Amtsgericht Hildesheim
Urt. v. 06.10.2009, Az.: 43 C 80/09
Bibliographie
- Gericht
- AG Hildesheim
- Datum
- 06.10.2009
- Aktenzeichen
- 43 C 80/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 44776
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGHILDE:2009:1006.43C80.09.0A
Fundstelle
- NZI 2009, 897-898
In dem Rechtsstreit
...
hat das Amtsgericht Hildesheim auf die mündliche Verhandlung vom 22.09.2009 durch
den Richter am Amtsgericht Dr. K.
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.)
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.)
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
- 3.)
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten als vorläufigen Insolvenzverwalter persönlich auf Schadensersatz nach Widerruf von Lastschriften in Anspruch.
Die Klägerin unterhielt mit der Firma G. (Schuldnerin) eine Vertragsbeziehung über die Lieferung von Strom, Gas und Wasser.
Am 19.06.2007 erteilte die Schuldnerin der Klägerin eine Abbuchungserlaubnis (Anlage K 1).
Am 30.12.2008 buchte die Klägerin den Abschlag für den Monat Dezember 2008 in Höhe von EUR 765,00 ab.
Am 19.01.2009 erteilte sie der Schuldnerin die Jahresverbrauchsabrechnung für das Jahr 2008, die mit einem Nachzahlungsbetrag in Höhe von EUR 1 004,05 endete. Diesen Betrag buchte die Klägerin am 05.02.2009 von dem Konto der Schuldnerin ab.
Bereits im Januar 2009 hatte die Schuldnerin Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt.
Durch Beschluss vom 22.01.2009 ordnete das Amtsgericht Hildesheim (Insolvenzgericht) die vorläufige Verwaltung über das Vermögens der Antragstellerin mit Zustimmungsvorbehalt an und bestellte den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter (sogenannter schwacher Verwalter). Nach Ziffer 6 des Beschlusses oblag es ihm, gemäß § 22 Abs. 2 InsO das Vermögen der Antragstellerin zu sichern und zu erhalten.
Am 06.02.2009 widerrief der Beklagte gegenüber der Hausbank der Schuldnerin die von der Klägerin vorgenommenen Lastschriften in Höhe von insgesamt EUR 1 769,05.
Die Klägerin begehrt nunmehr unter Berufung auf die Entscheidung des 11. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 10.06.2008 ( BGH NJW 2008, Seite 3348 ff.) von dem Beklagten Schadensersatz gemäß § 826 BGB.
Sie verweist darauf, dass dem Beklagten die Entscheidung des 11. Zivilsenats bekannt gewesen sei; dass er gleichwohl dagegen gehandelt habe, stelle eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB dar.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie EUR 1 769,05 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 26.02.2009 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte beruft sich auf die Rechtsprechung des 9. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, insbesondere auf die Grundsatzentscheidung vom 04.11.2004 ( BGHZ 161, 49 ) und das Urteil vom 07.05.2009 ( BGH, Az.: IX ZR 61/08 ).
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2009 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Schadensersatzanspruch in Höhe von 1 769,05 gemäß § 826 BGB oder aus sonstigen Gründen.
Der Widerruf der Lastschriften durch den Beklagten als vorläufigem Insolvenzverwalter ist keine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Vermögens der Klägerin gewesen.
Gemäß § 826 BGB haftet auf Schadensersatz, wer in einer gegenüber die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt.
Eine solche sittenwidrige Schädigung kann vorliegen, wenn ein Schuldner selbst ohne einen anerkennenswerten Grund Lastschriften widerspricht, obwohl er zuvor eine Einziehungsermächtigung erteilt hatte. Es ist ständige Rechtsprechung, dass das Missbrauchspotential auf Schuldnerseite während des Schwebezustandes einer erteilten aber noch nicht genehmigten Lastschrift es erfordert, den Schuldner bei einem rechtsmissbräuchlichen Widerspruch gemäß § 826 BGB haften zu lassen.
Die Rechtslage ist aber eine andere, wenn der Widerspruch nicht von dem Schuldner selbst, sondern im Insolvenzverfahren von dem vorläufigen Insolvenzverwalter erklärt wird.
Zwar wird alleine durch die Beantragung eines Insolvenzverfahrens nicht "sittenwidriges plötzlich zu anständigen Verhalten" (so BGH NJW 2008, 3348 [BGH 10.06.2008 - XI ZR 283/07]).
Das lässt sich aber aufgrund der Einzelfallentscheidung nicht verallgemeinern.
Denn es ergeben sich gerade aus den Besonderheiten des Insolvenzverfahrens "anerkennenswerte Gründe" für den Widerruf der Lastschriften durch den vorläufigen Insolvenzverwalter. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des 9. Zivilsenats (seit BGHZ 161, 49 ), die dieser ausweislich des Urteils vom 07.05.2009 (IX ZR 61/08) auch nach obiger Entscheidung des 11. Zivilsenats nicht aufgegeben hat. Der 9. Zivilsenat hat darin im letzten Absatz ausdrücklich klargestellt, dass die Rückgabe einer Lastschrift durch den vorläufigen Insolvenzverwalter keine Pflichtverletzung ist. Wenn der 11. Zivilsenat von dieser ständigen Rechtsprechung des 9. Zivilsenats abweichen will, muss er die Rechtsfrage dem Großen Senat für Zivilsachen zur Entscheidung vorlegen.
