Sozialgericht Osnabrück
Beschl. v. 10.07.2008, Az.: S 22 AS 393/08 ER

Leistungen für Mehrbedarf bei kostenaufwändiger Ernährung wegen Lactose- und Fructoseintoleranz

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
10.07.2008
Aktenzeichen
S 22 AS 393/08 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 54680
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
LSG Niedersachsen-Bremen - 21.10.2008 - AZ: L 6 AS 458/08 ER

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen für Mehrbedarf bei kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) wegen Lactose- und Fructoseintoleranz.

Die im Jahre 1981 geborene Antragstellerin erhält von dem Antragsgegner seit dem 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II.

Am 3. Mai 2007 (vgl. Ausgabevermerk des Antragsgegners) beantragte die Antragstellerin die Anerkennung von Leistungen für Mehrbedarf bei kostenaufwändiger Ernährung. Sie leide an einer Lactoseintoleranz und müsse lebenslänglich eine lactosefreie Ernährung einhalten (Bescheinigung Drs. D. vom 8. Mai 2007). Weil sie eine Vielzahl von marktüblichen Grundnahrungsmitteln nicht vertrage, seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen für Mehrbedarf bei kostenaufwändiger Ernährung erfüllt (Bescheinigung Dr. E. vom 11. September 2007). Der Antragsgegner holte daraufhin eine Stellungnahme des Gesundheitsamtes der Stadt F. vom 17. Oktober 2007 ein. Eine Einschränkung oder Vermeidung des Verzehrs von Milch und milchzuckerhaltigen Lebensmitteln führe zu einer Beschwerdefreiheit. Ein Mehrbedarf entstünde hierdurch nicht. Der Antragsgegner wies den Widerspruch unter Hinweis auf die Stellungnahme des Gesundheitsamtes mit Bescheid vom 19. Oktober 2007 zurück. Die Antragstellerin erhob Widerspruch und trug vor, dass wöchentlich folgende Kosten entstünden:

Normalpreis Preis für lactosefreie Lebensmittel

- 2 Litern Milch 1,30 EUR 2,90 EUR - 4 x Pudding 1,16 EUR 6,60 EUR - 1 Liter Kakao 1,98 EUR 2,90 EUR - 1 x Margarine/Butter 0,65 EUR 1,39 EUR - 5 x Käse 4,95 EUR 7,25 EUR - 5 x Joghurt 2,45 EUR 4,45 EUR - 1 x Schmierkäse 0,79 EUR 1,09 EUR

Insgesamt ergäbe sich danach ein wöchentlicher Mehrbedarf in Höhe von 53,12 EUR. Darüber hinaus sei zu beachten, dass sie aufgrund einer Fructoseintoleranz (Bescheinigung Prof. Dr. G. vom 21. Dezember 2007) Sojaprodukte nicht zu sich nehmen könne. Es sei eine stringente diätetische Behandlung erforderlich, weil es ansonsten zu schweren gastrointestinalen Nebenwirkungen kommen könne. Hinsichtlich der Lactoseintoleranz reagiere sie bereits auf kleinste Mengen von Milchzucker. Der Fachbereich Gesundheit der Stadt F. bestätigte am 11. Februar 2008 das Beschwerdebild der Antragstellerin, wies jedoch darauf hin, dass die Gesundheitsbeeinträchtigungen lediglich eine nach Verträglichkeit abgewandelte Normalkost unter Weglassen bestimmter Nahrungsmittel erforderten. Eine Entscheidung über den Widerspruch erfolgte bislang nicht.

Die Antragstellerin hat sich am 5. Mai 2008 an das Sozialgericht gewandt und begehrt zum einen unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen für Mehrbedarf bei kostenaufwändiger Ernährung wegen Lactose- und Fructoseintoleranz und zum anderen die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Ergänzend trägt sie vor, dass sie monatlich erhebliche Ausgaben habe (80,- EUR Kreditrate für den Erwerb des Führerscheins, 9,- EUR Kosten der Fußpflege wegen eines eingewachsenen Zehnagels, 39,- EUR für Iberogast-Tropfen, 18,30 EUR für Mittel gegen ihre Heuschnupfenallergie und 13,- EUR Eigenanteil für orthopädische Schuhe).

Der Antragsgegner hält an seiner Entscheidung fest.

