Amtsgericht Bad Iburg
Urt. v. 28.04.2022, Az.: 4 C 384/21 (9)

Bibliographie

Gericht
AG Bad Iburg
Datum
28.04.2022
Aktenzeichen
4 C 384/21 (9)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 65631
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Rechtsstreit
1. XXXX, XXXX, XXXX
2. XXXX, XXXX, XXXX
Kläger
Prozessbevollmächtigte zu 1, 2: XXXX
gegen
XXXX
Beklagte
Prozessbevollmächtigte: XXXX
hat das Amtsgericht Bad Iburg auf die mündliche Verhandlung vom 07.04.2022 durch die Richterin XXXX für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, das Grundstück der Kläger abseits der öffentlichen, asphaltierten Bewegung zu betreten.

  2. 2.

    Der Beklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 200 € gegen sie festgesetzt wird.

  3. 3.

    Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 446,49 € zu zahlen.

  4. 4.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  5. 5.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleitung in Höhe von 3300 Euro vorläufig vollstreckbar.

    Der Streitwert wird auf 3000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über das Vorliegen eines Wegerechtes zwischen ihren Grundstücken in der XXXX.

Die Kläger sind seit 2006 Eigentümer des baulastfreien Grundstücks in der XXXX, dass auch ein Waldstück beinhaltet durch das ein öffentlicher Weg führt. Der Waldweg ist der Öffentlichkeit gewidmet und seine öffentliche Nutzung ist ausdrücklich gestattet. Die Beklagte ist Eigentümerin des Grundstücks in der XXXX, das eine gemeinsame Grundstücksgrenze mit dem Grundstück der Kläger hat. Die Beklagte selbst wohnt in XXXX, besitzt aber eine Ferienwohnung in der XXXX. Im südwestlichen Teil des Grundstücks der Beklagten befindet sich ein Tor, das in den Wald der Kläger führt. Von dort bis zum öffentlichen Weg sind es etwa 8 m, die durch das im Eigentum der Kläger stehende Waldstück führen. Die Beklagte nutzte das Tor wiederholt, um mit ihrem Hund im Wald spazieren zu gehen und auf den öffentlichen Waldweg zu gelangen, was die Kläger duldeten. Der Waldweg ist auch über eine entsprechend ausgewiesene Fläche von Seiten der XXXX auskommend zu erreichen.

Bezüglich der Nutzung des streitgegenständlichen Tores liegt ein Vertragsentwurf aus dem Jahr 1959 zwischen den vorherigen Eigentümern vor. Hierin wurde unter anderem auch dem Rechtsvorgänger der Kläger gestattet eine Abwasserleitung über das Grundstück des Rechtsvorgängers der Beklagten zu legen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertragsentwurf (Bl. 66 f. der Gerichtsakte) Bezug genommen. Die Abwasserleitung wurde von den Klägern nie genutzt, da sie eine eigene Abwasserleitung anlegen ließen. Die im Vertragsmuster vorgesehene Nutzungsgebühr zahlten die Kläger ebenfalls nicht an die Beklagte.

Mit Schreiben vom 28.10.2020 informierten die Kläger die Beklagte darüber, dass sie den Wald aufforsten möchten und baten in diesem Rahmen ihre Nachbarn darum, das Waldstück mit Beginn des Monats Dezember 2020 ausschließlich über den öffentlichen Weg zu durchqueren. Die Beklagte widersprach einem Betretungsverbot mit Schreiben vom 10.11.2020 mit der Begründung, dass das Betreten des betroffenen Waldstücks notwendig sei, um den öffentlichen Weg zu erreichen und die Kläger das Durchschreiten durch die Beklagte in der Vergangenheit stillschweigend geduldet hätten. Wie im Oktober angekündigt, forsteten die Kläger ihr Waldstück auf, wobei sie auch 3 Buchen mit 3 Metern Abstand zum Grundstück der Beklagten pflanzten. Die Kläger forderten die Beklagte mit anwaltlichen Schreiben vom 4.5.2021 und vom 10.6.2021 nochmals dazu auf, das Betreten des Waldstückes abseits der öffentlichen Bewegung zu unterlassen. Mit Schreiben vom 10.6.2021 forderten sie die Beklagte überdies auf, eine entsprechende Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Die Beklagte widersprach diesem Vorgehen. In der Folge erhoben die Kläger am 02.03.2021 Klage, die der Beklagten am 15.09.2021 zugestellt wurde.

