Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.06.2019, Az.: 9 K 49/18
Rechtsfolgen der Abgabe der Steuererklärung bei unzuständigen Finanzamt; Auswirkung auf den Beginn der Festsetzungsfrist; Voraussetzungen einer Beendigung der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 26.06.2019
- Aktenzeichen
- 9 K 49/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 42587
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2019:0626.9K49.18.00
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 14.12.2021 - AZ: VIII R 31/19
Rechtsgrundlagen
- § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO 1977
- § 170 Abs. 2 Nr . 1 AO 1977
- § 170 Abs. 3 AO 1977
- § 171 Abs. 10 AO 1977
- § 171 Abs. 3 AO 1977
- § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO 1977
- § 179 Abs. 1 AO 1977
- § 180 Abs. 1 AO 1977
- § 133 BGB
Amtlicher Leitsatz
Die Abgabe einer wirksamen Einkommensteuererklärung beim lediglich für die gesonderte Feststellung zuständigen Finanzamt bewirkt gleichwohl die Beendigung der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO, wenn diese vom Finanzamt nach den Gesamtumständen des Streitfalls als Einkommensteuererklärung hätte verstanden werden müssen und die Finanzbehörde dadurch in die Lage versetzt worden ist, das Einkommensteuer-Veranlagungsverfahren ordnungsgemäß einzuleiten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage der Berechtigung des Beklagten zur Änderung des Einkommensteuerbescheides 2010 und hierbei insbesondere über den Eintritt der Festsetzungsverjährung zum 31.12.2015.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des M (Insolvenzschuldner). Über das Vermögen des Insolvenzschuldners wurde am xx.xx.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger auf Beschluss des Insolvenzgerichts zum Insolvenzverwalter bestellt. Am xx.xx.2010 verstarb der Insolvenzschuldner. Das Insolvenzverfahren wurde infolge des Todes des Insolvenzschuldners in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet. Das Aktenzeichen des Nachlassinsolvenzverfahrens lautet (...).
Der Insolvenzschuldner war Architekt und - soweit ersichtlich - bis 2005 Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) "W". Nach dem Ausscheiden des Mitgesellschafters im Jahr 2005 führte der Insolvenzschuldner das Architekturbüro als Einzelunternehmen W & P fort und erzielte hieraus Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Die Einkünfte aus dieser Tätigkeit wurden (weiterhin) beim Finanzamt H unter der Steuernummer AA/BB/CCCCC gesondert festgestellt. Die Einkommensteuerveranlagung erfolgte beim Beklagten unter der Steuernummer DD/BB/EEEEE.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilte das Finanzamt H zur umsatzsteuerlichen Abwicklung des Insolvenzverfahrens - insbesondere für nachträgliche Honorarzahlung der Y-GmbH - ab Juni 2008 die Steuernummer AA/BB/FFFFF. Die Abgabe der Umsatzsteuererklärungen und die Festsetzung der Umsatzsteuer durch das Finanzamt H erfolgten im Weiteren unter dieser Steuernummer.
Nach dem Tod des Insolvenzschuldners erließ der Beklagte am 07.04.2011 - zeitgleich mit der Vornahme der Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 2008 und 2009 - einen Einkommensteuerbescheid für 2010, in welchem er die Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf 0 € schätzte. Hieraus ergab sich eine festgesetzte Einkommensteuer 2010 von 0 €. In den Erläuterungen zum Bescheid, führte der Beklagte aus, dass die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) geschätzt worden seien, da trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben worden sei. Ferner weist der Beklagte auf die weiterhin bestehende Erklärungspflicht hin. Der Bescheid erging endgültig und wurden dem Kläger als Insolvenzverwalter bekannt gegeben.
Bereits zuvor hatte das Finanzamt H den Kläger am 10.03.2011 mit standardisiertem Anschreiben zur termingebundenen Abgabe der Erklärung über die gesonderte Feststellung der Einkünfte für das Jahr 2010 zum 31.07.2011 aufgefordert. Nach mehrfacher, sich hieran anschließender telefonischer Kontaktaufnahme bat die Steuerberaterin des Klägers mit Schreiben vom 15.09.2011 unter dem Betreff "Erstellung der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 3 EStG per 31.12.2010 nebst Steuererklärung der Firma W & P, Steuernummer AA/BB/FFFFF" um Fristverlängerung zur Abgabe der Steuererklärungen für den Veranlagungszeitraum 2010 bis zum 31.12.2011. Diesen Antrag lehnte das Finanzamt H mit Schreiben vom 19.09.2011 ab. Hierzu führte es aus, dass der Antrag unter der Steuernummer AA/BB/FFFFF gestellt, die Steuererklärung für die Umsatzsteuer jedoch bereits eingereicht worden sei. Es fehle die Gewinnermittlung. Darüber hinaus führte das Finanzamt H wörtlich aus: "Eine Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung zu der Steuernummer AA/BB/CCCCC kann, wie bereits telefonisch mehrfach mitgeteilt, nicht gewährt werden, da die Erklärung bevorzugt zum 31.07.2011 angefordert wurde."
Nachdem die Abgabe der Steuererklärungen weiter ausblieb, schätzte das Finanzamt H mit Bescheid vom 22.09.2011 die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit "W& P" unter Berücksichtigung der vorliegenden Umsatzsteuererklärung und der dazugehörigen Belege im Rahmen einer gesonderten Feststellung des Gewinns 2010 auf 1.650.000 €. Zeitgleich erhielt der Beklagte eine entsprechende Mitteilung über die gesonderte Gewinnfeststellung 2010, die durch diesen jedoch nicht ausgewertet wurde.
Am 19.10.2011 reichte die Steuerberaterin unter den Steuernummern AA/BB/FFFFF und AA/BB/CCCCC die "Gewinnermittlung zum 31.12.2010 für die freiberufliche Tätigkeit des M nebst der entsprechenden Einkommensteuererklärung zur weiteren Verwendung" beim Finanzamt H ein. In einem gesonderten Anschreiben wies sie darauf hin, dass M am xx.xx.2010 verstorben sei und der Kläger als Insolvenzverwalter über den Nachlass des Verstorbenen die festgesetzte Steuer unter Vorbehalt ausgleichen werde, da beabsichtigt sei, Rechtsmittel gegen den Bescheid einzulegen. Dem Schreiben beigefügt war eine auf amtlichem Vordruck als Einkommensteuererklärung 2010 gekennzeichnete und an das Finanzamt H gerichtete Steuererklärung zur Steuernummer AA/BB/CCCCC. Diese enthielt auf dem Mantelbogen Angaben zum Namen des Insolvenzschuldners, seiner Anschrift, Geburtsdatum und Berufsbezeichnung sowie einen Hinweis auf erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit laut Anlage S (vgl. Blatt 2 des Mantelbogens). Ferner war die Erklärung mit Datum, Unterschrift des Klägers sowie Angaben zum steuerlichen Berater versehen. In der als "Anlage S zur Einkommensteuererklärung 2010" gekennzeichneten Erklärung zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit war unter Zeile 4 ein Gewinn in Höhe von 975.864 € angegeben.
