Amtsgericht Nienburg
Beschl. v. 19.12.2005, Az.: 8 F 442/05 SO
Bibliographie
- Gericht
- AG Nienburg
- Datum
- 19.12.2005
- Aktenzeichen
- 8 F 442/05 SO
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 43596
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGNIENB:2005:1219.8F442.05SO.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG Celle - 06.01.2006 - AZ: 19 UF 1/06
Tenor:
wird der Antrag des Landkreises ... - Jugendamt - vom 09.08.05 auf Entziehung der elterlichen Sorge bezogen auf die Vertretung in Kindschafts- bzw. Abstammungsangelegenheiten zurückgewiesen.
Gründe
Gemäß § 1629 II 3 BGB in Verbindung mit § 1796 BGB kann das Familiengericht die Vertretung entziehen, wenn das Interesse des Kindes zu dem Interesse des Elternteils in erheblichem Gegensatz steht. Funktionell zuständig für diese Entscheidung ist gemäß 3 Nr. 2a RpflG der Rechtspfleger.
Der Antrag wurde damit begründet, dass das Kind einen Anspruch auf Feststellung der eigenen Abstammung habe und die Mutter sich nicht um dieses Verfahren kümmern würde. Herr ... habe ein wahrheitswidriges Vaterschaftsanerkenntnis abgegeben, ein Abstammungsgutachten habe mittlerweile ergeben, dass Herr ... nicht der Vater des Kindes sein könne. Das Jugendamt beabsichtigt nun, das Vaterschaftsanfechtungsverfahren durchzuführen und anschließend die Vaterschaftsfeststellung zu betreiben. Da die Kindesmutter ihr Einverständnis dafür nicht gäbe, läge ein Interessengegensatz im Sinne des § 1796 BGB vor, der die Entziehung der Vertretungsmacht und die Bestellung des Jugendamtes als Pfleger erfordere.
Gemäß § 1796 II BGB soll die Entziehung nur erfolgen, wenn ein erheblicher Interessengegensatz besteht. Dieser Interessengegensatz kann nur bejaht werden, wenn das Unterlassen der Vaterschaftsanfechtung zu einem Nachteil für das Kind führen würde. Mit der Anfechtung der Vaterschaft wäre hier zunächst kein Kindesvater mehr vorhanden, was dazu führen würde, dass das Kind nicht mehr deutscher Staatsangehöriger wäre. Folge wäre auch der Verlust des Aufenthaltsrechtes in der Bundesrepublik. Im Hinblick auf das im Vordergrund stehende Kindeswohl wäre die Vaterschaftsanfechtung damit für das Kind nur nachteilig, so dass das Unterlassen dieser Vaterschaftsanfechtung diesbezüglich nicht als nachteilig betrachtet werden kann. Wäre der mutmaßliche tatsächliche Kindesvater bekannt und stünde die unmittelbare Anerkenntnis der Vaterschaft nach der Anfechtung bevor, so dass dann der Unterhalt des Kindes gesichert wäre, so würde das für das Interesse des Kindes an der Durchführung des Anfechtungsverfahrens sprechen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Der tatsächliche Kindesvater ist nicht bekannt, es soll lediglich das wahrheitswidrige Vaterschaftsanerkenntnis beseitigt werden.
Eine Gefährdung des Kindeswohls durch die unterlassene Vaterschaftsanfechtung ist nicht erkennbar. Doch auch wenn das wahrheitswidrige Vaterschaftsanerkenntnis strafbar und auch durch Gutachten bewiesen ist, so entspricht die Anfechtung hier aus oben genannten Gründen nicht dem Kindeswohl. Das Interesse des Kindes an der Feststellung seiner wirklichen Abstammung ist allein nicht ausschlaggebend und rechtfertigt es für sich genommen nicht, von der Weigerung des Sorgeberechtigten, die Anfechtung vorzunehmen, auf einen konkreten Interessengegensatz zu schließen. Eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge und damit ein erheblicher Interessengegensatz im Sinn des § 1796 II BGB liegen hier nicht vor. Die von der Kindesmutter in Kauf genommene oder auch forcierte Strafbarkeit des wahrheitswidrigen Vaterschaftsanerkenntnisses ist hier unabhängig vom Kindeswohl zu betrachten.
Daher war die Entziehung der Vertretungsmacht hinsichtlich der Vaterschaftsanfechtung hier abzulehnen.
Darüber hinaus beginnt für das Kind nach Erreichen der Volljährigkeit die Frist des § 1600b III BGB neu, wenn der gesetzliche Vertreter die Anfechtung unterlassen hat, so dass die Vaterschaftsanfechtung dann vom Kind selbst betrieben werden kann, wenn das Interesse an der Kenntnis der eigenen Abstammung besteht.
Im Hinblick auf eine beabsichtigte Vaterschaftsfeststellung nach der Vaterschaftsanfechtung ist festzustellen, dass § 1629 II 3 BGB in Verbindung mit § 1796 BGB hierauf nicht anwendbar ist. Dies ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut des § 1629 II 3, 2. HS BGB. Daher war der Antrag auch bezüglich einer Vaterschaftsfeststellung abzulehnen.
Durch die Abschaffung der Amtspflegschaft wurde die Feststellung der Vaterschaft in das Ermessen der nichtehelichen Mutter gestellt. Der damit verbundene Vertrauensbeweis würde aber wieder verloren gehen, wenn man der nichtehelichen Mutter, sobald sie die Vaterschaftsfeststellung nicht zügig betreibt, wegen des Interessengegensatzes zwischen ihr und dem Kind und dessen Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung das Sorgerecht gemäß § 1629 II 3 BGB entziehen würde. Das Gesetz schließt daher die Anwendung des § 1796 BGB hinsichtlich der Vaterschaftsfeststellung aus. Es wird Bezug genommen auf Palandt, BGB - Kommentar, 62. Auflage, RdNr. 28 zu § 1629 BGB.
Insgesamt war die Entziehung der Vertretungsmacht und die Pflegerbestellung daher abzulehnen.