Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 21.02.1991, Az.: 22 U 137/90

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
21.02.1991
Aktenzeichen
22 U 137/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1991, 22253
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1991:0221.22U137.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 25.04.1990 - AZ: 5 O 648/88

In dem Rechtsstreit

hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 1991 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht . sowie die Richter am Oberlandesgericht . und . für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Auf die Berufung der Streithelferin des Beklagten wird das am 25. April 1990 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stade abgeändert und die Klage abgewiesen.

    Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der der Streithelferin.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,-; DM, die der Streithelferin durch solche in Höhe von 7.000,-; DM -; auch durch unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Sparkasse oder Volksbank -; abwenden, wenn nicht der jeweils andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

    Beschwer: 50.000,-; DM.

Tatbestand:

1

Der Kläger macht gegen den Beklagten einen Teil seines Pflichtteilsanspruchs geltend.

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Er ist der Adoptivsohn der am 19. April 1983 verstorbenen . Die Erblasserin und ihr vorverstorbener

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Ehemann . ließen nach dem Tode ihrer Tochter im Jahre 1952 auf einem ihnen gehörenden 603 qm großen Teilstück der Flur 15 von . zum Gedächtnis an diese Tochter eine Kapelle errichten. Nach Vollendung des Bauwerks schrieben sie am 21. Oktober 1953 an die Streithelferin des Beklagten u. a.:

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"Diese Kapelle soll am Tage der Weihe durch den Herrn Landesbischof in die Obhut der Kirchengemeinde übergeben werden. Wir haben die Absicht, sie später als Stiftung mit dem dazu gehörenden Grund u. Boden der Kirchengemeinde . zu übertragen."

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Die Streithelferin nahm durch Schreiben vom 23. Oktober 1953 an die Erblasserin und deren Ehegatten dieses Angebot dankend an. Am 27. Oktober 1953 wurde die Kapelle, am 7. Oktober 1962 wurden die Orgel, die neue Glocke und die Kanzel geweiht. Seit der Weihe im Jahre 1953 wird die Kapelle zu Gottesdiensten genutzt.

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Nach dem Tode ihres Ehemannes bestimmte die Erblasserin durch Erbvertrag vom 28. November 1974 mit dem Beklagten diesen zu ihrem Alleinerben und vermachte der Streithelferin das Kapellengrundstück. Durch Erbvertrag vom 23. Oktober 1979 mit dem Beklagten hob sie das Vermächtnis wieder auf. Nach dem Tode der Erblasserin veräußerte der Testamentsvollstrecker, zugleich Vorstandsvorsitzender des Beklagten, durch notariellen Vertrag vom 12. Dezember 1984 das Kapellengrundstück für 6,-; DM pro qm an die Streithelferin. Das Kapellengebäude wurde dabei nicht mitbewertet. Zugleich verpflichtete die Streithelferin sich, den Beklagten von Pflichtteilsforderungen des Klägers wegen des übertragenen Objektes freizustellen. -; Die Hälfte des Kaufpreises, d. h. 1.809,-; DM kehrte der Testamentsvollstrecker an den Kläger aus.

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Der Kläger hat, nur bezogen auf das Kapellengrundstück, einen Teilpflichtteil von 50.000,-; DM verlangt und behauptet, der Bodenwert habe bei Veräußerung an die Streithelferin bei mindestens 60,-; DM pro qm gelegen; das Gebäude sei wenigstens 200.000,-; DM wert, das Gestühl mindestens 25.000,-; DM, Orgel und übriges Inventar zumindest je 50.000,-; DM. Ferner hat der Kläger die Ansicht vertreten, die Kapelle sei nicht ordnungsgemäß gewidmet worden; jedenfalls sei der Widmungszweck, nämlich das Andenken an die verstorbene Tochter, auf die Lebenszeit des Ehepaares . beschränkt gewesen; die Kapelle sei auch deshalb keine religiöse Sache mehr, weil die Erblasserin das Vermächtnis zugunsten der Streithelferin gestrichen habe. Beklagter und Streithelferin haben Klagabweisung begehrt. Sie haben vorgetragen, Kapelle und Inventar hätten als Sachen, die nur dem kirchlichen Gebrauch dienten, keinen wirtschaftlichen Wert; der von der Streithelferin gezahlte Grundstückspreis entspreche dem wahren Wert, da das Grundstück inmitten des Gemeindefriedhofs liege.

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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Kern ausgeführt, der Beklagte und die Streithelferin hätten ein Einverständnis des Ehepaares zum Felde mit der Widmung der Kapelle nicht dargetan; es lasse sich nicht feststellen, daß diese sich über die faktische Enteignung des Kapellengrundstücks im klaren gewesen seien.

