Amtsgericht Holzminden
Beschl. v. 02.09.2010, Az.: 12 F 332/10 AB
Bibliographie
- Gericht
- AG Holzminden
- Datum
- 02.09.2010
- Aktenzeichen
- 12 F 332/10 AB
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 47932
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1600 Abs 1 Nr 2 BGB
- § 1600 Abs 2 BGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Das AG Holzminden vertritt hier die Auffassung, dass bei verfassungskonformer Auslegung
des § 1600 II BGB strengste Anforderungen an die sozial-familiäre Beziehung des Kindes zum sozialen Vater zu stellen sind.
Ein Zusammenleben von einem halben Jahre reicht danach nicht - selbst dann nicht,
wenn sich Kindesmutter und sozialer Vater im Verlaufe des Verfahrens miteinander verloben.
Tenor:
I. Es wird festgestellt, dass der Beteiligte R … P … nicht der Vater des Kindes E … W …, geboren am 4. Januar 2010, ist.
Es wird festgestellt, dass der Antragsteller der Vater des Kindes E … W …, geboren am 4. Januar 2010, ist.
II. Die Gerichtskosten tragen die Beteiligten - mit Ausnahme des minderjährigen Kindes - zu gleichen Teilen. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.
Der Verfahrenswert wird festgesetzt auf 2.000,-- €.
Gründe
I.
Der Beteiligte zu 4. und die Beteiligte zu 3., die Mutter des Beteiligten zu 2., sind und waren nicht miteinander verheiratet. Sie leben mit dem Kind seit dem 1.03.2010 in einem gemeinschaftlichen Haushalt in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen.
Am 22.03.2010, nach Einleitung des Anfechtungsverfahrens, haben sie sich verlobt.
Die im Jahre 1987 geborene Kindesmutter und der im Jahre 1958 geborene Antragsteller und Beteiligte zu 1. hatten im Oktober 2008 eine Beziehung aufgenommen, in deren Verlauf überwiegend auf Initiative des Antragstellers, der sich die Beteiligte zu 3. nicht verschloss, über eine künftige Eheschließung und Familienplanung gesprochen wurde.
Die Kindesmutter hat aus einer anderen Verbindung eine Tochter, die im November 2010 vier Jahre alt wird. Vorübergehend hatte sie sich mit der Tochter in einer Mutter-Kind-Einrichtung aufgehalten. Anfang Juni 2009 wurde noch in der Einrichtung festgestellt, dass die Kindesmutter schwanger sei. Sie zog daraufhin zu dem Antragsteller.
Ihre Tochter wurde in ein Kinderheim in D … (Diagnosegruppe) gegeben, wo sie immer noch lebt. Der leibliche Vater der Tochter hat ein wirksames Vaterschaftsanerkenntnis abgegeben. Er möchte das Kind zu sich nehmen. Die Kindesmutter favorisiert dagegen die Unterbringung ihrer Tochter in einer Pflegefamilie. Derzeit wird über den künftigen Aufenthalt des Kindes im Beschwerdeverfahren vor dem OLG Hamm befunden.
Die Kindesmutter hat regelmäßigen Kontakt zu ihrer Tochter und besucht sie etwa alle 6 Wochen in der Einrichtung.
Ende Juli 2009 trennten sich der Antragsteller und die Kindesmutter auf, wie es die Kindesmutter unwidersprochen erklärt, Initiative des Antragstellers. Das Verhalten des Antragstellers war gemäß der Darstellung der Antragsgegnerin in der Folge ambivalent. Der Antragsteller habe die Beziehung zwar schriftlich beendet, alsbald danach aber noch mehrfach den Kontakt zu ihr gesucht, auch vermittels zahlreicher SMS, so dass sie sich belästigt gefühlt habe. Ein aufgrund ihrer Anzeige eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller sei mit der Begründung, dass es sich um Trennungsschwierigkeiten handele, eingestellt worden.
Bemühungen des Antragstellers, die Beziehung zur Kindesmutter noch einmal aufzunehmen, seien von ihr abgewiesen worden.
Die Kindesmutter wohnte nach der Trennung von dem Antragsteller ca. 4 Wochen bei einer Freundin. In dieser Zeit lernte sie den Beteiligten zu 4. kennen. Ihre Beziehung begann etwa August 2009.
