Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 10.07.1985, Az.: 9 U 167/84

Voraussetzungen für die Zulassung einer Berufung; Anforderungen an die Darlegung von Zulassungsgründen; Anforderungen an den Ausgleichsanspruch des Haftpflichtversicherers eines Gebäudereinigungsunternehmens gegen den Schädiger

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
10.07.1985
Aktenzeichen
9 U 167/84
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1985, 30701
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1985:0710.9U167.84.0A

Fundstellen

  • NJW-RR 1986, 25-26 (Volltext mit red. LS)
  • VersR 1985, 949-950 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 1985
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 19. Juli 1984 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts H. geändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 18.159,88 nebst 4 % Zinsen seit dem 7. Mai 1984 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Wert der Beschwer: DM 18.159,88.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist der Haftpflichtversicherer des Gebäudereinigungsunternehmens S. GmbH in H.. Sie hat für die Seitz GmbH einen Haftpflicht schaden reguliert. Im April 1982 führte diese Reinigungsarbeiten im Neubau des O.-Versand durch und verwandte hierzu das säurehaltige Zementreinigungsmittel Perflutex STH 600. Die Reinigungsarbeiten wurden zunächst in dem Kantinenraum erfolgreich durchgeführt. Daraufhin entschloß man sich, Perflutex auch für die Beseitigung des Zementgrauschleiers auf den Fliesen in der Küche zu verwenden. Nach Beendigung der Reinigungsarbeiten traten Ätzschäden an den Edelstahlflächen sowohl der Kücheneinrichtung als auch der Verkleidung der Decke auf. Im Verfahren vor dem Landgericht war unstreitig, daß diese auf den Einfluß von Säuredämpfen zurückzuführen sind, die dem Reinigungsmittel entwichen. Für die Regulierung des Schadens ihrer Versicherungsnehmerin hat die Klägerin insgesamt DM 36.409,76 ausgegeben. Die Hälfte dieser Summe verlangt sie von der Beklagten als Mitgesamtschuldnerin.

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Die Firma S. erhielt das Reinigungsmittel Perflutex in Plastikkanistern, die Aufkleber mit dieser Beschriftung enthielten:

"Perflutex STH 600 (flüssig) Zemententferner entfernt gründlich und schnell Kalk, Zement, Rost und Kalkstein von Natur- und Kunststein, Fliesen,-Asphalt, Waschbeton, Sichtbeton, Klinker usw.. STH 600 wird je nach Säurefestigkeit des Steines 1: 4 bis 1: 20 mit Wasser in einem Kunststoffbehälter aufgelöst. Die zu säubernden Stellen werden mit dieser Lösung getränkt und mittels Bürste oder Schrubber gereinigt. Anschließend ist mit reichlich Wasser nachzuspülen. In hartnäckigen Fällen empfiehlt es sich vorher mit Wasser vorzufeuchten und STH 600 unverdünnt aufzutragen. Sobald die Blasenbildung zurückgeht, kann, wie vorerwähnt, weiter verfahren werden.

Polierten Marmor nicht behandeln!

STH 600 ist eine Säure. Aus diesem Grunde sind Augen und Hände entsprechend zu schützen. Gummihandschuhe und Brille tragen. Bespritzte Kleidungsstücke mit Wasser, dem etwas Soda zuzugeben ist, auswaschen.

STH 600 hat sich als Reinigungsmittel für Frei- und Hallenbäder bestens bewährt."

"Gefahrenhinweise: Verursacht Verätzungen, reizt die Atmungsorgane.

Sicherheitsratschläge:

Darf nicht in die Hände von Kindern gelangen. Bei Berührung mit den Augen gründlich mit Wasser abspülen und Arzt konsultieren."

