Landgericht Göttingen
Beschl. v. 22.10.2008, Az.: 1 Qs 125/08

Aktenlage; Anhaltspunkte; Auslagen; Auslagenüberbürdung; Auslegung; Auslegungsfähigkeit; Begründung; Betrugsvorwurf; Freispruch; Gesetzessystematik; Hauptverhandlung; Kosten des Verfahrens; Kostenentscheidung; Kostenfestsetzung; Kostenfestsetzungsantrag; Kostengrundentscheidung; Kostentitel; Kostenüberbürdung; notwendige Auslagen; obligatorische Auslagenüberbürdung; obligatorische Kostenüberbürdung; Rechtsmittelbelehrung; Verteidiger

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
22.10.2008
Aktenzeichen
1 Qs 125/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 55056
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 18.12.2007 - AZ: XX

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Frage, wer die bei freisprechendem Urteil die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat, wenn der Tenor des Urteils lediglich lautet, dass "auf Kosten der Landeskasse" freigesprochen wird.

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde wird verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der früheren Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse auferlegt.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht Duderstadt hat die frühere Angeklagte mit am 28. Dezember 2007 rechtskräftig gewordenem Urteil vom 18. Dezember 2007 vom Vorwurf des Betruges „auf Kosten der Landeskasse“ freigesprochen.

2

Durch Beschluss vom 20. März 2008 hat das Amtsgericht Duderstadt auf den Antrag des Verteidigers der früheren Angeklagten vom 2. Januar 2008 einen Betrag in Höhe von 696,91 EUR gemäß § 11 RVG festgesetzt. Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2008 hat der Verteidiger der früheren Angeklagten seinen Antrag vom 2. Januar 2008 auf Festsetzung seiner Gebühren nach § 11 RVG zurückgenommen und einen Antrag auf Kostenfestsetzung „gem. §§ 464 b, 467 StPO“ in Höhe von 696,91 € gestellt.

3

Entgegen der Stellungnahme der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Göttingen, aber auf Anregung des erkennenden Richters hat die Kostenbeamtin des Amtsgerichts Duderstadt auf den vorgenannten Antrag des Verteidigers der früheren Angeklagten mit Beschluss vom 26. August 2008 die der früheren Angeklagten von der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 560,06 € festgesetzt. Gegen diesen ihr am 28. August 2008 zugestellten Beschluss wendet sich die Bezirksrevisorin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom selben Tage, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückweisung des Kostenfestsetzungsantrages vom 4. Juni 2008 erstrebt.

4

Der Verteidiger der früheren Angeklagten hat keine Stellungnahme zu der sofortigen Beschwerde der Bezirksrevisorin abgegeben.

II.

5

Die sofortige Beschwerde ist zwar gemäß § 464b Satz 3 StPO in Verbindung mit §§ 104 Abs. 3 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG statthaft und auch sonst zulässig; sie ist jedoch nicht begründet. Die Festsetzung der aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen der früheren Angeklagten ist fehlerfrei erfolgt, weil die frühere Angeklagte diese Auslagenerstattung verlangen konnte. Eine entsprechende Kosten- und Auslagengrundentscheidung und damit ein Kostentitel ist in dem freisprechenden Urteil des Amtsgerichts Duderstadt vom 18. Dezember 2007 zu sehen.

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1. Die Kammer leitet die Grundentscheidung über die notwendigen Auslagen der früheren Angeklagten im Wege der Auslegung aus dem Tenor des amtsgerichtlichen Urteils („auf Kosten der Landeskasse“) her. Allerdings ist diese Auslegung nicht unumstritten:

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a) Die wohl überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum hält eine solche Auslegung für nicht zulässig, weil das Gesetz in § 464 Abs. 1 und Abs. 2 StPO zwischen den Kosten des Verfahrens und den notwendigen Auslagen unterscheide und in Bezug auf beide Positionen eine ausdrückliche Entscheidung verlange ( vgl. nur beispielhaft aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung: OLG Rostock, Beschluss vom 1. März 2007 - I WS 413/06 -; Landgericht Kaiserslautern, Beschluss vom 10. Januar 2005 - 8 Qs 1/05 -, beide Entscheidungen zitiert nach juris; 9. große Strafkammer des Landgerichts Göttingen, Beschluss vom 4. Januar 2007 - 9 Qs 28/06 -; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 464 Rn. 12 und § 467 Rn. 20 ).

