Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 12.02.2021, Az.: 1 Ws 41/21
Kürzungen der Mittelgebühr des Pflichtverteidigers; Unbilligkeit bei Beanspruchung von mehr als 20% der angemessenen Gebühren
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 12.02.2021
- Aktenzeichen
- 1 Ws 41/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 41728
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 14.12.2020 - AZ: 18 KLs 7/19
Rechtsgrundlagen
- § 311 StPO
- § 464b S. 3 StPO
- § 104 Abs. 3 ZPO
- § 14 Abs. 1 S. 1 RVG
- VVRVG 4142
Fundstellen
- AGS 2021, 272-274
- RVG prof 2021, 116
- VRR 2023, 6
Redaktioneller Leitsatz
1. Ein Hauptverhandlungstermin, der nur 36 oder 41 Minuten dauert, und in dem jeweils nur ein Zeuge gehört wird, rechtfertigt die Reduzierung der Mittelgebühr des Pflichtverteidigers um ein Viertel.
2. Ein Hauptverhandlungstermin, der 55 Minuten dauert, in dem aber nur das Urteil verkündet wird, bedarf keiner weiteren Vorbereitung und rechtfertigt deshalb die Festsetzung der doppelten Mindestgebühr in Höhe von 160 Euro.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 14. Dezember 2020,
durch den die von der Staatskasse dem früheren Angeklagten zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 9.508,91 € festgesetzt worden sind,
wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Landgericht Osnabrück hat den früheren Angeklagten mit Urteil vom 6. Februar 2020 vom Vorwurf des gemeinschaftlichen (versuchten) Diebstahls in drei Fällen freigesprochen. Die notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden. Das Urteil ist insoweit seit dem 26. Mai 2020 rechtskräftig.
Der Kostenbeamte des Landgerichts hat mit Beschluss vom 28. April 2020 die aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung des dem früheren Angeklagten beigeordneten Pflichtverteidigers, Rechtsanwalt BB, antragsgemäß auf 3.528,73 € festgesetzt und ausgezahlt.
Mit Antrag vom 10. Juni 2020 hat Rechtsanwalt BB die Festsetzung und Erstattung der notwendigen Auslagen für den früheren Angeklagten beantragt. Dabei hat er unter anderem jeweils eine Terminsgebühr nach Nr. 4114 RVG VV für den Hauptverhandlungstermin am 17. Dezember 2019 in Höhe von 288 €, für den Hauptverhandlungstermin am 28. Januar 2020 in Höhe von 256 € und für den Hauptverhandlungstermin am 6. Februar 2020 in Höhe von 288 € beantragt und - nach Abzug der bereits erhaltenen Pflichtverteidigergebühren (s.o.) - Gebühren und Auslagen in Höhe von (noch) insgesamt 9.796,89 € geltend gemacht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Antrag Bezug genommen.
Der beteiligte Bezirksrevisor beim Landgericht Osnabrück hält demgegenüber die Festsetzung jeweils einer Terminsgebühr lediglich in Höhe von 230 €, 200 € sowie von 160 € für die vorgenannten Hauptverhandlungstermine für angemessen. Insoweit wird auf die Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 18. November 2020 verwiesen.
Dementsprechend hat das Landgericht Osnabrück mit angefochtenem Beschluss vom 14. Dezember 2020 einen weiteren Betrag in Höhe von lediglich 9.508,91 € festgesetzt.
Gegen diese Entscheidung hat der frühere Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 19. Januar 2021 sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung insoweit auf seine - ebenfalls in Bezug genommene - Stellungnahme vom 1. Dezember 2020 verwiesen, wonach aufgrund der Bedeutung der Sache sowie wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die von ihm geltend gemachte Höhe für die Terminsgebühren durchaus gerechtfertigt sei.
II.
1.
Das nach §§ 464b Satz 3, 311 StPO, 104 Abs.3 ZPO eingelegte Rechtsmittel ist zulässig. Insbesondere wird mit dem geltend gemachten Differenzbetrag in Höhe von 287,98 € der Beschwerdewert überschritten.
2.
Die Beschwerde bleibt allerdings ohne Erfolg.