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Gegen dieses Urteil wendet die Streithelferin sich mit der Berufung, mit der sie unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens Klagabweisung erstrebt. -; Der Kläger vertritt nunmehr vor allem die Ansicht, ein kirchlicher Akt könne Gegenständen des Privatrechtsverkehrs nicht ihren Wert nehmen; eine Gerichtsentscheidung, die dieses annehme, lasse den Gleichheitssatz und die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes außer acht.

Gründe

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Die Berufung ist begründet.

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Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Teilpflichtteilsanspruch aus § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB in Höbe eines erstrangigen Teilbetrages von 50.000,-; DM, berechnet nur nach einem Nachlaßgegenstand, nämlich dem in der Flur 15 von . gelegenen Kapellengrundstück einschließlich Kapellengebäude und Inventar der Kapelle abzüglich auf diesen Teilanspruch bereits erhaltener 1.809,-; DM. Das Kapellengrundstück einschließlich Gebäude und Inventar hatte zur für die Berechnung des Pflichtteils maßgeblichen Zeit des Erbfalls (§ 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB) keinen höheren Wert, als wie er sich in dem von der Streithelferin aufgrund des notariellen Vertrages vom 12. Dezember 1984 gezahlten Kaufpreis in Höhe von 3.618,-; DM ausdrückt.

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a) Kapelle und Inventar hatten (und haben) als dem Gottesdienst dienende Sachen keinen wirtschaftlichen Wert.

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aa) Durch die Weihe der Kapelle am 27. Oktober 1953 sowie der Orgel, neuen Glocke und Kanzel am 7. Oktober 1962 mit Zustimmung der Eigentümer, der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes ., (Widmung) sowie das Abhalten von Gottesdiensten in der Kapelle seither (Indienststellung) sind Kapelle und Inventar zu öffentlichen Sachen geworden, deren Zweck sich auf die Religionsausübung beschränkt (vgl. BayObLG ObLGZ 67, 93/99) und die dadurch dem wirtschaftlichen Verkehr entzogen sind (s. BVerwG DVBl. 1965, 732). Die Zustimmung der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes folgt aus deren Schreiben vom 21. Oktober 1953 an die Streithelferin. In diesem Schreiben haben die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann ausdrücklich gewünscht, daß die Kapelle am Tage der Weihe in die Obhut der Streithelferin übergehen soll. Nichts spricht dafür, daß die Eigentümer sich des damit verbundenen Verlustes jeder anderen Nutzungsmöglichkeit der Kapelle als zu religiösen Zwecken nicht bewußt waren.

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Die Widmung ist nicht dadurch entfallen, daß die Erblasserin durch den am 23. Oktober 1979 mit dem Beklagten geschlossenen Erbvertrag das durch Erbvertrag vom 28. November 1974 mit diesem angeordnete Vermächtnis des Kapellengrundstücks zugunsten der Streithelferin aufgehoben hat. In dieser Verfügung von Todes wegen liegt nicht zugleich der Widerruf der Zustimmung zur Widmung. Das Eigentum an dem Kapellengrundstück war für den religiösen Gebrauch der Kapelle ohne zwingende Bedeutung und die Aufhebung des Vermächtnisses keine an die Streithelferin gerichtete Willenserklärung, der gegenüber der Widerruf hätte erklärt werden müssen. -; Abgesehen davon hätte ein solcher Widerruf, nachdem die Widmung geschehen war, entsprechend dem Rechtsgedanken des § 183 Satz 1 BGB keine Wirkung entfaltet, vielmehr nur eine Entwidmung in Übereinstimmung aller Beteiligten, insbesondere mit der Streithelferin vorgenommen werden können (dazu: BayObLG a.a.O.). Auch durch den Tod der Erblasserin hat die Widmung ihre Rechtswirkung nicht eingebüßt. Die Zustimmung der Eigentümer zur Widmung war nicht durch den Tod des letzten von ihnen auflösend befristet, so daß es nicht darauf ankommt, ob eine solche Befristung rechtlichen Bedenken begegnet. Die Befristung läßt sich nicht daraus ableiten, daß der Beweggrund der Eheleute . für die Errichtung der Kapelle darin bestand, das Andenken an ihre verstorbene Tochter zu bewahren. Die Eheleute . haben die naheliegende Absicht, über ihren eigenen Tod hinaus der Tochter ein Denkwal zu setzen, dadurch bekundet, daß sie in dem Brief vom 21. Oktober 1953 der Streithelferin die Übertragung der Kapelle samt Grund und Roden als Stiftung, mithin endgültig in Aussicht gestellt haben.

