Staatsgerichtshof Niedersachsen
Beschl. v. 16.06.2006, Az.: StGH 1/05

Ausschluss von Ausübung des Richteramts; Ausübung des Richteramts; Befangenheit; Befangenheitsanzeige; Besorgnis der Befangenheit; Selbstablehnung

Bibliographie

Gericht
StGH Niedersachsen
Datum
16.06.2006
Aktenzeichen
StGH 1/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 53404
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der von dem Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs Prof. Dr. Ipsen mit dienstlicher Erklärung vom 5. Mai 2006 angezeigte Sachverhalt hindert ihn nicht an der Ausübung des Richteramtes.

Gründe

I.

1. Die Beschwerdeführer, sämtlich Städte und Gemeinden, in denen Spielstätten zugelassener Spielbanken betrieben werden, wenden sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen Vorschriften des Niedersächsischen Spielbankengesetzes vom 16.12.2004 (Nds. GVBl. S. 605) - NSpielBG -. Sie sehen ihr verfassungsmäßiges Recht auf Selbstverwaltung dadurch als verletzt an, dass sie nach diesem Gesetz nicht in dem Umfang an dem Aufkommen der von zugelassenen Spielbanken gezahlten Abgaben beteiligt werden, in dem sie aufgrund der Befreiung der zugelassenen Spielbanken von der Gewerbesteuer sowie von örtlichen Verbrauchs- und Aufwandssteuern einen Einnahmeausfall erleiden, sondern nach § 7 NSpielBG nur einen Spielbankgemeindeanteil erhalten sollen, der nach dem Verhältnis des im vorangegangenen Kalenderjahr auf die örtliche Spielbank entfallenden Bruttospielertrags zum Bruttospielertrag aller in Niedersachsen zugelassenen Spielbanken bemessen sein und nach Maßgabe des Landeshaushalts geleistet werden soll.

2. Das Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs Prof. Dr. Ipsen hat mit dienstlicher Erklärung vom 5. Mai 2006 angezeigt, dass er im Februar 2000 auf Wunsch des Niedersächsischen Städtetages ein Rechtsgutachten zu der Frage erstattet hat, ob die Einbeziehung des Gemeindeanteils an der Spielbankabgabe in die Berechnung der Steuerkraftzahl gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 5 NFAG in der Fassung vom 26. Mai 1999 (Nds. GVBl. S. 117) gegen den Grundsatz der Systemgerechtigkeit bzw. das interkommunale Gleichbehandlungsgebot (Art. 28 NV6) verstößt und die Spielbankgemeinden insofern in ihrem durch Art. 57 Abs. 1 NV geschützten Recht auf Selbstverwaltung verletzt sind. Im Rahmen der gutachtlichen Untersuchung habe er sich auch mit der Rechtsnatur der Spielbankabgabe und insbesondere mit ihrem Abgeltungscharakter auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang sei er in kritischer Auseinandersetzung mit einem von Prof. Dr. Konrad Redeker im Jahre 1995 erstatteten Rechtsgutachten dessen Auffassung entgegengetreten, Spielbankgemeinden hätten gegenüber dem Land keinen Anspruch auf Zuweisung eines Gemeindeanteils an der Spielbankabgabe in einer bestimmten Höhe.

Prof. Dr. Ipsen ist der Auffassung, seine Ausführungen in dem von ihm erstatteten Rechtsgutachten schlössen ihn im vorliegenden Verfahren nicht nach § 12 Abs. 1 StGHG i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG von seinem Richteramt aus. Es fehle bereits an dem Tatbestandsmerkmal des Tätigwerdens in „derselben Sache“. Zudem gelte die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer Rechtsfrage, die für das Verfahren bedeutsam sein könne, gemäß § 12 Abs. 1 StGHG i.V.m. § 18 Abs. 3 BVerfGG nicht als Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG. Im Übrigen sei er bereit, die in dem Rechtsgutachten von ihm vertretene Rechtsauffassung infrage zu stellen, wenn gute Gründe hierfür beständen.

Er zeige seine gutachterliche Tätigkeit im Jahre 2000 an, weil seine Äußerungen in dem Rechtsgutachten Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren der Beschwerdeführer erwecken könnten, die er selbst nicht habe. Für befangen halte er sich nicht.

II.

Den Verfahrensbeteiligten ist Gelegenheit gegeben worden, sich zu der dienstlichen Erklärung von Prof. Dr. Ipsen zu äußern. Sie haben in der Sache keine Stellungnahmen abgegeben.

III.

