Landgericht Hildesheim
Beschl. v. 06.02.2024, Az.: 1 T 49/23

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
06.02.2024
Aktenzeichen
1 T 49/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 10562
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:Niedersachsen

Verfahrensgang

vorgehend
AG Gifhorn - 06.07.2023 - AZ: 25 M 5118/23

In der Zwangsvollstreckungssache
xxxxx
- Gläubigerin und Beschwerdeführerin -
gegen
xxxxx
- Schuldner und Beschwerdegegner -
hat das Landgericht Hildesheim - 1. Zivilkammer - durch den Vizepräsidenten des Landgerichts xxxxxx die Richterin am Landgericht xxxxxx und die Richterin am Landgericht xxxxx am 06.02.2024 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die am 31.07.2023 bei dem Amtsgericht Gifhorn eingegangene, als sofortige Beschwerde auszulegende "Beschwerde" der Gläubigerin vom selben Tage wird der ihr am 28.07.2023 zugestellte Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 06.07.2023 aufgehoben.

  2. 2.

    Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens - unter Beachtung der hiesigen Rechtsauffassung an das Amtsgericht Gifhorn zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die Gläubigerin wendet sich mit ihrer als sofortige Beschwerde auszulegenden "Beschwerde" vom 31.07.2023, bei Gericht am selben Tage eingegangen, gegen den ihr am 28.07.2023 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 06.07.2023, mit dem ihre Erinnerung vom 24.01.2023 gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers xxxxxx, Vollstreckungskosten in Höhe von 18,00 € beizutreiben, zurückgewiesen worden ist.

Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Gläubigerin ist ein registriertes Inkassounternehmen und betreibt die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hagen zum Az. 12-1912685-0-7, mit dem gegen den Schuldner ein Betrag in Höhe von 246,51 € zugunsten der Rechtsvorgängerin der Gläubigerin tituliert worden ist. Der vorgenannte Vollstreckungsbescheid ist mit einer Rechtsnachfolgeklausel zugunsten der hiesigen Gläubigerin versehen.

Mit Vollstreckungsauftrag vom 03.01.2023 beantragte die Gläubigerin gegenüber dem zuständigen Gerichtsvollzieher die Durchführung der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner wegen eines Teilbetrages in Höhe von 100,00 € sowie wegen weiterer Inkassokosten in Höhe von 18,00 € "in Anlehnung an VV Nr. 3309 und 7001".

Mit Schreiben vom 20.01.2023 teilte der Gerichtsvollzieher der Gläubigerin mit, dass er nur wegen der Teilforderung in Höhe von 100,00 € tätig werden würde und wies zur Begründung darauf hin, dass "im vorliegenden Fall der Ansatz von Anwaltskosten gemäß RVG unzulässig" sei. Hiergegen hat die Gläubigerin am 24.01.2023 Erinnerung eingelegt. Die Erinnerung ist dem Schuldner - trotz gesetzter Frist zur Stellungnahme - formlos übersandt worden.

Das Amtsgericht Gifhorn als zuständiges Vollstreckungsgericht hat die Erinnerung der Gläubigerin mit Beschluss vom 06.07.2023 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Gläubigerin als registriertes Inkassounternehmen vorliegend eine eigene, an sie abgetretene Forderung geltend mache und im Falle der sog. Eigenvertretung keine Gebühren und Kosten geltend gemacht werden könnten. Gegen diese ihr am 23.07.2023 und dem Schuldner ausweislich Bl. 36 und 39 d.A. überhaupt nicht zugestellte Entscheidung wendet sich die Gläubigerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 31.07.2023. Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 10.08.2023 nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt. Ob dem Schuldner der Nichtabhilfebeschluss nebst Beschwerdeschrift zugegangen sind, lässt sich den Akten nicht entnehmen.

II.

Die gemäß § 793 i.V.m. §§ 567 Satz 1 Nr. 1, 569 ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 31.07.2023 gegen den ihr am 28.07.2023 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 06.07.2023, der das Amtsgericht mit Beschluss vom 10.08.2023 nicht abgeholfen hat, hat in der Sache vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Amtsgericht Gifhorn, das unter Beachtung der nachfolgenden Rechtsauffassung der Kammer inhaltlich nochmals über die Erinnerung der Gläubigerin vom 24.01.2023 zu befinden hat.

Hierzu im Einzelnen:

1.

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 06.07.2023 ist begründet, da der Gerichtsvollzieher xxxxxxx die Vollstreckung in ihrem beantragten Umfang durchzuführen hat. Die Vertretungsgebühr für das Zwangsvollstreckungsverfahren in Höhe von 18,00 € (analog Nr. 3309 VV-RVG) ist entgegen der Auffassung des Gerichtsvollziehers sowie des Amtsgerichts gemäß § 4 Abs. 4 RDGEG, § 13d RDG, §§ 788, 91 ZPO grundsätzlich erstattungsfähig.

a)

Die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs nach § 4 Abs. 4 RDGEG liegen hier vor. Bei der Gläubigerin handelt es sich um ein Inkassounternehmen und damit um eine registrierte Person im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG. Sie ist daher gemäß § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO zur Vertretung im Zwangsvollstreckungsverfahren grundsätzlich berechtigt.

