Amtsgericht Holzminden
Beschl. v. 13.05.2010, Az.: 12 F 104/10 RI
Bibliographie
- Gericht
- AG Holzminden
- Datum
- 13.05.2010
- Aktenzeichen
- 12 F 104/10 RI
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 47927
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 266 Abs 1 Nr 3 FamFG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Geltendmachung von Ansprüchen geschiedener Ehegatten als sonstige Familiensachen nach § 266 I Zf. 3 FamFG setzt einen inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Trennung oder Scheidung voraus.
Dieser Zusammenhang besteht jedenfalls rund 5 Jahre nach rechtskräftiger Scheidung nicht mehr.
Dass die rechtlich geschiedenen Ehegatten die psychologische Scheidung voneinander noch nicht bewältigt haben, begründet keine Zuständigkeit des Familiengerichts für zwischen ihnen zu verhandelnde Rechtstreitigkeiten aller Art (hier: aus unerlaubter Handlung).
Tenor:
Das hiesige Amtsgericht - Familiengericht - erklärt sich auf Antrag des Antragstellers nach Anhörung der Gegenseite im schriftlichen Verfahren für sachlich unzuständig und verweist das Verfahren gemäß §§ 113 FamFG, 281 ZPO an das Landgericht in Hildesheim.
Gründe
1. Die Beteiligten haben am 18.01.1990 die Ehe miteinander geschlossen. Sie leben seit Juli 2002 getrennt. Die Ehe wurde durch Urteil des erkennenden Gerichts vom 15.04.2004 - rechtskräftig seit dem 21.05.2004 - geschieden.
Die Beteiligten sind Miteigentümer des Hausgrundstückes B - Straße in B. Im Zuge der Trennung der Eheleute ist die damalige Antragstellerin mit den gemeinsamen Kindern (geboren …, …, …, …) zunächst aus dem Familienheim ausgezogen und später mit den Kindern wieder dorthin zurückgekehrt, nachdem seinerseits der Beteiligte zu 1. die Wohnung verlassen hatte.
Im Juni 2009 zogen die Beteiligte zu 2. und die gemeinsamen Kinder ebenfalls dort aus. Das Haus soll verkauft werden und steht zur Zeit leer.
2. Nach einer Besichtigung des Hauses sah sich der Beteiligte zu 1. veranlasst, ein selbständiges Beweisverfahren einzuleiten, in dessen Verlauf der beauftragte Sachverständige erforderlich werdende Reparaturkosten und Sanierungsmaßnahmen auf einen Betrag von € 13.785,-- bezifferte (2 H 7/09).
Der Beteiligte zu 1. beabsichtigte zunächst, vor dem Landgericht Hildesheim unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes von der Beteiligten zu 2. einen Zahlungsanspruch in Höhe von etwa der Hälfte des von dem Sachverständigen ermittelten Betrages geltend zu machen. Sein hierzu vorgelegter Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde durch Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 11.02.2010 zurückgewiesen (2 O 67/10). Das Landgericht sah seine Zuständigkeit nicht als gegeben an.
Der Antragsteller hat daraufhin vor dem Familiengericht Holzminden die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Geltendmachung eines Schadensersatzes in Höhe von € 6.715,-- aufgrund eines Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB beantragt.
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist die sachliche Zuständigkeit des Familiengerichts nicht gegeben. Gleichwohl ist zunächst Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden. Denn die Beantwortung schwieriger und in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärter Rechtsfragen ist nicht in das VKH - Prüfungsverfahren zu verlagern (Handbuch Fachanwalt Familienrecht/Geißler, 7. Auflage, S. 1663 unter Hinweis auf BVerfG FamRZ 2004, 1013).
Nach erfolgter Zustellung des Antrags hat der Beteiligte zu 1. und Antragsteller auf die Rüge der Beteiligten zu 2. und Antragsgegnerin (hilfsweise) beantragt, den Rechtsstreit an das sachlich zuständige Landgericht Hildesheim zu verweisen.
3. Diesem Antrag war stattzugeben.
Es handelt sich bei dem vorliegenden Rechtsstreit nicht um eine (sonstige) Familiensache im Sinne des § 111 Zf. 10 FamFG in Verbindung mit § 112 Zf. 3 FamFG.
Nach § 266 I Zf. 3 FamFG sind sonstige Familiensachen auch Verfahren, die Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung der Ehe betreffen.