Mit Genehmigung der zuständigen Forstbehörde errichteten die Kläger am 14.12.2021 entlang der nordöstlichen Bebauungsgrenze einen Zaun auf ihrem Waldgrundstück, der der Beklagten den Weg durch ihr Tor über das streitgegenständliche Waldstück der Kläger zur öffentlichen Bewegung abschneiden soll.

Die Kläger haben die Sache mit Schriftsatz vom 4.10.2021 sowie nochmals mit Schriftsatz vom 21.12.2021 für erledigt erklärt. Die Beklagte hat den Erledigungserklärungen widersprochen und weiterhin beantragt, die Klage abzuweisen. Im Zuge der mündlichen Verhandlung vom 07.04.2022 hat der Klägervertreter erklärt, dass die Kläger an der Erledigungserklärung nicht festhalten.

Die Kläger beantragen,

  1. 1.

    die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, das Grundstück der Kläger abseits der öffentlichen, asphaltierten Bewegung zu betreten.

  2. 2.

    Der Beklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 200 € gegen sie festgesetzt wird.

  3. 3.

    Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 446,49 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die richterlichen Hinweise vom 12.8.2021 und 29.10.2021 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.04.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig.

Die vorherige Durchführung eines obligatorischen Streitschlichtungsverfahren nach § 15a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGZPO in Verbindung mit § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 NSchG war vorliegend nicht erforderlich, da kein Fall einer Streitigkeit aus dem Nachbarrecht im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 NSchG besteht. Danach findet ein obligatorisches Streitschlichtungsverfahren bei Streitigkeiten über Ansprüche wegen der in § 906 BGB genannten Einwirkungen und der im niedersächsischen Nachbarrechtsgesetz geregelten Nachbarrechte statt. Vorliegend begehren die Kläger von der Beklagten die Unterlassung des Betretens des streitgegenständlichen Waldgrundstücks, was sich nach § 1004 BGB richtet. Die Parteien streiten darüber, ob und in wieweit ein Wegerecht der Beklagten durch das streitgegenständliche Waldstück besteht. Die Ausgestaltung von Wegerechten fällt weder unter § 906 BGB noch unter die im niedersächsischen Nachbarrechtsgesetz geregelten Nachbarrechte. § 906 BGB umfasst die Zuführung unwägbarer Stoffe, die von einem Grundstück auf ein anderes übergehen und damit grenzüberschreitend sind. Eine Regelung zur Ausgestaltung von Wegerechten ist in § 906 BGB nicht vorgesehen. Auch das niedersächsische Nachbarrechtsgesetz enthält keine Regelungen zu Wegerechten.

