Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.01.1989, Az.: 4 W 164/88

Sofortige Beschwerde gegen Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft; Fehlen an einer wirksamen Beschlussanfechtung mangels inhaltlicher Bestimmtheit; Frage, welche Anforderungen an die Wirksamkeit einer Antragsschrift zu stellen sind; Erfordernis, dass sich dem Antrag unter Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände sowie nach Maßgabe der allgemeinen Auslegungsgrundsätze entnehmen lässt, welche Beschlüsse im einzelnen angefochten werden sollen; Frage, ob eine Begründung erforderlich ist; Auslegung unter Berücksichtigung des berechtigten Schutzbedürfnisses der übrigen Wohnungseigentümer; Heranziehung der auch auf anderen Rechtsgebieten bestehenden gleichen Problematik

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.01.1989
Aktenzeichen
4 W 164/88
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1989, 15102
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1989:0119.4W164.88.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - AZ: 1 T 163/87
AG Springe - AZ: 5 UR II 14/87

Fundstelle

  • WuM 1989, 208-210 (Volltext mit amtl. LS)

Redaktioneller Leitsatz

Eine wirksame Beschlussanfechtung nach dem WEG liegt nur dann vor, sofern sich dem Antrag unter Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände sowie nach Maßgabe der allgemeinen Auslegungsgrundsätze entnehmen lässt, welche Beschlüsse im einzelnen angefochten werden sollen.

In der Wohnungseigentumssache
betreffend die Wohnungseigentümergemeinschaft ... in ...
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters B... sowie
der Richter S ... und Dr. W...
am 19. Januar 1989
beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 5. Mai 1988 wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten erster Instanz tragen die Antragsgegner zu 26 %, die Gerichtskosten zweiter Instanz zu 22 %, die übrigen Gerichtskosten werden dem Antragsteller auferlegt.

Der Antragsteller hat den Antragsgegnern die außergerichtlichen Auslagen dritter Instanz sowie 74 % der außergerichtlichen Auslagen erster Instanz und 78 % der außergerichtlichen Auslagen zweiter Instanz zu erstatten.

Der Geschäftswert wird - insoweit unter teilweiser Abänderung des landgerichtlichen Beschlusses - für die erste Instanz auf 4.703 DM, für die zweite Instanz auf 4.503 DM und für das Verfahren der weiteren Beschwerde auf 3.503 DM festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller wandte sich mit einem am 6. Mai 1987 bei Gericht eingegangenen Schreiben gegen Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft, der er angehört.

2

In dem betreffenden Brief heißt es u. a. wie folgt:

Betrifft: 19. Wohnungseigentümerversammlung vom 8. April 1987 der ...

Antrag

Zu

1)
wegen Befangenheit und Ablehnung meiner Person durch die Hausverwaltung als Verwaltungsbeirat

2)
Beschlußfassungen der Wohnungseigentümer allgemein.

3

Dem Protokoll der Wohnungseigentümerversammlung vom 9. April 1987 läßt sich entnehmen, daß zu den Tagesordnungspunkten 1 - 12 insgesamt 14 verschiedene Beschlüsse gefaßt worden sind. Bei dem Tagesordnungspunkt 13 wurden u. a. 15 Anträge des Antragstellers behandelt, wobei in mehr als 10 Fällen weitere Beschlüsse gefaßt worden sind.

4

Mit Schriftsatz vom 31. Juli 1987 reichte der Antragsteller eine Begründung ein, die teilweise unverständlich war, immerhin aber doch erkennen ließ, daß er eine Aussetzung des Verfahrens wünschte und mit den Ablesungen hinsichtlich der Heizölbestände sowie der Wasserabrechnung nicht einverstanden war. Nachdem der Antragsteller vom Amtsrichter in der mündlichen Verhandlung im Oktober 1987 eingehend befragt worden war, legte das Amtsgericht das Anfechtungsschreiben des Antragstellers in einem bestimmten Sinne aus und beschied diese Anträge sachlich, wobei der Beschluß der Eigentümerversammlung zu TOP 3 für ungültig erklärt wurde. Durch die Begründung der sofortigen Beschwerde des Antragstellers wurde klargestellt, daß darüber hinaus die Beschlüsse zu TOP 4, 4 a, 4 b und 4 c als angefochten gelten sollten, wobei das Landgericht den Beschluß zu TOP 4 c ebenfalls für ungültig erklärt hat. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere sofortige Beschwerde mit dem Begehren, auch die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 4 (Jahresabrechnung), 4 a (Entlastung des Verwalters) und 4 b (Entlastung des Verwaltungsbeirates) für ungültig zu erklären. Mit der Anschlußbeschwerde erstreben die Antragsgegner eine anderweitige Kostenentscheidung in dem Sinne, daß der Antragsteller ihnen auch ihre außergerichtlichen Auslagen erstatten soll.

