Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 18.12.1997, Az.: 1 U 30/97
Zulässigkeit der Feststellungsklage; Verteilung der Darlegungs- und Beweislast; Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 18.12.1997
- Aktenzeichen
- 1 U 30/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 23944
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1997:1218.1U30.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 823 BGB
- § 847 BGB a.F.
Fundstellen
- KHuR 1998, 32-38
- KHuR 1999, 90-93
- MDR 1998, 907-909 (Volltext mit red. LS)
- OLGReport Gerichtsort 1998, 96-98
- VersR 1999, 191 (red. Leitsatz)
Prozessführer
1. ...,
vertreten durch den Oberstadtdirektor,
2. Frau ... c/o ..., Amt für Krankenhauswesen
Prozessgegner
Kind ...,
vertreten durch seine Mutter ...
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Bei Behandlungs- und Organisationsfehlern, können für den Kausalitätsbeweis jedoch Beweiserleichterungen eingreifen bis hin zur Beweislastumkehr, wenn sich diese Fehler als grob erweisen.
- 2.
Von einem groben Behandlungsfehler kann man dann sprechen, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.
- 3.
Dementsprechend setzt ein grober Organisationsfehler voraus, dass er aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich ist.
- 4.
Die Beweislastumkehr für den gesamten Kausalzusammenhang nicht schon ausgeschlossen, wenn die Alleinverursachung äußerst unwahrscheinlich ist, sondern nur dann, wenn jeglicher Ursachenbeitrag äußerst unwahrscheinlich ist.
In dem Rechtsstreit
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts ...
auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 1997
durch
den Präsidenten des Oberlandesgerichts ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das Urteil des Landgerichts ... vom 27. März 1997 wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten zu 2) wird das vorgenannte Urteil im Kostenpunkt und insoweit abgeändert, als zum Nachteil der Beklagten zu 2) entschieden worden ist.
Die Klage gegen die Beklagte zu 2) wird abgewiesen.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger und die Beklagte zu 1) je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) werden dem Kläger auferlegt; die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt diese selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte zu 1) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 7.500,00 DM und durch die Beklagte zu 2) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,00 DM abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Beklagte zu 1) darf die Vollstreckung durch den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 11.500,00 DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Wert der Beschwer betragen für den Kläger und die Beklagte zu 1) jeweils 200.000,00 DM.
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 200.000,00 DM festgesetzt.
Tatbestand
Am 24.7.1994 begab sich die Mutter des Klägers in der 39. Schwangerschaftswoche, 12 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin, in das Städtische Krankenhaus ... deren Trägerin die Beklagte zu 1) ist. Die Mutter des Klägers hatte seit dem Vorabend gegen 21 Uhr Unterbauchschmerzen und seit 3 Uhr Blutungen.
Um 3.48 Uhr wurde sie in der Gynäkologie aufgenommen. Um 4.10 Uhr untersuchte sie die bei der Beklagten zu 1) angestellte Beklagte zu 2) und stellte fest, daß der äußere Muttermund klaffte und zwei Querfinger (2-3 cm) weit war. Die Blutung aus der Gebärmutter wurde besehen und der Bauch als hart ertastet. Anschließend wurde bei der Ultraschalluntersuchung der Kopfdurchmesser und der Durchmesser des Brustkorbes des Klägers bestimmt. Es wurde gesehen, daß die Plazenta starke Verkalkungen aufwies. Die Frequenzen der festgestellten Herzaktionen des Klägers wurden nicht vermerkt. Nachdem auch der Blutdruck der Mutter mit 140/90 mmHG und bei einer Kontrolle mit 150/95 mmHG gemessen worden war, wurde die Mutter des Klägers aus der Ambulanz auf die Gynäkologiestation gefahren. Dort wurde um 4.28 ein CTG aufgezeichnet, das mit einer um 4.31 Uhr festgestellten Frequenz von 80 bpm und einem starken Oszillationsverlust pathologisch war. Nach weiteren 10 Minuten leitete die Beklagte zu 2) eine Tokolyse, also eine Wehenhemmung ein.
