Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.05.2019, Az.: 13 Verg 10/18

Erledigung eines Nachprüfungsantrags durch Rücknahme; Neuvergabe eines Stadtbusverkehrs; Neue Ermessensentscheidung über eine Kostenverteilung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.05.2019
Aktenzeichen
13 Verg 10/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 25908
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Redaktioneller Leitsatz

Ist ein Beschluss einer Vergabekammer wirkungslos geworden, ist über die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer nach billigem Ermessen neu zu entscheiden.

Tenor:

Es wird festgestellt, dass sich der Nachprüfungsantrag durch Rücknahme erledigt hat.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu tragen. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragsgegnerin und die Beigeladene im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu tragen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 95.885 € festgesetzt.

Gründe

A.

Die Antragsgegnerin beabsichtigt die Neuvergabe des Stadtbusverkehrs in ihrem Stadtgebiet und leitete insoweit u.a. ein wettbewerbliches Verfahren zur interimsweisen Beauftragung ein. Nach § 16 des den Ausschreibungsunterlagen beigefügten Vertragsentwurfs soll das Verkehrsunternehmen an seine Arbeitnehmer mindestens das Entgelt zahlen, das sich aus dem für repräsentativ erklärten Tarifvertrag nach der Leistungsbeschreibung ergibt (...) und entsprechende Änderungen nachvollziehen. Nach Nr. 6.2 der Anforderungen für ein verbindliches Angebot soll "der Mindestlohn gemäß Tarifvertrag GVN/GÖD Stand 1.9.2018 zur Anwendung kommen".

Dieser Tarifvertrag war vom niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit,

Verkehr und Digitalisierung nicht für repräsentativ erklärt worden. Die Antragstellerin hat sich deshalb mit ihrem Nachprüfungsantrag insbesondere gegen die Vorgabe der Berücksichtigung des genannten Tarifvertrages gewandt.

Die Vergabekammer hat diesem Antrag weitgehend stattgegeben. Die Antragsgegnerin habe nicht die Einhaltung des infrage stehenden Tarifvertrages vorgeben dürfen, weil dieser nicht für repräsentativ erklärt wurde. Hiergegen richtete sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin hat ihren Nachprüfungsantrag im Beschwerdeverfahren zurückgenommen.

B.

Nach Rücknahme des Nachprüfungsantrags ist insbesondere über die Verfahrenskosten zu entscheiden.

I.

Die Rücknahme des Nachprüfungsantrags ist auch im Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat noch jederzeit möglich, solange keine bestandskräftige Entscheidung über den Antrag vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2009 - X ZB 29/08, juris Rn. 12; Thiele in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl., § 168 Rn. 75 m.w.N.). Einer Einwilligung des Antragsgegners bedarf es dabei nicht (vgl. Thiele, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. November 2009 - Verg 35/09, juris Rn. 10; OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. April 2008 - 11 Verg 10/07, juris Rn. 1; OLG Naumburg, Beschluss vom 17. August 2007 - 1 Verg 5/07, juris Rn. 1 ff.). Die Rücknahme des Nachprüfungsantrags hat zur Folge, dass der Beschluss der Vergabekammer wirkungslos wird (vgl. Thiele, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG München, Beschluss vom 8. März 2016 - Verg 1/16).

II.

Da der Beschluss der Vergabekammer wirkungslos geworden ist, ist über die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer neu zu entscheiden. Gemäß § 182 Abs. 3 Satz 5 GWB erfolgt die Entscheidung nach billigem Ermessen. Dies führt dazu, dass die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer der Antragstellerin aufzuerlegen sind, weil die Antragstellerin sich durch die Rücknahme des Nachprüfungsantrags in die Rolle des Unterlegenen begeben hat, und weil der Nachprüfungsantrag bei einer Entscheidung durch den Senat aus den nachfolgenden Gründen voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätte. Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 2,

3 GWB sind der Antragstellerin auch die der Antragsgegnerin und der Beigeladenen im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen.

Der Nachprüfungsantrag hätte voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Er war zwar zulässig, soweit er auf die Überprüfung der ausgeschriebenen "NotVergabe" gerichtet war, insoweit voraussichtlich aber unbegründet.

1. Auf der Grundlage des bisherigen Vorbringens der Parteien und der Vergabeakten spricht viel dafür, dass die im Streit stehende Interimsvergabe der Verkehrsdienstleistungen für die Dauer von höchstens 2 Jahren nicht als Notmaßnahme gem. Art. 5 Abs. 5 VO (EG) 1370/2007 einzuordnen ist, weil sich insbesondere der grundlegende Beschaffungsvorgang auf einen Dienstleistungsauftrag und nicht auf eine Dienstleistungskonzession beziehen dürfte, so dass ein Ausnahmefall nach Art. 5 Abs. 1 S. 2, 3 VO (EG) 1370/2007 vorliegt. Dies kann aber letztlich offen bleiben. Der Nachprüfungsantrag war jedenfalls zulässig. Insbesondere war der Rechtsweg zu den Vergabe-Nachprüfungsinstanzen in jedem Fall entweder nach § 8a Abs. 2 S. 1 PBefG oder nach § 8a Abs. 7 S. 1 PBefG eröffnet. Auch dürfte die schwerpunktmäßig als verletzt gerügte landesrechtliche Tariftreueregelung nach § 5 NTVergG bieterschützend sein (vgl. Bayreuther in: MüKoVergabeR, 2. Aufl., § 131 GWB Rn. 144; allg. Hövelberndt in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Aufl., § 129 Rn. 15; Reidt/Glahs, VergabeR 2015, 641, 646; a.A. im vorliegenden Zusammenhang: Faber NWVBl. 2012, 255, 259).

2. Der Nachprüfungsantrag dürfte aber unbegründet gewesen sein. Die vorgesehene Vergabe an die Beigeladene dürfte nach dem bisherigen Parteivortrag und dem Inhalt der Vergabeakten nicht gegen § 5 Abs. 1 S. 1 NTVergG i.V.m. Art. 4 Abs. 5 S. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 und § 129 GWB verstoßen, obwohl die Antragsgegnerin die Einhaltung eines Tarifvertrages vorgegeben hat, dessen Repräsentativität i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 1 NTVergG das zuständige Ministerium - zumindest bislang - nicht nach § 5 Abs. 4 NTVergG festgestellt hat.

