Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 27.11.2019, Az.: 5 W 50/19
Besorgnis der Befangenheit des gerichtlichen Sachverständigen wegen Überschreitung des Gutachtenauftrags
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 27.11.2019
- Aktenzeichen
- 5 W 50/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 67302
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2019:1127.5W50.19.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Aurich - 21.03.2019 - AZ: 5 O 781/17
Rechtsgrundlagen
- § 42 Abs. 2 ZPO
- § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Nicht jede Überschreitung des Gutachtenauftrages oder jedes sonstige prozesswidrige oder untunliche Verhalten eines medizinischen Sachverständigen begründet seine Befangenheit.
Redaktioneller Leitsatz
Auch wenn Ausführungen des Sachverständigen, die sich nicht direkt auf dem Gutachtenauftrag beziehen, sondern sich mit dem Verhalten der Eltern des behandelten Kindes auseinandersetzen, untunlich sein mögen, begründen sie jedenfalls dann nicht die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen, wenn sie von Sorge um das erkrankte Kind geprägt sind und dem Gericht eine über den Prozessstoff hinaus gehende Erklärung des Geschehens geben sollen.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Sachverständigen Prof. Dr. AA wird der Beschluss des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 21. März 2019 aufgehoben und das Verfahren zur Entscheidung über den Vergütungsantrag des Sachverständigen an das Landgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Im zugrundeliegenden Rechtsstreit hat die minderjährige Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, das Kreiskrankenhaus in Ort2 verklagt, weil sie der Meinung gewesen ist, die dortige Behandlung in der Zeit vom TT. bis zum TT. MM 2014 sei fehlerhaft gewesen. Der Vorwurf ging dahin, dass die Behandler in der beklagten Klinik ihren schlechten Allgemeinzustand - sie hatte u.a. in den vorvergangenen drei Monaten zehn Kilo abgenommen - fälschlicherweise als Folge einer Erkrankung an Anorexia nervosa (vulgo: Magersucht) einordneten; tatsächlich sei der schlechte Zustand auf eine zystische Stauniere zurückzuführen gewesen, wie sie durch Nachbehandler habe erfahren müssen.
Der Beschwerdeführer, Chefarzt einer Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, ist vom Landgericht sodann zum Sachverständigen bestellt worden mit dem Auftrag, zu klären, ob die Diagnose und die Behandlung der Beklagten fehlerhaft gewesen seien.
In seinem Gutachten ist der Beschwerdeführer zu dem Ergebnis gekommen, dass die Diagnose der beklagten Klinik zutreffend gewesen sei und bei der Klägerin auch keineswegs eine zystische oder eine Stauniere vorgelegen habe; tatsächlich habe bei der Klägerin lediglich zudem eine angeborene Harntransportstörung (Hydronephrose) vorgelegen, was aber mit den geklagten Beschwerden, die Anlass für die Aufnahme im Haus der Beklagten waren, nichts zu tun gehabt habe; die damaligen Beschwerden seien vielmehr vollständig durch die zu diagnostizierende Anorexia nervosa zu erklären.
Nachdem der Beschwerdeführer die Beweisfragen im vorgenannten Sinne in seinem schriftlichen Gutachten beantwortet hatte, hat er in einem Schlussabsatz folgendes ausgeführt:
"Dem Gutachter ist bewusst, dass er die Tätigkeit der Ärzte der Kinderklinik Ort2 begutachten soll. Ferner ist ihm bewusst, dass das hier betroffene Mädchen spätestens mit Erreichen der Volljährigkeit in Kürze ihre Krankenunterlagen sowie dieses Gutachten selbst einsehen darf. Trotzdem müssen folgende Schlusssätze erlaubt sein.
