Amtsgericht Peine
Beschl. v. 28.12.1999, Az.: 19 UR-II 7/99
Ausschluss von der Belieferung mit Warmwasser und Heizenergie wegen titulierten Wohngeldrückständen; Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts im Wohnungseigentumsrecht; Grundlagen der Verhältnismäßigkeit bei der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts
Bibliographie
- Gericht
- AG Peine
- Datum
- 28.12.1999
- Aktenzeichen
- 19 UR-II 7/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1999, 29720
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGPEINE:1999:1228.19UR.II7.99.0A
Rechtsgrundlagen
- § 16 Abs. 2 WEG
- § 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG
- § 25 Abs. 3 WEG
- § 27 Abs. 2 Nr. 5 WEG
- § 23 Abs. 1 WEG
- § 44 Abs. 3 S. 1 WEG
- § 45 Abs. 3 WEG
- § 273 BGB
In der Wohnungseigentumssache
hat das Amtsgericht Peine - Abteilung für Wohnungseigentumssachen -
am 28.12.1999
durch
den Richter am Amtsgericht Dr. Botur
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Abtrennung ihrer im Hause Luisenstraße 34 b im 2. Obergeschoß (Dachgeschoß) links belegenen und im Aufteilungsplan mit Nr. 22 bezeichneten Wohnung von der Heiz- und Warmwasserversorgung durch Einbau entsprechend zu verplombender und wie er entfernbarer Sperrvorrichtungen im Bereich des gemeinschaftlichen Leitungssystems nach Vorgaben eines Fachunternehmens zu dulden, befristet bis zum Ausgleich von 70 % der durch Beschluß des Amtsgerichts Peine vom 29.01.1999 (19 UR-II 5/98) titulierten Wohngeldforderungen in Höhe von 4.636,59 DEM, im Falle rechtsgeschäftlicher Veräußerung des Wohnungseigentums längstens bis zur Überschreibung auf den Nachfolger, im Falle der Zwangsversteigerung bis zur Erteilung eines Zuschlages an den Ersteher.
- 2.
Der Antragsgegnerin werden die gerichtlichen Kosten des Verfahrens auferlegt. Sie hat auch die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.
- 3.
Der Gegenstandswert wird auf 3.241 DEM festgesetzt.
Gründe
Der zulässige Antrag ist begründet.
Die von der Antragstellerin in zulässiger Prozeßstandschaft (§ 27 Abs. 2 Nr. 5 WEG) vertretene Wohnungseigentümergemeinschaft kann gemäß § 273 BGB die Antragsgegnerin von der Belieferung mit Warmwasser und Heizenergie bis zur teilweisen Erfüllung der titulierten Wohngeldrückstände ausschließen. Die gemäß § 23 Abs. 1 WEG erforderliche und am 26.02.1999 zu TOP 1 der Eigentümerversammlung erfolgte Beschlußfassung der Wohnungseigentümergemeinschaft ist nicht zu beanstanden.
Es liegt ein gegenseitiger Anspruch im Sinne des § 273 BGB vor, denn die Wohnungseigentümergemeinschaft als Gläubigerin der aus § 16 Abs. 2 WEG folgenden Wohngeldverpflichtung schuldet ihrerseits jedem einzelnen Wohnungseigentümer die Belieferung mit Warmwasser und Heizenergie, weil einzelvertragliche Beziehungen zwischen den Versorgungsunternehmen und den einzelnen Wohnungseigentümern insoweit nicht bestehen.
Die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechtes ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich aus dem Schuldverhältnis etwas anderes ergibt. § 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG stellt keine abschließende Spezialregelung für den Fall dar, daß sich ein Wohnungseigentümer mit der Erfüllung seiner Verpflichtung zur Lasten- und Kostentragung im Verzug befindet. Zu Recht wird darauf hingewiesen, daß ein Wohnungseigentümer nicht in der Lage versetzt werden darf, seine Wohnung ohne Wohngeldzahlungen nur deshalb unbegrenzt zeitlich zu nutzen, weil sein Wohnungseigentum in einen solchem Maße mit Grundpfandrechten belastet ist, daß sich hierfür kein Erwerber findet. Es gibt keine gemeinschaftsrechtliche Grundlage dafür, daß ein Wohnungseigentümer unter diesen Voraussetzungen auf unabsehbare Zeit seine Lebenshaltungskosten auf die Wohnungseigentümergemeinschaft abwälzt; bedürftige Wohnungseigentümer zu versorgen, ist grundsätzlich Aufgabe der Sozialverwaltung (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 09.11.1990, NJW-RR 1991, 1118, 1119 [OLG Celle 09.11.1990 - 4 W 211/90]; BayObLG, Beschl. v. 16.01.1992, WuM 1992, 207, 208 [BayObLG 16.01.1992 - 2 BReg Z 162/91]; Palandt-Bassenge, BGB, 58. Aufl., Rdn. 4 zu § 18 WEG).
