Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 11.12.1996, Az.: 2 ARs 54/96
Ausschließung eines Rechtsanwalts als Verteidiger ; Beteiligung eines Rechtsanwalts an einer Straftat
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 11.12.1996
- Aktenzeichen
- 2 ARs 54/96
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1996, 23851
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1996:1211.2ARS54.96.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- StA ... - AZ: 130 Js 13055/96a
Rechtsgrundlagen
- § 167 StGB
- § 138a StPO
- § 138c StPO
- § 166 StGB
Fundstelle
- NJW 1997, 1167-1168 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Beschimpfung von Bekenntnissen u.a.
hier: Ausschließung des Rechtsanwalts ... nach § 138 a StPO
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Den strafrechtlichen Schutz des § 167 StGB (Störung der Religionsausübung) kann nicht ohne weiteres beanspruchen, wer eine politische Demonstration in der Form der religiösen Andacht durchführt, so daß die gemeinsame Andacht zur Verehrung und Anbetung Gottes in den Hintergrund tritt.
- 2.
Ergibt sich aus dem Akteninhalt kein dringender oder die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigender Tatverdacht gegen den vom Ausschließungsantrag betroffenen Verteidiger, so bedarf es weder einer mündlichen Verhandlung noch weiterer Sachaufklärung durch den Senat.
In dem Ermittlungsverfahren
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf den Antrag der Staatsanwaltschaft
auf Ausschließung des Rechtsanwalts ... als Verteidiger des Beschuldigten ...
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
am 11. Dezember 1996
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Ausschließungsverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Rechtsanwalts ... fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Beschuldigten ... sowie Rechtsanwalt ... und andere ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB), Beschimpfung von Bekenntnissen (§ 166 Abs. 1 StGB) und Störung der Religionsausübung (§ 167 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Rechtsanwalt ... hat sich unter Vorlage einer Vollmacht als Verteidiger ... gemeldet und Akteneinsicht beantragt. Die Staatsanwaltschaft hat dies unter Hinweis auf § 138 a StPO abgelehnt und stellt den Antrag auf Ausschließung des Rechtsanwalts ... als Verteidiger des Beschuldigten ....
Dem Verfahren liegt nach dem Stand der aktenkundigen Ermittlungen folgender Sachverhalt zugrunde:
In der Woche vom 17.-23.6.1996 fand in ... Haus Nr. ... einem Treffpunkt rechtsgerichteter Kreise, unter der Leitung des Rechtsanwalts ... eine Tagungswoche statt, die von dem "..." Arbeitskreis gegen ... Nr. ... zum Anlaß genommen wurde, an allen Abenden dieser Woche in ... Demonstrationsveranstaltungen durchzuführen. Der Arbeitskreis hatte die behördliche Erlaubnis erhalten, sich dem Hause Nr. ... bis auf 50 m zu nähern, und von dieser Befugnis Gebrauch gemacht. Bereits in der Vergangenheit hatten rechtsgerichtete Aktivitäten in diesem Heim oder von diesem ausgehend (Umzüge) zu Gegendemonstrationen verschiedener Gruppierungen geführt. An den vorangegangenen Tagen in diesem Jahr war es zu Demonstrationen auch in unmittelbarer Nähe des Heimes gekommen. Am 17. Juni hatten zwischen beiden Gruppen schon heftige Kontroversen über Fragen des Glaubens und der Kirche stattgefunden. Am 21. Juni hatten sich Demonstranten vor dem Hause Nr. ... versammelt, während dort eine Sonnwendfeier abgehalten wurde, hatten Lieder gesungen und waren schließlich mit ihren Kraftfahrzeugen an dem Grundstück hupend vorbeigefahren.
Am Sonnabend, dem 22.6.1996, fand auf dem Dorfplatz von ... in Sichtweite des Hauses Nr. ... innerhalb eines eingezäunten Bereichs eine "Ökumenische Andacht", auch als Mahnwache bezeichnet, statt. Es war beabsichtigt, nach der Andacht zu dem Hause Nr. ... zu ziehen, sich ihm bis auf die erlaubte Entfernung von 50 m zu nähern und dann umzukehren und die Versammlung aufzulösen. An der Außenseite der Einzäunung des Dorfplatzes hatten Teilnehmer ein Transparent mit der Aufschrift "... FORDERN: SCHLIESST ENDLICH ..." aufgehängt. Die Andacht wurde von dem "Ökumenischen Arbeitskreis für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" ausgerichtet und begann mit dem Spiel eines Posaunenchores und Liedern, gefolgt von einer Lesung und einer Ansprache, und schloß mit einem Gebet und einem Lied. Die Ansprache hielt Diakon ... sie begann mit folgenden Worten:
Wir kommen an den Abenden dieser Woche hier zusammen, um Stellung zu beziehen gegen Aktivitäten im Haus Nr. ... Wir ... und ... sagen "Nein" zu der ideologischen Schulung, die in diesem Zentrum stattfindet.