Das Finanzamt H erließ daraufhin einen nach § 172 AO geänderten Gewinnfeststellungsbescheid und reduzierte die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit auf 975.864 €. Die unterschriebene Einkommensteuererklärung 2010 nahm es zu den Akten. Am 31.10.2011 erfolgte eine entsprechende Mitteilung über die gesonderte Gewinnfeststellung an den Beklagten. Da jedoch sowohl der geänderte Feststellungsbescheid als auch die Mitteilung fehlerhaft für den Zeitraum 2009 und nicht für 2010 erfolgt waren, wertete der Beklagte die Mitteilung aufgrund eines entsprechenden Hinweises des Finanzamts H nicht aus. Nach Einspruch und Korrektur hob das Finanzamt H den fehlerhaften Gewinnfeststellungsbescheid vom 31.10.2011 durch Bescheid vom 06.01.2012 auf und erließ am 02.03.2012 einen geänderten Feststellungsbescheid für 2010, in dem die Einkünfte aus selbständiger Arbeit mit 975.864 € festgestellt wurden. Mit gleichem Datum erging an den Beklagten eine entsprechende Mitteilung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2010. Die Mitteilung enthielt den ergänzenden Hinweis, dass Betriebseinnahmen in Höhe von 712.152,96 € auf den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung entfallen und lediglich als Grundlage zur Anmeldung zur Insolvenztabelle festgestellt würden. Im Anschluss hieran erließ der Beklagte am 03.09.2013 einen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für 2010, in welchem er Einkünfte aus selbständiger Arbeit laut gesonderter Feststellung in Höhe von 975.864 € berücksichtigte.
Nachdem der Kläger zunächst telefonisch, im Weiteren auch schriftlich mitgeteilt hatte, den geänderten Einkommensteuerbescheid 2010 vom 03.09.2013 nicht erhalten zu haben, stornierte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2010. Unter Bezugnahme auf bereits geführte Telefonate wies die Steuerberaterin mit Schreiben vom 20.12.2013 zudem darauf hin, dass bei einem Neuerlass des Einkommensteuerbescheides 2010 berücksichtigt werden müsse, dass ein Betrag von 712.152,96 € auf den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung entfalle. Insoweit müsse die darauf entfallende Steuer zur Insolvenztabelle angemeldet werden. Lediglich bezüglich des Differenzbetrages von 263.711,04 € lägen Einkünfte vor, welche der Insolvenzmasse zuzurechnen seien. Nachdem der Beklagte hierauf nicht reagierte, erfolgten in der Folgezeit mehrere schriftliche und telefonische Erinnerungen des Klägers. Am 19.02.2016 teilte die Steuerberaterin dem Beklagten schließlich mit, dass sie nunmehr davon ausginge, dass für das Jahr 2010 Festsetzungsverjährung eingetreten sei und verwies hierzu auf die Abgabe der Einkommensteuererklärung im Jahr 2011. Auch auf dieses Schreiben erfolgte zunächst keine Reaktion des Beklagten. Am 06.10.2016 erließ der Beklagte schließlich einen nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 2010 und setze die Einkommensteuer 2010 auf 399.108 € fest. Hierbei berücksichtigte der Beklagte Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß gesonderter Feststellung in Höhe von 975.864 €, sonstige Einkünfte des Klägers aus Leibrenten in Höhe von 8.124 €, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 1.972 € sowie einen Verlustvortrag in Höhe von 65.051 €. Ferner wertete der Beklagte im Rahmen der Veranlagung Mitteilungen des Finanzamts M vom 19.12.2013 und 18.12.2014 über eine Beteiligung des Insolvenzschuldners an der Firma S aus, wobei er als Einkünfte aus Gewerbebetrieb nicht den Betrag aus der letzten Mitteilung vom 18.12.2014 in Höhe von 8.845,82 €, sondern lediglich den Wert aus der Mitteilung vom 19.12.2013 von 4.890 € berücksichtigte.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit seinem Einspruch vom 28.10.2016.
Zur Begründung seines Einspruchs verwies der Kläger auf die seines Erachtens nach bereits zum 31.12.2015 eingetretene Festsetzungsverjährung und die im Jahr 2011 beim Finanzamt H eingereichte Einkommensteuererklärung. Das Einreichen der Steuererklärung beim falschen bzw. nicht zuständigen Finanzamt sei unschädlich, da bei der Ermittlung des Beginns der Festsetzungsfrist nach § 170 AO eine Steuererklärung als wirksam abgegeben gelte, sobald diese bei einer Behörde, nicht aber zwingend dem zuständigen Finanzamt, eingereicht worden sei. Da die Einkommensteuererklärung dem Finanzamt bereits im Jahr 2011 übersandt worden sei, habe die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 AO zu laufen begonnen und nach Ablauf von 4 Jahren gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO am 31. Dezember 2015, 24 Uhr geendet.
Eine Ablaufhemmung liege nicht vor. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sei ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein für ihn bindender Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO) erlassen, aufgehoben oder geändert werde. Der unter dem 02.03.2012 erlassene Feststellungsbescheid sei im Verhältnis zu dem hier streitigen Einkommensteuerbescheid Grundlagenbescheid, sodass von Amts wegen die im Schätzungswege erfolgte Festsetzung für 2010 vom 07.04.2011 hätte geändert werden müssen. Dieses sei jedoch nicht erfolgt. Die unterbliebene Änderung könne auch im Hinblick darauf, dass es sich hierbei um einen Grundlagenbescheid für den Einkommensteuerbescheid 2010 handele, nicht mehr nachgeholt werden. Denn § 171 Abs. 10 AO ermögliche lediglich eine Anpassung des von dem Grundlagenbescheid abhängigen Folgebescheids innerhalb der gesetzlich bestimmten 2-Jahres-Frist. Daraus folge für den Streitfall, dass für eine zu erfolgende Änderung der Besteuerungsgrundlagen der Ablauf der Festsetzungsfrist für den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 07.04.2011 insoweit gehemmt gewesen sei, als dieser bis zum Ablauf von 2 Jahren nach Bekanntgabe angepasst werden durfte. Eine darüberhinausgehende Änderungsmöglichkeit werde nicht begründet. Damit sei unzweifelhaft spätestens zum 31.12.2015 Festsetzungsverjährung eingetreten.
