Landgericht Hildesheim
Beschl. v. 09.02.2023, Az.: 1 T 46/22

Elektronisch eingereichter Vollstreckungsauftrag; Vollstreckungstitel

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
09.02.2023
Aktenzeichen
1 T 46/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 14478
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHILDE:2023:0209.1T46.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hildesheim - 16.08.2022 - AZ: 23c M 20332/22

Fundstelle

  • JurBüro 2023, 267-268

In der Zwangsvollstreckungssache
Nds. Landesamt für Bezüge und Versorgung, Schloßplatz 3, 26603 Aurich
- Gläubigerin und Beschwerdeführerin -
gegen
S
- Schuldner und Beschwerdegegner -
hat das Landgericht Hildesheim - 1. Zivilkammer - durch pp. am 09.02.2023 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die am 05.09.2022 bei dem Amtsgericht Hildesheim eingegangene sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom selben Tage wird der ihr am 01.09.2022 zugestellte Beschluss des Amtsgerichts Hildesheim vom 16.08.2022, mit dem ihr Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen den Schuldner abgelehnt wurde, aufgehoben.

  2. 2.

    Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens - unter Beachtung der Rechtsauffassung der Beschwerdekammer an das Amtsgericht Hildesheim zurückverwiesen.

  3. 3.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die für das Land Niedersachsen als Zentrale Vollstreckungsstelle von Gerichtskosten tätige Gläubigerin übersandte der Gerichtsvollzieherverteilerstelle bei dem Amtsgericht Hildesheim über ein besonderes elektronisches Behördenpostfach (beBPo) einen maschinell erstellten Vollstreckungsauftrag vom 04.05.2022. Darin ordnete sie gegen den Schuldner die Vollstreckung offener Forderungen in Höhe von insgesamt 35,00 € nach den Vorschriften des Justizbeitreibungsgesetzes (JBeitrG) an und beantragte die Abnahme der Vermögensauskunft und gegebenenfalls den Erlass eines Erzwingungshaftbefehls gemäß § 802g ZPO, falls der Schuldner dem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft unentschuldigt fernbleiben werde. Der Vollstreckungsauftrag der Gläubigerin ist mit einem grafisch aufgedruckten Dienstsiegel sowie einer einfachen Signatur der Bearbeiterin versehen.

Der Schuldner ist in dem von der Gerichtsvollzieherin anberaumten Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft am 06.07.2022 unentschuldigt nicht erschienen. Daraufhin hat die Gerichtsvollzieherin ihre Sonderakte, die den Vollstreckungsauftrag der Gläubigerin und deren Antrag auf Erlass eines Haftbefehls enthält, an das Amtsgericht Hildesheim weitergeleitet.

Das Amtsgericht hat den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls mit Beschluss vom 16.08.2022 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Gläubigerin unstreitig kein Original des Vollstreckungstitels vorgelegt hat und der elektronisch übermittelte Vollstreckungsauftrag, der gleichzeitig den Vollstreckungstitel ersetzt, keine Unterschrift, sondern lediglich ein aufgedrucktes Siegel ohne individuelle Nummer aufweist. Das Amtsgericht hat angenommen, dass mangels hinreichend sicherer Feststellbarkeit der die Verantwortung für den Antrag übernehmenden Person der elektronisch eingereichte Vollstreckungsauftrag keine taugliche Vollstreckungsgrundlage darstellen könne.

Gegen diesen ihr am 01.09.2022 zugestellten Beschluss wendet sich die Gläubigerin mit ihrer am 05.09.2022 bei dem Amtsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde vom selben Tag. Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 20.09.2022 nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist gemäß §§ 1 Nr. 4, 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, 793, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

In der Sache hat sie vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Vollstreckungsgericht des Amtsgerichts Hildesheim, das über den Antrag der Gläubigerin auf Erlass eines Haftbefehls unter Beachtung der nachfolgenden Rechtsauffassung der Kammer inhaltlich nochmals zu befinden hat.

Das Amtsgericht hätte den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, der von der Gläubigerin elektronisch eingereichte Vollstreckungsauftrag, der den Vollstreckungstitel gemäß § 7 Satz 2 JBeitrG ersetzt, stelle keine taugliche Vollstreckungsgrundlage dar. Nach Auffassung der Kammer genügt es den Formanforderungen gemäß §§ 6, 7 JBeitrG, 753 Abs. 4 und 5, 130a, 130d ZPO, wenn der Vollstreckungsauftrag über einen sicheren Übermittlungsweg - hier das beBPo - eingereicht wird und mit einem aufgedruckten Dienstsiegel sowie einer einfachen Signatur des jeweiligen Bearbeiters versehen ist.

Hierzu im Einzelnen:

1.