Im Zeitraum von September 2014 bis Februar 2015 haben die Eltern mit ihrer Tochter EE mindestens 12 Ärzte/innen bzw. ärztliche Einrichtungen aufgesucht. Ein solches Verhalten bezeichnet man als Ärzte Hopping bzw. "Dr. Hopping". Häufig handelt es sich um ein psychisch krankhaftes Verhalten. Bewusst haben die Eltern von EE den jeweiligen Ärzten wichtige Informationen vorenthalten bzw. keine Arztbriefe der vorangegangenen Behandlungen mitgemacht. Obwohl EE nach Einlage des DJ - Katheters rezidivierend an Harnwegsinfekten erkrankte und Antibiotika erhielt, wurde den Ärzten der (...) gegenüber behauptet, Harnwegsinfekte seien nicht aufgetreten.
Für den Patienten - in diesem Fall das Kind - ist Ärzte Hopping nicht ungefährlich, denn die Chance, dass durch fehlende Informationen oder durch eine Diagnostik/Therapie durch fachfremde Ärzte Behandlungsfehler begangen werden, ist sehr groß. Durch das Ärzte Hopping musste EE unnötige Schmerzen erleiden, unnötige Narkosen und Operationen über sich ergehen lassen sowie unnötige Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte durchstehen. Es ist vollkommen unverständlich, warum ein knapp 14-jähriges schulpflichtiges Mädchen über Monate nicht die Schule besucht und weder Schule noch Jugendamt auf den Plan treten.
Nach mehrfachem Lesen der Krankenakten, die eine nur als grotesk zu bezeichnende Krankengeschichte eines 14-jährigen Mädchens dokumentieren, bleibt aus Expostsicht als Kinder - und Jugendarzt bedauerlicherweise festzustellen, dass nicht doch von den Kinderkliniken Ort2 und Ort4 im September 2014 das zuständige Jugendamt informiert wurde, um mithilfe des Amtsgerichts einen Sorgerechtsentzug zu erwirken. EE hätte im September 2014 in eine Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder Psychosomatik eingewiesen werden müssen."
Diese Ausführungen hat die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, zum Anlass genommen, den Beschwerdeführer nach § 406 ZPO wegen Befangenheit abzulehnen. Das Landgericht hat dem Gesuch entsprochen und zudem mit dem angefochtenen Beschluss dem Beschwerdeführer die Vergütung aberkannt.
Das Landgericht hat gemeint, dass der Beschwerdeführer seinen Gutachtenauftrag überschritten und durch die Angriffe auf die Eltern der Klägerin seine Verpflichtung zur Neutralität verletzt habe.
II.
Die Beschwerde ist gemäß § 4 III JVEG statthaft.
Sie ist auch begründet. Die Voraussetzungen, dem Beschwerdeführer seine Vergütung abzuerkennen, weil er grob fahrlässig oder vorsätzlich seine Ablehnung wegen Befangenheit herbeigeführt hätte (§ 8 a II 1 Nr.3 JVEG), liegen nicht vor.
Ein Sachverständiger kann gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 42 Abs. 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 - VI ZB 31/16 -, juris Rn.8; Beschluss vom 15. März 2005 - VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869, 1870 mwN; BGH, Beschlüsse vom 11. Juni 2008 - X ZR 124/06, GRUR-RR 2008, 365 Rn. 2; vom 11. April 2013 - VII ZB 32/12, BauR 2013, 1308 Rn. 10; jeweils mwN).
Das Landgericht hat gemeint, diese Voraussetzungen lägen in der Person des Beschwerdeführers vor, weil er seinen Gutachtenauftrag überschritten und sich unsachlich gegenüber den Eltern der Klägerin geäußert hätte.
Dieser Einschätzung tritt der Senat in dieser Allgemeinheit nicht bei.