Gegen 5 Uhr wurde die Mutter des Klägers in den Operationssaal zur Durchführung eines Kaiserschnitts gebracht. Um 5.32 Uhr wurde der Kläger geboren. Der Apgar-Score, mit dem der Zustand eines Neugeborenen während der ersten Lebensstunden bewertet wird, wurde mit 0/1/3 bewertet. Ein Wert von 10 ist normal; ein Wert unter 5 lebensgefährlich.
Der Kläger leidet seit seiner Geburt an schwersten Gehirnschädigungen. Sein Gehirn wächst nicht oder nur eingeschränkt weiter. Er leidet auch an einer schweren cerebralen Bewegungsstörung der zentralen Kreislauf- und Atemregulierung. Er zeigt keine Saug- und Schluckreflexe, so daß er über eine Sonde ernährt wird. Es kommt zu Atemstillständen und Fieber. Aufgrund der starken Einschränkung der Atemtätigkeit mußte ein Luftröhrenschnitt durchgeführt werden. Der Kläger ist taub und blind.
Der Kläger hat - gestützt auf ein Gutachten des Sachverständigen Prof. ... - vorgetragen:
Die neurologischen Schäden seien mit großer Wahrscheinlichkeit durch ein intrauterine Hypoxie bedingt, die auf einer vorzeitigen Lösung der Plazenta beruhe. Die Beklagte zu 2) habe die dagegen gebotenen medizinischen Maßnahmen nicht rechtzeitig und nicht in der gebotenen Reihenfolge durchgeführt. So habe sie schon die ersten ärztlichen Maßnahmen verspätet eingeleitet. Darüber hinaus habe sie nach den Angaben der Mutter über die Blutung und nach dem Tasten des harten Uterus nicht zunächst eine gynäkologische Untersuchung durchführen dürfen, sondern hätte die Herzfrequenz des Kindes registrieren müssen. Bei dem stark pathologischen CTG hätte sie dann spätestens nach 3 Minuten versuchen müssen, mit einer Tokolyse eine Verbesserung des fetalen Zustandes herbeizuführen. Die Notsectio hätte nach der Indikationsstellung innerhalb von 20 bis 25 Minuten durchgeführt werden müssen. Diese Verzögerungen, die neben dem fehlerhaften Verhalten der Beklagten zu 2) auf einer mangelhaften Organisation im Krankenhaus der Beklagten zu 2) beruhten, seien für die gesundheitlichen Schäden des Klägers ursächlich.
Da die weitere Entwicklung noch nicht abzusehen sei, beschränke sich der Kläger zunächst auf einen Feststellungsantrag.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus der ärztlichen Behandlung am 24.7.1994 im Städtischen Krankenhaus ... zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben vorgetragen: Ein etwaiges Organisationsverschulden sei weder der Beklagten zu 1) noch der Beklagten zu 2) anzulasten, wobei die Beklagte zu 2) ohnehin keinen Einfluß auf die Organisation im Krankenhaus habe. Auch ein grober Behandlungsfehler liege nicht vor. Jedenfalls sei davon auszugehen, daß der Kläger unabhängig vom Geburtsvorgang bereits schwer hirngeschädigt gewesen sei.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht haben die im Schlichtungsverfahren eingeholten Gutachten des Prof. ... und des Prof. ... sowie ein im Auftrag der AOK ... erstattetes Gutachten des Dr. ... vorgelegen. Nach Auswertung dieser Gutachten hat das Landgericht durch Urteil vom 27.3.1997 der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt:
Der Beklagten zu 2) sei zur Last zu legen, daß sie die Erstuntersuchung der Mutter des Klägers erst 22 Minuten nach deren Aufnahme im Krankenhaus durchgeführt habe. Gründe, warum diese Untersuchung erst so spät vorgenommen worden sei, habe die Beklagte zu 2) nicht vorgebracht. Bei der Erstuntersuchung habe die Beklagte zu 2) dann fehlerhaft zunächst die Erhebung eines gynäkologischen Lokalbefundes und eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt, statt - wie es geboten gewesen wäre - die Herzfrequenz des Klägers zu ermitteln. Ein weiterer Fehler sei der Beklagten zu 2) unterlaufen, indem die Tokolyse erst erfolgt sei, nachdem die Bradykardie 10 Minuten lang beobachtet worden sei. Durch diese Fehler sei eine Verzögerung von fast einer halben Stunde eingetreten. Nach den vorliegenden Gutachten spreche eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Hirnschädigung des Klägers durch die Verzögerung verursacht worden ist. Soweit nicht ausgeschlossen werden könne, daß die Hirnschädigung bereits vor dem Geburtsvorgang eingetreten sei, gingen diese Zweifel angesichts der groben Behandlungsfehler zu Lasten der Beklagten zu 2). Die Beklagte zu 1) müsse sich das Verhalten der Beklagten zu 2) zurechnen lassen. Ihr sei zusätzlich anzulasten, daß die Notsectio nicht, wie es erforderlich gewesen sei, innerhalb von 20 bis 25 Minuten abgeschlossen sei, sondern zwischen der Indikationsstellung zur Notsectio und der Durchführung eine Zeit von "45 bzw. 57" Minuten vergangen sei.
