Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.11.1990, Az.: 4 W 211/90

Folgen eines erheblichen Zahlungsverzuges eines Mitgliedes einer Wohnungseigentumsgemeinschaft; Anspruch auf Veräußerung des Wohneigentums; Pflicht der Wohnungseigentümergemeinschaft, zeitlich unbegrenzt einen Teil der Lebenshaltungskosten für eine anderen Eigentümer zuübernehmen; Anwendbarkeit der Vorschriften des Bürgerlichen Rechts auf Wohnungseigentumsgemeinschaften; Unterbrechung der Versorgungsleitungen wegen erheblicher Zahlungsrückstände eines Mitgliedes einer Wohnungseigentumsgemeinschaft

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
09.11.1990
Aktenzeichen
4 W 211/90
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1990, 15881
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1990:1109.4W211.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 20.06.1990 - AZ: 1 T 31/90

Fundstelle

  • NJW-RR 1991, 1118-1119 (Volltext mit red. LS)

In der Wohnungseigentumssache
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters ... sowie
der Richter ...
und ...
am 9. November 1990
beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluß der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 20. Juni 1990 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert beträgt 5.000 DM.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Antragsgegner bewohnt einen Bungalow, dessen Verkehrswert ungefähr 275.000 DM beträgt, während das Objekt mit Grundpfandrechten in Höhe von 500.000 DM belastet ist.

2

Der Antragsgegner hatte in der Vergangenheit das von ihm geschuldete Wohngeld mehrfach nicht gezahlt, so daß Rückstände von 16.007 DM aufgelaufen waren. Verschiedene Vollstreckungsversuche blieben ohne Erfolg. Im Juni 1988 schlossen die Beteiligten einen Vergleich, durch den die Eigentümergemeinschaft dem Antragsgegner seine Schulden bis auf 10.000 DM erließ, sofern er diesen Betrag bis Ende Juli 1988 ausgleichen würde.

3

In diesem Verfahren ist der Antragsgegner verurteilt worden, weitere Wohngeldrückstände in Höhe von 4.836 DM zu zahlen, die sich auf das Jahr 1988 beziehen.

4

Die Beteiligten zu 1. haben ferner beantragt, das Unterbrechen oder Plombieren der Wasser- und Heizungszuleitungen solange zu gestatten, bis der Antragsgegner weder mit den Zahlungen für die Hausgeldabrechnung noch mit den entsprechenden Vorauszahlungen in Rückstand ist. Wie in diesem Zusammenhang unwidersprochen vorgetragen worden ist (Bl. 105 d.A.), haben die früheren Eigentümerinnen ... und ... ihr Wohneigentum veräußern müssen, weil sie nicht in der Lage waren, ihren infolge des Hausgeldrückstands des Antragsgegners erhöhten Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Eigentümergemeinschaft nachzukommen.

5

Amts- und Landgericht haben den Antrag mangels einer gesetzlichen Grundlage abgelehnt.

6

II.

Die gemäß den §§ 43, 45 WEG, 27 FGG zulässige weitere Beschwerde hat keinen Erfolg. Zwar ist die Begründung des Landgerichts rechtlich nicht zutreffend, die Entscheidung erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig (§§ 27 FGG, 563 ZPO).

7

1.

Den Vorinstanzen ist allerdings darin beizutreten, daß es problematisch erscheint, für das Begehren der Antragsteller eine Rechtsgrundlage zu finden, weil in § 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG bestimmte Folgen eines erheblichen Zahlungsverzuges gesetzlich geregelt sind, und zwar in dem Sinne, daß die Eigentümer unter den zusätzlich in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen die Veräußerung des Wohneigentums verlangen dürfen und deshalb der Schluß naheliegt, es handele sich um eine abschließende gesetzliche und somit der erweiternden Auslegung nicht zugängliche Regelung, zumal zusätzlich § 45 Abs. 3 WEG auf die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach der Zivilprozeßordnung verweist.

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2.