Die Abgabe der Einkommensteuererklärung 2010 vom Oktober 2011 könne im Hinblick auf den zuvor ergangenen Schätzungsbescheid vom 07.04.2011 auch nicht als Antrag auf Änderung im Sinne des § 171 Abs. 3 AO ausgelegt werden, da die Einkommensteuer im Schätzungsbescheid mit 0 € festgesetzt worden sei. Daher habe mit der Einreichung der Einkommensteuererklärung 2010 eine Änderung zu eigenen Gunsten nicht angestrebt werden können. Mangels Beschwer habe eine Auslegung als Antrag auf schlichte Änderung zu unterbleiben. Eine solche Auslegung komme auch im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Gewährleistung des effektivsten Rechtsschutzes nicht in Betracht. Überdies entspreche es der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass die Abgabe von Steuererklärungen grundsätzlich als Erfüllung der gesetzlichen Erklärungspflicht des Steuerpflichtigen anzusehen sei. Als Rechtsbehelf oder Rechtsmittel könne eine Steuererklärung allenfalls dann ausgelegt werden, wenn das Begehren um Rechtsschutz der Erklärung eindeutig zu entnehmen sei. Mit der Abgabe der Steuererklärung im Oktober 2011 sei jedoch ausschließlich eine steuerliche Pflicht ohne weiteren Erklärungswert erfüllt worden.
Darüber hinaus sei in der eingereichten Einkommensteuererklärung 2010 auch keine Feststellungserklärung zu sehen. Die Abgabe der Einkommensteuererklärung sei dem eingereichten amtlichen Vordruck ausdrücklich zu entnehmen. Diese eindeutige (Willens-)Erklärung sei nicht auslegungsfähig. Die Steuererklärung könne daher nicht als gesonderte Gewinnfeststellungserklärung umqualifiziert werden. Zudem sei die Einkommensteuererklärung von einem Berufsträger eingereicht worden. Für diesen Fall bestehe ohnehin der Grundsatz, dass eine Umdeutung von (Verfahrens-) Erklärungen regelmäßig ausscheide.
Schließlich weist der Kläger nochmals vorsorglich darauf hin, dass ein Teil der auf die Erlöse der Y-GmbH entfallenden Steuerforderungen bereits vor Insolvenzeröffnung begründet und somit Insolvenzforderungen seien. Es handele sich hierbei um Einnahmen, die im Zusammenhang mit der Anfechtung einer Forderungsabtretung zugeflossen seien. Im Falle der Abtretung einer Forderung werde der Zufluss auf den Zeitpunkt der Abtretung (hier: 13.11.2007) vorverlagert, da bei einer Abtretung bereits über das Entgelt verfügt und somit auch die Verfügungsmacht bereits erlangt worden sei. Darüber hinaus sei unabhängig vom Zuflusses der Einnahme, die Verwirklichung des Besteuerungstatbestands bereits im Rahmen der Auseinandersetzungsbilanz vom 30.09.2005 und damit im Veranlagungsjahr 2005 erfüllt gewesen.
Im Verlauf des Einspruchsverfahrens nahm der Beklagte Rücksprache mit dem Finanzamt H, welches die sich in den Akten über die gesonderte Feststellung der Einkünfte zur Steuernummer AA/BB/CCCCC befindende Einkommensteuererklärung 2010 ausweislich eines Aktenvermerks am 03.11.2016 an den Beklagten übersandte.
Der Beklagte folgte der Auffassung des Klägers nicht und wies den Einspruch mit Einspruchsbescheid vom 25.01.2018 als unbegründet zurück.
In den Gründen führte der Beklagte aus, dass die Änderung des Einkommensteuerbescheides 2010 nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO am 06.10.2016 (noch) zulässig gewesen sei, weil zu diesem Zeitpunkt die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war.
Gemäß § 36 Abs. 1 EStG entstehe die Einkommensteuer mit Ablauf des Veranlagungszeitraums. Die Einkommensteuer 2010 sei somit zum 31.12.2010 entstanden. Nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO betrage die Festsetzungsfrist 4 Jahre. Da eine Steuererklärung beim Beklagten nicht eingereicht worden sei, habe die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO mit Ablauf des 31.12.2017 geendet (Beginn Festsetzungsfrist 31.12.2013, Dauer 4 Jahre, Ende 31.12.2017).
Maßgebend für den Beginn der Festsetzungsfrist sei der Eingang einer rechtlich wirksamen Erklärung bei der dafür zuständigen Stelle. Sei der Steuerpflichtige an die Abgabe erinnert worden, komme es auf den Eingang bei der erinnernden Behörde an. Vorliegend habe der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen für 2010 mit Einkommensteuerbescheid vom 07.04.2011 geschätzt. In den Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid sei ausgeführt worden, dass weiterhin die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung bestehe. Von Seiten des Finanzamts H sei eine bevorzugte Anforderung zur Abgabe der Erklärung zum 31.07.2011 nur für die Erklärung zur gesonderten Feststellung der Einkünfte erfolgt. Im Bescheid vom 19.09.2011 über die Ablehnung der Fristverlängerung liege keine konkrete Aufforderung zur Abgabe der Einkommensteuererklärung. Auch lasse sich aus den Telefonvermerken des Finanzamts H nicht erkennen, dass eine Einkommensteuererklärung durch das Finanzamt H angefordert worden sei. Werde eine Steuererklärung bei einer anderen als der zuständigen Finanzbehörde abgegeben, so beginne die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst, wenn die zuständige Behörde die Erklärung erhalte (Koenig zu § 170 AO, Rn. 24, Auflage 2014, Frotscher in Schwarz/Pahlke zu § 170 AO, Rz. 49). Erst dann sei diese Behörde in der Lage, tätig zu werden und die Festsetzungsfrist einzuhalten. Der Eingang bei der unzuständigen Stelle sei nur dann unschädlich, wenn sich die Steuererklärung oder Anzeige eindeutig an die zuständige Finanzbehörde richte; wenn dies also aus der Erklärung oder Anzeige ohne weitere Ermittlung zu ersehen sei. In diesem Fall habe das unständigen Finanzamt die Erklärung oder Anzeige unverzüglich an die zuständige Stelle weiterzuleiten.
Im Streitfall sei die beim Finanzamt H eingereichte Steuererklärung eindeutig an das Finanzamt H adressiert gewesen. Die Abgabe der Erklärung bei der unzuständigen Behörde habe die Anlaufhemmung nicht beendet. Eine Weiterleitung der Erklärung an den Beklagten sei nicht erfolgt. Die Erklärung enthalte zudem nur Angaben zu den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit. Die Festsetzungsfrist habe daher erst mit Ablauf des 31.12.2013 begonnen und mit Ablauf des 31.12.2017 geendet.