Nach dem Aufenthalt bei ihrer Freundin wechselte die Beteiligte zu 3. eine Zeit lang als Untermieterin in den Haushalt ihrer Mutter. Der Beteiligte zu 4. lebte damals noch im Haushalt seiner Eltern.
Am 04.01.2010 wurde das Kind E … , der Beteiligte zu 2., geboren.
Am 22.01.2010 erklärte der Beteiligte zu 4. mit Zustimmung der Kindesmutter gemäß § 1592 Zf. 2 BGB, §§ 1594 ff BGB die Anerkennung der Vaterschaft zu dem Kind E … .
Der Antragsteller erklärte am 01.02.2010 zur Urkunde des Jugendamtes des Kreises Höxter ebenfalls die Anerkennung der Vaterschaft.
Zum 01.03.2010 bezogen die Kindesmutter und der Beteiligte zu 4. eine eigene Wohnung im Bezirk des Amtsgerichts Holzminden. Der Familie werden Jugendhilfeleistungen in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe gewährt.
Der im Jahre 1987 geborene Beteiligte zu 4. ist als unselbständiger Gebäudereiniger tätig. Die Bedarfsgemeinschaft wird ergänzend durch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unterstützt. Die Kindesmutter hat im Frühjahr/Sommer 2010 eine Ausbildung zur Pflegeassistentin begonnen.
Der Antragsteller hat in Unkenntnis des Aufenthaltswechsels des Kindes mit Schriftsatz vom 04.03.2010 bei dem Amtsgericht Höxter das vorliegende Verfahren eingeleitet. Das Amtsgericht Höxter hat dem Kind Rechtsanwältin J … als Verfahrensbeistand bestellt. Nach Mitteilung des bei Eintritt der Rechtshängigkeit bereits bestehenden neuen gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes im Bezirk des Amtsgerichts Holzminden ist das Verfahren mit Beschluss des AG Höxter vom 05.05.2010 hierher verwiesen worden.
Zwischen den Beteiligten war und ist unstreitig, dass der Beteiligte zu 1. der leibliche Vater des Kindes E … ist.
Der Antragsteller ficht unter Vorlage einer Versicherung an Eides Statt die Vaterschaft des Beteiligten zu 4. an und behauptet, es bestehe keine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Beteiligten zu 2. und dem neuen Partner der Kindesmutter.
Der Antragsteller beantragt, wie erkannt.
Die Beteiligten zu 3. und 4. beantragen, die Anträge des Antragstellers abzuweisen.
Sie verweisen darauf, dass eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und dem Beteiligten zu 4. bestehe, die einer Anfechtung entgegenstünde. Der Beteiligte zu 4. habe Verantwortung für das Kind übernommen und es bestehe eine intakte emotionale Beziehung, wie sie für eine Vater-Sohn-Beziehung typisch sei.
Die Kindesmutter befürchtet einerseits, basierend auf ihren Erfahrungen aus der Vergangenheit, ein wankelmütiges Verhalten des Antragstellers, der sich nach der Trennung während der Schwangerschaft nicht weiter um sie gekümmert habe. Sein Desinteresse dem Kind gegenüber könne sich nach Abschluss des Verfahrens wieder einstellen.
Andererseits befürchtet sie eine Störung des Familienfriedens, wenn der Antragsteller zu seiner Verantwortung steht und Umgangsrechte einfordern würde.
Dem zuständigen Sachbearbeiter des Jugendamtes hat sie versichert, dass sie die wahre Abstammung dem Kind gegenüber zu gegebener Zeit nicht verheimlichen würde. Anlässlich der Anhörung der Beteiligten am 26.08.2010 hat sie das bestätigt.
Für den Beteiligten zu 2. hat Rechtsanwältin J … als Verfahrensbeistand des Kindes zu bedenken gegeben, dass es problematisch sein könnte, wenn sich die Mutter eines nichtehelichen Kindes den Vater aussuchen könne. Wichtig sei es für das Kind, seinen biologischen Vater zu kennen und Kontakt zu ihm zu haben.