5

II.

Die gemäß den §§ 43, 45 WEG, 27 FGG zulässige weitere sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg, weil es an einer wirksamen Beschlußanfechtung fehlt.

6

1)

Nach § 23 Abs. 4 in Verbindung mit § 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG ist ein Beschluß nur dann ungültig, wenn er durch eine gerichtliche Entscheidung für ungültig erklärt worden ist, wobei der Antrag auf eine solche Entscheidung gemäß § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG nur binnen eines Monats seit der Beschlußfassung gestellt werden kann - von Fällen der Nichtigkeit abgesehen, die hier keine Rolle spielen.

7

Nach Auffassung des Senats liegt eine wirksame Beschlußanfechtung nur dann vor, sofern sich dem Antrag unter Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände sowie nach Maßgabe der allgemeinen Auslegungsgrundsätze entnehmen läßt, welche Beschlüsse im einzelnen angefochten werden sollen.

8

In Literatur und Rechtsprechung (vgl. Palandt-Bassenge, BGB, 48. Auflage 1989, Rdn. 5 a zu § 23; Weitnauer, WEG, 7. Auflage 1988, Rdn. 11 zu § 43; Bärmann-Pick-Merle, WEG, 6. Auflage 1987, Rdn. 47 zu § 43; Röll im Münchener Kommentar, 2. Auflage 1986, Rdn. 13 zu § 43; BayObLG 1974, 172; BayObLGZ 1975, 54 ff.) wird die Frage, welche Anforderungen an die Wirksamkeit einer Antragsschrift zu stellen sind, teilweise nicht oder nur beiläufig behandelt. Einigkeit besteht allerdings darin, daß eine Begründung nicht erforderlich ist (Palandt-Bassenge, a.a.O.), andererseits aber die Frage, ob und inwieweit ein Beschluß angefochten wird, allein der Antragsteller bestimmt (Bärmann-Pick-Merle, a.a.O.). Nach Auffassung des Senats kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, daß der angefochtene Beschluß so genau bezeichnet werden muß, daß sich beurteilen läßt, welche - sonstigen auf der Eigentümergemeinschaft gefaßten - Beschlüsse demgegenüber in Rechtskraft erwachsen sind (ebenso Palandt-Bassenge, Rdn. 5 a zu § 23 WEG; BayObLGZ 1974, 172, 174; BayObLG, Rechtspfleger 1979, 446). Eine derartige Forderung ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, denn wenn es dort heißt, ein Beschluß sei nur ungültig, wenn er angefochten werde, so muß innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von einem Monat auch unmißverständlich geklärt sein, welcher der zahlreichen von einer Wohnungseigentümergemeinschaft gefaßten Beschlüsse von der Anfechtung erfaßt sein soll. Nur eine solche Auslegung trägt im übrigen dem berechtigten Schutzbedürfnis der übrigen Wohnungseigentümer ausreichend Rechnung, denn vernünftige Wohnungseigentümer und/oder Verwalter werden in der Regel dann, wenn ein Beschluß zur gerichtlichen Überprüfung gestellt worden ist, mit der Durchführung der entsprechenden Maßnahme - abgesehen von Not- oder Eilfällen - bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens zu warten. Haben die Wohnungseigentümer beispielsweise Sanierungsmaßnahmen in einer Größenordnung von mehreren 10.000 DM beschlossen und wird dieser Beschluß angefochten, so könnten die Wohnungseigentümer bei einem Erfolg des Antragstellers diesen nicht mit den anteiligen Kosten belasten; sie liefen darüber hinaus sogar Gefahr, sich schadensersatzpflichtig zu machen, wenn sie bestimmte Maßnahmen trotz eines laufenden Gerichtsverfahrens auf eigenes Risiko durchgeführt haben, schließlich müßten sie unter Umständen sogar den alten Zustand auf eigene Kosten wiederherstellen. Im Hinblick auf diese erheblichen finanziellen Risiken darf die Frage, welcher Beschluß nicht in Rechtskraft erwachsen ist, nicht auf Ungewisse Zeit in der Schwebe bleiben. Eine derartige Auslegung ist für den anfechtenden Wohnungseigentümer auch ohne weiteres zumutbar, weil er entweder durch die Angabe des entsprechenden Tagesordnungspunktes oder dadurch, daß er das Thema des entsprechenden Beschlusses wenigstens mit einem Wort umreißt, zu erkennen geben kann, welchen der Beschlüsse der Eigentümerversammlung er anzugreifen beabsichtigt.