Darüber hinaus sei dem Kläger auch in der Sache nicht zu folgen. Nach der Rechtsprechung des BFH (Entscheidung vom 01.04.2008, X B 201/07) sei ein Steueranspruch dann eine Insolvenzforderung, wenn er vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Weise begründet worden sei, dass der zugrundeliegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zur Entstehung der Steuerforderung führe, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden sei. Vorliegend habe die Y-GmbH die ausstehende Forderung im Jahr 2010 gezahlt. Im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG seien die Erlöse erst bei tatsächlichem Zufluss (§ 11 EStG) und somit in 2010 zu versteuern. Zu diesem Zeitpunkt sei auch erst die Einkommensteuerforderung begründet, da der Besteuerungstatbestand erst mit Zufluss vollständig verwirklicht worden sei. Zudem sei die Forderung gegenüber der Y-GmbH in der Auseinandersetzungsbilanz vom 30.09.2005 nicht berücksichtigt worden. Da die Forderung zum Zeitpunkt der Erstellung der Auseinandersetzungsbilanz noch strittig und wahrscheinlich abgeschrieben gewesen sei, könne sie auch nicht berücksichtigt werden. Nach § 4 der Vereinbarung zwischen den ehemaligen Gesellschaftern der W & P Architekten GbR vom 15.05.2006 sei der weiterführende Partner in die laufenden Erträge eingetreten. Der Erlös aus der Y-GmbH sei daher bei tatsächlichem Zufluss im Jahr 2010 zu versteuern.
Hiergegen richtet sich die beim Niedersächsischen Finanzgericht erhobene Klage, mit der der Kläger weiterhin sein Aufhebungsbegehren aus dem Vorverfahren verfolgt und die Auffassung vertritt, dass der am 06.10.2016 vorgenommenen Änderung des Einkommensteuerbescheides 2010 vom 07.04.2011 der Eintritt der Festsetzungsverjährung mit Ablauf des 31.12.2015 entgegenstehe.
Ergänzend zu seinem Vorbringen im außergerichtlichen Vorverfahren führt der Kläger aus, dass es im Veranlagungsverfahren einen intensiven Kontakt mit dem Finanzamt H gegeben habe. Dabei habe das Finanzamt H die Vorlage der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 3 EStG zum 31.12.2010 sowie der betrieblichen Steuererklärungen der W& P Architekten Ingenieure gefordert. Neben der Feststellungserklärung und der Umsatzsteuererklärung sei der Kläger vom Finanzamt H ausdrücklich auch zur Abgabe der Einkommensteuererklärung 2010 für den verstorbenen Insolvenzschuldner aufgefordert worden. Eine Verlängerung der Abgabefrist betreffend die Einkommensteuererklärung 2010 habe das Finanzamt H mit Bescheid vom 19.09.2011 abgelehnt und dieses mit der bevorzugten Anforderung der Einkommensteuererklärung 2010 begründet.
Mit der Einreichung der Einkommensteuererklärung 2010 sei der Kläger der ihm als Insolvenzverwalter obliegenden Erklärungspflicht nachgekommen und habe hierdurch den Lauf der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in Gang gesetzt. Die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nach § 169 Abs. 1 Satz 2 AO bestehe unabhängig davon, ob tatsächlich Steuern geschuldet würden oder nicht, oder ob die betreffende Person überhaupt als Steuerschuldner in Betracht kommen könne, wenn das Finanzamt hierzu auffordere. Mit der Vorabanforderung der Einkommensteuererklärung 2010 durch das Finanzamt H habe dieses dem Kläger im Rahmen eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 118 Satz 1 AO eine Abgabepflicht in Bezug auf die Einkommensteuererklärung 2010 gegenüber dem Finanzamt H aufgegeben. Aus diesem Grund sei die Einkommensteuererklärung 2010 beim Finanzamt H einzureichen gewesen. Zudem habe der Kläger - auch vor dem Hintergrund des Vorwurfs einer Steuerhinterziehung - bewusst eine Einkommensteuererklärung abgeben wollen. Hierbei habe es sich nicht lediglich um ein Versehen gehandelt.
Schließlich könne der Beklagte gegen den Beginn des Laufs der Festsetzungsverjährung auch nicht den Einwand erheben, dass die (unstreitig) eingereichte Einkommensteuererklärung 2010 ihn angeblich nicht erreicht habe. Denn es entspreche der ständigen Rechtsprechung, dass bei Eingang von fristgebundenen Rechtsmitteln und Erklärungen bei einer anderen als der zuständigen Stelle, grundsätzlich die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang erwartet werden könne. Entsprechend werde auch für das Gebiet des steuerlichen Verfahrensrechts angenommen, dass die Frist des § 170 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. AO gleichwohl mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in welchem die Erklärung beim unzuständigen Finanzamt eingereicht werde, wenn die fragliche Erklärung infolge behördeninterner Organisationsmängel dann nicht bzw. nicht zeitnah an die zuständige Finanzbehörde weitergeleitet werde (vgl. Seer in Tipke/Kruse AO, § 170 Rn. 11).
Klarstellend weist der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung daraufhin, dass - trotz fehlender weiterer Ausführungen im Klageverfahren - auch die Aufteilung der auf die Einkünfte des Insolvenzschuldners aus selbständiger Arbeit entfallende Einkommensteuer in Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit weiterhin streitig sei.
Der Kläger beantragt,
der Bescheid für 2010 über Einkommensteuer vom 06.10.2016 und die Einspruchsentscheidung vom 25.01.2018 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte vertritt weiterhin die im Einspruchsbescheid vom 25.01.2018 dargestellte Auffassung.
Ergänzend führt der Beklagte aus, dass vom Kläger gerade keine umfassende Einkommensteuererklärung mit den hierzu benötigten Unterlagen beim Finanzamt H eingereicht worden sei, sondern lediglich eine Gewinnermittlung. Dieser unvollständigen Einkommensteuererklärung sei lediglich die "Anlage S" beigefügt gewesen, auf der nur der Gewinn aus der Architektentätigkeit erklärt worden sei. Weitere Anlagen wie zum Beispiel die "Anlage G" oder die "Anlage R" seien der eingereichten Einkommensteuererklärung nicht beigefügt gewesen, obwohl der Kläger im Streitjahr sowohl gewerbliche Einkünfte als auch Einkünfte aus einer Rente bezogen habe. Darüber hinaus seien auf dem Mantelbogen auch keinerlei persönliche Angaben über etwaige Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen gemacht worden. Auch die Anlage "Vorsorgeaufwendungen" mit den in 2010 gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen habe gefehlt. Allein der unterschriebene Mantelbogen nebst dem eingetragenen Gewinn auf der "Anlage S" könne jedoch nicht dazu führen, dass der Eingang einer Einkommensteuererklärung hergeleitet werde. Zudem sei dem Kläger auch bekannt gewesen, dass beim Finanzamt H eine Feststellungserklärung abgeben werden musste. Das Finanzamt H habe daher die eingereichte Erklärung als eine Erklärung zur gesonderten Feststellung gedeutet. Folge man der Ansicht des Klägers, es habe sich bei der von ihm eingereichten Erklärung um eine Einkommensteuererklärung gehandelt, so stehe die Feststellungserklärung weiterhin aus. Daher habe das Finanzamt H die eingereichten Unterlagen zu Recht als eine Erklärung zur gesonderten Feststellung gedeutet. Es habe somit keine Verpflichtung bestanden, die Erklärung an den für die Einkommensteuer zuständigen Beklagten weiterzuleiten.