Nach § 5 Abs. 1 S. 1 NTVergG dürfen öffentliche Aufträge über Dienstleistungen im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs nur an Unternehmen vergeben werden, die bei Angebotsabgabe schriftlich erklären, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Ausführung des Auftrags mindestens das in Niedersachsen für diese Leistung in einem der einschlägigen und repräsentativen mit einer tariffähigen Gewerkschaft vereinbarten Tarifverträge vorgesehene Entgelt unter den dort jeweils vorgesehenen Bedingungen zu zahlen (...). Nach § 5 Abs. 4 NTVergG stellt das für Angelegenheiten des Arbeitsrechts zuständige Landesministerium anhand dort näher bezeichneter Kriterien und in einem dort und in einer gesondert erlassenen Rechtsverordnung näher geregelten Verfahren fest, welche Tarifverträge repräsentativ sind.

Diese Regelung dürfte die vorliegend infrage stehende Vergabe entgegen der Auffassung der Beigeladenen auch dann erfassen, wenn diese Vergabe Art. 5 Abs. 5 VO (EG) 1370/2007 unterfiele. § 5 Abs. 1 S. 1 NTVergG ist schon seinem Wortlaut nach nicht auf die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen in einem wettbewerblichen Vergabeverfahren beschränkt, auch wenn u.a. § 5 Abs. 2 S. 1 sowie Abs. 3 NTVergG auf den Regelfall eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens bezogen sind. Auch vom Sinn und Zweck her ist eine einschränkende Auslegung des § 5 Abs. 1 S. 1 NTVergG nicht gerechtfertigt; der Schutzzweck dieser Regelung greift in gleichem Maße bei Direktvergaben im Rahmen einer Notmaßnahme, ohne dass die Art. 5 Abs. 5 VO (EG) 1370/2007 zugrunde liegende Berücksichtigung des Eilbedarfs dem entgegenstünde.

Die in den Vergabeunterlagen unter Nr. 6.2 bestimmte Bedingung, dass der Mindestlohn gemäß dem von dem Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) e.V. (im Folgenden: GVN) mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (im Folgenden: GÖD) geschlossenen Tarifvertrag mit Stand vom 1. September 2018 zur Anwendung kommen solle, verstößt hiergegen aber wohl nicht, obwohl dieser Tarifvertrag nicht in der vom Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung veröffentlichten Liste der repräsentativen Tarifverträge des öffentlichen Personenverkehrs (Stand: 18. Juli 2018) genannt ist. Diese Liste dürfte insoweit nicht abschließend verbindlich sein (a). Der genannte Tarifvertrag dürfte in der Sache repräsentativ i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 1 NTVergG sein (b).

a) Die nach § 5 Abs. 4 NTVergG erstellte Liste repräsentativer Tarifverträge dürfte zwar grundsätzlich abschließend verbindlich sein (1). Dies dürfte jedoch nicht für Tarifverträge gelten, betreffend die das Ministerium noch keine - positive oder negative - Entscheidung getroffen hat (2). Eine solche Entscheidung ist betreffend den hier von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Tarifvertrag bislang nicht erfolgt (3).

(1) Grundsätzlich dürfte die nach § 5 Abs. 4 NTVergG zu erstellende Liste abschließend verbindlich in dem Sinne sein, dass öffentliche Auftraggeber nur die Einhaltung der Bedingungen eines dort als repräsentativ festgestellten Tarifvertrages verlangen können.

(a) Diese Verbindlichkeit der zu erstellenden Liste folgt allerdings noch nicht aus § 5 Abs. 1 S. 1 NTVergG. Diese Regelung, die die Bindung der Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers begründet, bezieht sich allein auf die materielle Repräsentativität des Tarifvertrages (zum Begriff siehe unten, b).

§ 5 Abs. 2 S. 2 NTVergG spricht seinem Wortlaut nach dafür, dass die zu erstellende Liste lediglich eine Hilfestellung für den öffentlichen Auftraggeber sein soll, ohne den Kreis der repräsentativen Tarifverträge abschließend verbindlich festzulegen. Hiernach "reicht es aus", dass der öffentliche Auftraggeber die Tarifverträge durch Bezugnahme auf die Liste bezeichnet (...). Dem Wortlaut nach räumt diese Regelung dem öffentlichen Auftraggeber danach lediglich eine Option ein. Denklogisch wäre damit verbunden, dass er auch andere Möglichkeiten hat. Diese Regelung könnte für sich genommen als "Publikationserleichterung" dergestalt verstanden werden, dass der Auftraggeber auf die Liste verweisen kann, anstatt die Tarifverträge selbst angeben zu müssen. Zunächst nur vom Wortlaut der Norm ausgehend liegt es nahe, dass er auch die Möglichkeit hat, unabhängig von der Liste zu prüfen und zu bestimmen, welcher Tarifvertrag repräsentativ ist und beachtet werden soll.

Gegen eine solche Auslegung spricht seinem Wortlaut nach allerdings § 5 Abs. 4 S. 1 NTVergG. Hiernach stellt das zuständige Ministerium fest, "welche Tarifverträge repräsentativ sind". Dies spricht dafür, dass die zu erstellende Liste abschließend alle repräsentativen Tarifverträge bezeichnen soll. Dass der öffentliche Auftraggeber die Einhaltung der Bedingungen eines Tarifvertrages vorgäbe, der in dieser Liste nicht berücksichtigt ist, stünde hierzu im Widerspruch.

Der Widerspruch zwischen § 5 Abs. 2 S. 2 und § 5 Abs. 4 NTVergG ist allein dem Wortlaut der Norm nach nicht eindeutig aufzulösen.

(b) Sowohl die Gesetzgebungsgeschichte als auch der gesetzgeberische Wille sprechen demgegenüber deutlich dafür, dass die von dem zuständigen Ministerium zu erstellende Liste abschließend verbindlich sein soll.

(aa) Die in § 5 Abs. 2 NTVergG enthaltene Regelung wurde erst nachträglich mit Wirkung ab dem 1. Juli 2016 eingefügt. Die zuvor in § 5 Abs. 3, 4 NTVergG a.F. enthaltene Regelung - die weitgehend der Regelungssystematik anderer landesrechtlicher Tariftreueregelungen entsprach, die eine Bindung an einen repräsentativen Tarifvertrag vorsehen - stimmte - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - weitgehend mit der heute in § 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, 5 NTVergG enthaltenen Regelung überein. Da diese Regelung dem öffentlichen Auftraggeber - anders als heute dem Wortlaut nach § 5 Abs. 2 S. 2 NTVergG - keine Wahlmöglichkeit einräumte, bestanden damals schon dem Wortlaut nach keine Anhaltspunkte dafür, dass die zu erstellende Liste nicht abschließend und verbindlich sein sollte.

Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung. Das Abstellen der Tariftreueerklärung auf einen der einschlägigen und repräsentativen Tarifverträge sei erforderlich, da im Bereich des ÖPNV keine für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge existierten. Um eine möglichst einheitliche Forderung der Tariftreue zu ermöglichen (...), sei die Feststellung der Repräsentativität von einschlägigen Tarifverträgen dringend geboten (Begründung des Gesetzesentwurfs vom 11. Juni 2013 - LT-Drs. 17/259, Seite 14). Die hier als dringlich eingestufte einheitliche Handhabung ist nur gewährleistet, wenn öffentliche Auftraggeber bei der Ausschreibung und Vergabeentscheidung an die Liste gebunden sind.

(bb) Daraus, dass § 5 Abs. 2 NTVergG n.F. nachträglich eingefügt wurde, kann nicht auf eine Korrektur dieser Wertung geschlossen werden.

Zwar erfolgte die Ergänzung zu einem Zeitpunkt, zu dem die Verfassungs- und Europarechtskonformität landesrechtlicher Tariftreueregelungen entsprechend der damals auch in Niedersachsen geltenden Art bereits in erheblichem Maße Gegenstand rechtlicher Diskussionen war. Objektiv läge es daher nicht fern, anzunehmen, dass der Gesetzgeber durch die fragliche Ergänzung hierauf habe reagieren und die Problematik dadurch habe abschwächen wollen, dass die Entscheidung über die Repräsentativität der einschlägigen Tarifverträge unter Berücksichtigung der europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedeutung in jedem Einzelfall von der Vergabestelle hätte vorgenommen und diese Entscheidung insbesondere auch in jedem einzelnen Nachprüfungsverfahren uneingeschränkt hätte gerichtlich überprüfbar sein sollen. Entsprechende Anhaltspunkte enthält die diesbezügliche Begründung des Gesetzesentwurfs der Landesregierung vom 20. Januar 2015 (LT-Drs. 17/5029, Seiten 15 f.) jedoch nicht; mit Ausnahme betreffend die hier nicht einschlägige rechtliche Problematik der Tariftreueerklärung im Bereich des freigestellten Schülerverkehrs geht die Entwurfsbegründung insoweit nicht auf rechtliche Problematiken ein.

Eine nähere Begründung der dem Wortlaut nach durch § 5 Abs. 2 S. 2 NTVergG eingeräumten Option erfolgt nicht. Im Gegenteil geht die Entwurfsbegründung insoweit davon aus, dass sich der Wortlaut nunmehr ausschließlich auf die Angabe "der für repräsentativ erklärten" Tarifverträge beschränke. Auch wenn dies in dem Gesetzeswortlaut gerade nicht zum Ausdruck gekommen ist, ist diese gesetzgeberische Wertung doch bei der Auslegung zu berücksichtigen.

(cc) Für eine abschließende Verbindlichkeit der Liste sprechen schließlich auch Sinn und Zweck des Gesetzes.

(α) Die - auch nach dem dargestellten gesetzgeberischen Willen - anzustrebende einheitliche Handhabung wäre bei einer abschließenden Verbindlichkeit der Liste, deren Richtigkeit nicht im jeweiligen Einzelfall überprüft werden könnte und müsste, am ehesten gewährleistet. Rechtsunsicherheit würde hierdurch minimiert.

(β) Das in § 5 Abs. 4 S. 3, 4 NTVergG i.V.m. § 1 RepTVV ND geregelte Verfahren, insbesondere die vorgesehene beratende Mitwirkung eines paritätisch besetzten Beirats, spricht dafür, der in diesem gesondert geregelten Verfahren getroffenen Entscheidung Verbindlichkeit beizumessen und sie nicht im jeweiligen Vergabe- und Nachprüfungsverfahren inhaltlich zur Disposition zu stellen. Weder die nach dieser Verfahrensregelung vorgesehene Berücksichtigung u.U. widerstreitender Interessen noch die Einbringung der Sachkenntnisse des für Angelegenheiten des Arbeitsrechts zuständigen Ministeriums und des Beirats betreffend die Besonderheiten der jeweiligen Tariflandschaft wäre im Rahmen einzelner Vergabe- und Nachprüfungsverfahren gleichermaßen möglich.

Darüber hinaus wäre es schon grundsätzlich sachgerecht, die regelmäßig unter einem erheblichen Zeitdruck stehenden Vergabe- und Nachprüfungsverfahren von der Notwendigkeit zu entbinden, die getroffene Entscheidung im jeweiligen Einzelfall nachzuprüfen (vgl. zum Ganzen auch: Barczak/Pieroth RdA 2016, 209, 212).

(γ) Gegen die Annahme einer solchen Verbindlichkeit spricht entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht, dass die Entscheidung des zuständigen Ministeriums - anders als in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein - nicht in der Form einer Rechtsverordnung ergeht.

Weder § 5 NTVergG noch die nach § 5 Abs. 4 S. 3, 4 NTVergG erlassene, das Verfahren näher regelnde Verordnung über die Repräsentativität von Tarifverträgen (...) vom 6. Dezember 2013 enthalten Regelungen über die Rechtsform der die Repräsentativität feststellenden Entscheidung. Diese konnte damit schon mangels tragfähiger Verordnungsermächtigung nach Art. 43 der Niedersächsischen Verfassung und mangels Verkündung nach Art. 45 Abs. 2 der Niedersächsischen Verfassung nicht wirksam in der Form einer Rechtsverordnung ergehen.

