Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 03.03.2021, Az.: 1 VAs 3/21
Befugnisse der Staatsanwaltschaft zur Übermittlung personenbezogener Daten aus Strafverfahren ans Sozialamt; Datenübermittlung nach § 474 StPO
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 03.03.2021
- Aktenzeichen
- 1 VAs 3/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 41729
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 23 EGGVG
- § 26 EGGVG
- § 474 StPO
- § 480 Abs. 3 StPO
Redaktioneller Leitsatz
1. Die Erteilung von Auskünften aus Strafverfahren an öffentliche Stellen richtet sich nach § 474 StPO.
2. Die Staatsanwaltschaft hat keine Anspruchsgrundlage für die Übermittlung von personenbezogenen Daten aus einem Strafverfahren an das Sozialamt.
Tenor:
Die Verfügung der Staatsanwaltschaft Osnabrück vom 21. Dezember 2020, dem Sozialamt der Stadt BB Akteneinsicht zu gewähren, wird aufgehoben.
Die im Verfahren über den Antrag nach § 23 EGGVG entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Der Geschäftswert wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Osnabrück hatte gegen den Verurteilten ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges und Urkundenfälschung im Zusammenhang mit dem Verkauf von Pferden und Ponys geführt und gegen ihn Anklage vor dem Amtsgericht Nordhorn erhoben. Das gerichtliche Verfahren war durch das seit dem 5. Juni 2020 rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Nordhorn vom 28. Mai 2020 (6 Ds 36/20) abgeschlossen worden, durch das nach teilweiser Verfahrenseinstellung eine Bewährungsstrafe verhängt worden war.
Bereits mit Schreiben vom 25. Juni 2020 hatte das Sozialamt der Stadt BB um "Amtshilfe gem. § 3 SGB X in einer Leistungsangelegenheit" betreffend den Verurteilten und dessen Ehefrau CC gebeten. Diese hätten in der Vergangenheit einen Handel mit Pferden und Ponys betrieben, worüber dort nur handschriftliche Aufzeichnungen vorlägen. Es werde gebeten, die bei der Staatsanwaltschaft vorhandenen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die einen Nachweis über den tatsächlichen Einkauf und Verkauf enthielten.
Nachdem der Verurteilte dem mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 20. Juli 2020 unter Hinweis auf ein fehlendes berechtigtes Interesse entgegengetreten war, hatte das Sozialamt der Stadt BB seinen Antrag mit Schreiben vom 1. September 2020 dahingehend weiter begründet, dass die Eheleute (...) Leistungen nach dem SGB XII erhielten und daher verpflichtet seien, sämtliche Einkünfte darzulegen. Nach den vorliegenden handschriftlichen Aufzeichnungen seien bei dem Handel mit Pferden und Ponys keine Einkünfte erzielt worden, und es sei nicht ersichtlich, welche Geschäfte getätigt worden seien. Da davon ausgegangen werden müsse, dass das Ehepaar (...) Leistungen erhalten habe, die ihnen nicht zugestanden hätten, könne anhand entsprechender Unterlagen festgestellt werden, ob eine Überzahlung von Leistungen erfolgt sei.
Nachdem der Verteidiger des Verurteilten dem mit Schriftsatz vom 24. September 2020 unter Hinweis darauf, dass die Voraussetzungen des § 474 StPO nicht vorlägen, wiederum entgegengetreten war, hatte die Staatsanwaltschaft Osnabrück die Sache dem Amtsgericht Nordhorn zur Entscheidung vorgelegt. Den sodann unter dem 9. November 2020 ergangenen, die Versagung von Akteneinsicht ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts Nordhorn hatte das Landgericht Osnabrück auf die Beschwerde des Verurteilten mit Beschluss vom 4. Dezember 2020 aufgehoben, weil eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Nordhorn nicht gegeben sei.
Nunmehr hat die Staatsanwaltschaft Osnabrück am 21. Dezember 2020 verfügt, dass die Erteilung von Akteneinsicht an die Stadt BB beabsichtigt sei. Gegen diese Entscheidung, die seinem Verteidiger am 23. Dezember 2020 zugestellt worden ist, wendet sich der Verurteilte mit seinem durch seinen Verteidiger am 21. Januar 2021 beim Oberlandesgericht angebrachten Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Die Gewährung von Akteneinsicht sei nicht im Sinne von § 474 Abs. 2 Nr. 1 StPO erforderlich, weil er zur Rückzahlung des durch die Straftaten Erlangten verpflichtet sei und das dadurch erzielte Einkommen im sozialrechtlichen Sinne (§ 82 SGB XII) zur Verfügung stehe. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Antrag entgegengetreten. Zwar sei dem Verurteilten beizupflichten, dass das aus den ausgeurteilten Taten Erlangte kein Einkommen im sozialrechtlichen Sinne darstelle. Indessen ergäbe sich aus der durchgeführten Beschuldigtenvernehmung und den in einem Beweismittelordner befindlichen Verträgen der Hinweis auf weitere Verkäufe seitens des Verurteilten. Da die Erteilung von Auskünften einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde, lägen auch die Voraussetzungen für die Gewährung von Akteneinsicht nach § 474 Abs. 3 StPO vor.