Gegen dieses ihnen am 7.4.1997 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 7.5.1997 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 6.6.1997 begründet.
Die Beklagten machen geltend:
Der Annahme des Landgerichts, die Reihenfolge der von der Beklagten zu 2) durchgeführten Untersuchungsmaßnahmen sei zu beanstanden, werde nicht entgegengetreten. Das Landgericht habe darin jedoch zu Unrecht einen groben Behandlungsfehler gesehen. Ein grober Behandlungsfehler setze nämlich nicht nur den Verstoß gegen bewährte und gesicherte medizinische Erkenntnisse voraus, sondern erfordere daneben ein derartiges Abweichen der Behandlungsweise von dem gebotenen Standard, daß man von einer schlechterdings unverständlichen Vergehensweise sprechen müsse. Ein solcher Sachverhalt sei nicht gegeben. Der Behandlungsfehler stelle sich als anfänglicher Diagnosefehler dar, denn die Beklagte habe eine mögliche Gefährdung des Klägers nicht erkannt.
Auch bei den Umständen der Aufnahme der Mutter des Klägers in das Krankenhaus habe das Landgericht übersehen, daß es sich nicht um eine Notfalleinweisung gehandelt habe. Die Mutter habe locker gewirkt; Anzeichen für einen Akutfall hätten nicht vorgelegen. Nachdem dann das CTG um 4.31 Uhr eine schwere Bradycardie angezeigt habe, sei sofort eine Tokolyse eingeleitet und seien die notwendigen Maßnahmen für die Notsectio ergriffen worden. Es sei zu berücksichtigen, daß sich der Oberarzt sowie eine OP-Schwester nur in Rufbereitschaft befunden hätten und im Städtischen Krankenhaus auch keine Haushebamme beschäftigt sei. Der Kinderarzt sei aus der 15 km entfernten Kinderklinik herbeigerufen worden. Hieraus erkläre sich ein gewisser Zeitablauf, der aber nicht vom gebotenen Standard abweiche.
Selbst wenn man aber annehme, daß ein grober Behandlungsfehler vorliege, sei der Frage der Kausalität noch näher nachzugehen. Bereits am Vorabend gegen 21 Uhr habe die Mutter des Klägers erste Beschwerden gehabt. Es sei davon auszugehen, daß bereits zu diesem Zeitpunkt eine Mangelversorgung des Klägers vorhanden gewesen sei, die bereits vor dem Eintreffen in der Klinik zu einem irreparablen Schaden geführt habe.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Landgerichts ... vom 27. März 1997 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und insbesondere die Bewertung, daß die Beklagten die Schädigungen des Klägers durch grobe Behandlungsfehler verursacht hätten.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das landgerichtliche Urteil verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten zu 1) ist nicht begründet; demgegenüber hat die Berufung der Beklagten zu 2) Erfolg.
1.