Im Zuge der Reform des familiengerichtlichen Verfahrens sind dem Familiengericht mit dieser Regelung vermögensrechtliche (zivilrechtliche) Streitigkeiten zugewiesen worden, die nicht lediglich aus dem Güterrecht und den Regeln über die Hausratsverteilung oder die Wohnungszuweisung begründet sein konnten. Die Erweiterung der Zuständigkeit des Familiengerichts über den herkömmlichen Umfang hinaus hat den Zweck, eine Zuständigkeitszersplitterung und mitunter doppelte Behandlung desselben vermögensrechtlichen Tatsachen- und Streitsstoffs zu vermeiden (Johannsen/ Henrich/Jaeger, Familienrecht, 5. Auflage 2010, § 266 FamFG RN 1). Nicht selten ist den Eheleuten im Trennungs- und Scheidungsprozess daran gelegen, im Zuge der Entflechtung der Verbindungen auf der Paarebene auch alle vermögensrechtlichen Fragen in einem Gesamtpaket zu schnüren. So war es auch im vorliegenden Fall vor etlichen Jahren, als die Beteiligte zu 2. seinerzeit (nämlich im Zuge der Anhörung der Eheleute am 15.04.2004) Bedenken trug, geschieden zu werden, ohne dass zuvor die Frage der Regulierung der Verbindlichkeiten der Hausfinanzierung einer Regelung zugeführt worden sei.
4. Nach dem Zweck des Gesetzes, wie er auch in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 266 FamFG zum Ausdruck gebracht wird (zu den Gesetzesmaterialien s. Kemper FamRB 2009,53/56), nämlich dass Regelungen "aus Anlass der Scheidung" zu treffen sind, ist die sachliche Zuständigkeit des Familiengerichts für nicht genuin familienrechtliche Ansprüche nur dann gegeben, wenn im Rahmen einer Abwicklungszuständigkeit vor dem Hintergrund der Beendigung der Ehe (vgl. Zöller/Lorenz, ZPO, 28. Auflage 2010, § 266 FamFG RN 15) ein zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang (mitunter wird auch von einem kausalen Zusammenhang gesprochen; vgl. Jaeger, aaO., RN 15) zwischen dem Anspruch und der Trennung der Ehegatten oder der Auflösung ihrer Ehe besteht. Eine Regelungszuständigkeit für zivilrechtliche finanzielle Auseinandersetzungen zwischen Ex-Partnern, die ihren Paarkonflikt (auch lange nach der Scheidung) noch nicht bewältigt haben, ergibt sich aus § 266 FamFG dagegen nicht.
In zeitlicher Hinsicht fehlt es an dem erforderlichen Zusammenhang, wenn seit der Beendigung der Verbindung und dem Abschluss der wirtschaftlichen Auseinandersetzung ein längerer Zeitraum verstrichen ist (Burger in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, Bielefeld 2009, § 266 RN 6; wohl auch Rakete - Dombek in: Meysen (u.a.), Das Familienverfahrensrecht - FamFG, Köln 2009, S. 698; Burger FamRZ 2009, 1017; Meyer-Seitz/Kröger/Heiter FamRZ 2005, 1430/1437).
Inhaltliche und zeitliche Komponente müssen kumulativ erfüllt sein. Das Erfordernis eines zeitlichen Zusammenhangs hat seinen Grund in dem mit der Schaffung des großen Familiengerichts verfolgten Zweck: nämlich mehrere Verfahren bei einem Gericht zu konzentrieren und verfahrensübergreifende Gesamtlösungen zu erleichtern (Heiter in Prütting/Helms, FamFG, Köln 2009, § 266 RN 47). Sobald aber die Klärung güterrechtlicher Fragen zwischen den geschiedenen Eheleuten nicht mehr ansteht oder zu erwarten ist, entfällt der Zweck-Zusammenhang mit etwaigen nachfolgenden Auseinandersetzungen der geschiedenen Eheleute aus anderen Gründen.
Der familienrechtliche Einschlag von Fragen der späteren Verwaltung gemeinsamen Grundeigentums ist völlig untergeordnet und rechtfertigt nicht die fortlaufende Anwendung des § 266 I Zf. 3 FamFG (vgl. Schulte-Bunert/Rehme, FamFG, 2. Auflage 2010, § 266 RN 1).
Um es abzugrenzen: Ein zeitlicher Zusammenhang wäre gegeben, wenn Ansprüche zwischen Ehegatten geltend gemacht werden, die vor der Trennung, nach der Trennung bis zur Scheidung, vor der Scheidung und bis zur Rechtskraft der Scheidung entstanden sind. Auf den Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs kommt es dann nicht an.
Ein Zusammenhang i.S. des § 266 I Zf. 3 FamFG besteht dann nicht mehr, wenn - wie hier - ein Anspruch verfolgt wird, der erst etliche Jahre nach der Scheidung entstanden ist und geltend gemacht wird.
Der Kritik, die gegen die Berücksichtigung einer zeitlichen Komponente eingewandt wird (z.B. Keidel/Giers, FamFG, 16.Auflage 2009, § 266 RN 16) ist zuzugeben, dass es mitunter Schwierigkeiten bereitet, die zeitliche Grenze zu ziehen, jenseits derer ein Zusammenhang im Sinne des § 266 I Zf. 3 FamFG mit der Trennung oder Scheidung nicht mehr besteht.