Sofern den Entscheidungen über die Feststellung der Repräsentativität von Tarifverträgen, die der Liste zugrunde liegen, bindende - und nicht bloß verwaltungsintern normkonkretisierende oder ermessenslenkende - Wirkung zukommt, hätten diese zwar unmittelbare Außenwirkung. Eine solche unmittelbare Außenwirkung kann jedoch über Rechtsverordnungen hinaus auch anderen Rechtsakten der Verwaltung zukommen. Zwar spricht einiges dafür, dass die feststellende Entscheidung aufgrund ihrer unmittelbar bezweckten Bedeutung für eine Vielzahl von Vergabeverfahren mit einem nicht abschließend bestimmbaren Bieterkreis generell abstrakten Charakter hat, sodass sie nicht als Verwaltungsakt einzuordnen sein dürfte. Sie dürfte damit als Rechtsnorm und insoweit - mangels Verordnungsqualität - als Verwaltungsvorschrift einzuordnen sein. Eine solche Einordnung enthalten ausdrücklich die entsprechenden Regelungen in Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 3 RepTVV BW) sowie in Rheinland-Pfalz (§ 1 TarifTG§4V RP). Auch einer Verwaltungsvorschrift kann nach - wenn auch umstrittener - verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung aber unmittelbare Außenwirkung gegenüber Dritten zukommen (so: BVerwG, Beschluss vom 25. November 1993 - 5 N 1/92, juris Rn. 7, 11 m.w.N.; Beschluss vom 25. November 2004 - 5 CN 1/03, juris Rn. 25 ff. m.w.N.; kritisch etwa: Maurer JZ 2005, 895). Die dort als maßgeblich erachteten Gesichtspunkte, das Bedürfnis einer generalisierenden Regelung und der Umstand, dass die Verwaltungsentscheidung sich nach ihrem gesetzlichen Zweck nicht nur an die Verwaltung, sondern auch unmittelbar an Dritte richtet und im Außenverhältnis abschließend normkonkretisierend wirken soll (dazu Beschluss vom 25. November 1993, a.a.O., Rn. 10 ff.), bestehen vorliegend vergleichbar.

Auch die hiernach erforderliche Bekanntgabe der Verwaltungsvorschrift in einer Art und Weise, dass die davon Betroffenen Kenntnis von deren Inhalt nehmen können (dazu: Beschluss vom 25. November 2004, a.a.O., Rn. 31 ff.), ist nach § 1 Abs. 5 RepTVV ND, § 5 Abs. 5 NTVergG vorgeschrieben. Die - hier nicht vorgeschriebene - Veröffentlichung der Verwaltungsvorschrift in dem für den Verwaltungsträger für die Veröffentlichung von Rechtsnormen vorgeschriebenen amtlichen Medium dürfte nicht zwingend sein (offenlassend: BVerwG a.a.O. Rn. 33).

(δ) Gegen die Annahme einer solchen Verbindlichkeit spricht schließlich auch nicht, dass den hiervon Betroffenen Rechtsschutzmöglichkeiten (vgl. dazu auch Erwägungsgrund 21 zur VO (EG) 1370/2007) genommen würden.

Zwar greifen die Feststellung der Repräsentativität eines Tarifvertrages und insbesondere auch die Feststellung einer fehlenden Repräsentativität aufgrund der aus § 5 NTVergG folgenden Bindung jedenfalls in die Rechte u.a. aus Art. 12 Abs. 1 GG sowohl tarifungebundener Bieter als auch solcher Bieter ein, in deren Betrieb ein nicht für repräsentativ erklärter Tarifvertrag mit niedrigeren Entgeltbedingungen gilt. Auch ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit derjenigen Tarifvereinigungen, deren Tarifverträge nicht für repräsentativ erklärt worden sind, erscheint jedenfalls denkbar (vgl. näher unten). Jedenfalls die jeweils betroffenen Arbeitgeberverbände haben jedoch die Möglichkeit, die nach § 5 Abs. 4 NTVergG zu treffende Entscheidung im Wege der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 75 NJG (dazu: BVerwG a.a.O.) bzw. im Wege einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO überprüfen zu lassen.

Schon diese Rechtsschutzmöglichkeit erscheint grundsätzlich ausreichend, um Einschränkungen der Prüfungsdichte der Nachprüfungsinstanzen bei der Rechtmäßigkeitskontrolle eines konkreten Vergabeverfahrens zu rechtfertigen. Zwar sind die Kontrollmöglichkeiten des einzelnen Bieters im jeweiligen Nachprüfungsverfahren eingeschränkt. Der jeweilige Arbeitgeberverband, der ein Interesse an der Repräsentativerklärung "seines" Tarifvertrages haben dürfte, hat jedoch die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle im Vorfeld (vgl. allerdings zu Einschränkungen der Klagebefugnis in dem Ausnahmefall, in dem ein Arbeitgeberverband mehrheitlich von Mitgliedsunternehmen in öffentlicher Hand getragen wird: OVG Münster, Urteil vom 17. September 2018 - 13 A 1328/15, juris Rn. 47 ff.). Einzelne Unternehmen haben damit die Möglichkeit, im Vorfeld eine Kontrolle jedenfalls über den jeweiligen Arbeitgeberverband durchführen zu lassen. Dies dürfte unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer generellen Regelung und den faktischen Einschränkungen der Kontrollmöglichkeiten im Vergabe-Nachprüfungsverfahren die Beschränkung der dortigen Kontrolldichte rechtfertigen.

(2) Die Bindung des öffentlichen Auftraggebers an die aufgrund der Feststellungen durch das zuständige Ministerium gebildete Liste dürfte aber nur soweit gehen, wie das Ministerium - positive oder negative - Entscheidungen über die Repräsentativität einzelner Tarifverträge getroffen hat.

(a) Ohnehin besteht die Bezugnahmemöglichkeit nach § 5 Abs. 2 S. 2 NTVergG erst ab dem Zeitpunkt, zu dem eine solche Liste veröffentlicht ist. Diese Regelung geht daher davon aus, dass die grundsätzliche Bindung des öffentlichen Auftraggebers nach § 5 Abs. 1 S. 1 NTVergG unabhängig davon besteht, ob eine solche Liste (wirksam) veröffentlicht ist; fehlt es an einer solchen Liste, hat der öffentliche Auftraggeber uneingeschränkt selbst zu prüfen, welche einschlägigen Tarifverträge repräsentativ sind.

(b) Dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 S. 2 NTVergG nach besteht die Möglichkeit der Bezugnahme auf die Liste zwar ab dem Zeitpunkt, zu dem eine solche veröffentlicht ist, unabhängig davon, ob das zuständige Ministerium eine - positive oder negative - Entscheidung über die Feststellung der Repräsentativität aller jeweils einschlägigen Tarifverträge getroffen hat. Eine Bindung auch dahingehend, dass nicht in die Liste aufgenommene Tarifverträge nicht repräsentativ seien und der Vergabeentscheidung daher nicht zugrunde gelegt werden dürften, lässt sich jedoch auch unter Berücksichtigung der dargestellten Gründe, die für die Annahme einer grundsätzlichen Bindung sprechen, nur rechtfertigen, wenn das zuständige Ministerium - beraten durch das vorgesehene Gremium - auch im Hinblick auf diese nicht aufgenommenen Tarifverträge überhaupt eine Sachentscheidung getroffen hat.