9

Auch auf anderen Rechtsgebieten gibt es die hier angesprochene Problematik. So muß nach § 3 Abs. 1 Nr. 2-4 Anfechtungsgesetz eine Anfechtungsklage binnen einer Frist von einem oder zwei Jahren nach Ablauf der betreffenden Verfügung erhoben werden, wobei nach § 9 AnfG der Klageantrag bestimmt zu bezeichnen hat, in welchem Umfang und in welcher Weise die Rückgewähr seitens des Empfängers erfolgen soll. Den §§ 2 und 9 AnfG läßt sich somit entnehmen, daß der Anfechtungsgegner in die Lage versetzt werden soll, Klarheit darüber zu gewinnen, welchen Ansprüchen er sich ausgesetzt sieht und welche Vermögensgegenstände ihm möglicherweise wieder entzogen werden sollen. In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof (BGH NJW 1987, 904, 907) [BGH 18.12.1986 - IX ZR 11/86] entschieden, daß diese Klarstellung innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen erfolgen müsse. Entsprechendes gilt unter Berücksichtigung der dargelegten berechtigten Interessen der Wohnungseigentümergemeinschaft auch für die Beschlußanfechtung. Es ist nicht vertretbar, daß erst ein halbes Jahr nach der Eigentümerversammlung durch Befragung des Antragstellers in der mündlichen Verhandlung geklärt wird, welche Beschlüsse nun eigentlich angegriffen werden sollen.

10

Allerdings wird dem erstinstanzlichen Gericht in entsprechender Anwendung von § 139 ZPO die Verpflichtung obliegen, bei einem unverständlichem Schriftsatz auf entsprechende Klarstellung hinzuwirken. Dazu war im vorliegenden Fall indessen keine Zeit, weil der Antragsschriftsatz erst zwei Tage vor Ablauf der Anfechtungsfrist bei Gericht eingegangen ist.

11

2)

Dem Schriftsatz des Antragstellers vom 5. Mai 1987 ließ sich zwar entnehmen, daß der Beschluß der Wohnungseigentümergemeinschaft zum Tagesordnungspunkt 3 angegriffen werden sollte, weil durch den Hinweis auf die "Befangenheit und Ablehnung meiner Person durch die Hausverwaltung als Verwaltungsbeirat" deutlich erkennbar wurde, daß der Antragsteller sich gegen die Art der Durchführung der Wahl zum Verwaltungsbeirat wandte, für den er kandidiert hatte. Dieser Punkt ist aber nicht Gegenstand des Verfahrens der weiteren Beschwerde. Im übrigen war diesem Schreiben aber nicht zu entnehmen, welche der mehr als zwanzig Beschlüsse angefochten sein sollten. Allerdings kann ein entsprechender Schriftsatz ausnahmsweise auch dahin auszulegen sein, daß sämtliche gefaßten Beschlüsse zur Überprüfung gestellt werden sollen. Das wird jedoch praktisch kaum vorkommen, weil fast immer auch Entscheidungen mit dem Einverständnis des Anfechtenden oder gar auf seinen Antrag getroffen werden und deshalb nicht anzunehmen ist, daß er sogar sämtliche von ihm gebilligten oder initiierten Beschlüsse aufgehoben sehen will. Im vorliegenden Fall hat sich in den Gesprächen zwischen dem Antragsteller und dem Amtsgericht anläßlich der mündlichen Verhandlung schließlich auch herausgestellt, daß lediglich fünf der mehr als zwanzig Beschlüsse beanstandet wurden. Das ließ sich indessen dem bereits erwähnten Anfechtungsschreiben auch nicht ansatzweise entnehmen.