Der unstreitige Umstand, dass die Gläubigerin selbst Inhaberin der beigetriebenen Forderung geworden ist, schließt den Erstattungsanspruch nach § 4 Abs. 4 RDGEG entgegen der Ansicht des Amtsgerichts nicht aus. Denn von dem Begriff der "Vertretung" i.S.d. § 4 Abs. 4 RDGEG sind sowohl Fälle der Fremd- als auch der Eigenvertretung umfasst. Der Wortlaut der Vorschrift lässt eine Beschränkung auf die Fremdvertretung schon nicht zu. Auch der Gesetzgeber hat von einer solchen Differenzierung abgesehen, obschon ihm ausweislich des § 2 Abs. 2 RDG beide Konstellationen bekannt waren (vgl. schon LG Darmstadt DGVZ 2017, 93). Schließlich ist mit dem am 01.10.2021 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht (vgl. zu den Einzelheiten BT-Drs. 19/290348) bezweckt worden, die teilweise noch immer vorhandene, aber nicht sachgerechte Ungleichbehandlung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten einerseits sowie Inkassodienstleistern andererseits abzuschaffen. Hiermit wäre es aber nicht zu vereinbaren, wenn der hiesigen Gläubigerin als Inkassodienstleisterin die Geltendmachung der Verfahrensgebühr versagt würde.

b)

§ 4 Abs. 4 Satz 1 RDGEG bestimmt, dass sich die Erstattung der Vergütung von Personen, die Inkassodienstleistungen erbringen, für die Vertretung im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 788 i.V.m. § 91 ZPO richtet. Die vorliegend geltend gemachte Vergütung ist danach erstattungsfähig, soweit sie notwendig war. Dies ist hier gegeben. Die Obergrenze des Erstattungsanspruchs, welche sich nach der Höhe einer einem Rechtsanwalt nach dem RVG geschuldeten Vergütung beschränkt (vgl. Deckenbrock/Henssler/Seichter, RDG, 5. Aufl., 2021, § 4 Rn. 37), wurde nicht überschritten. Ferner ist die Vertretungsgebühr auch in Fällen der Eigenvertretung notwendig i.S.v. § 788 ZPO und damit erstattungsfähig.

Die Vorschrift verweist für die Bestimmung der Notwendigkeit auf § 91 ZPO. Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO sind dem Rechtsanwalt, der in eigener Sache tätig wird, die Gebühren und Auslagen ebenso wie einem bevollmächtigten Rechtsanwalt zu erstatten. Der Verweisungskette der § 4 Abs. 4 RDGEG, §§ 788, 91 ZPO folgend ist diese Regelung entsprechend auf Inkassodienstleister anzuwenden. Anhaltspunkte dafür, dass insbesondere § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO von dem umfänglichen Verweis ausgenommen werden sollte, liegen nicht vor. Vielmehr war es gerade die Absicht des Gesetzgebers, durch die Einführung des RDG bzw. des RDGEG die Inkassodienstleister in den definierten Tätigkeitsfeldern Rechtsanwälten möglichst gleichzustellen, auch um eine Entlastung Letzterer herbeizuführen. Dem würde es jedoch gerade zuwiderlaufen, wenn Inkassodienstleisten die Kostenerstattung bei Eigenvertretungen verwehrt bliebe, da hierdurch die Rentabilität eines wesentlichen Teils ihres Geschäftsmodells - insbesondere treuhänderische Abtretungen und Forderungskäufe - nicht unerheblich gemindert würde (vgl. hierzu auch LG Darmstadt DGVZ 2017, 93). Letztlich tritt hierdurch auch aus Sicht des Schuldners keine Verschlechterung seiner rechtlichen Stellung ein. Ob der Gläubiger seine Forderung an einen Rechtsanwalt oder einen Inkassodienstleister abtritt, ist für ihn grundsätzlich ohne Belang. Höhere Vergütungskosten durch Beitreibung eines Inkassodienstleisters hat er jedenfalls nicht zu befürchten.

2.

Da das Amtsgericht Gifhorn schon die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit der Vertretungsgebühr verneint hat, war der Beschluss vom 06.07.2023 aufzuheben.

Die Sache war zudem zur erneuten Entscheidung über die Erinnerung der Gläubigerin vom 24.01.2023 an das Amtsgericht Gifhorn zurückzuverweisen. Zwar hat grundsätzlich das Beschwerdegericht in der Sache selbst zu entscheiden, die Zurückverweisung ist jedoch gemäß § 572 Abs. 3 ZPO grundsätzlich möglich und im vorliegenden Fall auch angezeigt. Denn aus dem Inhalt der erstinstanzlichen Akten ergibt sich, dass der hiesige Schuldner offenkundig keine Kenntnis von dem (Beschwerde-) Verfahren hat und damit ein wesentlicher Verfahrensmangel entsprechend § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO gegeben ist.

Zwar ist mit richterlicher Verfügung vom 06.03.2023 (Bl. 11 R d.A.) angeordnet worden, dass der Schuldner binnen zwei Wochen Stellung nehmen soll zu der von der Gläubigerin erhobenen Erinnerung. Eine förmliche Zustellung ist indes nicht erfolgt. Auch der angefochtene Beschluss vom 06.07.2023 konnte dem Schuldner nicht zugestellt werden (vgl. die Zustellungsurkunde Bl. 36 d.A.). Bl. 39 d.A. enthält dann den Hinweis der Mitarbeiterin der Geschäftsstelle, dass "keine neue Anschrift zu ermitteln" sei. Ob dem Schuldner der Nichtabhilfebeschluss vom 10.08.2023 nebst Beschwerdeschrift der Gläubigerin zugegangen sind, lässt sich den vorgelegten Akten ebenfalls nicht entnehmen, sodass der Anspruch des Schuldners auf rechtliches Gehör nachhaltig verletzt worden ist. Dies begründet einen derart schweren Verfahrensmangel, dass die Kammer davon abgesehen hat, in der Sache selbst zu entscheiden. Andernfalls wäre den Parteien auch die Überprüfungsmöglichkeit der Entscheidung des Amtsgerichts in der zweiten Instanz genommen.

II.

Die Kostenentscheidung war aufgrund der Zurückverweisung dem Amtsgericht Gifhorn zu übertragen (vgl. Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024, § 572 Rn. 47).