Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 07.09.2020, Az.: 2 W 37/20

Erfallen der Gebühr des Gerichtsvollziehers für den Versuch einer gütlichen Erledigung bei Unmöglichkeit der Zustellung der Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
07.09.2020
Aktenzeichen
2 W 37/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 64876
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2020:0907.2W37.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 30.06.2020 - AZ: 1 T 122/20
AG Osnabrück - AZ: 60 M 2/20

Amtlicher Leitsatz

Ein nach Nr. 208 KV GvKostG vergütungspflichtiger Mehraufwand des Gerichtsvollziehers ist immer dann zu bejahen, wenn er den Schuldner - gleich in welcher Form - zur gütlichen Erledigung auffordert, ohne dass die Mitwirkung des Schuldners oder die Zustellung der Aufforderung an diesen erforderlich wäre (Anschluss an OLG Celle, DGVZ 2019, 264; OLG Braunschweig, DGVZ 2019, 43; entgegen OLG Koblenz, NJW-RR 2020, 62 [OLG Hamm 03.09.2019 - 32 SA 54/19]; OLG Düsseldorf, DGVZ 2019, 216; OLG Hamm, DGVZ 2019, 133).

Tenor:

  1. 1.

    Die weitere Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 30. Juni 2020 wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Gläubigerin beauftragte den Gerichtsvollzieher unter Verwendung eines amtlichen Vordrucks mit der Abnahme einer Vermögensauskunft ohne vorherigen Pfändungsversuch gem. §§ 802c, 802f ZPO und erteilte in diesem Rahmen auch den Auftrag zur gütlichen Erledigung gem. § 802b ZPO.

Daraufhin lud der Gerichtsvollzieher die Schuldnerin zur Abnahme der Vermögensauskunft nebst Zahlungsaufforderung gem. § 802 f ZPO unter Hinweis auf die Möglichkeit zur gütlichen Einigung gem. § 802b ZPO durch Einräumung einer Zahlungsfrist oder Gestattung von Ratenzahlung. Dafür bediente er sich der Deutschen Post AG. Die Ladung konnte nicht zugestellt werden, weil die Schuldnerin unbekannt verzogen war.

Der Gerichtsvollzieher berechnete gegenüber der Gläubigerin u.a. einen Betrag von 8,00 € unter Berufung auf Nr. 208 KV GvKostG. Dagegen wendete sich die Gläubigerin zunächst mit ihrer Erinnerung vor dem Amtsgericht und im Anschluss mit ihrer vom Amtsgericht zugelassenen Beschwerde, die ebenfalls vom Bezirksrevisor eingelegt wurde, vor dem Landgericht. Die Rechtsmittel blieben erfolglos. Der Bezirksrevisor hat gegen den Beschluss des Landgerichts die von diesem zugelassene weitere Beschwerde eingelegt.

II.

1. Die von dem Bezirksrevisor als Vertreter der Staatskasse eingelegte weitere Beschwerde ist gemäß §§ 5 Abs. 2 GvKostG, 66 Abs. 4 GKG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

2. In der Sache hat sie keinen Erfolg.

a) Es ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten, ob im Falle der Beauftragung des Gerichtsvollziehers mit der Einholung einer Vermögensauskunft (§ 802 a Abs. 2 Nr. 2 ZPO) sowie des Versuches einer gütlichen Erledigung (§ 802 b ZPO) eine Gebühr nach Nr. 208 KV GvKostG zusteht, obwohl das Ladungsschreiben zur Abgabe der Vermögensauskunft mitsamt der Anregung zur gütlichen Einigung dem Schuldner nicht zugestellt werden konnte, weil dieser unbekannt verzogen ist.

aa) Nach einer Ansicht steht dem Gerichtsvollzieher die Gebühr nach Nr. 208 KV GvKostG in diesen Fällen nicht zu, weil der Gebührentatbestand einen Versuch zur gütlichen Erledigung voraussetzt, der tauglich ist, den Schuldner zu erreichen (vgl. OLG Koblenz, NJW-RR 2020, 62 [OLG Hamm 03.09.2019 - 32 SA 54/19]; OLG Düsseldorf, DGVZ 2019, 216 - unter Rückgriff auf § 22 StGB -; OLG Hamm, DGVZ 2019, 133; zustimmend Kessel in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. 2017, GvKostG, Nr. 207 Rn. 15).