Zwar bestünde auch insoweit grundsätzlich die Möglichkeit, gerichtlich die Aufnahme des jeweiligen Tarifvertrages zu erzwingen, sofern die Voraussetzungen hierfür in der Sache vorliegen. Angesichts der damit zusammenhängenden - auch zeitlichen - Unwägbarkeiten gerade in dem Fall einer noch nicht abgeschlossenen - oder gar noch nicht begonnenen - Meinungsbildung des zuständigen Ministeriums rechtfertigt diese Möglichkeit allein eine Einschränkung der Prüfungskompe- tenz des öffentlichen Auftraggebers aber wohl nicht.

(c) Eine solche (negative) Sachentscheidung ist nicht bereits notwendig dadurch getroffen, dass die Repräsentativität einzelner anderer Tarifverträge festgestellt wurde. Betreffend andere landesrechtliche Tariftreueregelungen wurde zwar teilweise vertreten, dass betreffend einen speziellen Branchenbereich des öffentlichen Nahverkehrs jeweils nur ein Tarifvertrag repräsentativ sein könne (VG Düsseldorf, Beschluss vom 27. August 2015 - 6 K 2793/13, juris Rn. 51, 290; Dieterich/Ulber, ZTR 2013, 179, 182 f.). Dieser Auslegung, die bereits allgemein verbreitet nicht geteilt wird (so: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Oktober 2015 - Verg 30/13, juris Rn. 73 ff.; Bayreuther in: MüKoVergabeR, 2. Aufl., § 131 GWB Rn. 130, 139; ders. in: Linke, VO (EG) 1370/2007, Art. 4 Rn. 58g; Langenbrinck ZTR 2013, 411, 412), steht jedenfalls in Niedersachsen die ausdrückliche gesetzgeberische Erwägung entgegen, dass es - bei Vorliegen der Voraussetzungen - möglich sei, jeweils mehr als einen Tarifvertrag als repräsentativ einzustufen; das Gesetz gebe keine Anzahl vor (Entwurfsbegründung, LT-Drs. 17/5029, Seite 16).

Um eine abschließende Entscheidung des Ministeriums annehmen zu können, ist zwar nicht erforderlich, dass ausdrücklich auch in deren Tenor festgestellt wird, dass ein bestimmter Tarifvertrag nicht repräsentativ sei. Ausreichend - aber auch erforderlich - dürfte demgegenüber sein, dass sich das Ministerium ausweislich der Begründung der im Übrigen getroffenen Entscheidung in der Sache auch mit weiteren - insbesondere den infrage stehenden - Tarifverträgen auseinandergesetzt hat und zu dem näher begründeten Ergebnis gekommen ist, diese seien nicht repräsentativ.

Inhaltlich müssten diese Erwägungen dem Grundsatz genügen, dass sich das zuständige Ministerium mit der Frage, ob auf dem einschlägigen Markt auch mehrere Tarifverträge für repräsentativ zu erklären sind, eingehend auseinanderzusetzen hat, und der Entscheidung ausschließlich gesicherte Erkenntnisse zugrunde legen darf (OLG Düsseldorf a.a.O. Rn. 87; zustimmend Bayreuther in: MüKoVergR, 2. Aufl., § 131 GWB Rn. 139).

(3) Nach der durch den Senat von dem zuständigen Ministerium eingeholten Stellungnahme vom 27. Februar 2019 hat dieses eine solche - gegebenenfalls auch implizite - Entscheidung über die Repräsentativität des von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Tarifvertrags GVN/GÖD bislang nicht getroffen.

(4) Bei dieser Sachlage kann die weitere Frage, inwieweit im Nachprüfungsverfahren - jedenfalls im Beschwerdeverfahren - eine Bindung an die Entscheidung des Ministeriums besteht, sofern diese grundsätzlich abschließend ist, offen bleiben.

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass Verwaltungsvorschriften die Gerichte grundsätzlich nicht binden (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 14/11, juris Rn. 30; Remmert in: Maunz/Dürig, [84. EL] Art. 80 Rn. 211). Eine (eingeschränkte) Bindung der Gerichte auch an Verwaltungsvorschriften wird demgegenüber zwar teilweise bei auf gesetzlichen Ermächtigungen beruhenden sog. normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften angenommen (Remmert a.a.O. Rn. 211 Fn. 4). Ein derartiger Fall dürfte hier auch vorliegen. Allgemein sind untergesetzliche Rechtsnormen aber jedenfalls von Gerichten inzident auf ihre Wirksamkeit und damit auf mögliche Rechtsfehler zu prüfen und - im Fall ihrer Unwirksamkeit - nicht anzuwenden (zur Rechtsverordnung: Remmert a.a.O. Rn. 141).

Soweit dem Normgeber eine Gestaltungskompetenz zukommt, ist die gerichtliche Kontrolldichte allerdings abhängig von dem Maß der Entscheidungsspielräume des Normgebers reduziert (allg.: Remmert a.a.O. Rn. 144 m.w.N.; vgl. auch BSG, Urteil vom 10. Dezember 2014 - B 6 KA 12/14 R, juris Rn. 26). Inhaltlich ist seine Entscheidung im Wesentlichen nur darauf zu überprüfen, ob er bei der Ausübung des Gestaltungsspielraums die ihm auferlegte Beschränkung beachtet und ob von der Ermächtigung in einer zweckentsprechenden Weise vertretbar Gebrauch gemacht worden ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Oktober 2015 - Verg 30/13, juris Rn. 72; Beschluss vom 24. März 2010 - VI-3 Kart 51/09 (V), juris Rn. 63).

Vorliegend kommt dem Ministerium zwar auch im Hinblick auf die Grundrechtsrelevanz seiner Entscheidung ein nur eingeschränkter Gestaltungsspielraum zu. Schon die vorgeschriebene Beteiligung eines (beratenden) Beirats lässt insoweit allerdings erkennen, dass jedenfalls bei der abschließend vorzunehmenden wertenden Gesamtschau ein gewisser Entscheidungsspielraum bestehen sollte.