3

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung ist eine Haftung der Beklagten für den eingetretenen Schaden nicht gegeben. Es hat dahinstehen lassen, ob die Beklagte sich insoweit einer Pflichtverletzung schuldig gemacht hat, als sie einen deutlichen Hinweis auf den Aufklebern, mit denen die der Reinigungsfirma Seitz gelieferten Behälter versehen waren, unterlassen hat, daß die von der Flüssigkeit aufsteigenden Säuredämpfe Metalle angreifen können. Das Landgericht neigte zu der Auffassung, daß es des Hinweises nicht bedurfte, da der fragliche Umstand zum Allgemeinwissen eines Durchschnittsbenutzers gehöre. Aus der Beschriftung der Behälter ergebe sich eindeutig daß es sich bei dem Reinigungsmittel um eine Säure handelte. Außerdem sei darauf hingewiesen worden, daß das Reinigungsmittel die Atmungsorgane reize, was nur so verstanden werden könne, daß sich Säuredämpfe entwickelten. Entscheidend für die Klageabweisung war für das Landgericht, daß das Verschulden der Reinigungsfirma an dem Schadens eintritt gegenüber einem ewaigen Verschulden der Beklagten so sehr überwiege, daß das letztere für die Schadensverursachung kaum in Gewicht falle.

4

Dagegen richtet sich die zulässige Berufung der Klägerin. Sie wiederholt ihr Vorbringen erster Instanz und trägt darüber hinaus vor, daß mangels einer ausreichenden Warnung die Beklagte ihre Instruktionspflicht verletzt habe. Die Mitarbeiter der Firma S. hätten das Mittel Perflutex entsprechend den Anweisungen der Beklagten verwendet. Ein unmittelbarer Kontakt zwischen dem Reinigungsmittel und den beschädigten Flächen habe nicht stattgefunden. Die Gefahr einer Korrosion von Metallen oder gar von Edelstahl durch Gasbildung sei in der Warnung aber nicht angesprochen worden. Eine solche Gefahr gehöre nicht zum Allgemeinwissen. Vielmehr gebe es Eisenlegierungen, die gegen alle Arten von Säure widerstandsfähig seien. Die Kenntnis eines Durchschnittsbenutzers dieses Reinigungsmittels umfasse nicht spezielle Kenntnisse in der Chemie. Das gelte insbesondere für die Mitarbeiter einer Gebäudereinigungsfirma.

5

Der Beklagten wurde durch Verfügung des Vorsitzenden des 9. Zivilsenats vom 19. November 1984 eine Frist zur Erwiderung auf die Berufungsbegründung bis zum 11. Februar 1985 gesetzt. Mit ihrer am 3. Mai 1985 eingegangenen Berufungsantwort verteidigt sie das Urteil der ersten Instanz und trägt darüber hinaus u.a. vor: Die Klage sei unschlüssig, da die Beklagte dem O.-Versand in Hamburg niemals schadensersatzpflichtig gewesen sei. Es habe kein Gesamtschuldverhältnis zwischen der Firma Seitz und der Beklagten andererseits gegeben. Aus diesem Grunde habe es auch nicht zu einem Übergang eines möglichen Ersatzanspruchs nach § 67 VVG auf die Klägerin kommen können. Die Beklagte habe ihre Instruktionspflicht nicht verletzt. Den Anforderungen der Instruktionspflicht sei die Beklagte vielmehr voll und ganz nachgekommen. Perflutex sei nur im Fachhandel erhältlich und werde daher nur von Baufachfirmen und Gebäudereinigungsfirmen verwendet. Bei Fachleuten sei ein höheres Maß an Verständnis vorauszusetzen als bei völlig unkundigen Laien. In dem Packungsaufdruck sei unmißverständlich darauf hingewiesen worden, daß es sich um Säure handelt. Daran habe habe sich die Anweisung angeschlossen, aus diesem Grunde Augen und Hände entsprechend zu schützen, Gummihandschuhe und Brille zu tragen, bespritzte Kleidungsstücke mit Wasser, dem etwas Soda zuzugeben ist, auszuwaschen. Vor allem aus dem Hinweis, daß die Atmungsorgane gereizt werden könnten, folge für jeden Verwender des Präparats, daß es auch in gasförmigem Zustand gefährlich sei. Wollte man jedoch annehmen, der Beklagte sei dem O.-Versand zum Schadensersatz verpflichtet gewesen, ergebe jedenfalls die Abwägung im Innenverhältnis, daß wegen weit überwiegenden Verschuldens der Firma S. ein Ausgleichsanspruch nicht bestehe. Im übrigen haben die Parteien nach Maßgabe der gewechselten Schriftsätze verhandelt.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist begründet. Der Klägerin steht aus übergangenem Anspruch der Firma Seitz ein Ausgleichsanspruch gegen die Beklagte gem. §§ 426 Abs. 1 BGB, 67 VVG zu.