Soweit die Beklagte für ihre Auffassung, dass ein außergerichtliches Streitschlichtungsverfahren notwendig sei Entscheidungen des Landgerichts Bückeburg und des Oberlandesgerichts Köln anführt, waren diese Entscheidungen mit dem vorliegenden Fall nicht zu vergleichen und führten im Ergebnis zu keiner anderen Entscheidung des erkennenden Gerichts. Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass auch ein Anspruch aus § 1004 BGB nachbarrechtliche Ansprüche betreffen kann. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall. Eine Rechtsstreitigkeit über Ansprüche wegen im Nachbarrechtsgesetz geregelter Rechte ist gegeben, wenn dieses Gesetz Regelungen enthält, die für den Interessenkonflikt der Nachbarn im konkreten Fall von Bedeutung sind (OLG Köln, Beschl. v. 18.01.2006, Az.: 2 U 113/05). Das Nachbarrecht ergibt sich in Bezug auf das Bundesrecht aus §§ 906 ff. BGB und in Bezug auf das Landesrecht aus den landesrechtlichen Nachbargesetzen. Nur in den hiernach gegebenen Rahmen findet ein obligatorisches Schlichtungsverfahren im Sinne des § 15a EGZPO statt (BGH, Urt. vom 22.10.2004, Az.: V ZR 47/04). Die Entscheidung des OLG Köln erfasste ein Lichtrecht, dass in §§ 4-6 Nachbargesetz NRW geregelt wird (OLG Köln, Beschl. v. 18.01.2006, Az.: 2 U 113/05). Die Entscheidung des LG Bückeburg behandelte eine Bepflanzung an der Grundstücksgrenze, bei der die Gefahr herabstürzende Äste auf das Grundstück des Nachbarn bestand (LG Bückeburg, Urt. v. 07.11.2012, Az.: 1 S 40/12), so dass hier eine vergleichbare Interessenlage zum Nachbarrecht bestand, da Einwirkungen von einem Grundstück auf das andere Grundstück zu befürchten waren. Dies war vorliegend gerade nicht der Fall. Die Parteien streiten darüber, ob und inwieweit ein vertragliches Wegerecht begründet wurde, bzw. ob und inwieweit durch die Duldung der Kläger ein Wegerecht der Beklagten entstanden ist. Hierbei handelt es sich gerade nicht um originär nachbarrechtliche Fragestellungen, sondern um die Frage vertraglicher bzw. gewohnheitsrechtlicher Ansprüche.

II.

Die Klage ist auch begründet.

1. Den Klägern steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung des Betretens ihres Grundstücks abseits der öffentlichen, asphaltierten Bewegung aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB zu. Danach kann der Eigentümer für den Fall, dass sein Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt wird, vom Störer die Unterlassung künftiger Beeinträchtigung verlangen, soweit der Eigentümer nicht zur Duldung verpflichtet ist.

Die Beklagte beeinträchtigte als Störerin das im Eigentum der Kläger stehende Grundstück dadurch, dass sie es regelmäßig ohne Einwilligung der Kläger betrat. Das Betreten eines Grundstücks stellt eine tatsächliche Beeinträchtigung des Eigentums dar (Herrler, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Aufl., § 1004, Rn. 8). Nach § 903 BGB kann der Eigentümer einer Sache mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen, worunter auch das Betreten eines Grundstücks zu fassen ist.

Die Beeinträchtigung erfolgt auch rechtswidrig, da eine Duldungspflicht der Kläger nach § 1004 Abs. 2 BGB nicht bestand.

Es bestand keine Duldungspflicht aus einer vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien. Zwischen den Parteien selbst bestand unstreitig keine vertragliche Vereinbarung über die Einräumung eines Wegerechtes. Ein entsprechendes Wegerecht war auch nicht im Grundbuch eingetragen. Soweit sich die Beklagte unter Vorlage eines Vertragsentwurfs aus dem Jahr 1959 darauf beruft, dass der Voreigentümer des klägerischen Grundstücks dem Voreigentümer ihres Grundstücks eine Erlaubnis zum Betreten des streitgegenständlichen Waldgrundstückes erteilt hat, bindet dies den Rechtsnachfolger grundsätzlich nicht (m. w. N. BGH, Urt. v. 24.04.2014, Az.: V ZR 138/14). Auch die Tatsache, dass die Kläger eine Kopie des Vertragsmusters besitzen, spricht nicht für eine Schuldübernahme. Allein aus der Tatsache, dass der Käufer das Vertragsmuster bei Kaufvertragsabschluss kannte, lässt sich nicht auf eine konkludente Schuldübernahme schließen (vgl. hierzu: BGH, Urt. v. 16.05.2014, Az.: V ZR 181/13). Dies wird auch dadurch bestätigt, dass die Beklagte entgegen § 3 des Vertragsentwurfs niemals irgendeine Nutzungsgebühr von den Klägern erhalten hat und die Kläger unstreitig die über das Grundstück der Beklagten verlaufenden Abwasserrohre auch nie nutzten. Im Übrigen ist das Schreiben der Kläger vom 28.10.2020, mit dem sie der Beklagten ein Betreten des Grundstückes ab Dezember 2020 untersagten, als Kündigung eines möglichen Vertrages über ein Wegerecht anzusehen. Ein unentgeltlicher Gestattungsvertrag ist jederzeit kündbar (Herrler, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Aufl., § 1004, Rn. 36). Auch wenn die Kündigung darin nicht ausdrücklich erklärte wurde, war für die Beklagte nach dem Schreiben vom 28.10.2020 klar, dass ab Dezember 2020 das Betreten des klägerischen Grundstücks nicht weiter geduldet werden würde.