Indes ist bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedingt zum einen, daß die zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes gestellten Wohngeldrückstände tituliert oder anerkannt sein müssen, was hier in Höhe von 4.636,59 DEM der Fall ist, zum anderen dürfen diese berücksichtigungsfähigen Wohngeldrückstände nicht nur geringfügig sein. Verhältnismäßig ist der Ausschluß eines Wohnungseigentümers von der Versorgung mit Energie nicht bereits dann, wenn die berücksichtigungsfähigen Wohngeldrückstände die Wohnungseigentümergemeinschaft gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG zur Veräußerungsklage berechtigen würden. Die Unterbrechung der Versorgungsleitungen geht regelmäßig mit der Unbenutzbarkeit der Wohnung einher und übt daher ein weitaus größere Zwangsintensität auf den säumigen Wohnungseigentümer aus als die Androhung des Entziehungsverfahrens. Zudem genügt für die Beschlußfassung über die Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes an Warmwasser und Heizenergie - da die erforderlichen Sperrmaßnahmen wegen ihres vorübergehenden Charakters keine baulichen Veränderungen im Sinne von § 22 WEG sind - die einfache Mehrheit einer nach § 25 Abs. 3 WEG beschlußfähigen Versammlung, ohne das hierfür die besonderen Mehrheitserfordernisse des § 18 Abs. 3 Satz 2 WEG oder gar Allstimmigkeit nötig wären. Deshalb erscheint es gerechtfertigt, bei der Bewertung berücksichtigungsfähigen Wohngeldrückstände im Lichte der Verhältnismäßigkeitsprüfung höhere Anforderungen zu stellen. Würden gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG bereits 3 % des Einheitswertes als Maßstab gelten, so würden hier - da ausweislich der beigezogenen Zwangsvollstreckungsakten 7 K 27/97 ein Einheitswert von etwa 35.000,00 DEM vorliegt - bereits Wohngeldrückstände von etwas mehr als 1.000,00 DEM den sofortigen Ausschluß der Antragsgegnerin von der Energieversorgung rechtfertigen. Es erscheint dem Gericht jedoch mindestens erforderlich, daß der berücksichtigungsfähige Wohngeldrückstand einen Jahresbeitrag ausmacht. Doch auch diese Voraussetzung wäre bei einem titulierten Rückstand von 4.636,59 DEM erfüllt, so daß zum jetzigen Zeitpunkt, auch unter Berücksichtigung der von der Antragsgegnerin im Februar 1999 auf die laufenden Wohngeldforderungen geleisteten 1.000,00 DEM, der begehrte Ausschluß von Warmwasser- und Heizenergielieferungen nicht mehr unverhältnismäßig erscheint.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung trägt § 47 WEG. Von einer Anordnung gemäß § 44 Abs. 3 Satz 1 WEG zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat das Gericht abgesehen, da ein dringendes und unabweisbares Bedürfnis zum sofortigen Einschreiten nicht besteht. Grundsätzlich findet gemäß § 45 Abs. 3 WEG die Zwangsvollstreckung nur aus rechtskräftigen Beschlüssen statt. Eine Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit kommt grundsätzlich nur in Wohngeldverfahren in Betracht, bei denen Vermögensverfall des Schuldners zu besorgen ist; insbesondere aber nicht dort, wo die einstweilige Anordnung eine irreversible Vorwegnahme der Hauptsache bedeutet (vgl. Bärmann/Pick/Merle, WEG, 7. Aufl., Rdn. 81 f. zu § 44) und auch nicht ersichtlich ist, daß eine endgültige Regelung zu spät kommen würde.
Streitwertbeschluss:
Der Gegenstandswert wird auf 3.241 DEM festgesetzt.