Sollte eine abschließende Entscheidung des Ministeriums hiernach unwirksam sein, wäre jedenfalls nach niedersächsischem Landesrecht gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 NTVergG die Repräsentativität des fraglichen Tarifvertrages durch das Gericht selbst zu prüfen.

b) Nach dem bisherigen Parteivortrag dürfte der von der Antragsgegnerin unter Nr. 6.2 der Vergabeunterlagen in Bezug genommene Tarifvertrag in der Sache auch repräsentativ i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 1 NTVergG sein.

aa) Repräsentativ sind hiernach alle Tarifverträge, die sich auf dem räumlich und fachlich relevanten Markt hinreichend verlässlich durchgesetzt haben. Dies ist insbesondere unter Berücksichtigung der in § 5 Abs. 4 S. 2 NTVergG genannten Merkmale in einer wertenden Gesamtschau zu beurteilen. Interpretationsleitend dürfte dabei die Wertung zu berücksichtigen sein, dass im Wesentlichen Tarifverträge ausgeschieden werden sollen, deren Berücksichtigung aufgrund ihres beschränkten Anwendungsbereiches oder ihrer geringen Verbreitung zu intransparenten Wettbewerbsbedingungen oder erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führte.

(1) Weder das NTVergG noch die auf seiner Grundlage erlassene RepTVV ND enthalten eine Definition des Begriffs der Repräsentativität. § 5 Abs. 4 S. 2 NTVergG bezeichnet allein Merkmale der Repräsentativität, deren Aufzählung ausweislich § 5 Abs. 4 S. 3 Halbs. 2 NTVergG allerdings nicht abschließend ist. Bedeutung sollen hiernach - in Einzelheiten näher konkretisiert - sowohl die Zahl der bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer als auch die Zahl der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Gewerkschaftsmitglieder haben. Eine nähere Gewichtung dieser Merkmale - insbesondere etwa Grenzen, ab der sie für eine Repräsentativität sprechen - ist nicht festgelegt.

(2) Zur Auslegung dieses Begriffes kann nur eingeschränkt auf andere Regelungsbereiche zurückgegriffen werden.

(a) Die Bestimmung des § 5 Abs. 4 S. 2 NTVergG ist ersichtlich an die Regelung der Erstreckung der Rechtsnormen eines Tarifvertrages nach § 7 AEntG angelehnt.

Dort wird unter Repräsentativität - wie im allgemeinen Sprachgebrauch - die Darstellung der Interessen einer Gesamtheit durch einzelne oder eine Gruppe von Personen verstanden (Entwurfsbegründung der Bundesregierung, BT-Drs. 16/10486, Seite 5; NK-ArbR/Kühn, § 7 AEntG Rn. 10). Maßgeblich ist entsprechend den dort genannten Kriterien, denen die Kriterien nach § 5 Abs. 4 S. 2 NTVergG entsprechen, jedenfalls im Wesentlichen der Verbreitungsgrad kraft originärer Tarifbindung (Lakies in: Däubler, TVG, 4. Aufl., § 7 AEntG Rn. 17).

Während dort das Kriterium der Repräsentativität aber dem Zweck dient, einen einzelnen Tarifvertrag aus der Gruppe aller einschlägiger Tarifverträge auszuwählen, dessen Regelungen auf Arbeitsverhältnisse erstreckt werden, die nicht diesem Tarifvertrag unterfallen, kommt dem Begriff der Repräsentativität im vorliegenden Zusammenhang eine derartige Ausschließlichkeitsfunktion nicht (notwendig) zu. Anders als nach der Bestimmung des § 7 AEntG, nach der regelmäßig die Regelungen des "repräsentativsten" Tarifvertrages auf andere Arbeitsverhältnisse erstreckt werden, ist die Schwelle, ab der ein Tarifvertrag repräsentativ ist, im vorliegenden Zusammenhang niedriger anzusetzen (Greiner, ZTR 2013, 647, 648 f.).

(b) Entsprechend stellt die Regelung zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen nach § 5 Abs. 1 S. 2 TVG auf eine "überwiegende" Bedeutung des Tarifvertrages für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen in seinem Geltungsbereich ab. Diese gesetzgeberische Wertung ist aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht auf die vorliegend infrage stehende Regelung zu übertragen.

(3) Die Auslegung des Begriffs der Repräsentativität und die Bewertung der "Merkmale" nach § 5 Abs. 4 S. 2 NTVergG im vorliegenden Zusammenhang haben sich deshalb an dem Zweck des Tariftreueverlangens zu orientieren, wobei die mit dieser Regelung verbundenen Eingriffe in Rechtspositionen mit in den Blick zu nehmen sind.

(a) Sinn und Zweck des Tariftreueverlangens ist es, sicherzustellen, dass es bei der öffentlichen Auftragsvergabe nicht zu Wettbewerbsverzerrungen aufgrund sogenannter Dumpinglöhne kommt. Zudem sollen die Arbeitnehmer vor Sozial- und Lohndumping geschützt und die sozialen Sicherungssysteme stabilisiert werden (Entwurfsbegründung zu § 5 NTVergG, LT-Drs. 17/259, Seite 13).

Schon im Hinblick auf die verbreitet angenommene Richtigkeitsgewähr von Tarifverträgen, die durch tariffähige Koalitionen geschlossen wurden, und die damit zusammenhängende Vermutung der Angemessenheit der dort ausgehandelten Mindestarbeitsbedingungen (dazu: BAG, Urteil vom 15. August 2012 - 7 AZR 184/11, juris Rn. 27; Urteil vom 19. Juni 2012 - 1 AZR 775/10, juris Rn. 16 jew. m.w.N.), bedürfte die Annahme eines solchen "Lohndumpings" bei tarifvertraglich vereinbarten Entgelten zumindest einer näheren Begründung. Auch allgemeine Sozialstandards dürften regelmäßig durch tarifvertraglich vereinbarte Entgeltbedingungen gewahrt sein (vgl. auch VG Düsseldorf, a.a.O. Rn. 150 ff., 246 ff.). Dem Repräsentativitätskriterium kommt deshalb im vorliegenden Zusammenhang die Funktion zu, Tarifverträge unberücksichtigt zu lassen, die dieser Aufgabe nicht gerecht werden.