Das zuständige Jugendamt teilt diese Position.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Abstammungsgutachtens. Die Vaterschaftszuordnung ist zwischen den Beteiligten zwar unumstritten. Gleichwohl war eine Beweiserhebung zu diesem Punkt nicht überflüssig. In Abstammungsverfahren ist die Einholung eines Abstammungsgutachtens auch bei einem Konsens der Beteiligten regelmäßig geboten. (vgl. dazu Grün, Vaterschaftsfeststellung und -anfechtung, Berlin 2003, S. 96 mwN; Hb. Fachanwalt Familienrecht/Pieper, 7. Auflage, S. 257; Schulte-Bunert/Schwonberg, FamFG, 2. Auflage 2010, § 177 Rz. 6). Insbesondere auf die Anfechtung durch den biologischen Vater ist sie im Rahmen der Begründetheitsprüfung notwendig (Helms in: Helms/Kieninger/Rittner, Abstammungsrecht in der Praxis, Bielefeld 2010, S. 58). Denn die eigene Vaterschaft des Anfechtenden ist Voraussetzung für den Erfolg des Anfechtungsantrages.
Der Beteiligte zu 4. gilt gemäß §§ 1592 Nr. 2, 1600 c I BGB als Vater des Kindes, weil er die Vaterschaft gemäß § § 1594 - 1598 BGB wirksam anerkannt hat.
Der Antragsteller ist gemäß § 1600 I Nr. 2, II BGB anfechtungsberechtigt, weil er an Eides statt versichert hat, er habe der Mutter des Kindes während der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt.
Die gemäß § 1600 c I BGB bestehende Vaterschaftsvermutung ist aufgrund der Beweisaufnahme widerlegt. Das eingeholte Abstammungsgutachten der Sachverständigen Dr. R … hat ergeben, dass der Antragsteller eindeutig als leiblicher Vater des Kindes E … aufgrund einer Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,9999 % festgestellt werden konnte. Nach allem ist das Gericht davon überzeugt, dass nicht der Beteiligte zu 4., sondern der Antragsteller der Vater des Kindes ist.
Über die Anfechtung und die Feststellung ist einheitlich zu befinden, damit der Beteiligte zu. 2. nicht vaterlos wird, §§ 179,182 FamFG. Die von dem Beteiligten zu 4. geäußerten Bedenken gegen die Fassung des Antrags des Beteiligten zu 1. teilt das Gericht daher nicht.
III.
Der erfolgreichen Anfechtung steht § 1600 II BGB nicht entgegen.
Die Anfechtung der Vaterschaft durch den Mann, der an Eides statt versichert, der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben, setzt voraus, dass der Anfechtende leiblicher Vater des Kindes ist (was die Einholung des Abstammungsgutachtens bestätigt hat), und weiter, dass zwischen dem Kind und seinem Vater im Sinne des § 1600 I Nr. 1 BGBkeine sozial-familiäre Beziehung besteht. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts ebenfalls fest.
1. Das Gericht hat hier "eine der heikelsten Fragen des deutschen Abstammungsrechts" (Helms, FamRZ 2010,1) zu beantworten, nämlich die der Abwägung der Belange der biologisch-genetischen Bande auf der einen Seite oder sozial gelebter Beziehungen auf der anderen.
Wenn das Elternrecht (Art. 6 II 1 GG) als "natürliches" Recht verstanden wird, spricht ein solches Verständnis gegen eine Aufspaltung von biologischer und rechtlicher Vaterschaft (vgl. Frank in: Perspektiven des Familienrechts, FS für Dieter Schwab, Bielefeld 2005, S. 1139). So ist im deutschen Recht die Vorstellung tief verwurzelt, "wahrer" Vater eines Kindes sei eigentlich sein Erzeuger (Helms, aaO, S. 7).
Wer dagegen der Losung zuneigt "Familie ist da, wo Kinder sind" (siehe dazu die heftige Kritik von Laun in: Päpstlicher Rat für die Familie (Hrsg.), Lexikon Familie, Paderborn 2007, S. 439: "Der Staat beansprucht das Definitionsrecht darüber, was Familie ist, und daraus entstehen dümmliche und in ihrer Wirkung gefährliche Definitionen wie:“ Familie ist überall, wo Kinder sind“), wird dem Schutz der sozialen Familie Vorrang einräumen.