7

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Hersteller den Verbraucher durch geeignete Hinweise auf Gefahren bei der Verwendung der hergestellten Sache hinzuweisen (BGHZ 64, 46; BGH NJW 72, 2217). Der Hersteller und seine Repräsentanten müssen für die Unterrichtung der Abnehmer sorgen, soweit sie aufgrund der Eigenschaften der hergestellten Sache damit rechnen müssen, daß bei Benutzung der Sache konkrete Gefahren gegeben sind (BGH NJW 75, 1827). Vor abstrakten Gefahren braucht nicht gewarnt zu werden. Gegenüber konkreten Risiken ist jedoch deutlich und vollständig darauf hinzuweisen, welche Gefahren bestehen und wie die Sache zu verwenden sei, damit sich die Gefahr nicht verwirklicht (BGH NJW 72, 2217). Dabei ist auf den typischen Benutzer des Erzeugnisses und seinem Erfahrungs- und Wissenshorizont abzustellen. Auf Gefahren, welche der Benutzer der hergestellten Sache kennt, braucht nicht hingewiesen zu werden (OLG Koblenz VersR 81, 740).

8

Unter Zugrundelegung dieser Regeln ist der Beklagte seiner Hinweispflicht nicht nachgekommen. In den Aufklebern ist zwar davor gewarnt worden, daß polierter Marmor nicht mit Perflutex behandelt werden soll und daß Augen und Hände zu schützen seien. Ferner ist darauf hingewiesen worden, daß Gummihandschuhe und Brille zu tragen seien. Sodann ist in ihnen die Information enthalten, daß Perflutex Verätzungen verursacht und die Atmungsorgane reizt. Mit diesen einzelnen Warnhinweisen ist jedoch nicht ausgeführt, daß Perflutex in gasförmigem Zustand Edelstahl korrodieren kann. Diese bei der Verwendung des Reinigungsmittels in geschlossenen Gebäuden naheliegende Gefahr ist nicht ausdrücklich angesprochen worden. Allerdings findet sich in den Gefahrenhinweisen der Zusatz, daß Perflutex die Atmungsorgane reizt. Daraus kann geschlossen werden, daß die dem Reinigungsmittel entweichenden Gase chemische Reaktionen am Menschen hervorrufen können. Die Klägerin hat unter Hinweis auf ein einschlägiges Chemielehrbuch dargelegt, daß sich jedenfalls für einen Gymnasiasten der 60er Jahre daraus noch nicht der Hinweis ergab, daß derartige Gase auch bei Edelstahlteile zu Korrosionen führen könnten. Dort wird im Gegenteil die Säureresistenz von Stahlsorten aus Chrom- und Nickellegierungen (und eine solche ist hier unstreitig verwandt worden) erwähnt. Dem ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Sie hat erklärt, sie könne nicht behaupten, daß im Ausbildungsgang des Gebäudereinigungshandwerkers zu diesen Fragen weitergehende Kenntnisse vermittelt würden. Es ist demnach davon auszugehen, daß ein Mitarbeiter einer Gebäudereinigung bei durchschnittlichem Wissensstand nicht damit zu rechnen brauchte, daß etwaige dem Reinigungsmittel entweichende Säuredämpfe die in der Küche eingebauten Edelstahlflächen angreifen würden. Es war deshalb notwendig, auf derartige Gefahren ausdrücklich und deutlich hinzuweisen. Das ist jedoch nicht geschehen.

9

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Prozeßvertreter der Beklagten klargestellt, daß er nicht vortragen könne, daß die Mitarbeiter der Firma S. die korrodierende Wirkung des gasförmig gewordenen Reinigungsmittels genau gekannt hätten. Die Kenntnis von einer allgemeinen Gefährlichkeit, auch die Kenntnis von der Gefahr bei der Berührung zwischen dem flüssigen Reinigungsmittel und Metall reicht aber nicht aus. Eine Schlußfolgerung aus den verschiedenen Gefahrhinweisen in dem Aufkleber auf die Möglichkeit der Korrosionsgefahr bei Verdampfung des Reinigungsmittels Perflutex durch die Mitarbeiter der Firma S. konnte die Beklagte nicht erwarten.

