Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 24.11.2020, Az.: 4 A 2347/17

Abschiebungsverbot; Sudan; Verhältnisse; humanitär; Flüchtlingseigenschaft; subsidiärer Schutz; Abschiebungsverbote; Abschiebungsandrohung sowie Einreise- und Aufenthaltsverbot; Kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen humanitärer Verhältnisse im Sudan bei vorhandenem Vermögen

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
24.11.2020
Aktenzeichen
4 A 2347/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 48688
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2020:1124.4A2347.17.00

[Tatbestand]

Der 1976 in Kutum geborene Kläger ist sudanesischer Staatsangehöriger. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 16. oder 17. Juli 2014 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 23. Juli 2014 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag.

Bei seiner Erstbefragung am Tag der Antragstellung gab der Kläger an, dass er den Sudan im Jahr 2010 verlassen habe. Bis zum Juli 2014 habe er sich in Libyen aufgehalten. Dann sei er über Italien und Frankreich nach Deutschland gereist.

Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 25. April 2016 führte der Kläger im Wesentlichen aus: Er gehöre zum Stamm der Fur. Bis zu seiner Ausreise habe er in einem Ort nahe der Grenze zu Libyen und Ägypten gewohnt. Mit Ausnahme seines mittlerweile 96-jährigen Vaters, der in einem Flüchtlingscamp lebe, habe er keine Verwandten mehr im Sudan. Er habe 12 Jahre lang die Schule besucht, diese dann aber mangels finanzieller Mittel abbrechen müssen. Einen Beruf habe er nicht erlernt, sondern als Kamelhirte und daneben in der Landwirtschaft seines Vaters gearbeitet. Den Sudan habe er wegen des Krieges verlassen. Im Jahr 2003 sei sein Dorf von den Dschandschawid und von Regierungstruppen angegriffen worden. Es sei mit Raketen und Barrets beschossen worden. Seine Familie sei verbrannt. Er sei zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen. Nachdem er zurückgekehrt sei, habe er es gerade noch geschafft, seine Frau und seine Kinder zu beerdigen. Nachdem er gesehen habe, dass die Truppen zurückkehrten, sei er in das Gebirge geflohen. Die Truppen hätten mit Raketen geschossen. Steine, die getroffen worden seien, wären zersplittert. Ein Splitter habe sein Bein getroffen; dieses sei gebrochen. Weil es in seinem Gebiet keine Krankenhäuser gegeben habe, sei sein Bein zunächst nach traditioneller Art stabilisiert worden. Weil das Bein nicht habe heilen wollen, sei er im Jahr 2006 nach Ägypten in ein Krankenhaus gegangen, wo er zwei Jahre lang behandelt worden sei. Er habe sich die Behandlung leisten können, weil er Vieh verkauft habe. Er habe 400 Kamele gehabt; jedes Tier koste ca. 2.000,00 €. Im Jahr 2009 seien Regierungstruppen erschienen und hätten Steuern gefordert, obwohl er schon genug Steuern gezahlt habe. Anstelle von Geld hätten sie 100 Tiere mitgenommen. Er sei sauer gewesen und habe alles verkauft. Der Erlös in Höhe von 50.000,00 € liege noch heute auf einem Konto der Französischen Bank in Khartum. 2002 habe er eine Oppositionsbewegung mit dem Namen "Bewegung für die Freiheit des Sudan" gegründet. Er sei für die Verbreitung von Nachrichten zuständig gewesen. Er sei von Haus zu Haus gelaufen und habe die Leute angesprochen. Angst, entdeckt zu werden, habe er nicht gehabt, weil in seiner Gegend kaum Regierungstruppen gewesen seien. Müsste er in den Sudan zurückkehren, würde er verhaftet. Überall, in jedem Polizeirevier, stehe sein Name. Dies sei ihm vom Geheimdienst der Opposition mitgeteilt worden. Selbst als er im Krankenhaus in Ägypten gewesen sei, habe man ihn gesucht. Der Geheimdienst sei ins Krankenhaus gekommen, er habe aber flüchten können.

Durch Bescheid vom 15. Juni 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Anträge des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter sowie auf Gewährung subsidiären Schutzes ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und forderte den Kläger unter Fristsetzung und Androhung der Abschiebung in den Sudan auf, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Ferner wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.