Das hat er bislang nicht getan.
Der Rechtsprechung des 9. Zivilsenats ist aus folgenden Gründen zu folgen:
Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt setzt sich - anders als der Schuldner selbst - mit dem Widerruf von Lastschriften nicht zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch. Er ist aufgrund der ihm nach der Insolvenzordnung obliegenden und von dem Insolvenzgericht übertragenen Aufgaben dazu berechtigt und sogar verpflichtet. Zu seinen zentralen Aufgaben gehört es, die künftige Masse zu sichern und zu erhalten ( § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 InsO ). Er muss verhindern, dass das Schuldnervermögen weiter verringert wird. Da er die künftige Masse zu sichern und zu erhalten hat, darf er weder eine vor dem Eröffnungsantrag unvollständig erfüllte Verbindlichkeit eines Schuldners vollständig erfüllen noch einer Erfüllungshandlung des Schuldners durch seine Zustimmung Wirksamkeit verleihen, falls dies nicht im Interesse aller Gläubiger liegt. Er darf nicht den Interessen eines einzelnen Gläubigers dienen, sondern muss die sämtlicher Gläubiger im Auge behalten. Die Erhaltung der Masse ist ein "anerkennenswerter Grund" zum Widerspruch einer Lastschrift. Das ist keine Pflichtwidrigkeit gegenüber dem einen Gläubiger, sondern gerade die Pflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters im Interesse aller Gläubiger. Die haftungsmäßige Abwicklung des Schuldnervermögens in der Insolvenz rechtfertigt deshalb Eingriffe des vorläufigen Verwalters in die Vertragsbeziehung, die - wenn sie der Schuldner außerhalb eines Insolvenzverfahrens selbst vornehmen würde - rechts- und sittenwidrig wären. Die gerichtliche Einsetzung des vorläufigen Verwalters nach § 21 InsO mit dem Ziel der Sicherung des Schuldnervermögens rechtfertigt deshalb auch den Widerspruch gegen Belastungsbuchungen im Lastschriftverfahren (ebenso: Palandt/Sprau, Kommentar zum BGB, 68. Aufl., § 826 RN 31; Berger, NJW 2009, Seite 473; Nassall, NJW 2008, Seite 3354 f (Anmerkung zum Urteil BGH NJW 2008, 3348 [BGH 10.06.2008 - XI ZR 283/07]); Ries, NZI 2008, Seite 675).
Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass sie vorgeleistet habe und ihr die Gegenleistung schon gutgeschrieben worden sei, folgen daraus keine weitergehenden Rechte gegenüber den anderen Gläubigem im Insolvenzverfahren. Das Risiko, im Insolvenzverfahren mit Forderungen auszufallen, tragen alle vorleistenden Gläubiger. Aufgrund der von dem Schuldner noch nicht genehmigten Lastschrift ist im Valutaverhältnis - mithin im Verhältnis zwischen Klägerin und Schuldnerin - gerade noch keine Erfüllung eingetreten (bislang ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, auch vom 11. Senat in der Entscheidung vom 10.06.2008 (noch) nicht aufgegeben). Alleine die Erteilung einer Einzugsermächtigung gibt noch keine anwartschaftsgleiche Rechtsposition, die ein dingliches Absonderungsrecht am Vermögen der Schuldnerin gewähren würde. Die Klägerin hat mithin durch die erfolgte Gutschrift keine "gesicherte Rechtsposition" erworben, die "insolvenzfest" ist. Sie ist deshalb gegenüber den anderen Gläubigern - die genau wie sie von der Insolvenz betroffen sind und in deren aller Interesse der vorläufige Verwalter Masse gerieren muss - nicht privilegiert.
Abgesehen vom Fehlen eines objektiv pflichtwidrigen Verhaltens des Beklagten, liegen auch die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB nicht vor:
An einem vorsätzlichen sittenwidrigen Verhalten fehlt es, wenn der Handelnde der redlichen Oberzeugung ist, er dürfte in Verfolgung eines erlaubten Interesses handeln (Palandt/Sprau, a.a.O., § 826 RN. 11).
Im Hinblick auf die gefestigte Rechtsprechung des 9. Zivilsenats, an die dieser auch in Kenntnis der Entscheidung des 11. Zivilsenats vom 10.06.2008 festhält (vergl. Urteil vom 07.05.2009, IX ZR 61/08 ), durfte der Beklagte davon ausgehen, dass sein Verhalten weiterhin als "insolvenzzweckgerecht" behandelt wird. Auf keinen Fall kann dies eine "Brandmarkung" als vorsätzlich sittenwidrig mit der Folge der Begründung von Schadensersatzansprüchen gemäß § 826 BGB auslösen (ebenso Ries, a.a.O.).
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.