Es wurden sodann christliche Lehren und Ziele heidnischer und rechtsgerichteter Weitanschauungen und Aktivitäten gegenübergestellt und schließlich dazu aufgerufen, den Einfluß und die Tätigkeit des Schulungszentrums Haus Nr. ... zu unterbinden.
Während dieser Andacht näherte sich Rechtsanwalt ... mit einigen Begleitern dem Ort der Veranstaltung, telefonierte eine längere Zeit von einer nahegelegenen Zelle aus und begab sich dann mit seinen Begleitern auf den Rückweg, wobei er möglicherweise - wie der Zeuge ... bekundet hat - den Teilnehmern der Veranstaltung noch Worte wie "Schwachsinn" zurief. Als eine Teilnehmerin der Andacht ihnen nachrief: "Verpißt euch endlich!", kehrten sie um, traten an den Zaun heran und verwickelten Teilnehmer der Veranstaltung in Diskussionen, an denen sich Rechtsanwalt ... lautstark beteiligte. Beiderseitiges Fotografieren und Filmen der daran Beteiligten führte zu einer Verschärfung der Lage, so daß sich vor Ort befindliche Polizeibeamte beschwichtigend einmischten. Zu weiteren Maßnahmen sahen sie keinen Veranlassung, zumal der (von ihnen und dem fotografierenden Zeugen ... bekundete) Ruf "Verpißt euch endlich!" erst Anlaß zur Rückkehr des Rechtsanwalts ... und seiner Begleiter und damit zum Beginn der Diskussionen gegeben hatte.
Während dieser Streitgespräche näherten sich vom Haus Nr. ... her zwei junge Leute, von denen einer eine offensichtliche Karikatur des Gekreuzigten trug und dazu lauthals in psalmodierender Weise "Halleluja, Halleluja" sang und mit diesen Rufen zunächst die Einzäunung, und dann die Andachtsteilnehmer innerhalb des Zaunes umrundete. Zwei dunkelhäutige Missionare, die als Gäste der ... Mission hinzukamen, wurden aus dem Personenkreis aus dem Hause Nr. ... mit Rufen wie "Bimbo, Bimbo" und ihre Hautfarbe verhöhnenden Lauten empfangen.
Daß dieser Auftritt des Kruzifixträgers oder die Beschimpfungen der Missionare von Rechtsanwalt ... zuvor etwa telefonisch oder vor Ort initiiert wurden, er daran teilnahm oder er dabei sonst eine verantwortliche Rolle spielte, ergeben die Zeugenaussagen nicht. Daß Rechtsanwalt ... den Ruf "Verpißt euch endlich!" seinerseits durch Rufe oder ähnliche Störungen unmittelbar zuvor provozierte, bekundet zwar der Zeuge ..., wird aber von den Polizeibeamten nicht bestätigt.
Nach einer Weile forderte Rechtsanwalt ... die Teilnehmer seiner Tagung auf, mit ihm in das Heim zurückzukehren. Die meisten folgten ihm, während einige die Diskussionen mit Teilnehmern der Andacht (Mahnwache) fortsetzten. Von dem geplanten Zug zum Hause Nr. ... sahen die Teilnehmer der Andacht nunmehr ab.
II.
Der Antrag ist zwar noch zulässig (zu den Erfordernissen vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 42. Aufl., § 138 c Rdn. 9), jedoch nicht begründet.
Der Sachverhalt, wie er sich aus der Ermittlungsakte ergibt, begründet keinen dringenden oder hinreichenden Verdacht der Beteiligung des Rechtsanwalts ... an einer Straftat, namentlich nicht im Sinne der §§ 130, 166 und 167 StGB.
Ob das Verhalten gegenüber den Missionaren und der Auftritt des Kruzifixträgers strafwürdig nach den §§ 130 und 166 StGB war, bedarf im hiesigen Ausschließungsverfahren keiner Prüfung durch den Senat; denn das Ermittlungsergebnis enthält keine genügenden Hinweise darauf, daß Rechtsanwalt ... eine Beteiligung in irgendeiner strafrechtlich relevanten Form an diesen Vorfällen durch positives Tun oder (auf Grund einer Garantenstellung) durch Unterlassen nachzuweisen wäre. Angaben von Teilnehmern der Andacht hierzu beruhen ersichtlich auf Vermutungen oder sind in Bezug auf die Person zu unbestimmt.
Rechtsanwalt ... könnte sich hingegen strafbar gemacht haben, wenn er "den Gottesdienst oder eine gottesdienstliche Handlung ... absichtlich und in grober Weise" gestört hätte (§ 167 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Doch auch das kann dem vorliegenden Ermittlungsergebnis (entgegen der in sich schlüssigen Antragsbegründung) nicht entnommen werden.