Dem Senat haben bei seiner Entscheidung die Einkommensteuerakten des Beklagten zur Steuernummer DD/BB/EEEEE ab dem Veranlagungszeitraum 2006, einschließlich Nebenakten, sowie die beim Finanzamt H unter den Steuernummern AA/BB/FFFFF und AA/BB/CCCCC geführte Akten über die gesonderte Feststellung der Einkünfte (Bd. I ab VZ 2005) und Umsatzsteuer (bis 07/08 bzw. ab 06/08) einschließlich Nebenakten vorgelegen.
Wegen des weiteren Vorbringens wird hierauf sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2019 Bezug genommen (§ 105 Abs. 3 Satz 2 Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist zum überwiegenden Teil begründet.
Der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 06.10.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.01.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), soweit hierin eine über den Betrag von 0 € hinausgehende Einkommensteuer für 2010 festgesetzt worden ist.
1. Der Beklagte war nicht mehr berechtigt, die Mitteilung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Einkünfte aus selbstständiger Arbeit) des Finanzamts H vom 02.03.2012 durch Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2010 vom 07.04.2011 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO auszuwerten. Denn die im Streitfall gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zu bestimmende und damit 4 Jahre betragende Festsetzungsfrist hatte unter den besonderen Umständen des Streitfalls nach Abgabe der Einkommensteuererklärung 2010 beim Finanzamt H am 19.10.2011 gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres 2011 zu laufen begonnen. Der mit Bescheid vom 06.10.2016 erfolgten Änderung stand damit die zum 31.12.2015 eingetretene Festsetzungsverjährung entgegen.
a. Ein Steuerbescheid ist gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen oder geändert wird.
Dem folgend, hätte der Einkommensteuerbescheid vom 07.04.2011 nach Ergehen des Feststellungsbescheides vom 02.03.2012 entsprechend geändert werden müssen. Denn der Feststellungsbescheid (§§ 179 Abs. 1,180 Abs. 1 Nr. 2b AO) ist Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 AO für die Einkommensteuer.
b. Eine Änderung ist jedoch in den Fällen ausgeschlossen, in denen - wie im Streitfall - bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO).
Gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird. Im Streitfall kommt es deshalb darauf an, ob die Beendigung der in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO geregelten Anlaufhemmung für die Einkommensteuer 2010 durch die Abgabe der Steuererklärung am 19.10.2011 beim Finanzamt H ausgelöst werden konnte. Dieses wird vom erkennenden Senat bejaht.
aa. Der Kläger war als Insolvenzverwalter über den Nachlass des Insolvenzschuldners gemäß § 34 Abs. 3 AO i.V.m. § 25 Abs. 3 EStG, § 56 Abs. 1 Nr. 2 a) Satz 2 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) grundsätzlich zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr verpflichtet. Diese Verpflichtung bestand auch - zwischen den Beteiligten unstreitig - nach Erlass des Schätzungsbescheides vom 07.04.2011 fort.
bb. Die vom Kläger am 19.10.2011 beim Finanzamt H eingereichte Erklärung entsprach den im streitrelevanten Zeitraum bestehenden gesetzlichen Anforderungen an eine wirksame Einkommensteuererklärung.
(1) Eine Steuererklärung ist eine gemäß § 150 Abs. 1, 3 AO i.V.m. § 25 Abs. 3 Satz 5 EStG (in der für das Streitjahr gültigen Fassung) nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck eigenhändig unterschriebene Erklärung, die das Finanzamt im Rahmen eines formalisierten Verfahrens Auskunft über den Besteuerungstatbestand und seine Bemessungsgrundlage in einer Weise erteilt, dass dieses die Steuer festsetzen bzw. die Besteuerungsgrundlagen feststellen kann.
(2) Die vom Kläger auf dem Vordruck der DATEV eingereichte Steuererklärung erfolgte nach dem für das Streitjahr amtlich vorgeschriebenen Muster und enthielt an der dafür vorgesehenen Stelle auf dem Mantelbogen die eigenhändige Unterschrift des Klägers. Damit lagen die formellen Voraussetzungen für eine Steuererklärung im Sinne der Vorschrift vor.
(3) Entgegen der Auffassung des Beklagten genügte die eingereichte Erklärung auch den materiell-rechtlichen (Mindest-)Anforderungen an eine wirksame Einkommensteuererklärung.
Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. u.a. Urteile vom 07.04.2005 IV R 39/04, BFH/NV 2005 1229 [BFH 07.04.2005 - IV R 39/04]; vom 13.05.2012 II R 56/10, BFH/NV 2012, 1579 [BFH 23.05.2012 - II R 56/10] m.w.N.), der sich der Senat anschließt, beginnt die Festsetzungsfrist im Sinne von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 AO auch dann mit der Abgabe der Steuererklärung, wenn diese teilweise unvollständig oder unrichtig ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich die Erklärung als derart lückenhaft darstellt, dass dies praktisch auf das Nichteinreichen der Erklärung hinausläuft, weil hierdurch das ordnungsgemäße Veranlagungsverfahren nicht in Gang gesetzt werden kann.
Ein derartiger Fall der Nichterklärung ist vorliegend nicht gegeben. Unter Berücksichtigung der Erläuterungen im beigefügten Anschreiben enthielt die eingereichte Steuererklärung die wesentlichen Angaben zur Person und Funktion des Klägers sowie der Person des Insolvenzschuldners. Darüber hinaus ergaben sich aus der beigefügten "Anlage S" Einkünfte aus selbständiger Arbeit (Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit Architekten Ingenieure) in Höhe von 975.864 €. Damit wurden die im Streitjahr erzielten Einkünfte in ganz überwiegendem Umfang erklärt und durch Vorlage der Gewinnermittlung nachvollziehbar dokumentiert. Mit den eingereichten Unterlagen wurde die Finanzbehörde in die Lage versetzt, ein ordnungsgemäßes Veranlagungsverfahren in Gang zu setzen und die Einkommensteuerveranlagung des Streitjahres für den Kläger als Insolvenzverwalter über den Nachlass des Insolvenzschuldners vorzunehmen. Der Behörde war es zudem möglich, die für die Besteuerung mitgeteilten Tatsachen auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit hin zu überprüfen und - wie in den Vorjahren und der nachfolgenden Veranlagung vom 06.10.2016 geschehen - ggfs. durch die von dritter Seite im Rahmen der elektronischen Datenübertragung bzw. durch gesonderte Feststellung übermittelten Angaben zu ergänzen.
cc. Der Beginn der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 AO war für die Einkommensteuer auch nicht dadurch gehemmt, dass der Kläger anstelle einer Einkommensteuererklärung tatsächlich eine Feststellungserklärung abgeben hätte.