Die Bindung von Bietern an Entgeltregelungen eines Tarifvertrages, an den sie rein tarifvertraglich nicht gebunden wären, greift dabei als Berufsausübungsregelung jedenfalls in deren Grundrecht nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG ein, soweit sie ohne die Tariftreueregelung niedrigere Löhne zahlen würden (BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvL 4/00, BVerfGE 116, 202, juris Rn. 77 ff.; Faber NVwZ 2015, 257, 260). Ob die Regelung darüber hinaus auch in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG eingreift, ist umstritten (verneinend zum Berliner Vergabegesetz: BVerfG, a.a.O., Rn. 64 ff.; allg. verneinend: Opitz in: Beck'scher Vergaberechtskomm., 3. Aufl., § 129 GWB Rn. 24; Bayreuther in: MüKoVergabeR, 2. Aufl., § 131 GWB Rn. 140; Barczak/Pieroth RdA 2016, 209, 210 f.; bejahend, zumindest für Tariftreuegesetze, die auf repräsentative Tarifverträge bezogen sind: VG Düsseldorf, Beschluss vom 27. August 2015 - 6 K 2793/13, juris Rn. 53 ff., 110 ff.; Scholz in: Maunz/Dürig/Scholz, GG (84. EL.) Art. 9 Rn. 235; Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl., § 5 TVG Rn. 476; Dieterich/Ulber ZTR 2013, 179, 184 ff.; Greiner ZTR 2013, 647 ff.; Greiner/Kleinert RdA 2016, 229, 230 f.; Faber NWVBl. 2012, 255, 258; ders. NVwZ 2015, 257, 260), kann hier aber offenbleiben. Jedenfalls schon aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat sich die Regelung auf dasjenige zu beschränken, was zur Erreichung des Regelungsziels erforderlich ist.

Darüber hinaus dürfte auch aufgrund der weitgehenden Unbestimmtheit des Repräsentativitätskriteriums (dazu: Löwisch/Rieble, TVG, § 5 Rn. 476) der Kreis der zu berücksichtigenden Tarifverträge nicht zu eng einzuschränken sein. Insoweit wird teilweise eine Auslegung vertreten, die für sämtliche Tarifverträge offen ist, die auf dem einschlägigen Markt "hinreichend relevant" seien (Bayreuther, MüKoVergabeR, 2. Aufl., § 131 GWB Rn. 139), ohne dass dieser Maßstab allerdings deutlich bestimmter wäre. Zielführender dürfte demgegenüber der Ansatz sein, solche Tarifverträge zu akzeptieren, die sich auf dem räumlich und fachlich relevanten Markt hinreichend verlässlich durchgesetzt haben (Bayreuther a.a.O. Rn. 140; weitergehend: Faber NWVBl. 2012, 255, 258/259 [jede nicht nur unwesentliche örtliche und/oder sachliche Marktdurchdringung ausreichend]).

Auch die weitere gesetzgeberische Erwägung, die Feststellung der Repräsentativität von einschlägigen Tarifverträgen sei erforderlich, um eine Vergleichbarkeit im Hinblick auf die Entlohnung der Beschäftigten zu gewährleisten, (LT-Drs., 17/259, Seite 14) spricht dafür, dass durch diese Feststellung schwerpunktmäßig Tarifverträge ausgeschieden werden sollen, deren Berücksichtigung aufgrund ihres beschränkten Anwendungsbereiches oder ihrer geringen Verbreitung zu intransparenten Wettbewerbsbedingungen oder erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führten (so im Ansatz auch: Dieterich/Ulber, ZTR 2013, 179, 181; im Ergebnis vergleichbar: Langenbrinck ZTR 2013, 411, 414; zustimmend wohl: Greiner, ZTR 2013, 647, 648; im Ergebnis wohl ebenso: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Oktober 2015 - Verg 30/13, juris Rn. 92 ["hat durchaus Bedeutung"]; kritisch - allerdings ausgehend von der Annahme, nur ein Tarifvertrag könne repräsentativ sein: VG Düsseldorf a.a.O., Rn. 285 ff.). Soweit hieraus allerdings der Schluss gezogen wird, es seien nur Tarifverträge zu berücksichtigen, die aufgrund ihres "weiten" Verbreitungsgrades oder ihrer "hohen" Tarifbindung geeignet seien, hinreichende Transparenz und Fairness des Wettbewerbs zu gewährleisten (so: Dieterich/Ulber a.a.O.), mag eine zu weitgehende Einschränkung des Kreises repräsentativer Tarifverträge vor dem Hintergrund der dargestellten Grundsätze Zweifeln begegnen.

(b) Da die nach § 5 Abs. 4 S. 2 NTVergG vorgegebenen Kriterien nicht abschließend sind, wird die Repräsentativität eines Tarifvertrages im Einzelfall nicht nur anhand seines Verbreitungsgrades kraft originärer Tarifbindung, sondern in einer wertenden Gesamtschau unter Berücksichtigung weiterer Gesichtspunkte zu beurteilen sein. Insbesondere dürfte das Verhältnis der vereinbarten Entgelthöhe zu den mit anderen Tarifverträgen vereinbarten Entgelten ergänzend zu berück- sichtigen sein.

Hierfür spricht schon, dass der Gesetzgeber das Erfordernis der Herstellung einer Vergleichbarkeit gerade deshalb gesehen hat, weil es insbesondere im Bereich "Straße" eine Vielzahl von Tarifverträgen gebe, die in Bezug auf die vereinbarten Entgelte "erheblich" divergierten (LT-Drs. 17/259, Seite 13). Darüber hinaus wird schon grundsätzlich die Gefahr eines - zu verhindernden - Lohn- und Sozialdumpings nicht ohne Berücksichtigung der konkret vereinbarten Entgelthöhe unter Vergleich der sonst üblichen Entgelthöhen zu begründen sein.

So mag auch bei eher geringer Tarifbindung, die - für sich genommen - Zweifel an der Repräsentativität begründete, ein Tarifvertrag repräsentativ sein, wenn seine Ergebnisse sehr "nah" an einem sonst recht einheitlichen Ergebnis der Mehrheit der Tarifverträge liegen; in diesem Fall dürfte ein Lohn- oder Sozialdumping schon nicht zu befürchten sein (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Oktober 2015 - Verg 30/13, juris Rn. 96). Andererseits mag ein deutlicher Abstand der Entgelthöhe eher ein Indiz für einen Ausreißer sein, wenn zudem der Grad der Tarifbindung eher gering ist.

bb) Ausgehend von den bisherigen Darlegungen der Parteien spricht einiges dafür, dass der infrage stehende Tarifvertrag der GVN/GÖD Stand 1. September 2018 nach diesen Maßstäben repräsentativ i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 1 NTVergG ist, wobei der Senat nicht verkennt, dass weitergehende Darlegungen, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen mögen, noch hätten erfolgen können. Auch die im vorliegenden Verfahren vorgelegte Stellungnahme des zuständigen Ministeriums zeigt keine Umstände auf, die eine abweichende Beurteilung geböten.

