Amtsgericht Bad Iburg
Beschl. v. 14.01.2022, Az.: 5 F 458/21 EASO

Übertragung der alleinigen Befugnis auf den Kindesvater zur Entscheidung über die Impfung seiner Söhne gegen das Corona Virus SARS-CoV-2

Bibliographie

Gericht
AG Bad Iburg
Datum
14.01.2022
Aktenzeichen
5 F 458/21 EASO
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 68212
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In der Kindschaftssache
betreffend die elterliche Sorge für XXX und XXX
Beteiligte:
1. XXX
geboren 2007
2.XXX,
geboren 2009
beide wohnhaft XXX
3. Rechtsanwältin XXX
- Verfahrensbeistand -
4. XXX
- Antragstellerin -
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin XXX
5. XXX
- Antragsgegner -
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt XXX
6. Jugendamt
hat das Amtsgericht - Familiengericht - Bad Iburg durch die Richterin am Amtsgericht XXX am 14.01.2022 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Im Wege der einstweiligen Anordnung wird dem Kindesvater die Entscheidung über die Zustimmung zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 für die Kinder XXX, geboren 2007, und XXX, geboren 2009, mit der Maßgabe übertragen, dass die COVID-19-Impfung mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty (BioNTech/Pfizer) zu erfolgen hat. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

  2. 2.

    Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, Auslagen werden nicht erstattet.

  3. 3.

    Der Verfahrenswert wird auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind geschiedene Eheleute. Sie üben das Sorgerecht für die gemeinsamen Söhne XXX und XXX gemeinsam aus, nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht wurde der Kindesmutter durch Beschluss des Amtsgerichts Bad Iburg vom 23.01.2014 allein übertragen.

Sie streiten nunmehr über das Recht der Gesundheitssorge, insbesondere ob ihre gemeinsamen Söhne gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 geimpft werden soll. In der mündlichen Verhandlung am 20.10.2021 schlossen die Kindeseltern im hiesigen Verfahren einen Zwischenvergleich dahingehend, dass sie sich diesbezüglich an die Empfehlung der behandelnden Kinderärztin halten werden. Die Kindesmutter hat sich jedoch gegen die Empfehlung der Kinderärztin, die Kinder impfen zu lassen, gestellt und lehnt nunmehr eine Impfung der Söhne gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 ab. Der Kindesvater befürwortet dagegen die Impfung der gemeinsamen Söhne, insbesondere von XXX, der an Asthma leidet.

Beide Eltern haben beantragt, im Wege einer Eilentscheidung ihnen die Gesundheitssorge für die beiden Söhne allein zu übertragen. Der Kindesvater hat zudem hilfsweise den Antrag gestellt, ihm die alleinige Befugnis zur Entscheidung über die Impfung seiner Söhne gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 zu übertragen.

Die Kindesmutter behauptet, dass die Söhne eine Impfung ablehnen. Sie ist der Ansicht, dass diese Entscheidung zu respektieren und damit ausschlaggebend sei, da die Söhne selbst voll entscheidungsfähig seien. Die Entscheidung sei im Übrigen auch richtig, da die Nebenwirkungen einer Impfung noch nicht hinreichend erforscht seien, das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs bei Kindern hingegen vergleichsweise gering sei. Die STIKO habe lediglich eine Empfehlung für Kinder von 12-17 Jahre ausgesprochen, eine Impfpflicht gebe es schließlich nicht.

Das Gericht hat die Kinder XXX und XXX am 20.10.2021 im Beisein der Verfahrensbeiständin persönlich angehört. XXX hat in diesem Rahmen angegeben, bereits einmal geimpft worden zu sein. Sein Vater habe ihm das geraten und alles erklärt. Nach der Impfung habe aber seine Mutter mit ihm gesprochen. Sie habe alles aufgeschrieben, was passieren könne, und sei das mit ihm durchgegangen. Nunmehr lehne er eine Impfung ab. Argumente für oder gegen eine Impfung konnte er auf Nachfrage nicht benennen. XXX gab an, noch nicht zu wissen, ob er sich impfen lassen möchte. Wenn die Kinderärztin dies rate, sei das für ihn ok.

Die Verfahrensbeiständin und die Vertreterin des Jugendamtes haben sich bezüglich der Entscheidung über die Zustimmung zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 dafür ausgesprochen, einen Ergänzungspfleger zu bestellen, um den Kindesvater durch die Bestellung einer neutralen Person vor der Durchsetzung der Impfung zu bewahren. Zu akzeptieren sei es aber auch, wenn der Kindesvater die Aufgabe selbst übernehmen möchte.