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Auch wenn wegen Fehlerhaftigkeit der Widmung Kapelle und Inventar nicht die Eigenschaft öffentlicher Sachen im Kirchengebrauch haben sollten, macht das im Ergebnis keinen Unterschied. Diese von dem Beklagten geerbten Gegenstände waren dann in seiner Hand wertlos, weil er sich über den Willen der Erblasserin und deren vorverstorbenen Ehemannes, die Gegenstände der Streithelferin, solange sie wollte, zum religiösen Gebrauch zu belassen, nicht hinwegsetzen durfte. Der von der Streithelferin angenommene Antrag der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes, die Kapelle in ihre -; der Streithelferin -; Obhut zu übernehmen, läßt sich nämlich in eine durch die Aufnahme des Gottesdienstes in der Kapelle vollzogene Schenkung des Gebrauchs der Kapelle und deren Inventars umdeuten. Es handelt sich nicht bloß um einen Leihvertrag, da das für diesen typische Zeitmoment angesichts der Gebrauchsüberlassung bis zu dem unabsehbaren Zeitpunkt, zu welchem womöglich kein religiöses Bedürfnis für die Nutzung der Kapelle mehr besteht, vollkommen in den Hintergrund tritt (vgl. auch: BGH LM § 518 BGB Nr. 7).

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bb) Die im maßgeblichen Bewertungszeitpunkt des Erbfalls bestehende Möglichkeit, daß der Beklagte durch Aufgabe des religiösen Gebrauchs der Kapelle irgendwann in den vollen wirtschaftlichen Genuß von Gebäude und Inventar kam, ändert an der wirtschaftlichen Wertlosigkeit von Kapelle und Inventar zu diesem Zeitpunkt nichts. Das zeigt die Vorschrift des § 2313 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB. Demnach hat allenfalls, wenn dieser Fall (Aufgabe des religiösen Gebrauchs) wirklich eintritt, eine Ausgleichung an den Kläger zu erfolgen. Der Anspruch der Streithelferin gegen den Beklagten im Zeitpunkt des Erbfalls auf Überlassung des Gebrauchs der Kapelle stellte ans der Sicht des Beklagten eine durch den Fortfall des kirchlichen Bedürfnisses auflösend bedingte Nachlaßverbindlichkeit dar.

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b) Ein weitergebender Wert des Grundstucks, auf dem die Kapelle steht, als der durch die Veräußerung an die Streithelferin realisierte laßt sich nicht feststellen. Der Umstand, daß der Beklagte über das Grundstück anders als über Kapelle und Inventar von Rechts wegen frei verfügen konnte, ändert daran nichts. Die Kapelle stellte sich wie eine öffentliche Last des Grundstücks dar, die dessen Wert bis auf das, was bei Veräußerung des Grundstücks an die Streithelferin zu erzielen war, reduzierte. Denn niemand sonst kauft ein Grundstück, auf welchem eine gewidmete Kapelle für unabsehbare Zeit jeder wirtschaftlichen Nutzung des Grundstücks entgegensteht. Niemand beleiht ein solches Grundstück, weil aus demselben Grunde im Falle einer Zwangsverwertung mit keinem Erlös zu rechnen ist. Geht man nur von einem der Streithelferin schenkweise eingeräumten Gebrauch der Kapelle aus, hat die rechtliche Möglichkeit des Beklagten, diesen rein schuldrechtlichen Anspruch der Streithelferin durch Obereignung des Grundstücks an einen Dritten zunichte zu machen, außer Betracht zu bleiben. Denn durch eine solche Obereignung hatte der Beklagte sich gegenüber der Streithelferin pflichtwidrig verhalten. Er hätte die Schenkung der Erblasserin und deren vorverstorbenen Ehemannes an die Streithelferin mißachtet.

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Es ist nicht ersichtlich, daß die Streithelferin bereit gewesen wäre, einen höheren Kaufpreis als 6,-; DM pro qm zu bieten. Das Eigentum an dem Kapellengrundstück hatte für sie vergleichsweise geringe Bedeutung. Die von ihr bis auf weiteres angestrebte Nutzung des Grundstücks zu Gottesdiensten war ihr auch möglich, ohne das Eigentum an dem Grundstück zu erwerben. Diese Nutzung stand ihr schon aufgrund der Widmung bzw. des schenkweise überlassenen Gebrauchs der Kapelle zu, dessen rechtswidrigen Entzug durch den Beklagten sie nicht ernsthaft zu befürchten brauchte.

19

Mit den vorstehenden Erwägungen hat der Senat den Begriff "Wert des Nachlasses" in § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht in einer Weise ausgelegt, die der in Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG festgelegten Wertordnung zuwiderläuft. Weder wird der Kläger bei gleicher Sachlage gegenüber anderen Pflichtteilsberechtigten grundlos benachteiligt noch sein Pflichtteilsrecht willkürlich verkürzt. Der Rechtsnachteil des Klägers beruht allein auf der freien Willensentschließung der Erblasserin und deren vorverstorbenen Ehemannes, das hier in Rede stehende Grundstück derart zu belasten, daß es seine wirtschaftliche Bedeutung verliert.

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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 101 Abs. 1 HS 1, § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1, § 546 Abs. 2 ZPO.