Neben der Gerichtsakte hat die Verwaltungsakte des Antragsgegners vorgelegen. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist unbegründet. Die Antragstellerin hat ab Eingang des Antrages beim Sozialgericht am 5. Mai 2008 keinen Anspruch Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, denn die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind nicht erfüllt.

Danach kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG). In diesem Sinne notwendig ist eine einstweilige Anordnung, wenn die Sache eilbedürftig ist, dass heißt, wenn durch die Verweisung des Antragstellers auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren unzumutbare Nachteile entstehen (Anordnungsgrund) und ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme besteht (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Der gegen den Bescheid vom 19. Oktober 2007 erhobene Widerspruch, über den der Antragsgegner wohl ohne zureichenden Grund im Sinne des § 88 Abs. 2 SGG immer noch nicht entschieden hat, wird sich als unbegründet erweisen. Die Antragstellerin hat wegen der festgestellten Lactose- und Fructoseintoleranz keinen Anspruch auf Leistungen für Mehrbedarf bei kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II.

Danach ist für Krankheiten, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe zu gewähren. Bei welchen Krankheitsbildern ein solcher Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung erforderlich ist, ergibt sich regelmäßig aus den Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostenzulagen in der Sozialhilfe (2. Auflage, 1997, im Folgenden: Empfehlungen), die vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge herausgegeben werden. Nach diesen Empfehlungen entstehen bei Betroffenen weder durch eine lactose-, noch durch eine fructosearme Kostform eine Mehrkosten im Vergleich zu der üblichen Normalkost. Zur Begründung wird überzeugend darauf verwiesen, dass bei Lactose- und Fructoseunverträglichkeit eine besondere Ernährung nicht erforderlich ist. Es müssen vielmehr nur bestimmte milch- bzw. fruchtzuckerhaltige Lebensmittel weggelassen werden. Eine Ernährung, bei der bestimmte Lebensmittel weggelassen werden, kann aber nicht teurer sein, als eine Ernährung ohne Krankheitsbild. Aus diesem Grund ist in der Rechtsprechung - der das erkennende Gericht folgt - die Gewährung eines Zuschlags für kostenaufwändige Ernährung bei Lactose- und Fructoseintoleranz bislang abgelehnt worden (vgl. Sozialgericht - SG - Hildesheim, Urteil vom 22. November 2006 - S 33 AS 715/05 -; SG Hannover, Urteil vom 20. Juli 2006 - S 47 AS 635/06 -; Verwaltungsgericht - VG - Münster, Urteil vom 21. Februar 2006 - 5 K 161/04 -; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 24. September 2004 - 3 K 5012/02 -).

Zu einer anderen Beurteilung führt insofern auch nicht die von der Antragstellerin angefertigte Gegenüberstellung der Preise von lactosehaltigen und lactosefreien Lebensmitteln. Denn diese Lebensmittel sind nach den dargestellten Empfehlungen nicht für eine Ernährung der Antragstellerin erforderlich. Vielmehr kann die Antragstellerin ihre Ernährung auch durch Weglassen lactosehaltiger Lebensmittel sicherstellen. Eine Nahrungszufuhr in Form von Kakao, Joghurt und Pudding ist für eine gesunde, ausgewogene Ernährung nicht erforderlich. Der von der Antragstellerin angegebene wöchentliche Verbrauch von Margarine/Butter und Käse sowie der hierzu angegebene Preis begegnet im Übrigen erheblichen Bedenken. Ein Verbrauch in diesem Umfang ist für eine gesunde, ausgewogene Ernährung ebenfalls nicht erforderlich.

Ein Ausnahmefall der speziell bilanzierten Formuladiät, die als Heilnahrung bei Säuglingen mit chronisch protahierter Diarrhoe und Lactoseintoleranz indiziert ist (vgl. hierzu die Empfehlungen, S. 83), liegt nicht vor.

Sofern die Antragstellerin ihre laufenden monatlichen Kosten anführt, kann dies jedenfalls keinen Anspruch auf Leistungen für Mehrbedarf bei kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II begründen.

Die Kostenfolge beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss kann mit der Beschwerde angefochten werden, § 172 SGG

III.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO abzulehnen, weil die mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den Gründen unter II. keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Der Beschluss über die Ablehnung von Prozesskostenhilfe kann ebenfalls mit der Beschwerde angefochten werden.