Zwar hatte das Finanzamt H den Kläger mit Anschreiben vom 10.03.2011 unstreitig zur Abgabe einer Erklärung über die gesonderte Feststellung der Einkünfte aufgefordert. Die am 19.10.2011 eingereichte Steuererklärung stellt jedoch nicht die vom Finanzamt H bevorzugt angeforderte Feststellungserklärung dar. Entgegen der Auffassung des Beklagten war das Finanzamt H nicht berechtigt, die eingereichte Steuererklärung als Erklärung zur gesonderten Feststellung der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit auszulegen.
Als außerprozessuale Verfahrenshandlungen stellt die Abgabe einer Steuererklärung grundsätzlich eine entsprechend § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auslegungsfähige Willenserklärung dar (BFH-Urteil vom 05.02.1992 I R 76/91, BFHE 168, 1, BStBl II 1992, 995). Eine Erklärung ist jedoch nur dann auslegungsbedürftig, wenn sie nach ihrem Wortlaut und Zweck nicht eindeutig ist (BFH-Urteil vom 19.08.2013 X R 44/11, BFHE 243, 304, BStBl II 2014, 234 m.w.N.). Hieran bestehen nach Ansicht des Senats bereits erhebliche Zweifel, denn die Steuererklärung vom 19.10.2011 war auf dem hierfür im Verwaltungsverfahren vorgesehenen Vordruck ausgefertigt und eindeutig als Einkommensteuererklärung gekennzeichnet. Demgegenüber fehlt es an einem ausdrücklichen Hinweis auf das Vorliegen einer Erklärung zur Feststellung der Einkünfte. Zudem wurde die Steuererklärung von einem fachkundigen Bevollmächtigten eingereicht, dessen Willenserklärungen zwar grundsätzlich ebenfalls auslegungsfähig sind, wenn sie nicht eindeutig formuliert wurden. Eine, über die bloße Auslegung unklarer Erklärungen hinausgehende, Umdeutung der von fachkundigen Prozessvertretern ausdrücklich abgegebenen Erklärungen - wie sie nach Ansicht des Senats im Streitfall vorliegt - scheidet jedoch aus (vgl. BFH-Beschluss vom 02.10.2014 X B 94/14, BFH/NV 2015, 218).
Gleichwohl führt auch die Annahme der Auslegungsbedürftigkeit der abgegebenen Steuererklärung zu keinem anderen Ergebnis.
Gemäß § 133 BGB ist bei der Auslegung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Für die Auslegung der Willenserklärung ist letztlich das gesamte Verhalten des Erklärenden maßgeblich (Arnold in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 133 BGB Rn. 24). Den Ausgangspunkt bildet dabei der Wortlaut der Erklärung. Darüber hinaus sind auch die Begleitumstände zu berücksichtigen (Arnold in: Erman a.a.O. Rn. 25).
Unter Zugrundelegung dieser Maßgabe durfte das Finanzamt H die am 19.10.2011 eingereichte Steuererklärung nicht als Erklärung zur Feststellung der Einkünfte verstehen.
Der Annahme, es handele sich bei der eingereichten Steuererklärung um die Erklärung zur gesonderten Feststellung der Einkünfte steht bereits der verwendete Erklärungsvordruck entgegen. Ausweislich des verwendeten Musters handelt es sich es sich hierbei um eine Einkommensteuererklärung, welche durch Anbringung eines entsprechenden Kreuzes sowohl auf dem Mantelbogen als auch auf der "Anlage S" zweifelsfrei als solche gekennzeichnet wurde.
Darüber hinaus weist auch das Begleitschreiben der Steuerberaterin vom 19.10.2011 die Erklärung als Einkommensteuererklärung aus. Die Beraterin verwendete in Bezug auf die übersandten Unterlagen eindeutig den Begriff "Einkommensteuererklärung". Zudem wird im weiteren Verlauf des Schreibens auf die Absicht des Klägers hingewiesen, die festgesetzte Steuer lediglich unter Vorbehalt ausgleichen zu wollen, weil beabsichtigt sei, Rechtsmittel gegen den Bescheid einzulegen. Da eine Steuerfestsetzung ausschließlich im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung und nicht bei Erlass eines Feststellungsbescheides erfolgt, unterstreicht auch diese Formulierung die erkennbare Absicht des Klägers eine Einkommensteuer- und nicht eine Feststellungserklärung abgeben zu wollen. Dieser Wille wurde vom Prozessbevollmächtigten im Rahmen der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf die bei der Erstellung einer elektronischen Steuererklärung nach DATEV erforderlichen Verfahrensabläufe und die Vermeidung von steuerstrafrechtlichen Konsequenzen im Hinblick auf die zuvor festgesetzte Einkommensteuer von 0 € nochmals ausdrücklich bekräftigt.
Das Gericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die durch den Kläger abgegebenen Steuererklärung gegenüber einer für die Einkommensteuerveranlagung unzweifelhaft unzuständigen Finanzbehörde erfolgt ist. Auch weisen die angegebene Steuernummer und Anschrift das Finanzamt H als Adressaten der Steuererklärung aus. Gleichwohl treten diese Aspekte im Rahmen einer Beurteilung der Gesamtumstände des Streitfalls hinter den Kriterien, die für eine Auslegung als Einkommensteuererklärung sprechen, zurück. Denn bereits im Vorfeld dieser Geschehnisse hatte das Finanzamt H eine Fristverlängerung zur Abgabe der Einkommensteuererklärung durch das Finanzamt H abgelehnt. Durch diese, unter Angabe der auch später vom Kläger verwendeten Steuernummern, hatte das Finanzamt H selbst den Anschein erweckt, ein bevorrechtigtes Interesse an der Abgabe der Einkommensteuererklärung zu haben. Diese Umstände waren für das Finanzamt H auch erkennbar. Selbst wenn das Finanzamt H mit den Angaben in der eingereichten Steuererklärung das noch offene Feststellungsverfahren abschließen konnte, hätte es die eingereichte Steuererklärung als Einkommensteuererklärung verstehen müssen.
dd. Dem Beginn der Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2011 stand auch nicht die Abgabe der Einkommensteuererklärung beim unzuständigen Finanzamt H entgegen.
(1) Zwar wird im Schrifttum zu dieser Problematik überwiegend die Auffassung vertreten, dass für den Beginn der Festsetzungsfrist der Eingang der Steuererklärung bei der zuständigen Finanzbehörde maßgebend sei. So geht Cöster (in Koenig: AO-Kommentar, 3. Auflage 2014, § 170 Rz. 24) davon aus, dass bei Abgabe der Steuererklärung bei einer anderen Finanzbehörde die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst dann zu laufen beginne, wenn die zuständige Finanzbehörde die Erklärung erhalte.