3. Soweit der Nachprüfungsantrag auf die Feststellung gerichtet ist, dass der zur Abdeckung des Bedarfs bis zum Abschluss des vorliegenden Nachprüfungsverfahrens geschlossene Vertrag ("Not-Notvergabe") mit der Beigeladenen nichtig sei, ist dieser Antrag auf der Grundlage des bisherigen Sachstandes mangels Statthaftigkeit des Vergaberechtswegs bereits unzulässig. Der maßgebliche Auftragswert überschritt den einschlägigen Schwellenwert nach Art. 15 lit. a) RL 2014/25/EU nicht.

a) Bei der vorliegend infrage stehenden Vergabe dürfte es sich um eine Sektorenvergabe nach Art. 1 Abs. 2, Art. 11 RL 2014/25/EU, §§ 100, 102 Abs. 4, §§ 136 ff. GWB handeln, so dass der genannte Schwellenwert nach der Sektorenrichtlinie maßgeblich sein dürfte.

Eine Sektorentätigkeit nach § 102 Abs. 4 GWB, Art. 11 RL 2014/25/EU liegt auch dann vor, wenn der öffentliche Auftraggeber ein Netz zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Bus betreibt, indem er die Strecken, die Transportkapazitäten oder die Fahrpläne festlegt (dazu: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Dezember 2015 - VII-Verg 34/15, juris Rn. 25). Dass der öffentliche Auftraggeber auch die Verkehrsleistungen selbst erbringt (dazu [noch vor der Klarstellung durch § 102 Abs. 4 Satz 2 GWB]: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. November 2012 - VII-Verg 11/12, juris Rn. 16), dürfte in diesem Fall für die Annahme einer Sektorenvergabe nicht erforderlich sein. Diese Voraussetzungen des Netzbetriebes dürften vorliegend erfüllt sein.

b) Der Wert der insoweit maßgeblichen Not-Notvergabe ist isoliert zu bestimmen; der Auftrag tritt neben den ursprünglichen Auftrag (OLG Koblenz, Beschluss vom 24. März 2015 - Verg 1/15, juris Rn. 15; Eschenbruch in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 4. Aufl., § 103 GWB Rn. 182; Ganske in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Aufl., § 103 GWB, Rn. 27; Bulla in: beck-onlineGK, § 103 GWB, Rn. 2173.1 [Stand: 1. März 2019]).

Die Antragsgegnerin trägt eine Schätzung des Auftragswertes auf rund 158.000 € vor. Dabei hat sie einen 3-monatigen Auftragswert von jeweils 52.910,67 € zugrunde gelegt. Dieser Ansatz von lediglich 3 Monaten begegnet zwar durchaus Zweifeln.

Die Schätzung des Auftragswertes ist vom Auftraggeber nach objektiven Kriterien durchzuführen. Der Wert darf nicht in der Absicht geschätzt oder aufgeteilt werden, den Auftrag der Anwendung der Vergabebestimmungen zu entziehen (§ 3 Abs. 2 VgV). Hält sich der Auftraggeber innerhalb dieses Rahmens, steht ihm ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen beachtet werden muss. Die Anforderungen an die Genauigkeit der Wertermittlung und der Dokumentation steigen, je mehr sich der Auftragswert dem Schwellenwert annähert (zum Ganzen: Senat, Beschluss vom 12. Juli 2007 - 13 Verg 6/07, juris Rn. 29 m.w.N.). Die Schätzung ist realitätsnah vorzunehmen (OLG Koblenz a.a.O. Rn. 16). Bei Zweifeln an der Erreichung des Schwellenwertes ist die Zuständigkeit der Nachprüfungsinstanzen nicht gegeben (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Dezember 2014 - VII-Verg 24/14, juris Rn. 20).

Es begegnet vorliegend Zweifeln, ob die Annahme einer nur 3-monatigen Laufzeit der Not-Notvergabe auf der Grundlage der maßgeblichen ex-ante-Prognose realitätsnah war, ob mithin damit gerechnet werden konnte, dass nicht nur das gegen die Notvergabe gerichtete Nachprüfungsverfahren und ein sich ggfls. anschließendes Beschwerdeverfahren bis Ende März 2019 abgeschlossen gewesen wären, sondern dass bis dahin auch ggfls. eine - das Ergebnis dieses Nachprüfungsverfahrens umsetzende - Vergabeentscheidung getroffen werden könnte. Dies kann aber offenbleiben. Auch bei realitätsnaher Schätzung überschritt der Auftragswert der Not-Notvergabe den maßgeblichen Schwellenwert von 443.000 € jedenfalls nicht. Eine mehr als 8-monatige Dauer des Nachprüfungsverfahrens und eine entsprechende Laufzeit der Not-Notvergabe war auch bei vorsichtiger Schätzung jedenfalls nicht zu erwarten.

III.

Soweit die Vergabekammer die Gebühren für das Verfahren vor der Vergabekammer festgesetzt hat, ist eine Abänderung des Beschlusses der Vergabekammer nicht veranlasst (vgl. OLG München a.a.O.).

IV.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ergeht gemäß § 175 Abs. 2 i.V.m. § 78 Satz 1 GWB. Auch insoweit gelten die vorstehenden Billigkeitserwägungen, so dass die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen durch die Antragstellerin zu tragen sind.

V.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt gem. § 50 Abs. 2 GKG 5 % der Bruttoauftragssumme.

Die nach § 50 Abs. 2 GKG maßgebliche Bruttoauftragssumme errechnet sich betreffend den ursprünglichen Nachprüfungsauftrag aus dem angebotenen Preis, der betreffend die Antragstellerin (ohne MwSt.) 666.832 € für das Jahr 2019 beträgt und auf zwei Jahre hochzurechnen ist, mithin brutto 1.587.060,16 €.

Den Auftragswert der Not-Notvergabe schätzt der Senat unter Zugrundelegung einer voraussichtlich 5-monatigen Dauer des Nachprüfungsverfahrens ausgehend von dem vorgenannten Preis auf brutto 330.637,53 €.