Die Höhe der als Auslagen des früheren Angeklagten zu erstattenden Wahlverteidigergebühren bestimmt der Rechtsanwalt unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG). Ist die Gebühr von einem Dritten, wie vorliegend von der Staatskasse, zu erstatten, so ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nur dann nicht verbindlich und abänderbar, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Nach ganz herrschender Auffassung liegt ein Fall der Unbilligkeit erst dann vor, wenn die von dem Rechtsanwalt bestimmte Gebühr die von dem Gericht für angemessen erachtete um mehr als 20 % überschreitet; eine Überschreitung um bis zu 20 % in der Regel ist zu tolerieren (statt vieler OLG Koblenz, Beschluss vom 10.09.2007 - 1 Ws 191/07, juris Rn. 23).
Bei der Bemessung der Terminsgebühr für einen Hauptverhandlungstermin ist, da durch sie der zeitliche Aufwand vergütet werden soll, den der Rechtsanwalt durch die Teilnahme an diesem Termin hat, die zeitliche Dauer der Hauptverhandlung von ganz erheblicher Bedeutung. Auszugehen ist grundsätzlich von der Mittelgebühr. Bei der Bemessung kann sich der Wahlanwalt an den Grenzen der Längenzuschläge Nrn. 4110, 4111 VV RVG orientieren. Unter deren Berücksichtigung wird eine Hauptverhandlungsdauer von mehr als fünf bis acht Stunden eine erheblich über die Mittelgebühr hinausgehende Terminsgebühr rechtfertigen. Wird mehr als acht Stunden verhandelt, ist auf jeden Fall die Höchstgebühr gerechtfertigt (vgl. Burhoff, in Gerold/Schmidt, RVG24, VV 4112 bis 4117 Rn. 5 i.V.m. VV 4108 bis 4111 Rn. 18). Demgegenüber sind Terminsgebühren regelmäßig nur unterhalb der Mittelgebühr anzuerkennen, wenn der Termin für die jeweils betroffene Gerichtsinstanz außergewöhnlich kurz ist. So rechtfertigt eine unterdurchschnittliche Dauer der Hauptverhandlung als Bemessungskriterium "Umfang der Anwaltstätigkeit" und sonstiger durchschnittlicher Bemessungskriterien die Unterschreitung der Mittelgebühr der Terminsgebühr als Rahmengebühr auf bis zu 1/4 des Gebührenrahmens. Hauptverhandlungen beim Amtsgericht sollen - wenn überhaupt - erst ab einer Dauer von etwa 40 Minuten die Mittelgebühr rechtfertigen (vgl. Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG24, § 14 Rn. 44 m.w.N.). Hauptverhandlungen vor der großen Strafkammer sollen dagegen selbst bei dreistündiger Dauer eher einen unterdurchschnittlichen und erst um die Dauer von fünf Stunden einen durchschnittlichen Umfang ausmachen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24.01.2008 - 4 Ws 528/07, juris Rn. 36, 42; ferner OLG Hamm, Beschluss vom 24.07.2014 - 1 Ws 305/14, juris Rn. 32 ff.).
Nach diesen Maßstäben ist gegen die dem angefochtenen Beschluss zugrundeliegende Höhe der jeweiligen Terminsgebühren nichts zu erinnern:
Der Hauptverhandlungstermin am 17. Dezember 2019 dauerte nur 41 Minuten und hatte die Vernehmung eines einzigen Zeugen zum Gegenstand. Die zeitliche Inanspruchnahme des Verteidigers für die Dauer der Hauptverhandlung einschließlich deren Vor- und Nachbereitung sowie die inhaltliche Auseinandersetzung mit einer einzigen Zeugenaussage machen nur einen geringen Bruchteil eines durchschnittlichen Hauptverhandlungstermins vor einer großen Strafkammer aus, so dass die Herabsetzung der Mittelgebühr von 320 € um gut ein Viertel auf 230 € angemessen und ausreichend erscheint (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24.07.2014 - 1 Ws 305/14, juris Rn. 34, 39, 43).