Entsprechend verlangt auch Paetsch (in Gosch: AO/FGO-Kommentar, Stand: 2018, § 170 Rz. 26f), dass die Steuererklärung oder Steueranmeldung erst dann die Rechtsfolge des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in Gang setze, wenn die zuständige Finanzbehörde die Erklärung erhalten habe. Eine Ausnahme sei nur dann gegeben, wenn die Erklärung von der unzuständigen Finanzbehörde angefordert worden sei. Auch Drüen (in Tipke-Kruse: AO/FGO-Kommentar, Stand: Oktober 2017, § 170 Rz. 11f) und Rüsken (in Klein: AO-Kommentar, 14. Aufl., § 170 Rz. 12) sehen die gesetzlichen Voraussetzungen erst dann als erfüllt an, wenn der Steuerpflichtige die Steuererklärung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen bei der zuständigen Behörde - die nicht notwendig eine Finanzbehörde sein müsse - eingereicht habe. Werde die Erklärung infolge behördeninterne Organisationsmängel nicht an die (zuständige) Finanzbehörde weitergeleitet, so beginne gleichwohl die Frist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres.
Folgt man dieser Auffassung, so bestehen erhebliche Zweifel daran, ob die am 19.10.2011 eingereichte Einkommensteuererklärung infolge fehlender Zuständigkeit des Finanzamts H für die Einkommensteuerveranlagung (§ 19 Abs. 1 Satz 1 AO) die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2011 in Gang zu setzen vermochte.
(2) Dieser Auffassung vermag sich der Senat im vorliegenden Streitfall jedoch nicht anzuschließen. Denn sie entspricht weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Norm.
(a) Der Senat folgt in diesem Zusammenhang vielmehr den Grundsätzen wie sie sich aus der Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 10.07.1987 (VI R 160/86, BFHE 150, 543, BStBl II 1987, 827) ergeben. In diesem Verfahren hatte der BFH darüber zu befinden, ob die Frist zur Abgabe eines Antrags auf Lohnsteuer-Jahresausgleich auch durch die Abgabe des Antrags bei einem für die Durchführung örtlich unzuständigen Finanzamt gewahrt wird. Dieses hat der BFH bejaht und in Bestätigung der Rechtsprechung des Finanzgerichts darauf abgestellt, dass sich aus dem Gesetz zwar ergebe, welches Finanzamt für das Verwaltungsverfahren der Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs örtlich zuständig sei, der Gesetzgeber aber keine Regelung darüber getroffen habe, bei welchem örtlichen Finanzamt der entsprechende Antrag zu stellen sei (so auch FG Köln, Urteil vom 23.05.2017 1 K 1637/17, EFG 2017, 1736). Nach Ansicht des Senats gilt dieser Grundsatz entsprechend auch für die streitgegenständliche Abgabe einer Einkommensteuererklärung.
Für diese Beurteilung spricht zunächst der Wortlaut des Gesetzes. Soweit eine Verfahrenshandlung bzw. Antragstellung bei der (örtlich) zuständigen Finanzbehörde zu erfolgen hat, wird dieses Erfordernis grundsätzlich auch im Gesetz ausdrücklich benannt, bspw. für die Aufnahme der Steuererklärung an Amtsstelle (§ 151 AO), Einlegung des Einspruchs (§ 357 Abs. 2 AO), Wahrung der Festsetzungsfrist durch die Finanzbehörde (§ 169 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO), Stellung eines Kindergeldantrages (§ 67 Satz 1 EStG), Anzeige eines für die Erbschaftsteuerfestsetzung relevanten Vorgangs (§ 30 Abs. 1 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz - ErbStG -) oder die Anzeige grunderwerbsteuerrechtlicher Vorgänge (§ 18 Abs. 5, § 19 Abs. 4 Grunderwerbsteuergesetz - GrEStG -). Eine entsprechende Regelung für die Frage des Beginns der Festsetzungsfrist durch Abgabe einer Steuererklärung befindet sich jedoch weder in § 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 EStDV noch in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Vielmehr geht die Vorschrift von der Einreichung der Erklärung als schlichtem Handlungsakt/Realakt aus.
Daneben ergebe sich nach Ansicht des Senats auch ein innerer Widerspruch zu der vom Gesetzgeber in § 127 AO vorgenommenen Wertung, wonach die Aufhebung eines von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassenen Verwaltungsakts nicht allein aufgrund der Verletzung der örtlichen Zuständigkeit verlangt werden kann, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Demgegenüber wäre der Steuerpflichtige einer gesetzlich nicht normierten Benachteiligung ausgesetzt, wenn der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO trotz fehlender gesetzlicher Regelung erst bei Eingang der Steuererklärung beim zuständigen Finanzamt in Gang gesetzt werden würde.
(b) Darüber hinaus spricht auch der Sinn und Zweck der Norm gegen die in der Literatur vertretene Auffassung.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Auslegung des Wortlauts des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO an seinem Sicherungszweck auszurichten (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 6. Juli 2005 II R 9/04, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780; vom 27. August 2008 II R 36/06, BFHE 222, 83, BStBl II 2009, 232; vom 23. Mai 2012 II R 56/10, BFH/NV 2012, 1579). Die Vorschrift soll -lediglich - verhindern, dass durch eine spätere Einreichung der Steuererklärung, Steueranmeldung oder Anzeige die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit (ggf. gezielt) verkürzt wird (BFH-Beschlüsse vom 7. Dezember 1999 II B 79/99, BFHE 190, 220, BStBl II 2000, 233; vom 17. August 2009 II B 172/08, BFH/NV 2009, 1970; BFH-Urteile vom 29. Januar 2003 I R 10/02, BFHE 202, 1, BStBl II 2003, 687; in BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780 [BFH 06.07.2005 - II R 9/04]; in BFH/NV 2012, 1579 [BFH 23.05.2012 - II R 56/10]). Folglich ist der Sinn und Zweck der Norm auch dann als gewahrt anzusehen, wenn der Steuerpflichtige die von ihm abzugebende Steuererklärung beim örtlich unzuständigen Finanzamt einreicht und die Finanzbehörde dadurch aber gleichwohl in die Lage versetzt wird, das Veranlagungsverfahren ordnungsgemäß einzuleiten.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. Mit der Abgabe der wirksamen Einkommensteuererklärung beim Finanzamt H am 19.10.2011 wurde die Finanzbehörde unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Streitfalls in die Lage versetzt, das Einkommensteuer-Verlangungsverfahren 2010 einzuleiten. Wie bereits ausgeführt, musste das Finanzamt H die vom Kläger eingereichte Steuererklärung als Einkommensteuererklärung verstehen. Es war nicht berechtigt, die Einkommensteuererklärung in eine Erklärung über die gesonderte Feststellung von Einkünften umzudeuten und im Anschluss an die Durchführung des Feststellungsverfahrens zu den Akten zu nehmen. Insbesondere vor dem Hintergrund der im Vorfeld fälschlicher Weise abgelehnten Fristverlängerung zur Abgabe der Einkommensteuererklärung hätten sich ihm Zweifel an seiner Vorgehensweise aufdrängen müssen. Da dem Finanzamt H die eigene Unzuständigkeit sowie die Zuständigkeit des Beklagten für die Einkommensteuererklärung bekannt waren, war es auch in der Lage und verpflichtet, die Erklärung an den Beklagten zur Vornahme der Einkommensteuerveranlagung weiterzuleiten. Die vom Kläger gemachten Angaben waren, wie bereits ausgeführt, ausreichend das Veranlagungsverfahren durchzuführen und einen Einkommensteuerbescheid für 2010 herbeizuführen. Die durch das Verhalten des Finanzamts H unterbliebene Weiterleitung der Erklärung an den Beklagten und die hieraus resultierende unterbliebene Bearbeitung der Einkommensteuererklärung sind als behördeninternes Organisationsverschulden der Finanzverwaltung zuzurechnen und stehen einem Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. AO mit Ablauf des Kalenderjahres 2011 nicht entgegen.