Die Feststellungsklage (§ 256 ZPO) ist zulässig. Der Kläger braucht den bereits entstandenen Schaden nicht mit einer Leistungsklage zu verfolgen. Aufgrund der Schwere der gesundheitlichen Schäden des Klägers steht nämlich fest, daß er auf Dauer intensiver medizinischer Betreuung bedarf und somit die Entstehung weiteren Schadens zu erwarten ist. In einem solchen Fall ist der Kläger nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungsklage und eine Feststellungsklage aufzuspalten (vgl. BGH VersR 1991, 788; WM 1991, 1768, 1772 [BGH 06.06.1991 - VII ZR 372/89]; WM 1993, 429, 433 [BGH 17.12.1992 - IX ZR 226/91]) [BGH 17.12.1992 - IX ZR 226/91].
2.
Die Klage gegen die Beklagte zu 1) ist auch begründet, während Ansprüche gegen die Beklagte zu 2) nicht bestehen,
a.
Mit dem Landgericht und auf der Grundlage der vorliegenden Gutachten, mit deren Verwertung die Parteien sich im Verhandlungstermin ausdrücklich einverstanden erklärt haben und die der Senat dementsprechend verwerten kann (vgl. BGH VersR 1993, 899, 900; NJW-RR 1994, 255, 256 [BGH 29.09.1993 - VIII ZR 62/92]; NJW-RR 1994, 567, 568 [BGH 14.12.1993 - VI ZR 221/92]) [BGH 14.12.1993 - VI ZR 221/92], ist davon auszugehen, daß den Beklagten Behandlungsfehler und der Beklagten zu 1) Organisationsfehler vorzuwerfen sind, die zu Verzögerungen beim Geburtsvorgang geführt haben.
aa.
Eine erste unnötige Verzögerung des Geburtsvorgangs liegt darin, daß die Mutter des Klägers, die um 3.48 Uhr in das Krankenhaus aufgenommen worden war, erst ab 4.10 Uhr untersucht wurde. Der Sachverständige Dr. ... (vgl. Gutachten, S. 9 = Bl. 95 d.A.) hat ausgeführt, daß spätestens 15 Minuten nach einer Notfallaufnahme mit Blutung und Schmerzen eine Untersuchung und davon abhängig die Einleitung von Behandlungsmaßnahmen möglich sein muß. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Einer Notfallaufnahme ist immanent, daß schwere gesundheitliche Schäden drohen können und zügige Gegenmaßnahmen erforderlich sein müssen. Deshalb muß gewährleistet sein, daß in angemessener kurzer Zeit ärztliche Maßnahmen ergriffen werden können. Verzögerungen über einen Zeitraum von 15 Minuten hinaus können deshalb nur tolerabel sein, wenn besondere, unvorhergesehene Umstände ein früheres Handeln verhindern. Hierzu haben die Beklagten nichts vorgetragen, so daß zumindest der Beklagten zu 1) eine unnötige Verzögerung von mindestens 7 Minuten vorzuwerfen ist, wenn sie den zu fordernden Standard nicht gewährleistete.
Dem steht auch nicht der Einwand der Beklagten entgegen, es sei nicht von Anfang an erkennbar gewesen, wie dringend ein ärztliches Eingreifen erforderlich gewesen sei. Allein der Umstand, daß sich die Mutter des Klägers nachts um 3.48 Uhr ins Krankenhaus begeben hat und über Blutungen und Schmerzen klagte, mußte für das Krankenhaus ausreichender Anlaß sein, die Aufnahme zumindest zunächst bis zur Prüfung der genauen Umstände als Notfall, und damit als eilig zu behandeln. Daß sich die Mutter, wie die Beklagten vortragen, entspannt und "locker" gegeben haben mag, entband die Bediensteten der Beklagten nicht davon, sich unverzüglich ein Bild von den objektiven Umständen zu machen.
bb.
Eine weitere Verzögerung ist durch die falsche Reihenfolge der von der Beklagten zu 2) ergriffenen Maßnahmen eingetreten.