Ob dem Schutz der sozial-familiären Beziehungen eine höhere Bedeutung zukommt, als der wirklichen biologischen Abstammung (so Büttner in: Perspektiven des Familienrechts, FS für Dieter Schwab, Bielefeld 2005, S. 740) ist für den hier zu entscheidenden Fall jedoch aus den folgenden Erwägungen nicht zu klären.
Zum einen ist seit der Gründung der Haushaltsgemeinschaft der Beteiligten zu 2. - 4. noch (längst) nicht eine verfestigte sozial-familiäre Beziehung entstanden, deren Schutz § 1600 II, III BGB bezweckt. Zum anderen ist der Schutzbereich der Norm durch eine erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft nicht berührt. Und schließlich sprechen auch Kindeswohlgesichtspunkte nicht dafür, das von der Kindesmutter gewählte Konstrukt aufrechtzuerhalten (Raack, ZKJ 2007,147/148). Eher das Gegenteil ist der Fall.
2. Durch das Zusammenleben der Bedarfsgemeinschaft in einem Zeitraum von erst knapp 6 Monaten hat sich noch keine sozial-familiäre Beziehung im Sinne des § 1600 IV BGB entwickelt. Hierfür wäre erforderlich, dass die Bedarfsgemeinschaft längere Zeit (Regelfall und Regelvermutung) in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebt.
Seiner Beweislast genügt der Antragsteller, der keinen Einblick in das Verhältnis zwischen Vater und Kind hat, wenn er behauptet, es bestehe wegen der kurzen Zeitspanne des Zusammenlebens der Beteiligten zu 3. und 4. mit dem Kind noch keine sozial-familiäre Beziehung (Helms in: Helms/Kieninger/Rittner, aaO, S. 56 f). Weitere Möglichkeiten hat er nicht.
Die bloße Übernahme der tatsächlichen Verantwortung für das Kind durch den Beteiligten zu 4., der sich nach den Feststellungen des Jugendamtes neben der Kindesmutter auch um das Kind kümmert, reicht bei verfassungskonformer Auslegung der Norm nicht aus, um den Antragsteller mit seinem Vortrag auszuschließen.
Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der "längeren Zeit" sind unterschiedliche Vorstellungen geäußert worden. Zum Teil wird auf eine entsprechende Auslegung Bezug genommen, wie sie in Anwendung der §§ 1630 II, 1632 IV, 1682, 1685 BGB vorgenommen wird (MünchKommBGB/Wellenhofer, 5. Auflage 2008, § 166 Rz. 11; Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Auflage 2010, § 1600 Rz. 8). Eine feste Zeitspanne ergibt sich aus diesen Vorschriften nicht. Die Bestimmung der längeren Zeit ist anhand des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Variablen wie Alter des Kindes, Intensität der Beziehung und Maß der Verantwortungsübernahme zu konkretisieren.
Abzustellen ist vorrangig auf die Perspektive des Kindes.
Einer Anfechtung der Vaterschaft stünde aus dessen Sicht ein Vertrauensverhältnis zu dem Beteiligten zu 4. entgegen, das aus der Verantwortungsübernahme begründet worden ist und im Zeitpunkt der Entscheidung über die Anfechtung die Bezugswelt des Kindes nach wie vor prägt (Wellenhofer, aaO).
Indessen: die kognitiven Fähigkeiten eines Säuglings, der allenfalls am Beginn seiner entwicklungspsychologischen Bindungsphase steht, sind längst noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem für ihn die rechtliche Zuordnung der betreuenden Personen eine Rolle spielen könnte. Durch eine erfolgreiche Anfechtung ändert sich für E … faktisch nichts. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Beteiligte zu 4. seine Verlobte und Partnerin verlassen würde, wenn er sich aufgrund einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung nicht mehr als Vater gerieren könnte. Das Interesse des Kindes an Sicherheit und seelischem Gleichgewicht (s. Anm. Motzer zu BGH FamRB 2007, 135) wird durch die Vaterschaftsanfechtung also nicht betroffen.