Am 22. Juni 2017 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen ausführt: Er sei vorverfolgt ausgereist. Die von ihm beim Bundesamt geschilderten Vorfälle - Überfall auf sein Dorf, "Beschlagnahme" seiner Kamele - seien in Anknüpfung an seine Zugehörigkeit zum Volk der Fur erfolgt. Afrikanisch-stämmige Sudanesen seien massiven Anfeindungen ausgesetzt. Es komme häufig zu Übergriffen, die nicht geahndet würden. Er wäre nach Rückkehr in den Sudan einer extremen allgemeinen Gefahr ausgesetzt. Er werde seiner Berufstätigkeit nicht nachgehen und seinen Lebensunterhalt nicht sichern können.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm subsidiären Schutz zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Juni 2017 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen,

und nimmt zur Begründung Bezug auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes.

Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung informatorisch gehört worden. Wegen des Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten zu diesem Verfahren sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und des Landkreises Stade Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, über die das Gericht trotz Ausbleibens der Beklagten, die mit der Ladung auf diese Folge hingewiesen worden ist, verhandeln und entscheiden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), führt nicht zum Erfolg.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Juni 2017 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten i.S.v. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.

1.

Der Kläger kann in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht beanspruchen.

Nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, und wenn er keine Ausschlusstatbestände nach § 3 Abs. 2 und 3 sowie 4 Halbsatz 2 AsylG erfüllt.

Gemäß § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953 - EMRK -) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Als Verfolgung in diesem Sinn können unter anderem gelten: Die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1); gesetzliche administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (Nr. 2); unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3); die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung (Nr. 4); die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 fallen (Nr. 5) und Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind (Nr. 6).

Die befürchtete Verfolgung muss wegen eines Merkmals nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erfolgen und zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i. V. m. den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).

Nach § 3b Abs. 1 Ziffer 5. AsylG ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Ebenfalls unerheblich ist es, ob er tatsächlich die persönlichen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).

Ob eine begründete Furcht vor politischer Verfolgung vorliegt, beurteilt sich anhand einer Prognose, die eine zusammenfassende Bewertung des gesamten Lebenssachverhaltes verlangt. Die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe ist bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Asylsuchenden in sein Heimatland abzuschätzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.03.1990 - 9 C 14.89 -, juris Rn. 13). Die Prognose stützt sich grundsätzlich auf das bisherige (Verfolgungs-)Schicksal des Schutzsuchenden. Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war (Vorverfolgung), ist ein ernsthafter Hinweis auf die Begründetheit seiner Furcht vor Verfolgung. Die begründete Furcht vor Verfolgung kann allerdings auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung und Ausrichtung ist (§ 28 Abs. 1a AsylG).

Maßstab für die Prognose einer politischen Verfolgung ist, ob dem Ausländer in seinem Heimatland die von ihm geltend gemachten Folgen und Sanktionen mit beachtlichen Wahrscheinlichkeit tatsächlich drohen. Dies setzt voraus, dass nach einer zusammenfassenden Würdigung diejenigen Umstände ein größeres Gewicht besitzen, die für eine Verfolgung sprechen, als diejenigen, die gegen eine solche sprechen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob ein vernünftig denkender, besonnener Mensch berechtigterweise Furcht vor einer Verfolgung entwickeln würde oder nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 -, juris Rn. 32) und eine Rückkehr in den Heimatsstaat gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden, nach Abwägung aller bekannten Umstände, als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht aber die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus, da ein vernünftig denkender Mensch sie außer Betracht lassen wird. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten. Denn ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs und bestehende Anwendungsmöglichkeiten in seine Betrachtung einbeziehen. Ein Zuwarten ist auch dann nicht zumutbar, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden konnte, dass es zeitlich in nächster Nähe bevorsteht.

Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es dabei Sache des Asylsuchenden, seine Gründe für eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung abgibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, B. v. 26.10.1989 - 9 B 405/89 -, juris Rn. 8). Für die Frage, welche Anforderungen diesbezüglich an den Nachweis asylbegründender Tatsachen zu stellen sind, ist nicht vorrangig entscheidend, ob die jeweilige Tatsache vor oder nach dem Verlassen des Heimatlandes eingetreten ist. Vielmehr ist bei dieser Bewertung ein sachtypischer Beweisnotstand des Asylbewerbers zu berücksichtigen. Dieser betrifft insbesondere asylbegründende Vorgänge außerhalb des Gastlandes, für die deswegen in der Regel die Glaubhaftmachung genügt. Für Vorgänge innerhalb des Gastlandes ist dagegen grundsätzlich der volle Nachweis zu erbringen. Dabei erstreckt sich die Erforderlichkeit vollen Beweises auf die Tatsachen, aus denen der Asylbewerber die Gründe für die Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, juris Rn. 15).