12

3)

Der Senat weist vorsorglich darauf hin, daß sich das Landgericht mit dem am 13. Mai 1988 eingegangenen Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung hätte befassen müssen, obwohl sein Beschluß bereits am 5. Mai 1988 ergangen war. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 1988, 1963 [BVerfG 14.04.1988 - 1 BvR 544/86]) ist das Gericht nämlich gehalten, Vorbringen einer Partei auch dann zur Kenntnis zu nehmen, wenn es nach der Beschlußfassung, jedoch vor Hinausgabe der Entscheidung eingeht. Diese Voraussetzungen lagen aber vor, weil der am 5. Mai 1988 gefaßte Beschluß erst am 1. Juni 1988 ausgefertigt und abgesandt worden ist.

13

Im übrigen dürfte es sich empfehlen, die Namen der einzelnen Wohnungseigentümer jedenfalls dann in das Rubrum aufzunehmen, wenn eine Vollstreckbarkeit der Entscheidung - z. B. bei Zahlungsansprüchen - in Betracht kommt oder der Verwalter nicht erkennbar Vertreter der Wohnungseigentümer in dem konkreten Verfahren ist. Einer endgültigen Festlegung des Senats bedarf es im vorliegenden Fall nicht, weil die weitere Beschwerde zurückgewiesen worden ist und damit eine Benachteiligung der einzelnen Wohnungseigentümer nicht eintreten kann.

14

4)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 48 WEG.

15

Im Hinblick darauf, daß die Anfechtung der Beschlüsse der Wohnungseigentümerversammlung - abgesehen von dem Tagesordnungspunkt 3 - mangels inhaltlicher Bestimmtheit offenbar unbegründet war, erschien es gerechtfertigt, auch die außergerichtlichen Auslagen der Antragsgegner dem Antragsteller aufzuerlegen. Dazu bedurfte es im Tenor keiner besonderen Erwähnung, weil über die Kosten von Amts wegen entschieden wird und deshalb die Erhebung der Anschlußbeschwerde auch nicht erforderlich war.

16

5)

Bei der Festsetzung des Geschäftswertes ist nach der neueren Rechtsprechung des Senats (Nds. Rechtspflege 1988, 215) bei der Anfechtung einer Jahresabrechnung 25 % der entsprechenden Position zugrundezulegen, sofern lediglich eine Umverteilung gewünscht wird, der volle Betrag indessen, wenn beanstandet wird, die entsprechende Ausgabe hätte überhaupt nicht getätigt werden dürfen. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist es gerechtfertigt, die im übrigen vom Landgericht zutreffend festgesetzten Geschäftswerte hinsichtlich der Tagesordnungspunkte Wasser und Rücklagen auf jeweils 1/4 des jeweiligen Betrages, mithin auf 1.253 DM und 1.250 DM festzusetzen.

17

6)

Der Schriftsatz des Antragstellers vom 17. Januar 1989 gibt zu einer anderen Beurteilung keine Veranlassung. Der Hinweis auf die Zivilprozeßordnung und die dortigen Klarstellungsmöglichkeiten im Rechtsmittelverfahren greift nicht durch, weil sich die angezogenen Ausführungen stets auf nicht fristgebundene Anträge beziehen. Wenn im Zivilrecht - regelmäßig - eine Klageerweiterung unproblematisch ist, so gilt dies, wie das BayObLG (BayObLGZ 1974, 174 f.) zutreffend ausgeführt hat, nicht für die Beschlußanfechtung im WEG-Verfahren, wenn die Monatsfrist abgelaufen ist. Dementsprechend kann auch ein gänzlich unbestimmter und der Auslegung (überwiegend) nicht fähiger Antrag nur innerhalb der Monatsfrist präzisiert werden, so wie der BGH das ebenfalls für die fristgebundenen Anträge nach dem Anfechtungsgesetz entschieden hat (BGH NJW 1987, 907).

Streitwertbeschluss:

Der Geschäftswert wird - insoweit unter teilweiser Abänderung des landgerichtlichen Beschlusses - für die erste Instanz auf 4.703 DM, für die zweite Instanz auf 4.503 DM und für das Verfahren der weiteren Beschwerde auf 3.503 DM festgesetzt.

B...,
S...,
Dr. W...