bb) Nach anderer Auffassung ist ein nach Nr. 208 KV GvKostG vergütungspflichtiger Mehraufwand immer dann zu bejahen, wenn der Gerichtsvollzieher den Schuldner - gleich in welcher Form - zur gütlichen Erledigung auffordert, ohne dass die Mitwirkung des Schuldners oder die Zustellung der Aufforderung an diesen erforderlich wäre (vgl. OLG Celle, DGVZ 2019, 264; OLG Braunschweig, DGVZ 2019, 43; zustimmend Herrfurth in BeckOK Kostenrecht, Dörndorfer/Neie/Wendtland/Gerlach, 30. Edition, Stand: 01.06.2020, GvKostG, KV Nr. 208 Rn. 10 und KV Nr. 600 - 604 Rn. 25).

b) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.

aa) Im Kern entscheidend ist die Frage, wann der "Versuch einer gütlichen Erledigung" nach Nr. 207, 208 KV GvKostG beginnt.

(1) Dies ist nach der sprachlichen Bedeutung des Begriffes "Versuch" und damit der zunächst heranzuziehenden Wortlautauslegung bereits dann der Fall, wenn eine Anstrengung, Bemühung oder Bestrebung unternommen wird. Mithin beginnt nach dem Wortlaut der "Versuch einer gütlichen Erledigung" für den Gerichtsvollzieher bereits mit der Abfassung und Absendung des Schreibens an den Schuldner, in dem er diesen auf die Möglichkeit zur gütlichen Erledigung gem. § 802b ZPO durch Einräumung einer Zahlungsfrist oder Gestattung von Ratenzahlung hinweist.

(2) Ferner spricht der Sinn und Zweck des Gebührentatbestandes dafür, dass der Versuch einer gütlichen Erledigung mit der ersten Tätigkeitsentfaltung des Gerichtsvollziehers beginnt. Auch wenn nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/9698 S. 25) erst "Der Versuch einer gütlichen Erledigung (...) stets eine Gebühr auslösen" soll, bleibt es das Telos des Gebührentatbestandes, einen Mehraufwand des Gerichtsvollziehers für den Versuch der gütlichen Erledigung abzudecken. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist es gerechtfertigt, ihn mit der Veranlassung der Zustellung als erfüllt anzusehen. Denn auch wenn zuzugeben ist, dass er sehr gering ist, liegt bereits in der zusätzlichen schriftlichen Darstellung der Einigungsmöglichkeiten im Vergleich zum bloßen Anschreiben zur Abgabe der Vermögensauskunft ein (Mehr-) Aufwand (a.A. OLG Koblenz a.a.O.). Die Geringfügigkeit dieses Aufwandes ist demgegenüber nicht maßgeblich, weil es sich um eine Festgebühr handelt, die als Ergebnis einer Mischkalkulation sowohl besonders aufwändige Fälle, bei denen sie nicht auskömmlich ist, als auch sehr einfache Fälle umfasst.

bb) Anlass von diesem durch die Wortlautauslegung und den Sinn und Zweck des Gebührentatbestandes vorgegebenen Ergebnis abzuweichen, besteht nicht. Das Aufstellen des Kriteriums eines Versuchs, der (objektiv) tauglich ist, den Schuldner zu erreichen, und damit erst mit der erfolgreichen Zustellung an ihn beginnen soll, ist nicht nachvollziehbar zu begründen.

(1) Der Senat teilt die rechtliche Bewertung nicht, dass das Erfordernis eines (objektiv) tauglichen Versuches sich aus dem Zweck des § 802 b ZPO ergebe, der darin besteht, durch eine gütliche Erledigung die weitere Vollstreckung und damit intensivere Eingriffe in den Rechtskreis des Schuldners zu vermeiden (so aber OLG Koblenz a.a.O.). Es trifft zwar zu, dass dieser Zweck sich nicht erreichen lässt, wenn der Schuldner unbekannt verzogen ist. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass für den im Gebührentatbestand vorausgesetzten Versuch der gütlichen Erledigung eine Maßnahme erforderlich ist, die objektiv geeignet wäre, den Schuldner in die Lage zu versetzen, den Versuch des Gerichtsvollziehers um eine gütliche Erledigung zum Erfolg zu führen, was zwangsläufig den Zugang der Mitteilung an den Schuldner erfordere (vgl. OLG Koblenz a.a.O.).