Nicht jede Überschreitung des Gutachtenauftrages rechtfertigt ein Ablehnungsgesuch (Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kap. 46 Rz.33; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 13. Oktober 2014 - 5 W 65/14 -, juris Rn.27 m.w.N.). Das Recht aus § 406 ZPO ist kein allgemeines Instrument, das den Parteien an die Hand gegeben wäre, damit sie unterschiedslos die Einhaltung der Verfahrensregeln durch den Sachverständigen kontrollieren könnten (z.B. § 404 a Abs.2 und Abs.3 ZPO). Vielmehr muss der Verfahrensverstoß, hier also die Überschreitung des Gutachtenauftrags, aus Sicht der verständigen Partei den Schluss zulassen, der Sachverständige stehe ihr nicht unvoreingenommen gegenüber. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Sachverständige eigenständige Ermittlungen anstellt, die das Beweisergebnis beeinflussen; dieses Verhalten kann von einer verständigen Partei so verstanden werden, der Sachverständige handele aus sachfremden Motiven, nämlich er wolle offensichtlich ihr schaden oder der gegnerischen Partei helfen, weil anders der Verstoß gegen Verfahrensvorschriften nicht zu erklären wäre.
Das ist hier ersichtlich nicht der Fall. Die Äußerung des Sachverständigen zur etwaigen Kindeswohlgefährdung hat mit dem Ausgang des vorliegenden Arzthaftungsrechtsstreits nichts zu tun und bleibt auch ohne Folgen für das gewonnene Beweisergebnis.
Davon zu trennen ist die weitere Frage, ob das Verhalten des Beschwerdeführers die Ablehnung deswegen rechtfertigt, weil es, wie das Landgericht zudem ausführt, einen unsachlichen Angriff gegen die Eltern der Klägerin darstellt. Tatsächlich sind die Ausführungen des Sachverständigen nur unzureichend mit seiner Sorge um das zukünftige Wohl der Klägerin zu rechtfertigen, denn die Klägerin war zum Zeitpunkt der Gutachtenerstattung fast volljährig, ihr 18. Geburtstag stand wenige Monate bevor. Ein Verfahren nach § 1666 BGB wäre erkennbar sinnlos gewesen. Das Hauptmotiv des Beschwerdeführers dürfte gewesen sein, das Gericht aus Anlass des konkreten Falles über die aus seiner Sicht bestehende Problematik zu informieren, ohne dies mit konkreten Folgen für die Prozessbeteiligten zu verknüpfen.
Es dürfte durchaus fraglich sein, ob derartige obiter dicta, wenn sie keine weiteren Konsequenzen zeitigen, tunlich sind. Es gilt indessen, wie oben bereits ausgeführt, dass nicht jedes Verhalten, mag es auch prozesswidrig oder untunlich sein, mit dem Verdikt der Befangenheit zu belegen ist. Vielmehr ist zu fragen, ob die Prozesspartei aus diesem Verhalten den Schluss auf eine etwaige Voreingenommenheit ziehen darf. Dies ist aus Sicht des Senates zu verneinen.
Zwar ist die Kritik des Sachverständigen an dem Gebahren der Eltern der Klägerin durchaus geeignet, von Letzteren als persönlicher Angriff gewertet zu werden; indessen besteht im vorliegenden Fall die Besonderheit, dass die Kritik des Sachverständigen der Klägerin - obschon ihre Eltern betroffen sind- keinen Anlass gibt, anzunehmen er wäre auch und gerade ihr gegenüber voreingenommen, denn die Kritik des Sachverständigen richtet sich gegen die Behandlung, welche die Eltern der Klägerin haben angedeihen lassen, und ist erkennbar von der Sorge um das Wohlergehen der Klägerin geleitet. Insofern unterscheidet sich die vorstehend zu beurteilende Konstellation von jenen, in denen ein Sachverständiger die gesetzlichen Vertreter einer Partei kritisiert und die minderjährige Partei annehmen darf, der Unwille bzw. die Kritik des Sachverständigen gelte für sie gleichsam mit.
Da bei der geboten differenzierten Betrachtung bereits ein Ablehnungsgrund nicht bestanden hat, muss der Senat die Frage, ob der Beschwerdeführer grob fahrlässig gehandelt hat, nicht klären.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.