Auf der anderen Seite liegt auf der Hand, daß die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen die Eigentümergemeinschaft in unerträglicher Weise rechtlos stellt. Schließt man sich nämlich der Auffassung an, bei § 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG handele es sich um eine abschließende Spezialregelung, so ist der Wohnungseigentümer, wie Happ (WE 1988, 3) zutreffend hervorhebt, in der Lage, seine Wohnung unbegrenzt zeitlich zu nutzen, ohne Wohngeld zu zahlen, sofern es ihm nur gelingt, sein Eigentum in erheblich höherem Maße mit Grundpfandrechten zu belasten als dies dem Verkehrswert des Objekts entspricht, weil sich in einem derartigen Fall im Zwangsversteigerungsverfahren kein Erwerber finden wird, der ein Gebot abgibt, denn er müßte die vorrangigen Grundpfandrechte als Teil des geringsten Gebots übernehmen (§ 52 ZVG). In diesem Zusammenhang darf auch nicht übersehen werden, daß der säumige Wohnungseigentümer diese Konsequenz - wobei ihm das kaum nachzuweisen sein dürfte - auch selbst herbeiführen kann, indem er zunächst Eigentümergrundschulden bestellt und diese dann an Verwandte abtritt. Unter diesen Umständen vermag der Hinweis des Landgerichts, dem Vermieter sei es ebenfalls nicht gestattet, bei Mietrückständen die Fenster auszuhängen, deshalb nicht zu überzeugen, weil der Gesetzgeber durch die Räumungsklage (§ 554 BGB) dem Vermieter ein wirksames Mittel an die Hand gegeben hat, zumindest das Auflaufen weiterer Schulden für die Zukunft zu verhindern, während nach dem zuvor Gesagten der Eigentümer zeitlich unbegrenzt auf Kosten der Wohnungseigentümergemeinschaft wohnen könnte.

9

3.

Die hier erörterte Problematik ist in der Literatur (Bärmann Pick/Merle, 6. Aufl. 1987, Rdn 2; Weitnauer ..., 7. Aufl. 1988, Rdn 1; Palandt-Bassenge, 49. Aufl. 1990, Rdn 1, RGR-K Augustin, 12. Aufl., 1983, Rdn 2; Röll im MüKo, 2. Aufl. 1986, Rdn 1; Soergel-Stürmer, 12. Aufl. 1989, Rdn 1; Erman-Ganten, 8. Aufl., 1989, Rdn 1, ... zu § 18 WEG) teilweise gesehen worden, Lösungsansätze fehlen indessen. Soweit ersichtlich, gilt das auch für Gerichtsentscheidungen.

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Nach Auffassung des Senats kann § 18 Abs. 1 Nr. 2 WEG deshalb keine abschließende Regelung enthalten, weil es keine gesetzliche Grundlage gibt, die die Wohnungseigentümergemeinschaft verpflichtet, zeitlich unbegrenzt einen Teil der Lebenshaltungskosten für eine anderen Eigentümer zu übernehmen und der Gesetzgeber auch aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nicht berechtigt wäre, anzuordnen, daß ein bestimmter Bürger auf unabsehbare Zeit und in unbegrenzter Höhe finanziell für einen anderen aufkommen muß, für den ihm keine Fürsorgepflichten obliegen, und zwar selbst dann, wenn die auf ihn entfallenden zusätzlichen Belastungen ihn zur Veräußerung seiner eigenen Wohnung zwingen. Diese zuletzt erwähnte Möglichkeit ist auch nicht lediglich theoretischer Natur, weil es eher dem Regelfall entspricht, daß sich Menschen beim Erwerb von Wohnungseigentum bis zur Grenze des ihnen Zumutbaren verschulden und weitere Belastungen in nicht unerheblicher Größenordnung - ganz besonders bei kleineren Eigentümergemeinschaften - zu der Gefahr einer Zwangsveräußerung dann führen, wenn erhebliche Schulden eines anderen Miteigentümers zu übernehmen sind.

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4.

Nach Auffassung des Senats ist es deshalb geboten, § 18 WEG nicht als abschließende Spezialregelung für Zahlungsückstände des Eigentümers anzusehen, sondern auf die Grundsätze des allgemeinen Schuldrechts zurückzugreifen.