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b) Demgegenüber hält ein Teil der Rechtsprechung einen derartigen wie den vorliegenden Urteilstenor der Auslegung in der Weise für zugänglich, dass die bzw. der frühere Angeklagte umfassend von allen finanziellen Belastungen, mithin auch von ihren bzw. seinen eigenen notwendigen Auslagen freigestellt werden solle ( vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 20. Juni 2002 - 1 Ws 252/02 -, zitiert nach juris; OLG Naumburg, NStZ-RR 2001, 189 f. [OLG Naumburg 17.01.2001 - 1 Ws 13/01] ).Dies gelte jedenfalls dann, wenn es sich - wie im Falle der Formulierung „auf Kosten der Landeskasse“ im Gegensatz zu der Formulierung „Die Kosten trägt die Staatskasse“ - zweifelsfrei um einen Fall obligatorischer Kostenüberbürdung nach § 467 Abs. 1 StPO handele und keine Anhaltspunkte für das Vorliegen der Ausnahmetatbestände im Sinne des § 467 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 StPO vorlägen ( vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 20. Juni 2002 - 1 Ws 252/02 -, Rn. 6 und 7, zitiert nach juris ).

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2. Die Kammer schließt sich der zweiten Auffassung aus folgenden Gründen an:

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a) Soweit die herrschende Meinung ihre Auffassung darauf stützt, dass sie den Vorzug der Klarheit für sich habe und es nicht der Rechtspflegerin bzw. dem Rechtspfleger überlasse, in dem dafür nicht vorgesehenen und auch nicht ausgestalteten Kostenfestsetzungsverfahren anhand der Akten und namentlich des Urteilsinhalts prüfen und entscheiden zu müssen, ob ein „zweifelsfreier“ Fall der obligatorischen Kosten- und Auslagenüberbürdung oder ob einer der Ausnahmefälle des § 467 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 StPO vorliege, hält die Kammer dieses Argument für nicht durchgreifend. Zutreffend ist zwar, dass das Kostenfestsetzungsverfahren nicht darauf angelegt ist, eine Kostengrundentscheidung des erkennenden Gerichts eigenständig auszulegen. Indes besteht bei Unklarheiten immer die Möglichkeit, mithilfe einer dienstlichen Äußerung des erkennenden Richters oder eines Vermerks desselben eine authentische Stellungnahme dazu zu erhalten, wie die Kostenentscheidung auszulegen ist und welche Entscheidung bezüglich der Auslagen das erkennende Gericht angestrebt hat.

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Auch wenn - wie im vorliegenden Fall - das freisprechende Urteil häufig abgekürzt ist und nur sehr knappe Entscheidungsgründe enthält, bleibt eine Auslegung aufgrund des Akteninhalts und einer Stellungnahme des erkennenden Richters zu der Frage, ob bezüglich der Auslagen eine Entscheidung nach § 467 Abs. 1 StPO oder aber nach § 467 Abs. 2 Satz oder Abs. 3 StPO getroffen werden sollte, jederzeit möglich.

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b) Zudem ist die Vorschrift des § 467 StPO dergestalt aufgebaut, dass § 467 Abs. 1 StPO als Regel vorsieht, dass die notwendigen Auslagen der/des freigesprochenen Angeklagten der Landeskasse zur Last fallen, während § 467 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 StPO von diesem Grundsatz Ausnahmen machen ( vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 20. Juni 2002 - 1 Ws 252/02 -, Rn. 6, zitiert nach juris; Meyer-Goßner, StPO, § 467, Rn. 1[“Grundsatz (I)“] und Rn. 3[“zwingende Ausnahmen (II, III S 1, V)“] ).