Der Normzweck des § 802 b ZPO kann genauso wenig erreicht werden, wenn der Schuldner vollkommen vermögenslos und deswegen gar nicht in der Lage ist, eine gütliche Erledigung zu erzielen, oder einer solchen von vornherein unabrückbar ablehnend gegenübersteht. Damit erschließt sich nicht, warum allein das Fehlen des Zugangs der Mitteilung über eine gütliche Erledigung für die Erfüllung des Gebührentatbestandes entscheidend sein soll. Vielmehr könnte mit der auf den Normzweck des § 802 b ZPO rekurrierenden Begründung jeder von vornherein ungeeignete Versuch des Gerichtsvollziehers, eine gütliche Einigung herbeizuführen, vergütungsfrei gestellt werden, ganz gleich, ob es sich um einen objektiv ungeeigneten (Zustellung nicht möglich) oder subjektiv untauglichen Versuch (vollkommene Vermögenslosigkeit, Ablehnung jeglicher Vergleichsbereitschaft) handelt. Eine derart weitgehende Einschränkung des Tatbestandsmerkmals "Versuch einer gütlichen Erledigung" ist demgegenüber weder praktikabel noch nachvollziehbar und wird - soweit ersichtlich - auch nirgends vertreten.

Schließlich erscheint die Differenzierung von objektiv ungeeigneten (Zustellung nicht möglich) und subjektiv ungeeigneten Versuchen (vollkommene Vermögenslosigkeit, Ablehnung jeglicher Vergleichsbereitschaft) für die Frage der Erfüllung des Gebührentatbestandes auch deswegen nicht zielführend, weil beide Umstände dadurch gekennzeichnet sind, dass sie nicht in der Hand des Gerichtsvollziehers liegen. Auch in Ansehung der Regelung über die Nichterhebung von Kosten bei unrichtiger Sachbehandlung gem. § 7 GvKostG liegt es nahe, die Gebühr nach Nr. 208 KV GvKostG als verdient anzusehen, wenn der Gerichtsvollzieher das seinerseits Erforderliche getan hat, um eine gütliche Erledigung möglich zu machen, und sie nicht an Umstände zu knüpfen, die außerhalb seines Einflussbereiches liegen.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ist die Auffassung, die für die Erfüllung des Gebührentatbestands nach Nr. 208 KV GvKostG eine Zustellung des Anschreibens an den Schuldner fordert, nicht in der Lage, die sich aufdrängende Frage befriedigend zu beantworten, warum der Versuch einer gütlichen Erledigung zwar mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme - nichts anderes verschafft die Zustellung - aber nicht erst mit der tatsächlichen Kenntnisnahme des Schuldners oder dessen Reaktion auf das Schreiben des Gerichtsvollziehers beginnen soll. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass das Tatbestandsmerkmal "Versuch einer gütlichen Erledigung" der Nr. 208 KV GvKostG mittels der Auslegung des Begriffes möglichst weit nach hinten geschoben und gleichzeitig an ein verlässlich feststellbares Ereignis (Zustellung) geknüpft werden soll, während dieses Ereignis für den nach dem Gesetzeszweck maßgeblichen Aufwand des Gerichtsvollziehers bei Lichte betrachtet völlig bedeutungslos sein kann. An diesem ändert sich nämlich nichts, wenn der Schuldner das Schreiben nicht zur Kenntnis nimmt oder nicht reagiert.

(2) Schließlich vermag die Argumentation des OLG Hamm (a.a.O.) nicht zu überzeugen, es liege ein nach den Nrn. 600 - 604 KV GvKostG zu vergütender Fall der Nichterledigung vor, wenn der Versuch des Gerichtsvollziehers zur gütlichen Erledigung den Schuldner nicht erreichen kann. Dies gilt für die anderen Kostentatbestände, nicht jedoch für den Versuch der gütlichen Erledigung. Eine nicht erledigte gütliche Erledigung liegt nur dann vor, wenn der Auftrag vor Aufnahme einer Amtstätigkeit des Gerichtsvollziehers endet. Das OLG Celle (a.a.O.) stellt zu Recht darauf ab, dass der Gerichtsvollzieher bereits eine auf die gütliche Erledigung gerichtete Amtshandlung vorgenommen hat, wenn er ein das Angebot auf eine gütliche Einigung enthaltende Anschreiben an den Schuldner gefertigt und auf den Weg gebracht hat.

3. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, § 5 Abs. 2 Satz 2 GvKostG, § 66 Abs. 8 GKG.