Hierzu hat der Sachverständige Prof. ... erklärt, als bei der gynäkologischen Untersuchung um 4.10 Uhr eine Blutung und ein harter Uterus festgestellt worden sei, sei es als erstes erforderlich gewesen, sich sofort über das Befinden des Kindes in utero zu informieren, weil das Kind bei einer vorzeitigen Lösung der Plazenta äußerst gefährdet sei. Spätestens 3 Minuten, nachdem die Verlangsamung der Herztöne festgestellt worden seien, hätte versucht werden müssen, mit einer Tokolyse eine Verbesserung des fetalen Zustandes herbeizuführen.
Die Beklagten meinen, die von ihnen zugestanden unrichtige Reihenfolge der ärztlichen Maßnahmen beruhe auf einem Diagnoseirrtum; die Beklagte zu 2) habe die mögliche Gefährdung des Klägers nicht erkannt. Dem ist mit dem Sachverständigen Prof. Dr. ... jedoch nicht zuzustimmen. Er hat darauf hingewiesen, daß die Beklagte zu 2), nachdem sie den Befund notiert habe, daß eine Blutung ex utero bestanden habe und der Bauch hart gewesen sei, als "Diagnose" - wenn auch mit einem Fragezeichen - "vorzeitige Plazentalösung" eingetragen hat (Gutachten vom 6.2.1996, S. 2 = Bl. 33 d.A.). Deshalb hat der Sachverständige auch zu Recht ausdrücklich betont, daß die Diagnose des Verdachtes auf eine vorzeitige Plazentalösung richtig gestellt worden ist (Gutachten vom 31.10.1995, S. 5 = Bl. 12 d.A.). Die Diagnose hätte nun aber dazu führen müssen, daß die Beklagte zu 2) die Herzfrequenz des Klägers überprüfte. Daß dies nicht geschehen ist, ist ein Behandlungsfehler.
Er hat zu einer zeitlichen Verzögerung von 13 Minuten (Gutachten ... vom 6.2.1996, S. 3 = Bl. 34 d.A.) geführt. Der Sachverständige Prof. ... (Gutachten vom 31.10.1995, S. 3 = Bl. 10 d.A.) hat ausgeführt, nach den Symptomen habe das Krankheitsbild nach 5 Minuten erkannt werden müssen, so daß um 4.15 Uhr hätte begonnen werden können, das CTG aufzuzeichnen. Statt dessen ist dies erst um 4.28 Uhr geschehen.
cc.
Eine weitere Verzögerung liegt in der langen Dauer der Schnitt-Operation, die ihren Grund in einer mangelhaften Organisation der Beklagten zu 1) hat.
Nach den eigenen Angaben der Beklagten zu 2) ist die Indikation für die nötige Sectio bereits kurze Zeit nach Anlegen des CTG zusammen mit der Einleitung der Tokolyse gestellt worden (Bl. 31 d.A.). Geht man davon aus, sind danach bis zur Geburt des Kindes ca. 57 Minuten (Gutachten ... vom 6.2.1996, S. 2 = Bl. 33 d.A.) vergangen. Der Sachverständige Prof. ... (Gutachten vom 31.10.1995, S. 5 = Bl. 12 d.A.) hat ebenso wie der Sachverständige Dr. ... (Gutachten, S. 10 = Bl. 96 d.A.) hierzu ausgeführt, daß ein Krankenhaus, das sich an der Notversorgung von Patienten beteilige, sicherstellen müsse, daß eine Notsectio innerhalb von 20 bis 25 Minuten erfolgen könne.