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Liegen dementsprechend keine Anhaltspunkte für die Annahme eines Ausnahmefalles nach § 467 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 StPO vor - der besonders zu begründen ist ( vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 467 Rn. 20 a.E. ) - kann aus der Formulierung „auf Kosten der Landeskasse“ ohne Weiteres darauf geschlossen werden, dass der Regelfall des § 467 Abs. 1 StPO vorliegt und damit auch die notwendigen Auslagen der bzw. des Angeklagten von der Landeskasse getragen werden sollen.

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Aus § 464 Abs. 1 und Abs. 2 StPO, der zwischen den Kosten des Verfahrens einerseits und den notwendigen Auslagen der bzw. des Angeklagten andererseits unterscheidet, lässt sich insoweit nichts herleiten, weil die Vorschrift sich nicht dazu verhält, wie zu entscheiden ist, wenn eben nicht ausdrücklich und in der gewünschten Deutlichkeit über die notwendigen Auslagen der bzw. des Angeklagten befunden worden ist. Dass bei Fehlen einer insoweit eindeutigen Entscheidung nicht die gesetzliche Folge des Regelfalls des § 467 Abs. 1 StPO eintreten, sondern die in § 467 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 StPO gesetzlich normierte und - wenn ausdrücklich angeordnet - besonders zu begründende Ausnahme, dass die notwendigen Auslagen von der bzw. dem Angeklagten zu tragen sind, gelten soll, findet jedenfalls in der Gesetzessystematik keine Stütze.

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3. Die Kammer hält deshalb im Anschluss an die Entscheidungen der Oberlandesgerichte Oldenburg und Naumburg die Kostengrundentscheidung des Amtsgerichts Duderstadt aus dem Urteil vom 18. Dezember 2007 für grundsätzlich auslegungsfähig.

16

Die Auslegung führt im konkreten Fall dazu, dass nach dem Willen des erkennenden Gerichts die der früheren Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt werden sollten. Dies ergibt sich in einer Gesamtschau aus Folgendem:

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a) Nach Aktenlage bestehen schon keine Anhaltspunkte für das Vorliegen der Ausnahmetatbestände des § 467 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 StPO: Das erkennende Gericht hat in der Hauptverhandlung keine Rechtsmittelbelehrung im Hinblick auf die Kostenentscheidung erteilt, was aber erforderlich gewesen wäre, wenn es eine Auslagenentscheidung nach § 467 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 StPO hätte treffen wollen. Auch in den - wenn auch knappen - Entscheidungsgründen wird mit keinem Wort die Kostenentscheidung näher begründet, sondern allein auf § 467 StPO verwiesen. Im Falle einer Ausnahmeentscheidung nach § 467 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 StPO hätte es allerdings einer Begründung bedurft.

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Hinzu kommt, dass sich der erkennende Richter im Kostenfestsetzungsverfahren von Anfang an für eine Auslagenerstattung seitens der Landeskasse ausgesprochen hat. Dies spricht ganz entscheidend dafür, dass er bereits mit seiner Kostengrundentscheidung auch die notwendigen Auslagen der früheren Angeklagten der Landeskasse auferlegen wollte.

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b) Dies alles zusammengenommen, hält es die Kammer für formalistisch, sich im Anschluss an die herrschende Meinung auf den Standpunkt zurückzuziehen, dass die Kostengrundentscheidung in Fällen wie diesen nicht auslegungsfähig sei. Bei einer Gesamtbetrachtung ergibt sich eindeutig, dass das erkennende Gericht auch die notwendigen Auslagen der früheren Angeklagten der Landeskasse überbürden wollte. Daher, aber auch weil es letztlich unverständlich und unbillig wäre, der früheren Angeklagten ohne ihr Verschulden wegen einer nicht eindeutig formulierten Kostenentscheidung ihre notwendigen Auslagen aufzuerlegen, hat das Amtsgericht Duderstadt zu Recht die Kostengrundentscheidung aus dem Urteil vom 18. Dezember 2007 zur Grundlage seines Kostenfestsetzungsbeschlusses gemacht.

20

Demnach war die sofortige Beschwerde der Bezirksrevisorin als unbegründet zu verwerfen.

III.

21

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO.

22

Diese Entscheidung ist nicht weiter anfechtbar, § 310 Abs. 2 StPO.