10

Die Behauptung der Beklagten, das Reinigungsmittel sei in zu hoher Konzentration verwendet worden, ist nach ihren eigenen Angaben nicht erheblich. Sie trägt nämlich ausdrücklich vor, hinsichtlich des Schadens durch Verdampfung des Reinigungsmittels komme es auf den Grad der Konzentration nicht an. Soweit die Beklagte in der Berufungserwiderung neu vorträgt, daß zusätzlich zu dem durch das verdampfte Reinigungsmittel angerichteten Schaden auch einige Spritzer des Reinigungsmittels wirksam geworden seien, ist dies als verspätet zurückzuweisen (§§ 520 Abs. 2, 527, 296 Abs. 1 ZPO). Um dieser bestrittenen Behauptung nachzugehen, wäre eine Beweisaufnahme notwendig, welche die Einvernahme von mehreren Zeugen und zumindest die mündliche Anhörung eines Sachverständigen einschließen würde. Das würde das Verfahren erheblich verzögern. Wäre dieser Vortrag innerhalb der Berufungserwiderungsfrist angekündigt worden, hätte der Senat die Beweisaufnahme im Verhandlungstermin durchgeführt. Nach fruchtlosem Fristablauf ist die zur Verfügung stehende Zeit aber durch Maßnahmen in anderen, am selben Tage zu verhandelnden Verfahren so sehr eingeengt worden, daß prozeßleitende Verfügungen in dieser Sache nicht mehr angebracht waren. Da die Beklagte ihre Hinweispflicht verletzt hat, trifft sie auch der Anschein des Verschuldens. Sie hat nichts dargetan, daß den Schluß auf ein fahrlässiges Verhalten widerlegen könnte.

11

Die Beklagte haftete also der Firma O.-Versand wegen verletzter Instruktionspflicht auf Schadensersatz aus Produzentenhaftung. Insoweit war sie Gesamtschuldnerin neben der Versicherungsnehmerin der Klägerin, nämlich der Firma S., die ihrerseits der Firma O.-Versand für die Korrodierung der Edelstahlteile in der Küche einzustehen hatte. Nach ständiger Rechtsprechung sind als Gesamtschuldner alle Beteiligten anzusehen, die den Schaden verantwortlich mitverursacht haben, gleichgültig ob sie aus Vertragsverletzung oder unerlaubter Handlung haften. Das hat die Rechtsprechung zwischen dem auf Schadensersatz haftenden Vertragspartner und dessen nur aus unerlaubter Handlung ersatzpflichtigen Erfüllungsgehilfen bejaht (BGH VersR 69, 737). Überdies hat die Judikatur diesen Grundsatz auf naheliegende Fälle übertragen, wenn es die Aufgabe des Deliktsschuldners war, daß der Vertragsschuldner sich im Vertrag richtig verhielt (so ausdrücklich BGHZ 59, 101 f. [BGH 29.06.1972 - VII ZR 190/71]). Im vorliegenden Fall ist die Interessenlage der Beteiligten die gleiche, da sich die Firma S. zur Erfüllung ihrer Verpflichtung aus dem Reinigungsvertrag eines Produktes der Beklagten bediente und dazu der notwendigen Hinweise auf die Beherrschung einer Gefahrenlage bedurfte.

12

Gemäß § 426 Abs. 1 BGB kann die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der Firma Seitz von der Beklagten grundsätzlich die Hälfte des Schadens verlangen. Auch in analoger Anwendung des § 254 BGB ergibt sich nicht, daß der Anspruch der Klägerin weiter herabgesetzt ist. Vergleicht man die Anteile der Firma S. und der Beklagten an der Verursachung und die relativen Verschuldensgrade, so ergibt sich jedenfalls kein Überwiegen der Verursachung oder des Verschuldens auf Seiten der Firma S.. Vielmehr hat die Beklagte eine Instruktionspflicht verletzt, deren Erfüllung es den Mitarbeitern der Firma S. gerade ermöglichen sollte, ihrer Verpflichtung nachzukommen.

13

Die Zinsforderung ergibt sich aus § 288 BGB. Die Nebenentscheidungen ruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Wert der Beschwer: DM 18.159,88.