Die Kammer verkennt nicht, dass sich das Amtsgericht im Rahmen seiner Entscheidung an den von dem BGH mit Beschluss vom 18.12.2014 - I ZB 27/14 - aufgestellten Leitlinien zur Einreichung von Vollstreckungsaufträgen zur Beitreibung von Gerichtskosten orientiert hat. Dort hatte der BGH entschieden, dass der Vollstreckungsauftrag grundsätzlich schriftlich gestellt werden muss, weil er den schriftlichen Schuldtitel ersetzt. Da dieser Antrag die alleinige Voraussetzung für die Anordnung von staatlichem Zwang bis hin zu einer Freiheitsentziehung und damit die einzige Urkunde ist, die der Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht von der Gerichtskasse erhalten, dürfen keine Zweifel an seiner Echtheit bestehen. Erforderlich sei deshalb ein unterschriebener und mit dem Dienstsiegel versehener Antrag. Nur dadurch werde gewährleistet, dass aus dem Schriftstück die Person erkennbar wird, die für seinen Inhalt die Verantwortung übernimmt. Dabei genügt die Wiedergabe des Verfassers in Maschinenschrift, wenn er mit einem Beglaubigungsvermerk versehen ist. (vgl. BGH NJW 2015, 2268 [BGH 18.12.2014 - I ZB 27/14]).

Durch die Einführung des obligatorischen Rechtsverkehrs für die Einreichung von Vollstreckungsaufträgen ist diese Rechtsprechung jedoch überholt. Denn seit dem 01.01.2022 ist die Gläubigerin als Vollstreckungsbehörde zwingend verpflichtet, Vollstreckungsaufträge gemäß §§ 6, 7 JBeitrG, 753 Abs. 4 und 5, 130a, 130d ZPO elektronisch an den Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht zu übermitteln. Soweit das Amtsgericht fordert, der Vollstreckungsauftrag müsse handschriftlich unterschrieben und mit einem Dienstsiegel versehen sein, wird diese Auffassung der Bedeutung des § 130d ZPO nicht gerecht. Sinn und Zweck der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der Nutzungspflicht nach § 130d ZPO ist die Vereinfachung und Beschleunigung des Rechtsverkehrs und langfristig die ausschließlich elektronische Bearbeitung von Gerichtsverfahren. Es wäre eine reine Förmelei, der Gläubigerin aufzuerlegen, den Vollstreckungsauftrag, der den Vollstreckungstitel ersetzt, gemäß § 130d ZPO zunächst als elektronisches Dokument einzureichen und sie zugleich aufzufordern, dem Vollstreckungsorgan auf analogem Wege ein inhaltsgleiches, unterschriebenes und mit einem Dienstsiegel versehenes Dokument vorzulegen. Der Übersendung eines Originals des Vollstreckungstitels in Papierform bedurfte es entgegen der Ansicht des Amtsgerichts daher gerade nicht.

2.

Soweit das Amtsgericht darauf abgestellt hat, der ausschließlich elektronisch eingereichte Vollstreckungsauftrag lasse Zweifel an der Echtheit des Titels sowie des Vollstreckungsauftrags erkennen, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Authentizität und Integrität des Vollstreckungsantrags, der nach § 7 Satz 2 JBeitrG gleichzeitig den Vollstreckungstitel ersetzt, werden nunmehr dadurch gesichert, dass die Vollstreckungsorgane zu überprüfen haben, ob die in § 130a Abs. 3 und 4 ZPO gestellten Anforderungen zweifelsfrei vorliegen. Danach genügt es, wenn der Vollstreckungsauftrag - wie hier - mit einer einfachen Signatur versehen ist und auf einem sicheren Übermittlungsweg - hier ausweislich des entsprechenden Prüfvermerks über das beBPo i.S.d. § 130a Abs. 4 Nr. 3 ZPO - eingereicht wurde. Das Amtsgericht hat vorliegend die Anforderungen an die Einhaltung der Formerfordernisse bei Einreichung eines Vollstreckungsauftrags durch die Gläubigerin überspannt.

III.

1.

Da sich das Amtsgericht mit dem Antrag auf Erlass des Erzwingungshaftbefehls inhaltlich noch nicht auseinandergesetzt hat, war der Beschluss vom 16.08.2022 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Hildesheim zurückzuverweisen. Zwar hat grundsätzlich das Beschwerdegericht in der Sache selbst zu entscheiden, die Zurückverweisung ist jedoch gemäß § 572 Abs. 3 ZPO grundsätzlich möglich und im vorliegenden Fall auch angezeigt, da andernfalls die Überprüfungsmöglichkeit der Entscheidung des Amtsgerichts in der zweiten Instanz genommen wäre.

2.

Die Kostenentscheidung war aufgrund der Zurückverweisung dem Amtsgericht Hildesheim zu übertragen (vgl. Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 572 Rn. 47).

3.

Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO vorliegen. Es handelt sich in der Rechtspraxis um einen häufig vorkommenden Sachverhalt, der bisher - soweit ersichtlich - noch nicht obergerichtlich oder höchstrichterlich entschieden wurde und zu dem die Instanzgerichte unterschiedliche Ansichten vertreten (für das Genügen der Formerfordernisse bei Einreichung des Vollstreckungsantrags, der zugleich den Titel ersetzt: Landgericht Arnsberg, Beschluss vom 19. September 2022 - 5 T 146/22 - juris; Amtsgericht Lichtenberg, Beschluss vom 16.09.2022 - 35 B M 1054/22 -, juris; Amtsgericht Schöneberg, Beschluss vom 17.10.2022 - 32 M 1208/22 - juris; Amtsgericht Bonn, Beschluss vom 25.07.2022 - 22 M 1338/22 - juris; gegen das Vorliegen der erforderlichen Formerfordernisse: Landgericht Essen, Beschluss vom 17. Oktober 2022 - 7 T 272/22 - juris.).