Gemessen daran hat der Kläger keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er hat nicht glaubhaft machen können, dass er den Sudan unter dem Druck erlittener oder drohender politischer Verfolgung verlassen hat und/oder Verfolgung bei Rückkehr in sein Heimatland befürchten muss.

Der Kläger hat die Einzelrichterin nicht davon zu überzeugen vermocht, dass er im Sudan politische Verfolgung aus individuellen Gründen erlitten oder eine solche zu gewärtigen gehabt hat.

Der Überfall auf das Dorf, in dem seine Familie lebte, hat nach den Angaben des Klägers bereits im Jahr 2003 stattgefunden und ist nicht mehr kausal für die erst im Jahr 2010 erfolgte (endgültige) Ausreise aus dem Sudan. Die Aktivitäten des Klägers für die Bewegung "für die Freiheit des Sudan" oder "zur Befreiung des Sudan" haben offensichtlich kein Verfolgungsinteresse des sudanesischen Regimes ausgelöst. Der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt am 25. April 2016 geschildert, dass er lediglich die Aufgabe gehabt habe, Nachrichten zu verbreiten, der er dergestalt nachgekommen sei, dass er die Leute angesprochen habe. In der mündlichen Verhandlung hat er ausdrücklich bekundet, keine Probleme wegen seiner politischen Betätigung gehabt zu haben. Seine Angaben beim Bundesamt, in jedem Polizeirevier/jeder Behörde werde er als gesuchte Person geführt und der Geheimdienst habe sogar in dem Krankenhaus in Ägypten, in dem er behandelt worden sei, nach ihm gesucht, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung dahingehend relativiert, dass sich seine Unterschrift auf einer von seiner Bewegung eingereichten Petition finde und ihm lediglich von einem seiner behandelnden Ärzte mitgeteilt worden sei, der Geheimdienst suche nach ihm. Sollten die sudanesischen Stellen ein wie auch immer geartetes Interesse daran gehabt haben, des Klägers habhaft zu werden, wäre es ihnen sicherlich gelungen, diesen zu ergreifen. Sollte es zutreffen, dass dem Kläger im Jahr 2009 ein Teil seiner Kamele weggenommen worden ist, woran vor dem Hintergrund seiner widersprüchlichen Angaben zu der Anzahl der Tiere - beim Bundesamt: 100 von 400, in der mündlichen Verhandlung: 300 von 400 Tieren - zumindest Zweifel bestehen, so liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass dies in Anknüpfung an eines der Merkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erfolgt ist.