12

a)

Danach bestehen im Rahmen des Gemeinschaftsverhältnisses zwischen den Miteigentümern schuldrechtliche Beziehungen. Wenn beispielsweise die Eigentümer, vertreten durch den Verwalter, Öl bestellen, so sind sie schuldrechtlich aus dem Gemeinschaftsverhältnis verpflichtet, zunächst im Wege eines pauschalierten Vorschusses und nach Vorliegen der Jahresabrechnung auf Mark und Pfennig denjenigen Betrag zu zahlen, der unter Berücksichtigung des Verrechnungsschlüssels auf sie entfällt. Unter diesen Umständen ist die Gemeinschaft deshalb berechtigt, gemäß § 273 BGB ein Zurückbehaltungsrecht in Bezug auf die Lieferung weiterer Wärme dann auszuüben, wenn ein Miteigentümer seinen Verpflichtungen zur anteiligen Kostenübernahme nicht nachkommt, weil, wie bereits dargelegt, die Miteigentümer unter keinem denkbaren Gesichtspunkt gehalten sind, für einen anderen Miteigentümer auf Dauer einzuspringen. Ein erheblicher Verzug eines Miteigentümers rechtfertigt unter diesen Umständen seine Ausschließung von zukünftigen Leistungen, die von den anderen Miteigentümern bezahlt werden müßten (bzw. durch Vorschüsse bezahlt worden sind).

13

Unter diesen Umständen läßt es sich auch rechtfertigen, den Ausschluß eines Miteigentümers vom Energiebezug gemäß § 15 Abs. 2 WEG als Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung anzusehen zumal dann, wenn eine Mehrheit von Miteigentümern nicht zahlen sollte, ... eine Energiebelieferung insgesamt nicht mehr gewährleistet wäre.

14

b)

Sofern die Miteigentümergemeinschaft einen anderen Eigentümer vom Bezug von Heizenergie ausschließt, so wird das nur durch konkrete Maßnahmen (Einbau eines Absperrventils) möglich sein. Insoweit würde es sich jedoch nicht um eine bauliche Veränderung handeln, die einstimmig beschlossen werden müßte, weil es sich um eine vorübergehende Maßnahme handelt, die lediglich dazu dient, den Miteigentümer zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen anzuhalten.

15

5.

Wenn die Beschwerde der Eigentümergemeinschaft gleichwohl keinen Erfolg hat, so deshalb, weil es bisher an einem entsprechenden Beschluß der Wohnungseigentümergemeinschaft fehlt, der jedoch gemäß § 23 Abs. 1 WEG zwingend erforderlich ist. Der am 14. November zu TOP 4 gefaßte Beschluß, einen Gerichtsbeschluß darüber einzuholen, ob ein Absperren zulässig ist, reicht nicht aus, denn es hätten Art und Dauer der Maßnahme beschlossen werden müssen. Der Senat ist auch nicht in der Lage, das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen und dem Tatrichter aufzugeben, diese Beschlußfassung zu ermöglichen, weil Entscheidungsgrundlage nur der bisher vorliegende Sachverhalt ist und im übrigen ein derartiger Beschluß gemäß § 43 WEG anfechtbar wäre und das entsprechende Verfahren beim Amtsgericht zu beginnen hätte.

16

6.

Der Senat weist ergänzend daraufhin, daß die Absperrung solcher Leitungen selbstverständlich nicht in Betracht kommt, deren Nutzung auf einem Vertragsverhältnis zwischen dem säumigen Miteigentümer und einem Dritten beruht. Das gilt beispielsweise für die Stromzufuhr, weil davon auszugehen ist, daß zwischen dem Antragsgegner und dem Stromunternehmen ein eigenständiger Vertrag besteht. Unterbrochen werden dürfen deshalb allenfalls Leitungen, die auf der Grundlage eines Rechtsverhältnisses zwischen Wohnungseigentümergemeinschaft - vertreten durch den Verwalter - und einem Dritten genutzt werden.

17

7.

Im übrigen sind die von der Wohnungseigentümergemeinschaft geplanten Maßnahmen nur nach Maßgabe des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt, zumal die Unterbrechung der Versorgungsleitungen häufig mit der Unbenutzbarkeit der Wohnung verbunden sein wird. Geringfügige Zahlungsrückstände rechtfertigen derartige Maßnahmen nicht. Allerdings erscheint es dem Senat angesichts der Vielzahl der möglichen Fallkonstellationen nicht angemessen, Mindestbeträge festzulegen. Die hier unstreitigen Rückstände rechtfertigen jedenfalls die beabsichtigten Maßnahmen.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG.

Streitwertbeschluss:

Der Beschwerdewert beträgt 5.000 DM.