Bedenken gegen diese Beurteilung bestehen nicht. Soweit die Beklagten die benötigte Zeit von nahezu einer Stunde als dem "Standard" entsprechend ansehen, wird diese Auffassung im Grunde bereits durch die eigene Darstellung der Abläufe widerlegt. Schon der Sachverständige Prof. ... hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Schilderung der Beklagten zu 2) in ihrer Stellungnahme im Schlichtungsverfahren auf eine unzureichende personelle Ausstattung hindeutet, wenn sie berichtet, daß sie ganz auf sich allein gestellt Diagnose, Therapie und Organisation der weiteren Maßnahmen habe durchfuhren müssen. Durch die Darstellung in der Berufungsbegründung wird dieser Eindruck bekräftigt. Ein Krankenhaus, das sich an der Notversorgung beteiligt, ist für einen solchen Notfall nur gerüstet, wenn auch ein einsatzfähiges Operationsteam zur Verfügung steht. Für eine bloße Rufbereitschaft gibt es außer der Bequemlichkeit für das Personal keinen erkennbaren Grund; sie ist deshalb jedenfalls in diesen Fällen nicht tolerabel, wenn sie für einen nicht unbeachtlichen Zeitraum statt zu einer Notversorgung zu einer "Nichtversorgung" führt. Kein vernünftiger Grund ist auch dafür ersichtlich, daß erst mit dem Eintreffen des Oberarztes der OP alarmiert wird und damit erst in einer zweiten Welle von Maßnahmen - nach einer Verzögerung von 15 Minuten -, in Rufbereitschaft befindliches Personal herbeigerufen wird. Es besteht kein Hindernis, unmittelbar nach der Entscheidung zur Notsectio, sämtliches benötigtes Personal eiligst in Kenntnis zu setzen.
b.
Ob die Verzögerungen im Krankenhaus der Beklagten zu 1) die schweren gesundheitlichen Schäden bei dem Kläger herbeigeführt haben, steht nicht fest. Nach den übereinstimmenden Beurteilungen der Sachverständigen läßt sich nur feststellen - und hiervon gehen übereinstimmend auch die Parteien aus -, daß die neurologischen Schäden des Kindes durch eine Hypoxie infolge der vorzeitigen Lösung der Plazenta verursacht worden sind. Wann die Hypoxie eingesetzt hat, konnten die Sachverständigen jedoch nicht angeben. Auch die entscheidende Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Maße die Schäden durch die von den Beklagten zu verantwortenden Verzögerungen herbeigeführt sind, konnten die Sachverständigen nicht beantworten.
Der Sachverständige Prof. ... dazu aus (Gutachten vom 31.10.1995, S. 7 = Bl. 14 d.A.):
"Wann die hypoxische Phase begonnen hat, ist nicht exakt zu terminieren. Die Patientin hat angegeben, bereits seit 3 Uhr geblutet zu haben. Man muß davon ausgehen, daß spätestens zu diesem Zeitpunkt die vorzeitige Lösung der Plazenta begonnen hat. Die Lösung kann auch schon davor angefangen haben und die Blutung nach außen kann später eingetreten sein. Ob die Lösung der Plazenta zu diesem oder einem anderen Zeitpunkt bereits so weit fortgeschritten war, daß die Austauschfläche der Plazenta dadurch so eingeschränkt war, daß eine Sauerstoffmangelversorgung des Kindes stattgefunden hat, kann nicht gesagt werden. Es ist aber anzunehmen, daß schon vor der Aufnahme in der Klinik die Plazenta nicht ausreichend funktioniert hat. Denn das CTG war von der ersten Sekunde seiner Registrierung so hoch pathologisch, daß man davon ausgehen kann, daß bereits vor dem Beginn des CTG die Herzfrequenz nicht normal war."
Der Sachverständige Prof. Dr. ... hat bestätigt, daß "der schwere und ausgedehnte Hirnuntergang auf einem Sauerstoffmangel direkt vor, während und direkt nach der Geburt zurückzuführen ist." Zur Ursächlichkeit hat er ausgeführt (Gutachten S. 10 f. = Bl. 70R, 71 d.A.):
"Der pädiatrische Gutachter kann ... bestätigen, daß die sehr lange E-E-Zeit, also die Zeit von der ersten Diagnose einer schweren intrauterischen Versorgungsstörung bis hin zur Geburt des schwerst aspyktischen Kindes mitentscheidend geworden ist für die hypoxisch/ischämische Hirnschädigung dieses Kindes."
und weiter:
"Es ist zumindest wahrscheinlich, daß die lange Hypoxiephase von der Diagnose der Intrauterinhypoxie bis zur Entwicklung des Kindes erheblich zu dem hier vorliegenden Hirnschaden beigetragen hat. Es ist keinesfalls nur eine »entfernte Möglichkeit« ..., daß sogar der wesentliche Anteil dieses Hirnschadens während dieser langen E-E-Zeit entstanden ist. Es bleibt allerdings unsicher und muß offen bleiben, inwieweit das Gehirn dieses Kindes bereits geschädigt war, weil am Aufnahmetag der Patientin um 4.28 Uhr das CTG bereits eine »schwere Bradykardie der kindlichen Herztöne« zeigte."