Es ist zwischen verschiedenen Fallgruppierungen zu differenzieren. So kann während bestehender Ehe ein Kind aus einer anderen Verbindung der Kindesmutter zur Welt kommen, dem der Ehemann der Mutter als Kindesvater gemäß § 1592 Nr. 1 BGB zugeordnet wird. Arrangieren sich die Familienangehörigen mit der Situation und setzen die Ehe fort, mag die Hürde für den die Anfechtung betreibenden leiblichen Vater hoch angesetzt werden. Der Familienschutz mag dann Vorrang haben.
Anders ist das hier:
Jedenfalls für die hier zu beurteilende Fallgestaltung wird von der Rechtsprechung ein Zeitraum von mehr als einem Jahr für erforderlich gehalten (OLG Bremen vom 21.06.2010, Az. 4 WF 65/10), bevor von der Regelvermutung eines sozial-familiären Verhältnisses nach längerem Zusammenleben ausgegangen werden kann. Denn es fehlt noch an einer gelebten Vater-Kind-Beziehung (Frank, aaO, S. 1139).
Die Übernahme der tatsächlichen Verantwortung für das Kind durch den rechtlichen Vater seit dem Tage des Zusammenlebens, die sich aus den Ermittlungen des Jugendamtes und den Beobachtungen der eingesetzten Familienhilfe ergibt, begründet noch keine Regelannahme dahin, dass diese Verantwortung weiterhin angenommen und getragen wird und somit eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater Bestand haben wird (OLG Stuttgart, FamRZ 2008, 629).
Eine Prognose, wie sich die Geschicke der sozialen Familie weiter entwickeln werden, ist in Zeiten "serieller Monogamie" in keinerlei Richtung möglich. Daran ändert auch das Verlöbnis nichts. Derzeit sind mithin mit Rücksicht auf das Kindeswohl Risiken abzuwägen. Der für das Kind unglücklichste Verlauf läge im Verlust beider Väter.
Das erkennende Gericht schließt sich der verbreiteten Auffassung an, dass insbesondere bei der vorliegenden Fallgestaltung einer Anfechtung der Scheinvaterschaft alsbald nach Geburt, ein Zeitraum von mindestens 2 Jahren vergangen sein muss, um von einer gefestigten sozial-familiären Beziehung in Form der Triangulierung der Beteiligten zu 1. bis 3. und einer gelebten Vater-Kind-Beziehung ausgehen zu können (vgl. Staudinger/Rauscher, BGB (2004), § 1600 Rz. 46; NK-BGB/Gutzeit, 2. Auflage 2010, § 1600 Rz. 17; Helms, aaO, S. 56; Frank, aaO, S.1139; Eckebrecht in: Scholz/Stein, Praxishandbuch Familienrecht, Q. S. 52; siehe auch Büttner, aaO, S.739 für ein Kind unter 1 Jahr).
Für diese Zeitspanne spricht, dass die Anfechtungsfristen nach § 1600 b I BGB von 2 Jahren weiterhin bestehen. Ficht etwa der Beteiligte zu 4. die Vaterschaft an, stünde das Kind E … letztlich ohne Vater da, wenn der Antrag des leiblichen Vaters ohne Erfolg bleiben würde.
An einer Anfechtung wäre der Beteiligte zu 4. im Rahmen der bestehenden Frist, die noch nicht abgelaufen ist, nicht gehindert (vgl. OLG Naumburg, FamRZ 2008, 2146; Grün, Vaterschaftsfeststellung und -anfechtung, 2. Auflage 2010, S. 140; Helms, aaO, S. 28), obwohl er wissentlich eine falsche Anerkennung der Vaterschaft erklärt hat (für die er aber strafrechtlich, etwa wegen Personenstandsfälschung, nicht zur Verantwortung gezogen werden kann; vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Auflage 2010, § 1598 Rz. 2; Raack, aaO, S. 148).
Zusätzlich Risiken bestehen für das beteiligte Kind, weil das Anfechtungsrecht der Kindesmutter weiterhin besteht und sie etwa dann, wenn sich ihre Erwartungen in die noch junge Partnerschaft mit dem Beteiligten zu 4. nicht erfüllen sollten, binnen Frist davon noch Gebrauch macht.
