eines wirtschaftswissenschaftlichen Hochschulstudiums ist für die Kammer angesichts der Gesamtnote von 3,3 jedoch nachvollziehbar. Nach Erkenntnissen der Kammer lag der universitäre Numerus Clausus für den Bachelor-Studiengang Betriebswirtschaftslehre an der Universität L. zum Wintersemester 2011/2012 bei 2,0, die Zahl der Wartesemester betrug 6 und die Zulassungsschwelle für das Auswahlverfahren der Hochschule lag bei 2,7. Vor diesem Hintergrund erklärt sich der vom Kläger vorgelegte Ablehnungsbescheid der Universität L. vom 14. August 2012, mit dem die - offenbar wiederholte - Bewerbung des Klägers für das Wintersemester 2012/2013 negativ beschieden wurde. Bei dieser Sachlage kann dem Kläger jedenfalls in subjektiver Hinsicht nicht vorgeworfen werden, anstelle der Inkaufnahme von Wartesemestern oder der Aufnahme eines Parkstudiums ohne Numerus Clausus den eigenen Wunsch nach Aufnahme eines wirtschaftswissenschaftlichen Hochschulstudiums an seinem damaligen Wohnort L. zunächst zurückgestellt und sich stattdessen für die Aufnahme einer weiteren allgemeinbildenden Ausbildung entschieden zu haben.

An dieser Einschätzung vermag auch der Hinweis der Beklagten, das vom Kläger nunmehr gewählte Studium der Immobilienwirtschaft in K. sei nicht zulassungsbeschränkt gewesen, hätte von ihm daher bei entsprechender Bewerbung auch schon zum Wintersemester 2011/2012 aufgenommen werden können, nichts zu ändern. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die zunächst getroffene Entscheidung eines Förderungsbewerbers für ein Studium im (ersten) Neigungsfach, das mit einem sog. harten Numerus Clausus versehen ist, wegen des ihm zustehenden Grundrechts der freien Berufswahl schon objektiv nicht vorwerfbar ist. Einem Förderungsbewerber könne - auch bei nur durchschnittlichen Leistungen im (Fach-)Abitur - deshalb nicht von vorn herein abgesprochen werden, zunächst eine Studienaufnahme im (ersten) Neigungsfach zu versuchen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1992 - 11 C 24/92 -, NVwZ-RR 1993, S. 415, zit. nach juris Rn. 13 f.). Nichts anderes kann deshalb für den Kläger gelten, der sich zunächst um die Aufnahme des nur universitär zulassungsbeschränkten Studiums der Betriebswirtschaftslehre in L. bemüht hat. Die Erkenntnis, die Aufnahme dieses Studiums (offenbar wegen der bestehenden Zulassungsbeschränkungen) nicht weiter zu verfolgen, ist bei dem Kläger noch vor Abschluss des Besuchs der Erwachsenenschule in L. gereift. Sein Entschluss zum Wechsel des Studienfachs hat deshalb im Ergebnis nicht zu einer weiteren Verzögerung des Beginns seiner Hochschulausbildung geführt; die Aufnahme des jetzigen Studiums in K. ist damit im Ergebnis unverzüglich i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG erfolgt.

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten des Verfahrens unanfechtbar (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO und § 6 Abs. 4 Satz 1 VwGO).