ee. Da vorliegend auch die Abgabe der Einkommensteuererklärung beim unzuständigen Finanzamt die Beendigung der Ablaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO zur Folge hatte, kommt es auf die Frage, ob auch die Einkommensteuererklärung 2010 durch das Finanzamt H bevorzugt angefordert wurde, nicht an.
c. Der Beginn der Festsetzungsfrist bzw. der Ablauf der Festsetzungsfrist waren auch nicht nach § 170 Abs. 3 AO, § 171 Abs. 3 AO oder § 171 Abs. 10 AO gehemmt.
aa. § 170 Abs. 3 AO regelt eine Anlaufhemmung für die Aufhebung oder Änderung antragsgebundener Festsetzungen von Steuern und Steuervergütungen. Diese Vorschrift ist daher auf die Abgabe gesetzlich vorgeschriebener Steuererklärungen gemäß §§ 25 Abs. 3, 56 EStG nicht anwendbar.
bb. Der Ablauf der Festsetzungsfrist war auch nicht nach § 171 Abs. 3 AO gehemmt. Das Gericht folgt in diesem Zusammenhang der Auffassung des Klägers, dass es sich bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung auch nach der durch den Beklagten vorgenommenen Schätzung gemäß § 162 AO um die Erfüllung der weiterhin bestehenden Erklärungspflicht gehandelt hat. Als "Antrag" im Sinne des § 171 Abs. 3 AO sind nur solche Willensbekundungen zu verstehen, die ein Tätigwerden der Finanzbehörden außerhalb des infolge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen Verwaltungshandelns auslösen sollen. Die Abgabe gesetzlich vorgeschriebener Steuererklärungen gehört zur allgemeinen Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen und stellt daher keinen Antrag im Sinne der Vorschrift dar (BFH-Urteil vom 30.03.2017 VI R 43/15, BFHE 257, 333 [BFH 30.03.2017 - VI R 43/15], BStBl II 2015, 1046 [BFH 10.09.2015 - IV R 8/13]).
cc. Eine Berücksichtigung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß §§ 175 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 171 Abs. 10 AO scheidet ebenfalls aus, da im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheides vom 06.10.2016 die Frist von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheides vom 02.03.2012 unstreitig bereits abgelaufen war.
2. Der Beklagte war infolge des Eintritts der Festsetzungsverjährung mit Ablauf des 31.12.2015 auch nicht zu einer Änderung wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 AO und der Berücksichtigung von Einkünfte aus Leibrenten und Versorgungsaufwendungen berechtigt.
Der Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 07.04.2011 stand im Hinblick auf die übermittelten Daten der sonstigen Einkünfte aus Leibrenten und Versorgungsaufwendungen ebenfalls der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen (§ 93c AO, § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F.; BFH-Urteil vom 24.08.2016 X R 34/14, BFHE 255, 112, BStBl II 2017, 375). Ausweislich der später stornierten Steuerfestsetzung vom 03.09.2013 waren dem Beklagten die Daten im August 2013 bekannt.
3. Die Klage ist jedoch unbegründet, soweit der Kläger die Aufhebung des streitigen Einkommensteuerbescheides 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.01.2018 in vollem Umfang begehrt, da in Bezug auf die Auswertung der Mitteilung über die geänderte gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen durch das Finanzamt M vom 18.12.2014 Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten war.
Der Beklagte war berechtigt, den Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 07.04.2011 im Hinblick auf die durch das Finanzamt München mitgeteilten Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus der Beteiligung des Insolvenzschuldners an der Firma S zu ändern, da die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheides am 06.10.2016 noch nach § 171 Abs. 10 AO gehemmt war.
Gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO endet die Festsetzungsfrist, soweit für die Festsetzung einer Steuer ein Feststellungsbescheid als Grundlagenbescheid bindend ist, nicht vor Ablauf von 2 Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids.
Bei dem Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Einkünfte aus Gewerbebetrieb) vom 18.12.2014 handelt es sich unstreitig um einen Grundlagenbescheid im Sinne der Vorschrift für die Einkommensteuer 2010. Der Erlass des Änderungsbescheides zur Einkommensteuer 2010 vom 06.10.2016 erfolgte innerhalb der 2-Jahresfrist des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO. Ausweislich des Bearbeitungsvermerkes auf der Rückseite der Mitteilung hat der Beklagte - trotz Ansatz eines fehlerhaften Wertes bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb - den geänderten Grundlagenbescheid vom 18.12.2014 und nicht den bereits am 19.12.2013 erlassenen Grundlagenbescheid ausgewertet. Die Berücksichtigung der gemäß Grundlagenbescheid vom 18.12.2014 gesondert und einheitlich festgestellten Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 8.845,82 € erfolgt im Rahmen einer Fehlerkompensation.
4. Die Einkommensteuer 2010 ist aufgrund folgender Berechnung zu ermitteln (alle Beträge in Euro):
Einkünfte aus Gewerbebetrieb | 8.846 |
---|---|
Einkünfte aus selbstständiger Arbeit | 0 |
Sonstige Einkünfte | 0 |
Summe der Einkünfte | 8.846 |
Gesamtbetrag der Einkünfte | 8.846 |
Verlustvortrag | 8.846 |
Summe der beschränkt abziehbaren Vorsorgeaufwendungen | 0 |
Sonderausgaben-Pauschbetrag | 36 |
Einkommen / zu versteuerndes Einkommen | 0 |
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Die Kosten waren dem Beklagten in vollem Umfang aufzuerlegen. Der Senat misst dem Unterliegen des Klägers im Hinblick auf den Aufhebungsantrag im Vergleich zur Steuerfestsetzung mit 0 € und der sich hieraus möglicherweise ergebenden Reduzierung des Verlustvortrags aufgrund des Todes des Insolvenzschuldners und der in den Folgejahren nicht zu erwartenden weiteren Einkünfte lediglich einen geringen Wert bei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3, Abs. 1 FGO i.V. mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
III. Der Senat hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zur Klärung der Frage zugelassen, ob die Abgabe einer Einkommensteuererklärung bei dem für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zuständigen Finanzamt den Lauf der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in Gang setzt.