1. Bei der Erklärung des Mitglieds des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs Prof. Dr. Ipsen handelt es sich um eine Selbstablehnung im Sinne des § 12 Abs. 1 StGHG i.V.m. § 19 Abs. 3 BVerfGG, obwohl er sich selbst nicht für befangen hält. Denn die Regelung setzt nicht voraus, dass sich der Richter für befangen hält. Es genügt, dass er Umstände anzeigt, die Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis seiner Befangenheit zu treffen (BVerfGE 88, 1 [BVerfG 02.12.1992 - 1 BvR 1213/85] [3]). Die Erklärung Prof. Dr. Ipsens lässt zudem erkennen, dass er selbst eine solche Entscheidung für tunlich hält. Die mitgeteilten Umstände geben hierzu auch objektiv Anlass.

2. Es ist nicht zu besorgen, dass Prof. Dr. Ipsen im Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer befangen ist.

a) Besorgnis der Befangenheit ist gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 109, 130 [132] [BVerfG 19.01.2004 - 2 BvF 1/98] m.w.N.). Maßstab hierfür ist, ob ohne Rücksicht auf Besonderheiten einzelner Verfahren Anlass besteht, allgemein an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln BVerfGE 89, 359 [363] [BVerfG 27.01.1994 - 1 BvR 1693/92] m.w.N.).

Wissenschaftliche Äußerungen eines Richters zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage können für sich genommen kein Befangenheitsgrund sein. Anders liegt es aber, wenn die Äußerung in Form eines Gutachtens den erkennbaren Zweck hatte, die umstrittene Position des Auftraggebers oder einer diesem nahestehenden Person oder Organisation zu unterstützen, so dass die Auftragserteilung von dem voraussehbaren Ergebnis des Gutachtens abhängig war. In einem solchen Fall liegen für die Verfahrensbeteiligten Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters nahe. Die Sorge, dass er die streitige Rechtsfrage nicht mehr offen und unbefangen beurteilen werde, ist bei lebensnaher Betrachtungsweise dann verständlich (BVerfGE 88, 1 [BVerfG 02.12.1992 - 1 BvR 1213/85] [4]).

b)Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Die von Prof. Dr. Ipsen in seinem für den Niedersächsischen Städtetag erstellten Rechtsgutachten erörterte Frage, ob und in welcher Höhe Spielbankgemeinden an der Spielbankabgabe zu beteiligen sind, steht weder im Mittelpunkt des Gutachtens, noch hatte ihre Beantwortung den Zweck, eine bestimmte Rechtsauffassung des Auftraggebers zu unterstützen. Im Gesamtzusammenhang des Gutachtens hat sie vielmehr den Charakter eines obiter dictum. Gegenstand des Gutachtens war eine den Bereich des kommunalen Finanzausgleichs zuzuordnende Fragestellung, die nicht das Niedersächsische Spielbankengesetz oder dessen Vorgängerregelung betraf. Bezogen auf diese Themenstellung des Rechtsgutachtens hatte die Frage, ob und in welcher Höhe Spielbankgemeinden an der Spielbankabgabe zu beteiligen sind, eher Randbedeutung. Die Stellungnahme, die Prof. Dr. Ipsen zu ihr abgegeben hat, diente deswegen allein der wissenschaftlichen Vervollkommnung, ohne in irgendeiner Weise zweckgerichtet zu sein. Die Unterstützung der Rechtsposition eines der Beteiligten des vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens konnte sie seinerzeit zudem nicht einmal mittelbar bezwecken, weil die streitbefangene gesetzliche Regelung damals noch nicht bestand und folglich kein Anlass gegeben war, sie zu unterstützen oder ihr entgegenzutreten.

Danach besteht kein Anlass daran zu zweifeln, dass Prof. Dr. Ipsen an der unabhängigen und unvoreingenommenen Beurteilung derjenigen Rechtsfragen gehindert wäre, die sich in dem vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren stellen. Das hat nicht zuletzt auch deswegen zu gelten, weil er in seiner dienstlichen Erklärung vom 5. Mai 2006 die Bereitschaft angezeigt hat, einen Standpunkt in der Frage, ob und in welcher Höhe Spielbankgemeinden an der Spielbankabgabe zu beteiligen sind, zu überdenken, sofern die rechtliche Durchdringung der mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Problematik das gebiete.

Nach alledem kommt es für die Entscheidung nicht darauf an, ob Prof. Dr. Ipsen seine gutachtliche Äußerung „in derselben Sache“ im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG abgegeben hat.

IV.

Der Niedersächsische Staatsgerichtshof entscheidet gemäß § 12 Abs. 1 StGHG i.V.m. § 19 Abs. 1 BVerfGG unter Ausschluss seines Mitgliedes Prof. Dr. Ipsen. Dieser wird bei der Entscheidung gemäß § 13 Satz 1 StGHG auch nicht vertreten.