II.
1.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.
Die Subsidiaritätsklausel des § 23 Abs. 3 EGGVG steht nicht entgegen, da ein Fall des § 480 Abs. 3 StPO nicht gegeben ist. Die Gewährung von Auskünften bzw. die Erteilung von Akteneinsicht nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss durch die Staatsanwaltschaft an Justizbehörden und andere öffentliche Stellen ist nicht in § 475, sondern in § 474 StPO geregelt. Die Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG ist gewahrt.
2.
Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
Die Erteilung von Auskünften aus Akten an andere öffentliche Stellen als Justizbehörden richtet sich nach § 474 Abs. 2 StPO. Dabei stehen vorliegend weder die Geltendmachung von Ansprüchen im Zusammenhang mit den den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildenden Straftaten - die vorliegende Untersuchung betrifft allein den Betrug zum Nachteil der Erwerber der Pferde und Ponys, nicht einen etwaigen Sozialhilfebetrug - gemäß § 474 Abs. 2 Nr. 1 StPO noch die Vorbereitung von Maßnahmen, nach deren Erlass die Übermittlung personenbezogener Daten aus Strafverfahren zulässig wäre gemäß § 474 Abs. 2 Nr. 3 StPO (hierunter fallen etwa die in § 14 Abs. 1 Nr. 5. und 7. EGGVG bezeichneten behördliche Erlaubnisse und Berechtigungen) in Rede. Vielmehr kommt allein eine Übermittlung nach § 474 Abs. 2 Nr. 2 StPO in Betracht. Erforderlich ist dafür, dass der öffentlichen Stelle auf Grund einer besonderen Vorschrift von Amts wegen personenbezogene Daten aus Strafverfahren übermittelt werden dürfen.
Gesetzliche Regelungen zur Übermittlung personenbezogener Daten finden sich insbesondere in §§ 12 ff. EGGVG. Da die Voraussetzungen für eine Datenübermittlung in den in §§ 14 bis 17 EGGVG ausdrücklich bezeichneten Fällen nicht vorliegen, wäre eine Datenübermittlung seitens der Staatsanwaltschaft an das Sozialamt nur dann zulässig, wenn eine besondere Rechtsvorschrift dies vorsehen würde (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 EGGVG). Das ist nicht der Fall.
Insbesondere ist auch den Vorschriften der Sozialgesetzbücher eine Rechtsgrundlage für ein derartiges Auskunftsersuchen und eine damit korrespondierende Übermittlungspflicht der Staatsanwaltschaft nicht zu entnehmen (vgl. ausführlich BayObLG, Beschluss v. 27.01.2021, 1 VA 37/20, bei juris Rz. 39). Dies gilt speziell für die wegen des Bezuges von Leistungen nach dem SGB XII in Betracht kommende Vorschrift des § 118 SGB XII. § 118 Abs. 4 SGB XII, der ausdrücklich der Datenübermittlung zur Vermeidung rechtswidriger Inanspruchnahme von Sozialhilfe dient, verpflichtet allein andere Stellen der Verwaltung des Trägers der Sozialhilfe, ihre wirtschaftlichen Unternehmen und die Kreise, Kreisverwaltungsbehörden und Gemeinden, nicht aber die Justizbehörden (vgl. auch BayObLG, a.a.O. Rz. 50 f.).
Da die Entscheidung, ob Auskünfte aus dem vorliegenden Verfahren nach den § 474 Abs. 2 StPO zu versagen oder zu erteilen sind, - anders als die Entscheidung, anstelle der Auskunftserteilung gemäß § 474 Abs. 3 StPO Akteneinsicht zu gewähren - nicht lediglich im pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft steht (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss v. 21.04.2016, III-1 VAs 100/15, bei juris Rz. 44), war eine Rückgabe zu neuer Entscheidung der Sache unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats nicht veranlasst. Vielmehr war die Verfügung der Staatsanwaltschaft Osnabrück vom 21. Dezember 2020 ohne Weiteres aufzuheben (§ 28 Abs. 1 EGGVG).
3.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Gerichtsgebühren entstehen nur bei Zurücknahme oder Zurückweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung (Teil 1 Hauptabschnitt 5 Abschnitt 3 des Kostenverzeichnisses zum GNotKG), nicht aber bei Erfolg des Antrags. Die Auslagenentscheidung folgt aus § 30 Satz 1 EGGVG. Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.