Im vorliegenden und besonderen Fall ist es aber nicht nötig, näher auf diese Bedenken einzugehen.
Denn familienrechtliche Fragen sind bei der Regelung der Auseinandersetzung über die von dem Antragsteller behaupteten Schäden bei Auszug der Antragsgegnerin nicht zu bedenken. Zum jetzigen Zeitpunkt und auch bei Auszug spielt der (auch) familienrechtliche Gesichtspunkt des Haftungsmaßstabs nach § 1359 BGB keine Rolle mehr.
Gelegentlich werden güterrechtliche Fragen noch Jahre nach der Scheidung einer gerichtlichen Klärung zugeführt. Das kommt im vorliegenden Fall im Hinblick auf Art. 229 § 23 EGBGB, § 1378 IV BGB a. F. nicht in Betracht.
Ein Zusammenhang mit unterhaltsrechtlichen Fragen besteht nicht: die von der Antragsgegnerin angesprochenen Unterhaltsansprüche der gemeinsamen Kinder sind unter einem anderen Rubrum zu behandeln.
6. Abgesehen davon ist dem hier zu beurteilenden Sachverhalt auch kein sonstiger vermögensrechtlicher inhaltlicher/kausaler Zusammenhang mit der Trennung und Scheidung zu entnehmen. Der Begriff des Zusammenhangs ist wenig aussagekräftig. Man kann darunter einen weiten oder einen engen Zusammenhang verstehen. Diese Begrifflichkeit ist ausfüllungsbedürftig.
Abzustellen ist darauf, dass ein Zusammenhang mit der rechtlichen Scheidung bestehen muss.
Es ist zu differenzieren: Unterschieden werden eine psychologische und eine rechtliche Scheidung. Nur der letztere Aspekt einer Scheidung ergibt einen Bezugspunkt zur Anwendbarkeit des § 266 I Zf. 3 FamFG.
Die psychologische Scheidung ist ein fortlaufender Prozess, der sich über eine Krise der Ehe in einer Vorscheidungsphase oder Ambivalenzphase über eine Scheidungsphase im engeren Sinn bis zur Nachscheidungsphase unbestimmter Dauer entwickelt.
Bestandteile der Scheidungsphase sind etwa die physische Trennung und die emotionale Scheidung sowie (punktuell) die Scheidung durch das Gericht. In der Scheidungsphase und Nachscheidungsphase wird die Paarsituation neu definiert. Die Elternrollen werden neu geordnet. In dieser Phase findet eine Reorganisation der Bestandteile der fortan als Nachscheidungsfamilie bestehenden Familie statt (vgl. zu allem Fthenakis (u. a.): Die Familie nach der Familie, München 2008, S. 1 passim).
Die Nachscheidungsfamilie T……../P…….. steckt offenbar immer noch in der Nachscheidungsphase als einem psychologischen Prozess. Dies wäre jedenfalls aus dem Gesichtspunkt des Antragstellers der Fall, dessen Darstellung entnommen werden kann, die Antragsgegnerin und Beteiligte zu 2. hätte bei ihrem Auszug aus dem gemeinsamen Haus Zerstörungen angerichtet, um ihm, dem Antragsteller, zu schaden.
Der ohnehin sehr weite Begriff des Zusammenhangs würde überstrapaziert, wenn man jegliche Auseinandersetzung zwischen geschiedenen Eheleuten dem Familiengericht zuweisen würde, die über die rechtliche Scheidung hinaus geht.
Insoweit ist der Katalog der Zuständigkeit des Familiengerichts, der im Grundsatz richtigerweise auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung zwischen Eheleuten aufführt, einzuschränken. Entsprechende vor der Trennung entstandene Ansprüche unterliegen der Zuständigkeit der allgemeinen Prozessabteilung, weil sie - naturgemäß - nicht im Zusammenhang mit einer Trennung oder Scheidung stehen. Nicht anders ist die Lage nach der Scheidung, wenn dieser Zusammenhang nicht (mehr) konstruierbar ist. Anderenfalls (argumentum ad absurdum) wären, was die Zuständigkeit betrifft, sämtliche Ansprüche geschiedener Eheleute zeitlich unbegrenzt den Familiengerichten zuzuweisen. Die Konturierung eines uferlos anmutenden Begriffs des Zusammenhangs ist nach allem geboten.
7. Eine Vorlage des Verfahrens zur Bestimmung der Zuständigkeit nach § 5 FamFG kommt nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des § 5 I Zf. 4 FamFG nicht gegeben sind. Das Landgericht Hildesheim hat im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren entschieden. Die vorliegende Entscheidung ist nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit im Hauptsacheverfahren ergangen. Im Übrigen ist für die Verweisung § 281 ZPO, wie sich aus § 113 I 1 FamFG ergibt anwendbar.