II.

Dem Hilfsantrag des Kindesvaters auf alleinige Übertragung der Entscheidung über die Zustimmung zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 für die Kinder XXX und XXX war gemäß § 1628 Satz 1 und 2 BGB stattzugeben.

Das Gericht verweist insoweit auf die Entscheidung des OLG Frankfurt, vom 17.08.2021, Az. 6 UF 120/21:

1)

Gemäß § 49 Abs. 1 FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach dem für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Angesichts des Umstandes, dass die mitsorgeberechtigten Eltern kein Einvernehmen in der Frage der Entscheidung über die Zustimmung zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 getroffen haben, besteht ein Regelungsbedürfnis.

Auch die in der Vorschrift vorausgesetzte Dringlichkeit des Regelungsbedürfnisses ist hier gegeben. Es liegt insbesondere dann vor, wenn ein Zuwarten bis zur Entscheidung in einer etwaigen Hauptsache nicht ohne Eintritt erheblicher Nachteile möglich wäre (BT-Drs. 16/6308, 199; OLG Brandenburg, ZKJ 2010, 251). Angesichts der Omikron-Infektionswelle in Deutschland besteht unzweifelhaft ein dringendes Bedürfnis zur Klärung der Entscheidungskompetenz über die Frage der Corona-Schutzimpfung. Ein Zuwarten auf eine Hauptsacheentscheidung beinhaltet das Risiko, dass sich die Kinder XXX und XXX zwischenzeitlich mit dem Corona-Virus infizieren und möglicherweise schwer erkranken. Zudem besteht die Gefahr, dass aufgrund des derzeitigen besorgniserregenden Anstiegs der Infektionszahlen die Freiheitsrechte der ungeimpften Kinder wieder eingeschränkt werden. Insoweit ist eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz auch dann vor diesem Hintergrund zu treffen, wenn sie faktisch zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führt. Dies gilt umso mehr, als nach der vorhandenen Erkenntnislage mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein wird, dass auch ein Hauptsacheverfahren zu einer dahingehenden Regelung führen würde (vgl. OLG Frankfurt ZKJ 2016, 361 [OLG Frankfurt am Main 21.07.2016 - 5 UF 206/16]).

Eine Entscheidung nach § 1628 Satz 1 BGB ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Kinder nach § 630d BGB für den medizinischen Eingriff bereits einwilligungsfähig im Verhältnis zu der ärztlichen Impfperson sein könnten. Denn selbst bei einer Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen betrifft § 630d BGB lediglich die Einwilligungsfrage in die tatsächliche ärztliche Behandlung und nicht die rechtliche Vertragsbeziehung des der Behandlung zugrundeliegenden Vertrages zwischen dem Minderjährigen bzw. seinen Eltern und dem handelnden bzw. impfenden Arzt (vgl. BeckOK-BGB/Veit, 01.11.2019, § 1626 Rn. 44). Auch das Gericht teilt die wohl überwiegend vertretene Ansicht, dass es bei einem nicht geringfügigen medizinischen Eingriff - wie der noch nicht als Standard-Impfung geltenden Impfung gegen das Corona-Virus - es zur Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten auch der Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern im Wege eines sog. Co-Konsens bedarf (OLG Frankfurt FamRZ 2020, 336; Lettmaier ZKJ 2020, 85, 86; vgl. auch BGH NJW 1972, 335 [BGH 16.11.1971 - VI ZR 76/70]).

2)

Die Befugnis zur alleinigen Entscheidung über die Impfung der gemeinsamen Kinder gegen das Corona Virus SARS-2 war dem Kindesvater zur alleinigen Ausübung zu übertragen. Nach § 1628 Satz 1 BGB kann das Familiengericht, wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Gemäß Satz 2 der Vorschrift können mit der Übertragung Auflagen und Weisungen verbunden werden.

Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen ist generell eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1628 Satz 1 BGB (BGH, FamRZ 2017, 1057; OLG Frankfurt, FamRZ 2021, 853; Staudinger/Lettmaier, BGB, 2020, § 1628 BGB Rn. 50).

Die aufgrund § 1628 BGB zu treffende Entscheidung des Familiengerichts richtet sich gemäß § 1697a BGB nach dem Kindeswohl. Die Entscheidungskompetenz ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird (OLG Brandenburg FF 2018, 512; Palandt/Götz § 1628 BGB Rn. 8). Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt (BGH FamRZ 2017, 1057).

Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Schutzimpfungen nach § 1628 S. 1 BGB auf einen Elternteil kann grundsätzlich nach inzwischen gesicherter Rechtsprechung darauf abgestellt werden, dass die Entscheidungsbefugnis grundsätzlich demjenigen Elternteil zu übertragen ist, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch Institut befürwortet, soweit bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen (BGH FamRZ 2017, 1057; OLG Frankfurt FamRZ 2021, 853; NZFam 2016, 125). Die Impfempfehlungen der beim Robert Koch Institut angesiedelten Ständigen Impfkommission (STIKO) sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als medizinischer Standard anerkannt worden und dem liegt der Gedanke zugrunde, dass bei einer Impfempfehlung nach der dortigen sachverständigen Einschätzung der Nutzen der jeweiligen Impfung das Impfrisiko überwiegt (BGH FamRZ 2000, 809, 811). Es handelt sich dabei um die Feststellung einer auf Sachverständigenerkenntnissen hierfür eingesetzten Expertenkommission, deren Richtigkeit nicht ohne weiteres anzuzweifeln ist.

Nunmehr besteht eine Empfehlung der STIKO für eine COVID-19 Impfung mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty als Indikationsimpfung für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren, unabhängig davon ob sie aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19 Erkrankung haben. Tatsachen, die die Annahme von besonderen Impfrisiken bei den Kindern rechtfertigen, sind weder vorgetragen, noch ersichtlich.

Richtig ist, dass ungeachtet dessen im Rahmen der nach § 1697a BGB vorzunehmenden Kindeswohlprüfung auch der Kindeswille nicht unbeachtet bleiben kann. Dies gilt jedoch nur dann, wenn das Kind sich im Hinblick auf sein Alter und seine Entwicklung auch eine eigenständige Meinung zum Gegenstand des Sorgerechtsstreits bilden kann (vgl. Staudinger/Lettmaier § 1628 BGB Rn. 74). XXX hat angekündigt, sich an die Empfehlung der Kinderärztin zu halten, wenn sie die Impfung empfiehlt. Er hatte sich insoweit mit dem Thema auseinandergesetzt, dass er für sich klar hatte, dass er sich auf die Meinung der Ärzte verlässt. Bezüglich XXX ist das Gericht davon überzeugt, dass er aufgrund des massiven, auf Angsterzeugung abzielende Verhaltens der Kindesmutter nicht im Stande ist, sich eine eigene Meinung über den Nutzen und die Risiken der Corona Schutzimpfung zu bilden. Argumente für oder gegen eine Impfung konnte er nicht benennen. Bei der Anhörung hinterließ er keinen reifen und reflektierten, sondern vielmehr einen verängstigten, erstarrten Eindruck. Der Kinderwille steht somit einer Entscheidung, die Befugnis für die Impfung auf den impfbefürwortenden Vater zu übertragen, nicht entgegen.

Beide Kinder haben angegeben, dass die Impfung von XXX erfolgt sei, nachdem "Papa ihm alles erklärt habe". Dies zeugt hinsichtlich der Impffrage von einer besseren Kommunikationsfähigkeit und damit - aufgrund des zudem besseren Konzepts des Vaters - von einer besseren Entscheidungskompetenz des Kindesvaters bei der streitgegenständlichen Entscheidung. Das Verhalten der Kindesmutter, XXX nach erfolgter Impfung mit der Angst vor Impfschäden einzuschüchtern und sich später allen Beteiligten gegenüber im Rahmen des Zwischenvergleichs dafür auszusprechen, sich an die Empfehlung der Kinderärztin zu halten, sich dann aber im Beisein der Kinder bei der Kinderärztin gegen deren Empfehlung zu stellen, ist für alle Beteiligten schwer nachzuvollziehen, insbesondere für die Kinder verstörend, und lässt die Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter zumindest bezüglich der Impfung fraglich erscheinen.

Es ist nicht erforderlich, auch dem Kindesvater die elterliche Sorge bezüglich der Impffrage zu entziehen und einen Ergänzungspfleger zu bestellen, da - wie oben ausgeführt - keine Gründe gegen seine Erziehungsfähigkeit diesbezüglich sprechen.

Nach alledem war dem Kindesvater die alleinige Entscheidungsbefugnis für die Impfung der Kinder gegen das Corona Virus vorläufig zu übertragen. Im Übrigen waren die Anträge abzulehnen. Eine Eilbedürftigkeit anderer Gesundheitsfragen ist weder vorgetragen noch ersichtlich.