Auch der Sachverständige ... schließlich hat dargelegt, daß bereits zu einem Zeitpunkt vor der Aufnahme eine Sauerstoffmangelversorgung des Foeten bestanden haben könne, deren genaues Ausmaß jedoch nicht abschätzbar sei.
Die Ausführungen sämtlicher Sachverständiger ergeben nach allem übereinstimmend, daß der Kausalverlauf und insbesondere der Anteil der Verzögerungen daran nicht genau festgestellt ist, dieser mit den gegebenen wissenschaftlichen Möglichkeiten aber auch nicht weiter aufgeklärt werden kann. Den Gutachten ist aber auch zu entnehmen, daß die Verzögerungen in dem konkreten Ausmaß - und zwar zusammengenommen, aber auch einzeln betrachtet in bezug auf die drei aufgetretenen Behandlungs- und Organisationsfehler - geeignet sind, die bei dem Kläger hervorgetretene Schaden zu verursachen.
c.
Entscheidend kommt es mithin darauf an, wer die Beweislast für die Frage der Ursächlichkeit der ärztlichen Fehler trifft.
Dabei ist von dem Grundsatz auszugehen, daß der Kläger als Anspruchsteller die Anspruchsvoraussetzungen darzulegen und zu beweisen hat. Bei Behandlungs- und Organisationsfehlern, wie sie hier vorliegen, können für den Kausalitätsbeweis jedoch Beweiserleichterungen eingreifen bis hin zur Beweislastumkehr, wenn sich diese Fehler als grob erweisen (BGH NJW 1994, 1594, 1595 [BGH 01.02.1994 - VI ZR 65/93]; NJW 1994, 1596, 1597 [BGH 14.12.1993 - VI ZR 67/93]; VersR 1997, 362, 363) [BGH 01.10.1996 - VI ZR 10/96]. Von einem groben Behandlungsfehler kann man dann sprechen, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH VersR 1996, 1148, 1150) [BGH 11.06.1996 - VI ZR 172/95]. Entsprechend setzt ein grober Organisationsfehler voraus, daß er aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich ist (BGH VersR 1994, 562, 563) [BGH 01.02.1994 - VI ZR 65/93].
aa.
Ein grober Organisationsfehler ist der Beklagten zu 1) jedenfalls insoweit anzulasten, als die zeitliche Verzögerung bei der Notsectio ca. 22 Minuten gegenüber dem Standard von 25 Minuten betrug und damit die Einleitung der Operation nahezu doppelt solange dauerte. Hinzu kommt, daß die Gründe, die zu dieser Verzögerung geführt haben und die unter 2.a.cc. näher beschrieben sind, aufzeigen, daß die Beklagte zu 1) die Interessen des Krankenhauspersonals, beim Notdienst nicht übermäßig beansprucht zu werden, mit den Interessen der Patienten, in Notfällen unverzüglich behandelt zu werden, nicht in verantwortungsvoller Weise abgewogen und damit die Risiken konkret auch des Klägers leichtfertig erhöht hat.
