Landgericht Oldenburg
Urt. v. 23.02.1993, Az.: 1 S 782/92
Voraussetzungen für die Zulassung einer Berufung; Anforderungen an die Darlegung von Zulassungsgründen; Anforderungen an die Kündigung eines Versicherungsvertrages
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 23.02.1993
- Aktenzeichen
- 1 S 782/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1993, 22567
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:1993:0223.1S782.92.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Wilhelmshaven - 30.06.1992 - AZ: 7 C 222/92
Rechtsgrundlagen
- § 9 AGBG
- § 11 Nr. 12 AGBG
- § 543 Abs. 1 ZPO
In dem Rechtsstreitverfahren
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 02.02.1993
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Wullert,
den Richter am Landgericht vom Brocke und
die Richterin Meinecke-König
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30. Juni 1992 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wilhelmshaven geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Entscheidungsgründe
Von einer Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen, § 543 Abs. 1 ZPO.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Änderung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
Die vom Kläger ausgesprochene Kündigung des Versicherungsvertrages ist unwirksam, weil die Parteien in einer vorgedruckten Klausel des Vertrages eine Laufzeit von 10 Jahren vereinbart haben und diese Zeit noch nicht verstrichen ist.
Allerdings wird in der Rechtsprechung die Frage unterschiedlich beurteilt, ob Versicherungsverträge wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam sind, wenn formularmäßig eine Vertragsdauer von 10 Jahren vereinbart ist. Die Kammer vermag sich jedoch der - auch vom Amtsgericht vertretenen - Ansicht, die in einer derartigen Klausel eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers sieht, nicht anzuschließen.
Eine unangemessene Benachteiligung liegt insbesondere dann vor, wenn die Klausel von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung abweicht, § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Denn eine 10-jährige Vertragsdauer widerspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers.
Dem Klauselverbot des § 11 Nr. 12 AGBG kann nicht entnommen werden, bei Dauerschuldverhältnissen jeder Art sei die Vereinbarung einer über 2 Jahre hinausgehenden Laufzeit zu mißbilligen. Denn § 23 Abs. 2 Nr. 6 AGBG erklärt ausdrücklich die Vorschrift des § 11 Nr. 12 AGBG für unanwendbar und bringt damit die Vorstellung des Gesetzgebers zum Ausdruck, bei Versicherungsverträgen sei eine Längerfristige Bindung durchaus interessengerecht. Das ist auch von Verfassungswegen nicht zu beanstanden (BVerfG, MDR 86, 114).
Ebensowenig Läßt sich aus der Einführung des Absatzes 3 in § 8 VVG der gesetzgeberische Grundgedanke ableiten, Versicherungsverträge mit einer Laufzeit von mehr als 3 Jahren seien mit der Rechtsordnung unvereinbar. Aus der amtlichen Begründung zum Gesetzentwurf (Bundesrats-Drucksache Nr. 615/89) ergibt sich als Motiv für die Gesetzesänderung lediglich die Absicht, daß "den Bedürfnissen und Interessen des Versicherungsnehmers stärker Rechnung getragen werden" und dem von der EG-Kommission vorgelegten Vorschlag einer Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Versicherungsverträge gefolgt werden soll. Schon die Verwendung der Steigerungsform in dem Satz, es sei stärker Rechnung zu tragen, bringt zum Ausdruck, daß sich die bisherige Regelung innerhalb des Rahmens hält, der der Billigkeitsprüfung standhält, wenngleich sie verbesserungsbedürftig erscheint. Darüberhinaus ist nach Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften die Anwendung des § 8 Abs. 3 VVG auf Versicherungsverträge, die vor dem 1. Januar 1991 abgeschlossen worden sind, ausgeschlossen. Die Gesetzesänderung beruht also nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen, sie dient dagegen nicht der Anpassung des geschriebenen Rechts an gesetzgeberische Grundvorstellungen.
Der einer Klausel innewohnende Verstoß gegen einen wesentlichen gesetzgeberischen Grundgedanken stellt nur ein Regelbeispiel einer unangemessenen Benachteiligung dar, deswegen kann - unabhängig davon - die Unwirksamkeit einer Klausel auch dann vorliegen, wenn sich die unangemessene Benachteiligung aus einer vergleichenden Würdigung der Interessen beider Parteien ergibt. Das ist hier aber nicht der Fall.
Die langfristige Bindung kann sich für den Versicherungsnehmer dann als nachteilig auswirken, wenn in seinen persönlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eintritt. Dieser Nachteil ist jedoch nicht, wie erforderlich, von erheblichem Gewicht (vgl. OLG Hamm, NJW 81, 1050). Führt die Veränderung der Verhältnisse im Wohnbereich zu einer Überversicherung, kann der Versicherungsnehmer eine Herabsetzung der Versicherungssumme verlangen, § 51 Abs. 1 VVG. Eine Verschlechterung der finanziellen Verhältnisse mag zwar seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit beeinträchtigen, dieser Nachteil ist aber angesichts einer monatlichen Prämienbelastung von rund 28,50 DM kaum von existentieller Bedeutung. Jedenfalls wird sie nur in derart seltenen Ausnahmefallen zum Tragen kommen, daß sie bei der gebotenen generalisierenden Inhaltskontrolle außer Betracht bleiben muß.
Zuzugeben ist dem Kläger, daß sich die langfristige Bindung an den Versicherungsvertrag im Falle von Prämienanpassungen nachteilig auswirken kann. Aber auch dieser Nachteil ist nicht erheblich, weil der Versicherungsnehmer den Vertrag bei einer Erhöhung des Prämiensatzes um mehr als 10 % kündigen kann, § 16 Nr. 2 e VHB.
Nachteilig mag es schließlich sein, daß der Versicherungsnehmer durch die Bindung an den Vertrag gehindert ist, andere preisgünstigen Versicherungsangebote anzunehmen. Dieser Umstand war ihm jedoch bereits bei Abschluß des Vertrages bekannt und daher bewußt in Kauf genommen. Wegen des Grundsatzes, daß abgeschlossene Verträge zu halten sind, kann er daher bei der Interessenabwägung im Rahmen des § 9 Abs. 1 ABGB nicht durchschlagen.
Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sind schließlich die vorstehend genannten Nachteile dem mit einer langen Laufzeit des Vertrages für den Versicherer verbundenen Vorteilen gegenüberzustellen. Diese bestehen darin, daß er seine Kalkulation über einen Längeren Zeitraum hinweg vornehmen kann, und daß ihm eine kostensparende und bequemere Verwaltungsarbeit ermöglicht wird.
Das berücksichtigungsfähige Ausmaß der für den Versicherungsnehmer bestehenden Nachteile rechtfertigt angesichts ihres nicht erheblichen Gewichts und der ihnen gegenüberzustellenden Interessenlage des Versicherers jedenfalls nicht die Feststellung, der Kläger werde durch den Langfristigen Versicherungsvertrag entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
vom Brocke
Meinecke-König