3. Zwischen den Situationen der Begründung eines Verwandtschaftsverhältnisses durch eine Anerkennung der (biologisch nicht bestehenden) Vaterschaft und einer (Stiefkinder-) Adoption, bestehen Parallelen.
In beiden Fällen sollen aus fremden Kindern eigene werden.
In beiden Fällen konkurrieren 2 Väter um die Vaterstellung und es ist abzuwägen zwischen sozialer und leiblicher Elternschaft.
Ein Wertungswiderspruch sollte nach Gleichbehandlungsgrundsätzen bei der Abwägung der Interessen vermieden werden.
Im Zuge eines Adoptionsverfahrens hat der leibliche Vater, selbst wenn er nur Vaterschaftsprätendent ist (vgl. § 1747 I 2 BGB), wenn er das von der Kindesmutter vorgesehene Familiendesign verhindern möchte, weitgehende Möglichkeiten, durch Versagung seiner Einwilligung die Adoption zu verhindern (Grenze: § 1748 BGB). Seine Einwilligung ist erforderlich, denn er soll davor geschützt werden, dass sein Kind von Dritten angenommen werden kann, ohne dass ihm die Möglichkeit gegeben wird, sich dagegen zu wehren (NK-BGB/Finger, 2. Auflage 2010, § 1747 Rz. 5).
Die Adoption (einschließlich der Stiefelternadoption) wird überdies in der Regel erst nach einer umfangreichen Kindeswohlprüfung durch das Jugendamt dekretiert.
Die Begründung der Federstrich - Vaterschaft des künftigen sozialen Vaters durch die kollusive Anerkennung und Jugendamtserklärung mit der Mutter vollzieht sich dagegen ohne Kindeswohlprüfung und ohne Mitwirkung und/oder Anhörung des leiblichen Vaters. Der kann die Herstellung vollendeter Tatsachen nicht hindern. Er erfährt im ungünstigen Falle noch nicht einmal etwas von der Aktion, weil die gesetzliche Regelung keine Benachrichtigungspflichten statuiert. Umso mehr ist es dann erforderlich, seine Anfechtungsbefugnisse zu stärken und einer von der Rechtslehre (Rauscher, Familienrecht, 2. Auflage 2007, S. 687) kritisierten mütterlichen Willkür zu begegnen.
Bei extensiver Anwendung des § 1600 I, II, IV BGB zu Lasten des biologischen Vaters, die sich damit begnügt, die bloße Übernahme der tatsächlichen Verantwortung als anfechtungshindernd zu werten und dem Anfechtenden die volle Beweislast aufbürdet, wäre der leibliche Vater dagegen nahezu rechtlos gestellt. Verfassungsrechtlich ist das nicht unproblematisch, worauf der Verfahrensbeistand des Kindes hingewiesen hat. Um sicherzugehen, dass ein Kind in der neuen Familie gut aufgehoben ist, sieht das Adoptionsrecht immerhin eine längere Adoptionspflege vor, die 2 und mehr Jahre andauern kann (§ 1744 BGB; vgl. auch die Vorstellungen der Rechtspraxis zur verfestigten Lebensgemeinschaft i. S. § 1579 Nr. 2 BGB). Eine entsprechende Probezeit ist im Hinblick auf die Interessen des Kindes anzuraten.
Insbesondere mit Rücksicht auf die Belange jüngere Kinder und vor dem Hintergrund der noch kurzen Beziehung zwischen der Kindesmutter und dem Anerkennenden ist - mit Rücksicht auf das Kindeswohl - ein längerer Zeitraum von mindestens 2 Jahren anzusetzen, der einer Anfechtung der Vaterschaft nach § 1600 I Zf. 2 BGB erfolgreich entgegengehalten werden können muss. Nach einem guten halben Jahr des Zusammenlebens der Bedarfsgemeinschaft ist das noch nicht der Fall.