Aber selbst, wenn man von einer Vorverfolgung des Klägers ausginge, sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass sich eine Verfolgung im Fall der Rückkehr des Klägers in den Sudan wiederholen wird. Die politischen Verhältnisse im Sudan haben sich seit der Ausreise des Klägers grundlegend geändert. Die sich seit Januar 2018 zunehmend verschärfende Wirtschaftskrise und desolate Versorgungslage hat ab September 2018 zu sudanweiten Protesten der Bevölkerung geführt, an deren Ende der Sturz von Präsident al-Bashir stand. Ein am 6. April 2019 begonnener Sit-In vor dem Armeehauptquartier in Khartum bewegte am 11. April 2019 das Militär zur Absetzung des Präsidenten; ein militärischer Übergangsrat (TMC - Transitional Military Council) übernahm die Macht. Nach ersten Verhandlungen zwischen der Opposition - vereint in einer Allianz namens "Forces for Freedom an Change" (FFC) - wurden am 3. Juni 2019 die Proteste mit teils extremer Gewalt aufgelöst. Es gab über 100 Tote und die Verhandlungen wurden abgebrochen. Auch in den Tagen danach kam es zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Das Internet wurde großflächig über einen Monat abgeschaltet (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan des Auswärtigen Amtes vom 28. Juni 2020, S. 7 ff.). Nach nicht aufhörenden Protesten, internationalem Druck und unter Vermittlung durch Äthiopien und die Afrikanische Union (AU) einigten sich Militär und FFC nach wiederaufgenommenen Verhandlungen am 17. August 2019 auf ein Abkommen, mit dem die Macht auf eine zivile Regierung unter dem Schutz des Militärs übertragen wurde. Mit dem Abkommen wurde eine Übergangsregierung gebildet, die nach drei Jahren und drei Monaten die Macht an eine durch allgemeine Wahlen bestimmte Regierung übertragen soll. Der gebildete Souveränitätsrat besteht aus fünf Militärs und sechs Zivilisten (vgl. Auswärtiges Amt, Sudan: Innenpolitik, 29. August 2019, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sudan-node/innen/203304). Das Abkommen enthält auch einen Teil zur Gewährleistung von Bürgerrechten (vgl. https://www.aljazeera.com/news/2019/08/sudan-constitutional-declaration-190804182241137.html). Der ehemalige Staatspräsident Omar al-Bashir befindet sich seit dem 11. April in Haft (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebe-relevante Lage in der Republik Sudan des Auswärtigen Amtes vom 28. Juni 2020, Blatt 7 ff.). Der mächtige Nationale Geheimdienst (NISS), der nunmehr den Namen General Intelligence Service (GIS) trägt, wurde umgestaltet. Es kam u.a. zu Entlassungen bzw. Pensionierungen auch hochrangiger Mitarbeiter (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan des Auswärtigen Amtes vom 28. Juni 2020, S. 9), der Auflösung einer Eliteeinheit (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 20.Januar 2020, S. 6) sowie der Beschränkung von Befugnissen (vgl. https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/west-darfuris-torch-offices-of-intelligence-service; https://www.washingtonpost.com/politics/2020/01/19/sudans-military-shut-down-mutiny-what-does-that-mean-democratic-transition/). Die Übergangsregierung zeigt ein starkes Engagement im Rahmen von Friedensverhandlungen mit Rebellengruppen und verfolgt das Ziel einer Befriedung und Entwicklung der Krisengebiete in Darfur und Ostsudan (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan vom 28. Juni 2020, S. 7). Am 3. Oktober 2020 kam es schließlich zum Abschluss eines Friedensvertrages zwischen der Sudanese Revolutionary Front (SRF), zu der auch die JEM zählt, und der aktuellen sudanesischen Regierung (EASO, COI Query response: Armed groups, Security situation, Internal displacement situation v. 13.10.2020, S. 6). Auch wenn die früheren Strukturen zum Teil noch fortbestehen, ist es in Anbetracht dieser jüngeren Entwicklung unwahrscheinlich, dass der Kläger für den Fall seiner Rückkehr in den Sudan dort wegen seiner (behaupteten) früheren politischen Betätigung oder seiner Stammeszugehörigkeit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein wird.

Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft auch nicht wegen einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG - konkret der Zugehörigkeit zu einem afrikanischen Stamm (Fur) - zuerkannt werden. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung bedarf es einer bestimmten Verfolgungsdichte, welche die Regelvermutung einer eigenen Verfolgung rechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2007 - 1 C 24.06 -, juris Rn. 7). Sie setzt die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter voraus, dass diese nicht mehr als nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder als eine Vielzahl einzelner Übergriffe zu qualifizieren sind. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und im Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2007 - 1 C 24.06 -, juris). Derartiges lässt sich auf der Grundlage der Erkenntnismittel nicht feststellen. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe ist für sich genommen kein hinreichender Grund für Verfolgung durch die sudanesischen Sicherheitsbehörden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan vom 4. September 2019, S. 13). Eine Gesetzgebung, die sich diskriminierend gegen ethnisch definierte Gruppen richtet, gibt es in der Republik Sudan nicht. Allerdings kommt es aufgrund der ethnischen Vielfalt häufig zu Spannungen. So ist Rassismus gegenüber den sog. "afrikanischen" Ethnien im Sudan gesellschaftlich verwurzelt, auch wenn es im Zusammengang mit den Protesten zu einer Gegenbewegung kam, die die Einheit des Landes und die Gleichheit aller betonte. Gewalt zwischen einzelnen Stämmen spielt im Konflikt in Darfur eine große Bedeutung. Im Zentrum des Landes werden vor allem Bevölkerungsgruppen aus Darfur, den Nuba-Bergen und der im Osten angesiedelten Beja diskriminiert (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan vom 28. Juni 2020, S. 12). Die Erkenntnislage rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, jeder Angehörige des Stammes der Fur oder eines anderen afrikanischen Stammes müsse mit flüchtlingsrelevanten Eingriffen in seine geschützten Rechtsgüter rechnen (ebenso VG Osnabrück, Urteil vom 13. Juli 2020 - 2 A 228/19 -).

