Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 21.05.2019, Az.: 4 StE 1/17

Zulässigkeit der rückwirkenden Beiordnung eines Zeugenbeistandes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
21.05.2019
Aktenzeichen
4 StE 1/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 58372
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2019:0521.4STE1.17.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der eindeutige Wortlaut des § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO gestattet es nicht, unter rein teleologischer Berufung auf Belange des Opferschutzes eine Beistandsbestellung allein für eine Tätigkeit im Vorfeld einer Zeugenvernehmung vorzunehmen.

  2. 2.

    Die rückwirkende Beiordnung eines Zeugenbeistandes nach § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO im alleinigen Vergütungsinteresse des bereits abschließend tätig gewordenen Rechtsanwalts kommt nicht in Betracht.

Tenor:

Der Antrag von Rechtsanwalt P. aus D., E. O. gemäß § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO als Zeugenbeistand beigeordnet zu werden, wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Senatsvorsitzende hatte E. O. für drei Tage im Juni 2019 als Zeugin geladen. Bei der Zeugin handelt es sich um die Ehefrau des zentralen Zeugen A. O., der im Sommer 2015 aus Deutschland ausreiste, sich in Syrien der Vereinigung "Islamischer Staat" anschloss und nach seiner Rückkehr gegenüber den Strafverfolgungsbehörden sowie in der hiesigen Hauptverhandlung umfassende, auch die Angeklagten des hiesigen Verfahrens belastende Angaben machte. Die Zeugin E. O. reiste nach den Bekundungen ihres Ehemannes gemeinsam mit diesem aus und begleitete ihn während seines Aufenthaltes im Herrschaftsgebiet des IS. Ihre Vernehmung in der Hauptverhandlung sollte vornehmlich die Aktivitäten ihres Ehemannes im Vorfeld der gemeinsamen Ausreise sowie die Geschehnisse während ihres Aufenthaltes im IS-Gebiet und im Kontext ihrer Rückkehr nach Deutschland zum Gegenstand haben.

Mit Schreiben an den Senat vom 9. Mai 2019 hat Rechtsanwalt P. aus D. angezeigt, von der Zeugin E. O. mit der Vertretung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt worden zu sein. E. O. habe sich definitiv entschieden, von einem ihr zukommenden vollumfassenden Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch zu machen. Es werde daher darum ersucht, die Zeugin abzuladen.

Zugleich hat Rechtsanwalt P. beantragt, der Zeugin gemäß § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO als Beistand beigeordnet zu werden.

Mit Verfügung vom 17. Mai 2019 hat der Senatsvorsitzende unter Hinweis darauf, dass der Zeugin ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zukomme, die Abladung der Zeugin verfügt. Vor dem Hintergrund der über ihren Beistand vorgebrachten Erklärung der Zeugin, vollumfänglich von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, ist nicht mehr beabsichtigt, E. O. zu vernehmen.

II.

Der Antrag von Rechtsanwalt P., der Zeugin als Beistand gemäß § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO beigeordnet zu werden, war abzulehnen.

Die Beiordnung eines anwaltlichen Beistands gemäß § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO kommt nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur für eine Beistandsleistung bei einer Zeugenvernehmung und daher auch nur für die Dauer einer Vernehmung in Betracht. Denn Aufgabe eines gerichtlich bestellten Zeugenbeistands ist es, einen schutzbedürftigen Zeugen in der potentiell belastenden Situation einer Vernehmung bei der Wahrnehmung seiner Befugnisse zu unterstützen.

Die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand, der einen Zeugen bei der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen im Vorfeld einer Vernehmung berät, sieht das Gesetz demgegenüber nicht vor. Der eindeutige Wortlaut des § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO gestattet es - anders als in der Rechtsprechung und Literatur zum Teil vertreten wird (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 31. Januar 2006 - 14 (I) Qs 80/05, NStZ 2007, 240 [OLG Saarbrücken 29.11.2006 - Ss (B) 44/06]; MüKo-StPO/Maier, Bd. 1, 2014, § 68b Rn. 62 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 68b Rn. 12; KK-StPO/Slawik, 8. Aufl. 2019, § 68b Rn. 5) - nicht, unter rein teleologischer Berufung auf Belange des Opferschutzes eine Beistandsbestellung für eine Tätigkeit im Vorfeld einer Zeugenvernehmung vorzunehmen.

Eine Vernehmung von E. O. durch den erkennenden Senat ist indes, nachdem diese hat vortragen lassen, dass sie unter Berufung auf das ihr nach § 55 StPO zukommende umfassende Auskunftsverweigerungsrecht keine Angaben machen will, nicht mehr beabsichtigt; die Abladung der Zeugin ist bereits erfolgt.

Denn der Zeugin kommt ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu, weil zumindest der Anfangsverdacht einer Strafbarkeit der Zeugin wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 Abs. 2 Nr. 2 StGB besteht. Die Zeugin hat ausweislich der Bekundungen ihres Ehemannes im Vorfeld der gemeinsamen Ausreise zum IS den Behörden keine Anzeige von der Vorbereitung eines Anschlusses an den IS und damit einer Straftat der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a, § 129b StGB) durch ihren Ehemann A. O. gemacht. Der Strafausschließungsgrund des § 139 Abs. 3 StGB dürfte nicht eingreifen, weil keine Anhaltspunkte für Tatverhinderungsbemühungen der einvernehmlich gemeinsam mit ihrem Ehemann zum IS ausgereisten Zeugin ersichtlich sind.

Da aufgrund der anwaltlichen Erklärung kein Zweifel an der definiten Entscheidung der Zeugin besteht, sich auf ihr vollumfängliches Auskunftsverweigerungsrecht zu berufen und in der Hauptverhandlung keine Angaben zu machen, bedarf es ihres Erscheinens in der Hauptverhandlung nicht (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 1985 - 2 StR 563/84, NStZ 1986, 181; MüKo-StPO-Maier, Bd. 1, 2014, § 55 Rn. 117).

Die beantragte Beiordnung nach § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO würde daher zum einen allein eine beratende Tätigkeit im Vorfeld einer Vernehmung erfassen, für die sie aber - wie dargetan - nach der gesetzlichen Regelung nicht erfolgen kann.

Zum anderen könnte sich eine Beiordnung in der vorliegenden Fallkonstellation allein rückwirkend auf eine mit der erfolgreichen Abwendung einer Vernehmung in der Hauptverhandlung bereits abgeschlossene anwaltliche Tätigkeit erstrecken. Sie würde daher nur noch dem Vergütungsinteresse von Rechtsanwalt P. im Hinblick auf eine bereits erbrachte Tätigkeit dienen. Eine rückwirkende Beiordnung eines Zeugenbeistandes nach § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO im alleinigen Vergütungsinteresse des bereits abschließend tätig gewordenen Rechtsanwalts kommt aber ohnehin nicht in Betracht; sie wäre unzulässig (KG, Beschluss vom 25. 2. 2008 - (1) BJs 58/06-2 (1/08), NStZ-RR 2008, 248 [BGH 07.05.2008 - 1 StR 203/08]; MüKo-StPO/Maier, Bd. 1, 2014, § 68b Rn. 72; KK-StPO/Slawik, 8. Aufl. 2019, § 68b Rn. 5).

Für die beantragte Beiordnung war daher aus Rechtsgründen kein Raum.

III.

Diese Entscheidung ist gemäß § 68b Abs. 3 Satz 1 StPO nicht anfechtbar.