Vorstehendes gilt entsprechend für den Hauptverhandlungstermin am 28. Januar 2020, welcher nur 36 Minuten dauerte und ebenfalls die Vernehmung eines einzigen Zeugen zum Inhalt hatte. In den verbleibenden neun Minuten der Hauptverhandlung wurde ein Blatt aus der Personenakte des früheren Angeklagten verlesen und Lichtbilder von ihm in Augenschein genommen. Angesichts der noch kürzeren Dauer der Hauptverhandlung, die sogar für amtsgerichtliche Verhältnisse noch unterdurchschnittlich ist, ist gegen die Herabsetzung der Mittelgebühr um gut ein Drittel auf 200 € ebenfalls nichts zu erinnern (vgl. OLG Hamm a.a.O.).
Der Hauptverhandlungstermin am 6. Februar 2020 übertrifft mit 55 Minuten Dauer die beiden vorstehend erwähnten Termine zwar an Länge, tritt aber gleichfalls weit hinter der durchschnittlichen Dauer eines Termins vor der großen Strafkammer zurück. Hinzu kommt die Tatsache, dass in diesem Termin ausschließlich das Urteil verkündet wurde. Mit anderen Worten, dieser Termin bedurfte keiner nennenswerten Vorbereitung seitens des Verteidigers; die anwaltliche Tätigkeit im Termin selbst bestand nahezu ausschließlich in der schlichten "Entgegennahme" der mündlichen Urteilsbegründung. Dies stellt ein derart erheblich gebührenmindernder Umstand dar, dass hier lediglich die Festsetzung einer Terminsgebühr in Höhe des Doppelten der Mindestgebühr - mithin 160 € - angemessen und auch ausreichend ist, zumal dieser Ansatz selbst für die vollständige Durchführung einer 40-minütigen Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht für gerechtfertigt erachtet wird (vgl. Nachw. bei Mayer a.a.O., RVG § 14 Rn. 44). Insoweit verfängt auch der Hinweis in der Beschwerde nicht, dass vor der Urteilsverkündung etwa noch Beweisanträge gestellt werden könnten, da solche prozessuale Mittel der Verteidiger hier gerade nicht ergriffen hat.
Ebenfalls in der Gesamtschau mit den übrigen Umständen erscheinen die festgesetzten Terminsgebühren angemessen, auch wenn der Senat nicht verkennt, dass gegen den früheren Angeklagten die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von über 1,8 Mio. € im Raum stand und dieser mit einem Insolvenzrisiko belastet war. Denn abgesehen davon, dass dieser Aspekt im Wesentlichen mit der ebenfalls geltend gemachten und bewilligten besonderen Wertgebühr nach Nr. 4142 VV RVG abgegolten worden ist und auch insbesondere am Tag der Urteilsverkündung im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit nicht mehr zum Tragen gekommen ist, sprechen der Aktenumfang (bis zur Hauptverhandlung umfasste der Aktenbestand nur vier Bände mit insgesamt gut 700 Seiten) als auch die Einkommensverhältnisse des früheren Angeklagten (dieser gab gegenüber der Strafkammer an, als Monteur zu arbeiten) für sich genommen allenfalls für einen mittleren Umfang bzw. eine durchschnittliche Bedeutung der Sache, so dass diese Aspekte das ganz erheblich unterdurchschnittliche Tätigwerden des Verteidigers in den drei in Rede stehenden Hauptverhandlungsterminen nicht aufzuwiegen vermögen.
Da vor diesem Hintergrund der Gebührenansatz des Verteidigers mehr als 20 % von den angemessenen Gebühren abweicht, ist ihre Bestimmung unbillig und damit im festgesetzten Umfang abänderbar (vgl. OLG Koblenz a.a.O., juris Rn. 25).
Setzt man nach alledem die Terminsgebühr für die vorgenannten Hauptverhandlungstermine lediglich in Höhe von 230 €, 200 € sowie 160 € an, verringert sich die Zwischensumme auf einen Betrag in Höhe von 10.956 €, die Umsatzsteuer auf 2.081,64 € und der zugrunde zu legende Endbetrag auf 13.037,64 €. Von diesem Betrag ist die bereits ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 3.528,73 € in Abzug zu bringen, sodass noch weitere 9.508,91 € festzusetzen waren.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.