Ist somit ein grober Organisationsfehlers zu bejahen, führt dies bereits zur Beweislastumkehr und damit zu einer Haftung der Beklagten zu 1) für die Schädigungen des Klägers. Dies gilt aber erst recht, wenn man zusätzlich noch die Verzögerung bei der Aufnahme und die falsche Reihenfolge der Untersuchungen mit berücksichtigt. Denn unabhängig davon, ob diese Verzögerungen für sich gesehen auf einem groben Fehler beruhen, können sie jedenfalls bei einer Gesamtbewertung des Verhaltens der Beklagten zu 1) nicht außer Betracht bleiben. Die schwerwiegende, auf einem groben Organisationsfehler beruhende Verzögerung bei der Einleitung der Geburt bekommt nämlich ein noch größeres Gewicht dadurch, daß schon zuvor durch fahrlässiges und der Beklagten zu 1) zurechenbares Verhalten nicht unerhebliche Verzögerungen aufgetreten waren.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt, daß die Beweislastumkehr ausnahmsweise ausgeschlossen sein kann, wenn es gänzlich unwahrscheinlich ist, daß der Fehler zum Schadenseintritt beigetragen hat (BGH NJW 1995, 1611, 1612; VersR 1997, 362, 363) [BGH 01.10.1996 - VI ZR 10/96]. Dazu reicht nämlich nicht schon aus, daß die bereits um 4.28 Uhr festgestellte schwere Bradykardie für eine hohe Wahrscheinlichkeit spricht, daß es auch ohne die Verzögerungen zu gesundheitlichen Schäden des Klägers gekommen wäre. Denn zum Ausschluß der Beweislastumkehr für den gesamten Kausalzusammenhang kommt es nicht schon, wenn die Alleinverursachung äußerst unwahrscheinlich ist, sondern nur dann, wenn jeglicher Ursachenbeitrag äußerst unwahrscheinlich ist (BGH VersR 1997, 362, 363) [BGH 01.10.1996 - VI ZR 10/96]. Dies ist aber nach den übereinstimmenden Gutachten, die von einer Mitursächlichkeit der Behandlungs- und Organisationsfehler ausgehen, gerade nicht der Fall.
bb.
Ist die Beklagte zu 1) mithin zum Schadensersatz verpflichtet, gilt dies jedoch nicht für die Beklagte zu 2), weil in bezug auf sie nach Auffassung des Senats eine Umkehr der Beweislast nicht gerechtfertigt ist.
Die verspätete Einleitung der Notsectio beruht auf einem Organisationsfehler, der der Beklagten zu 2) nicht anzulasten ist, weil sie auf die Organisation keinen Einfluß hatte.
Bei der Verzögerung bei der Aufnahme der Mutter des Klägers steht nicht fest, aus welchen Gründen es zu einer Verzögerung gekommen ist, ob diese insbesondere in einer der Beklagten zu 2) vorwerfbaren Nachlässigkeit zu suchen ist oder nicht auch wieder nur auf einer unzureichenden Organisation der Beklagten zu 1) beruht.
Soweit sich die Beklagte zu 2) bei der richtig getroffenen Diagnose des Verdachtes auf eine vorzeitige Plazentalösung sofort über das Befinden in utero hätte informieren müssen, ist zu berücksichtigen, daß die Beklagte zu 2) die Mutter des Klägers nicht kannte und sich so mit völlig neuen Informationen konfrontiert sah. Die Beklagte zu 2) stand damit vor der Situation, binnen kürzester Zeit die notwendigen Informationen erfragen und filtern zu müssen und darauf aufbauend die gebotenen ärztlichen Maßnahmen zu treffen. Wenn ihr in einer solchen schwierigen, dem ärztlichen Können alles abverlangenden Lage ein Fehler unterlaufen ist, kann eben schon aus der Situation heraus nicht gesagt werden kann, daß dieser Fehler "aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich" ist. Hinzu kommt, daß auch die Verzögerung von 13 Minuten dem ärztlichen Fehlverhalten nicht das Gewicht gibt, das es gerechtfertigt erscheinen lassen könnte, von einem groben Behandlungsfehler zu sprechen.
Da es gegenüber der Beklagten zu 2) mithin bei dem allgemeinen Grundsatz bleiben muß, daß der Anspruchsteller die Voraussetzungen seines Anspruches beweisen muß, und dem Kläger der Kausalitätsbeweis insoweit nicht gelungen ist, war die Klage gegen die Beklagte zu 2) abzuweisen.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Nebenentscheidungen im übrigen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO, §§ 12, 25 GKG.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 200.000,00 DM festgesetzt.