Ob die Veranstaltung vom 22.6.1996 angesichts ihrer Zielrichtung der Bekämpfung neonazistischer Aktivitäten in ..., ihres geplanten Ablaufs mit anschließendem Demonstrationszug zum Hause Nr. ... ihres äußeren Rahmens mit der Bezeichnung als Mahnwache und dem in Sichtweite des Hauses Nr. ... aufgehängten Protestplakat sowie ihrer inneren Ausgestaltung (Wortlaut der Ansprache) noch im gesetzlichen Sinne "Gottesdienst oder gottesdienstliche Handlung" war, wie es § 167 Abs. 1 StGB für den Schutz des öffentlichen Friedens voraussetzt, könnte schon zweifelhaft sein. Gottesdienst ist - so die Definition in Literatur und Rechtsprechung seit jeher (LK-Dippel, StGB 10. Aufl., § 167 Rdn. 5; RG Rspr. 7, 373) - eine Veranstaltung, bei der sich Mitglieder einer Religionsgemeinschaft versammeln, um sich durch gemeinsame Andacht, Verehrung und Anbetung Gottes nach den Vorschriften, Gebräuchen und Formen ihrer Vereinigung religiös zu erbauen. Die oben dargestellten Besonderheiten dieser Veranstaltung geben zu der Frage Anlaß, inwieweit der durch Andacht, Verehrung und Anbetung Gottes begründete gottesdienstliche Charakter hier hinter der Demonstration der Mahnwache mit politischem Zweck zurücktrat. Doch kann dies unentschieden bleiben, weil sich Rechtsanwalt ... jedenfalls eine absichtlich herbeigeführte grobe Störung der Andacht nicht nachweisen läßt.
Eine Störung kann zwar bereits darin bestehen, daß Teilnehmer eines Gottesdienstes durch lautes Reden - hier waren es lautstarke Diskussionen - von ihrer Andacht abgelenkt werden. Doch kann diese sicherlich eingetretene Störung angesichts der konkreten Umstände des Vorfalls nicht als grob und absichtlich herbeigeführt angesehen werden. Zu bedenken ist dabei, daß die Diskussion durch einen deplacierten Zuruf aus dem Kreise der Andachtsteilnehmer an die bereits weggehende Gruppe aus dem Hause Hetendorf Nr. ... ausgelöst wurde, daß es für eine Diskussion zweier Seiten bedarf und sich solche auf Seiten der Andachtsteilnehmer sogleich fanden, anstatt daß man Rechtsanwalt ... und seine Begleiter durch Nichtbeachtung als alleinige Störer kennzeichnete. Zur Beurteilung, ob eine grobe Störung vorliegt, kann das eigene Verhalten des vom Strafzweck geschützten Personenkreises, nicht völlig außer acht gelassen werden. Die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, wie sie der "Arbeitskreis gegen ... Nr. ..." offenbar betreibt, fordert zu Zusammenstößen wie den vom 22.6.1996 heraus und kann für eine Zusammenkunft den staatlichen Schutz gegen Störungen der Religionsausübung nicht gleichermaßen für sich in Anspruch nehmen wie eine Andacht, die allein der Verehrung und Anbetung Gottes gilt. Hier muß sich auch der Begriff der groben Störung relativieren. Die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit einem politischen Gegner wurde eben darin sichtbar, daß Teilnehmer der Andacht zu Diskussionen mit Rechtsanwalt ... und seinen Begleitern augenscheinlich sofort bereit waren. Daß dies auch von Außenstehenden so gesehen wurde, beweisen die Äußerungen der Polizeibeamten vor Ort wie etwa die Antwort eines Beamten: "Muß das denn sein!", als er von dem geplanten Protestzug zum Haus Nr. ... erfuhr, und die Rede eines anderen Beamten: "Gestern haben Sie provoziert (Anm. des Sen.: durch die beschriebene Störung der Veranstaltung auf dem Grundstück ... Nr. ... am 21.6.1996), heute provozieren die", als man ihnen Untätigkeit vorwarf. Wer das Recht zur politischen Demonstration für sich in Anspruch nimmt und ausübt und dazu die Form einer christlichen Andacht wählt, muß sich gefallen lassen, (im Rahmen geltenden Rechts) in gegendemonstrative Aktionen verwickelt zu werden. Ihn davor zu bewahren, entspricht nicht dem Schutzzweck des § 167 StGB.
III.
Einer mündlichen Verhandlung bedurfte es nicht, weil nach Aktenlage eine Ausschließung des Rechtsanwalts ... nicht in Betracht kommt und durch eine mündliche Verhandlung kein anderes Ergebnis zu erwarten ist (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1991, 299 [OLG Düsseldorf 10.12.1990 - 1 Ws 1096/90]; KK-Laufhütte, StPO 3. Aufl., § 138 d Rdn. 1 m.weit.Nachw.; auch OLG Düsseldorf NStZ 1983, 185; OLG Braunschweig StV 1984, 500, 502). Der Senat war auch nicht gehalten, eigene Ermittlungen durchzuführen oder die Sache zu ergänzenden Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft zurückzugeben (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O.).
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 467 StPO (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O., § 138 d Rdn. 10).