Der Kläger muss auch keine Verfolgung wegen nach seiner Ausreise eingetretener Umstände befürchten. Weder längere Auslandsaufenthalte noch die Asylantragstellung im Ausland führen zu einer Gefährdung bei Rückkehr in den Sudan (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan, Stand: Juni 2020).

2.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm in seinem Herkunftsstaat ein ernsthafter Schaden, d.h. die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht.

Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG sind ebenfalls nicht gegeben. Auch in diesem Zusammenhang greift die tatsächliche Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU nicht. Zwar hat der Kläger angegeben, dass sein Heimatdorf im Jahr 2003 von den Dschandschawid überfallen worden sei, wobei sein Haus zerstört und sowohl seine Frau als auch seine Kinder ums Leben gekommen seien. Es fehlt jedoch an der erforderlichen zeitlichen Verknüpfung zwischen diesem Vorfall und der erst im Jahr 2010 erfolgten Ausreise des Klägers.

Geht man vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (zu den Voraussetzungen: EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 - C-285/12 - Diakité) aus, so muss für die Annahme einer individuellen Bedrohung im Rahmen des Konflikts der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreichen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit im betreffenden Gebiet bzw. der betreffenden Region Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - C-465/07 - Elgafaji, Rn. 35). Diese Annahme bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind, dass stichhaltige Gründe dafür sprechen, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt werde (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - C-465/07 - Elgafaji, Rn. 36 ff). Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus den persönlichen Umständen des Schutzsuchenden ergeben (hierzu näher: Bergmann, in: ders./Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 4 AsylG Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -, juris Rn. 20). Sind individuell gefahrerhöhende Umstände nicht gegeben, so kann die erforderliche Individualisierung ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Das besonders hohe Gewaltniveau kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil ein Zustand permanenter Gefährdungen der Bevölkerung und schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts festgestellt wird. Zur Bestimmung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es vielmehr einer quantitativen Betrachtung der verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl der betreffenden Region. Des Weiteren ist eine wertende Gesamtschau erforderlich (BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -, juris Rn. 21 m.w.N.). Maßgeblich abzustellen ist auf die tatsächlichen Verhältnisse in der Herkunftsregion, in die der Schutzsuchende typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 -, juris Rn. 17).

Ausgehend von diesen Maßstäben ist nicht feststellbar, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion - (Nord-)Darfur - eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben droht. Individuelle gefahrerhöhende Umstände sind beim Kläger nicht erkennbar. Insbesondere führt die Zugehörigkeit zum Stamm der Fur in seiner Heimatregion nicht zu einer Individualisierung. Zwar ist die Sicherheitslage in Darfur auch nach dem Sturz der alten Regierung im April 2019 weiterhin angespannt. Der Darfur-Konflikt ist nach wie vor ungelöst, auch wenn die derzeitige Übergangsregierung Friedensverhandlungen mit den dortigen bewaffneten Gruppen zu ihren vorrangigen Zielen zählt (Auswärtiges Amts Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan, 28. Juni 2020, S. 18 f.). Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen kommt es auch in der Heimatregion des Klägers immer wieder zu kleineren gewaltsamen Vorfällen oder Auseinandersetzungen, die von den unterschiedlichsten Akteuren ausgehen. Dennoch ergibt sich hieraus keine individuelle ernsthafte Bedrohung im oben genannten Sinne. In Nord-Darfur gab es im Jahr 2019 insgesamt 93 gewaltsame Vorfälle, von denen sich 85 gegen die Zivilbevölkerung richteten. Hierbei kam es zu 48 zivilen Todesopfern. Im Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis 31. August 2020 gab es in Nord-Darfur 37 gewaltsame Vorfälle, 29 davon richteten sich gegen die Zivilbevölkerung und es kam dabei zu 15 zivilen Todesopfern (EASO COI Query, Sudan - Armed groups, Security situation, Internal displacement situation, 13 .Oktober 2020, S. 16 f. unter Bezugnahme auf die Daten des Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED)). Informationen zur Anzahl der Personen, die bei diesen Vorfällen verletzt wurden, sind nicht verfügbar. Die Einwohnerzahl Nord-Darfurs wurde im Jahr 2017 auf 2,296 Millionen berechnet (laut wikipedia). Setzt man diese Zahlen ins Verhältnis, so war die Wahrscheinlichkeit, im Jahr 2019 oder in den ersten acht Monaten des Jahres 2020 ziviles Opfer eines Konfliktvorfalls zu werden, äußerst gering - sie lag bei deutlich weniger als 0,01 % -. Vor diesem Hintergrund ist auch bei einer wertenden Gesamtbetrachtung nicht davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr ernsthaft individuell bedroht sein wird.