Eine Duldungspflicht bestand auch nicht aus Gewohnheitsrecht. In einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn kann ein Wegerecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch außerhalb des Grundbuchs nur aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung oder als Notwegerecht unter den Voraussetzungen des § 917 BGB entstehen (BGH, Urt. vom 24.1.2020, AZ.: V ZR 155/18). Ein Notwegerecht nach § 917 BGB kann lediglich dann eingeräumt werden, wenn einem Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Auch dies war vorliegend unstreitig nicht der Fall, da der öffentliche Waldweg auch über einen öffentlichen Zuweg über die XXXX erreichbar ist.

Die für den Anspruch erforderliche Wiederholungsgefahr nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB liegt ebenfalls vor. Bei der Wiederholungsgefahr handelt es sich um die auf Tatsachen gegründete objektive und ernstliche Besorgnis weiterer Störungen, wobei maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen ebendieser der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist. In der Regel begründet die vorangegangene rechtswidrige Beeinträchtigung eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr, an deren Widerlegung durch den Störer hohe Anforderungen zu stellen sind (Herrler, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Aufl., § 1004, Rn. 32). Die Beklagte als Störerin konnte die tatsächliche Vermutung für weitere rechtswidrige Beeinträchtigungen des Eigentums der Kläger nicht widerlegen. Soweit die Kläger einen Zaun aufgestellt haben, der der Beklagten den Weg durch das streitgegenständliche Waldstück zur öffentlichen Bewegung abschneidet, führt dies allein nicht dazu, dass die Kläger weitere Beeinträchtigungen nicht zu erwarten haben. Auf Ihre Mitteilung hin, dass der Rechtsstreit für erledigt erklärt werden könnte, ließ sich die Beklagte nicht ein und gab auch nicht die von den Klägern gewünschte Unterlassungserklärung ab. Vielmehr gestaltete sich der Rechtsstreit so, dass die Beklagte auch nach Bau des Zaunes an ihrem Abweisungsantrag festhielt und damit konkludent der Erledigungserklärung widersprach. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 07.04.2022 wollte sich die Beklagte einer Erledigungserklärung der Kläger nicht anschließen. Für die Kläger musste dadurch der Eindruck entstehen, dass die Beklagte trotz Errichtung des Zaunes weiterhin das Grundstück der Kläger abseits der öffentlichen, asphaltierten Bewegung betreten werde. Soweit die Beklagte nach Schluss der mündlichen Verhandlung vortragen ließ, dass es sich um einen 1,80 m hohen Zaun handelt, der ihr das Betreten unmöglich macht, war dieses Vorbringen nach § 296a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Im Übrigen kann mangels Abgabe einer entsprechenden Unterlassungserklärung durch die Beklagte nicht ausgeschlossen werden, dass sie das klägerische Grundstück abseits der öffentlichen, asphaltierten Bewegung in anderer Form als durch Nutzung ihres Tores betreten wird.

2. Die Androhung eines Ordnungsgeldes für den Fall der Zuwiderhandlung ergibt sich aus § 890 ZPO.

3. Der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus § 823 Abs. 1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO.

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 39, 48 Abs. 1 S. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO. Die zu schätzende Beeinträchtigung durch das beanstandete Verhalten konnte unter Berücksichtigung der Angaben der Kläger mit 3000 Euro beziffert werden.