4. Zumal die Lebenssituation der Kindesmutter und damit die der gesamten jungen sozialen Familie sich zum Teil noch in einer Anlaufphase, zum Teil in einer Umbruchphase befindet, und eine Vielzahl von Faktoren zu bedenken sind, was eine Prognose der künftigen Lebensgestaltung der Familie unmöglich macht:
- das Zusammenleben in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, bzw. der Verlobten (§ 1297 I BGB ist zu beachten) währt noch nicht allzu lange Zeit und steckt damit in der Anfangsphase (das Verlöbnis begründet darüber hinaus keine -dritte- Regelvermutung);
- die Kindesmutter hat eine Ausbildung begonnen, die ihre Aufmerksamkeit erfordert;
- die Familie bedarf der Unterstützung durch eine sozialpädagogische Familienhilfe: nach ersten Einschätzungen verläuft die Entwicklung insoweit günstig;
- ungeklärt ist weiterhin die Situation der Tochter der Kindesmutter aus einer weiteren Verbindung;
- nach häufigen Aufenthaltswechseln in kurzer Zeit ist die Kindesmutter erst seit einem halben Jahr am neuen Wohnort ansässig.
Wie sich die Situation der sozialen Familie in einem oder zwei Jahren darstellt, lässt sich somit noch nicht sagen. Es sind die bereits erwähnten Risiken zu bedenken, die für das Kind und sein auch außerhalb des Geltungsbereichs des § 1697 a BGB (4. Buch, 2. Abschnitt, 5. Titel) zu berücksichtigendes Kindeswohl auftreten können. Die Beteiligten zu 3. und 4. mögen eine solche Entwicklung aus ihrem heutigen Selbstverständnis heraus für fernliegend halten, die anderen Beteiligten müssen diesen Punkt beachten. Falls sich die Kindesmutter und ihr Partner einmal trennen sollten, besteht die Gefahr, dass der Beteiligte zu 4. das Interesse an dem Kind verlieren wird (dazu Hager in: FS für Schwab, aaO, S.777). Das würde dazu führen, dass das betroffene Kind, wenn dem rechtlichen Vater wegen Fristablaufs keine Anfechtung mehr möglich sein sollte, zwar einen rechtlichen, aber keinen sozialen Vater mehr hätte, und nach zurückgewiesener Anfechtung wohl nur eine minimale Chance bestünde, den leiblichen Vater quasi "als Ersatz" als sozialen Vater zu gewinnen.
5. Der Schutzzweck des § 1600 BGB steht einer Anfechtung und nachfolgenden Feststellung des Anfechtenden als Vater nicht entgegen. Durch eine Vaterschaftsanfechtung soll eine soziale Familie nicht zur Unzeit auseinandergerissen werden (vgl. Grün, aaO, 2. Auflage, S. 143). Das geschieht auch nicht, denn eine Vaterschaftsanfechtung ändert grundsätzlich nichts daran, dass das Kind weiterhin bei seiner Mutter und ihrem Lebensgefährten aufwachsen soll (Frank, aaO, S. 1138).
Einen Eingriff in die Integrität der sozialen Familie plant der Antragsteller nicht. Er hat versichert, dass er nicht beabsichtige, nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung und -feststellung das Kind E … zu sich zu nehmen. Das nimmt ihm das Gericht auch ab. Insoweit ist kein wankelmütiges Verhalten zu befürchten, zumal sich - auch nach der Schilderung der Kindesmutter - die Aufgeregtheiten des Antragstellers anlässlich der Trennung von der Kindesmutter in einem zeitlich verhältnismäßig überschaubaren Rahmen abgespielt haben. Er hat sich mit der Situation abgefunden.
6. Er wünscht jedoch, nach erfolgreicher Feststellung seiner Vaterschaft Kontakt zu seinem Kind aufnehmen zu können. Das ist vorrangig sogar das gute Recht seines Kindes, dem die Umgangspflicht des Kindesvaters entspricht. Im Rahmen einer Entscheidung nach §§ 1600 ff BGB kann es nicht den Ausschlag geben, wenn sich die Kindesmutter durch Kontaktwünsche des leiblichen und nach erfolgreicher Anfechtung rechtlichen Vaters, gestört fühlt. Denn im Vordergrund steht das Wohl des Kindes, das regelmäßig vom Kontakt mit seinen Eltern profitiert, wie aus § 1626 III BGB folgt. Das "Recht" der Kindesmutter auf ein von Umgangsfragen ungestörtes Familienleben hat dahinter zurückzutreten. Der Wunsch der Mutter, den Vater des Kindes aus ihrem Leben zu streichen, ist unbeachtlich, sofern dieser Wunsch nicht auf einem Grund beruht, der als solcher, also unabhängig vom Partnerkonflikt, die Maßnahme gegen das Umgangsrecht rechtfertigen würde (Rauscher, Familienrecht, aaO).