3.

Schließlich kann der Kläger auch die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nicht beanspruchen.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist nicht gegeben. Nach der genannten Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass eine Abschiebung unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Eine (drohende) Verletzung von Art. 3 EMRK kann ausnahmsweise auch aufgrund prekärer humanitärer Verhältnisse im Herkunftsland in Betracht kommen, sofern die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung "zwingend" sind (BVerwG, Urteil vom 4. Juli .2019 - 1 C 45.18 -, juris Rn. 12). Das Bundesverwaltungsgericht hat in jener Entscheidung hierzu weiter ausgeführt:

"Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:EU:C:2017:127], C.K. u.a. - Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (s.a. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 11). In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. [ECLI:EU:C:2019:219], Ibrahim - Rn. 89 ff. und - C-163/17 [ECLI:EU:C:2019:218], Jawo - Rn. 90 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person "unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not" befindet, "die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre".

Bei der Prüfung, ob eine solche Situation für den Fall einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, sind auch die individuellen Umstände der betreffenden Person - wie etwa Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Volkszugehörigkeit, soziale Verbindungen, Bildungs- und Ausbildungsstand und andere auf dem Arbeitsmarkt nützliche Eigenschaften - zu berücksichtigen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Januar 2018 - A 11 S 241/17 -, juris Rn. 286; OVG Saarland, Beschluss vom 23. März 2020 - 2 A 357/19 -, juris Rn. 11; VG Stade, Urteil vom 21. Juli 2020 - 4 A 2524/17 -).

Hieran gemessen droht dem Kläger für den Fall einer Rückkehr in den Sudan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche Behandlung aufgrund der derzeitigen humanitären Verhältnisse.

Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ist die humanitäre Lage in weiten Teilen des Landes äußerst kritisch. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist von extremer Armut betroffen und kann ihren täglichen Kalorienbedarf nicht mehr aus eigener Kraft decken. Zwar wäre ein ausreichendes Nahrungsmittelangebot jedenfalls im Bereich Khartum vorhanden, jedoch fehlt den Menschen die nötige Kaufkraft (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan vom 28. Juni 2020, S. 8 und 25). Die Covid 19-Pandemie hat zu einer Verschärfung der Situation beigetragen, weil insbesondere Tagelöhner nun noch schwerer Arbeit finden. Am schwierigsten ist die Lage in den Krisenregionen, wo staatliche Daseinsvorsorge kaum oder gar nicht existiert (Auswärtiges Amt, aaO, S. 25). Laut einem OCHA-Bericht (Stand: August 2020, https://reports.unocha.org/en/country/sudan) waren bereits vor Beginn der Pandemie 9,3 Mio. Menschen im Sudan auf humanitäre Hilfe angewiesen; inzwischen seien über 9,6 Mio. Menschen der ca. 45 Mio. Einwohner von Hunger bedroht. Das Bedürfnis nach humanitärer Hilfe steige weiter stark an, da das Land von mehreren Krisen gleichzeitig betroffen sei, einschließlich einer Wirtschaftskrise, anhaltenden Überschwemmungen, Gewalt- und Krankheitsausbrüchen. Die Pandemieprävention sei eine Herausforderung, da 63 % der Bevölkerung keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen und 40 % keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hätten. Hinzu kommt derzeit eine Flut, die als die schlimmste seit mehr als drei Jahrzehnten bzw. als Jahrhundertflut eingestuft wird. Der Nil ist infolge heftiger, wochenlanger Regenfälle über die Ufer getreten. Fast alle 18 Bundesstaaten des Sudans und mehr als 730.000 Menschen sind von den Überschwemmungen betroffen; fast 150.000 Häuser wurden zerstört (FAZ, Sudan erlebt Jahrhundertflut, 18.09.2020, https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/sudan-der-kampf-gegen-ueberschwemmungen-16959799.html). Die OCHA geht in ihrem Sudan Situation Report vom 22. Oktober 2020 sogar von 875.000 Betroffenen aus. Besonders stark betroffen sind die Regionen Blauer Nil, Khartum, Nord-Darfur, West-Dafur und Sennar (OCHA, Emergency Response - Floods in Sudan, https://reports.unocha.org/en/country/sudan/#cf-5DXwQdEV0jiiJA25migAhN). Die sudanesische Regierung hat infolgedessen einen dreimonatigen Notstand ausgerufen und das Land zum Katastrophengebiet erklärt (ZDF vom 17. September 2020, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/sudan-ueberschwemmung-100.html). Durch die Überschwemmungen wird auch die Verbreitung zahlreicher Krankheiten (z.B. Cholera) begünstigt. So wurden laut OCHA bis Ende September 2020 landesweit beispielsweise über 1,1 Mio. Malaria-Fälle gemeldet - in 15 von 18 Bundesstaaten wurde das Level einer Epidemie erreicht (OCHA, Sudan Situation Report vom 22. Oktober 2020, https://reliefweb.int/report/sudan/sudan-situation-report-22-oct-2020-enar). Mehr als 30 % der in 13 Bundesstaaten genommenen Wasserproben stellten sich als kontaminiert heraus (OCHA, Emergency Response - Floods in Sudan, aaO). Besonders stark haben Farmer und Viehhalter infolge vernichteter Ernten und überschwemmter Weiden und Felder sowie ertrunkener Nutztiere unter den Überschwemmungen zu leiden, zumal sich diese zuvor bereits der in Ostafrika herrschenden Heuschreckenplage ausgesetzt sahen (tagesschau.de vom 29. September 2020, Hochwasser in Afrika: "Keine Erholung zwischen den Katastrophen", https://www.tagesschau.de/ausland/sudan-293.html).

In Anbetracht dieser Umstände und unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Klägers geht das Gericht im maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung davon aus, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Sudan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit extremer materieller Not ausgesetzt sein wird. Zwar verfügt der Kläger über eine relativ gute Schulbildung, er hat jedoch im Anschluss an die Schule keine Berufsausbildung durchlaufen, sondern ausschließlich als Kamelhirte/Kamelhändler sowie in der Landwirtschaft in Darfur gearbeitet. Mit Ausnahme seines mittlerweile mehr als 100 Jahre alten Vaters, der in einem Flüchtlingscamp lebt, hat der Kläger keine Verwandten, auf deren Unterstützung er zurückgreifen könnte, mehr im Sudan. Hinzu kommt, dass es ihm aufgrund seiner Stammeszugehörigkeit noch schwerer als anderen Rückkehrern fallen wird, eine Arbeit zu finden. Wäre es für den Kläger aufgrund dieser Umstände voraussichtlich nicht möglich, sein Existenzminimum zu sichern, so können doch die Besonderheiten des konkreten Falles nicht unberücksichtigt bleiben. Der Kläger hat bereits beim Bundesamt davon berichtet, dass er für den Verkauf seiner Kamele einen nicht unbeachtlichen Geldbetrag - 50.000,00 € - erzielt habe, der auf ein Konto bei der Französischen Bank in Khartum überwiesen worden sei. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger angegeben, dass ein inzwischen in den USA lebender Verwandter das Geld - 50.000,00 $ bis 55.000,00 $ - abgehoben, einen Teil davon - ca. 5.000,00 € - seinem, des Klägers, Vater gegeben und den Rest behalten habe. Er wisse zwar nicht genau, ob sein Verwandter ihm das Geld zurückzahlen werde. Er würde ihn aber dazu auffordern, wenn sein Aufenthaltsstatus geklärt sei und das Geld hier in Deutschland investieren. Da nichts dafür ersichtlich ist, dass der Verwandte des Klägers die Rückzahlung des Geldes verweigern würde, obliegt es dem Kläger, die Rückzahlung zu verlangen. Mit einem Vermögen von wohl noch 45.000,00 $ bis 50.000,00 $ wird es dem Kläger problemlos gelingen, seinen Lebensunterhalt im Sudan zu sichern.

Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht gegeben. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass für den Kläger im Sudan eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

4.

Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in dem angefochtenen Bescheid finden ihre Rechtsgrundlage in den §§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. 59 AufenthG, 38 Abs. 1 AsylG und lassen Fehler zu Lasten des Klägers nicht erkennen.

5.

Die Entscheidung zu dem Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.