Die Hoffnung des der Kindesmutter beipflichtenden sozialen Vaters, es werde sich eine in Bezug auf den leiblichen Vater exklusive Familie (weiterhin) verfestigen, ist nicht schützenswerter, als die Interessen des leiblichen Vaters an der rechtlichen Anerkennung seiner Vaterschaft (NK-BGB/Gutzeit, aaO, RN 17).
Der gelegentlich geäußerte Vorschlag, auf die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit der um die Vaterschaft konkurrierenden Beteiligten abzustellen, entbehrt nicht eines gewissen Zynismus. Auf ihn soll deshalb nicht näher eingegangen werden. Als Kriterium sind die Einkommensverhältnisse nicht maßgeblich.
7. Art. 8 EMRK und die Rechtsprechung des EuGHMR sind zu berücksichtigen.
Rixe hat darauf hingewiesen, dass die Rechte des leiblichen Vaters aus Art. 8 EMRK bei fehlenden Einflussmöglichkeiten auf die Vaterschaftszuordnung verletzt sein könnten (Rixe, FPR 2008, 222/225; aA Eckebrecht, aaO). Dadurch dass die Kindesmutter aufgrund ihres Zustimmungsrechts zur Anerkennung gemäß § 1595 I BGB einen ihr genehmen Mann (meist den neuen Lebensgefährten) als Vater auswählen könne, würde der leibliche Vater bei der Vaterschaftszuordnung unverhältnismäßig zurückgesetzt (Rixe, aaO). Dem kann sich das Gericht anschließen. Auch der Verfahrensbeistand des Kindes hat entsprechende Bedenken geäußert. Somit kann unter Berücksichtigung europäischer Rechtsvorstellungen der Rechtsauffassung der Beteiligten zu 3. und 4. nicht gefolgt werden.
Eine Entscheidung, die die Belange des leiblichen Vaters ignoriert, würde gegen Prinzipien der Verfassung verstoßen. Bei verfassungskonformer Auslegung sind die Elternrechte des leiblichen Vaters in praktischer Konkordanz mit den Rechten der anderen Beteiligten, insbesondere des Rechtes des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung (Raack, aaO, S. 148) und auf seine Eltern hinreichend zu berücksichtigen.
Praktische Konkordanz bedeutet unter anderem, dass mit Bezug auf Art. 19 II GG in keinem Fall ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden darf und zwischen den widerstreitenden Interessen das Prinzip des möglichst schonenden Ausgleichs anzuwenden ist. Verfassungsrechtlich geschützte Güter, wie hier das Elternrecht des Antragstellers, müssen in der Problemlösung so einander zugeordnet werden, dass jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt. Mit einem gänzlichen Ausschluss des leiblichen Vaters, wie er sich nach einer Zurückweisung seiner Anträge ergäbe, wäre der Kernbereich seines Grundrechts betroffen. Deshalb ist aus verfassungsrechtlichen Erwägungen bei der Auslegung des § 1600 II, IV BGB ein strenger Maßstab geboten (Löhnig, FamRZ 2008, 1130/1131).
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29.07.2010 (1 BvR 420/09) kann einen Hinweis geben. Das BVerfG hält die derzeitige Gesetzesfassung der Voraussetzungen für eine Ausübung der gemeinschaftlichen elterlichen Sorge für ein "nichteheliches" Kind (§ 1626 a BGB) für korrekturbedürftig. Sie greift in das Elternrecht des Vaters (Art. 6 II GG) ein.
Das Bestehen der rechtlichen Vaterschaft ist Grundvoraussetzung für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Monopol eines Elternteils, über die Elternschaft des anderen Elternteils zu bestimmen, sind hier umso mehr in Betracht zu ziehen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 FamFG, die Festsetzung des Verfahrenswertes auf § 47 FamGKG.