Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 24.01.2017, Az.: S 16 U 150/13
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 24.01.2017
- Aktenzeichen
- S 16 U 150/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 17344
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Der Bescheid vom 11. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2013 in der Fassung des Bescheides vom 21. Juli 2016 wird geändert und die Beklagte verurteilt, aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. August 1985 eine Rente nach einer MdE von 50 v.H. auch für die Zeit vom 28. bis 31. Dezember 2015 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen des Klägers. Die Berufung wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt noch die Zahlung einer höheren Rente für einen zurückliegenden Zeitraum.
Der 1958 geborene Kläger verunfallte am 23. August 1985 - zu diesem Zeitpunkt lebte und arbeitete der Kläger in der ehemaligen DDR - auf dem Rückweg von der Arbeit mit seinem Moped und erlitt dabei unter anderem einen Kniescheibentrümmerbruch rechts und eine Sprunggelenkfraktur rechts. Die zuständige Sozialversicherungsbehörde der DDR zahlte eine Rente nach einem Körperschaden von 40 v.H. (Bescheid vom 18. Mai 1988). Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hatte nach der Wiedervereinigung zunächst die Rente als eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v.H. weitergezahlt. Bei einer weiteren Begutachtung durch Dr. F. bestanden unfallbedingt unter anderem Kniegelenksbeschwerden und eine Oberschenkel- und Unterschenkelmuskelathropie rechts. Insgesamt hatte sich der Befund aber gebessert (Gutachten vom 24. August 1993). Die Rechtsvorgängerin der Beklagten bewilligte daher ab dem 1. Dezember 1993 nur noch eine Dauerrente nach einer MdE von 30 v.H. (Bescheid vom 5. Oktober 1993).
Aufgrund der Zunahme der Arthrose im rechten Sprunggelenk und den damit einhergehenden Funktionseinschränkungen erhöhte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Oktober 2012 ab dem 1. August 2009 die Rente (nunmehr MdE von 40 v.H.). Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2013 als unbegründet zurück.
Der Kläger erhob sodann am 17. Oktober 2013 die hiesige Klage und begehrte die Zahlung einer Rente nach einer MdE von mindestens 50 v.H.
Die Kammer hatte daraufhin ein Gutachten des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. G. vom 3. Juli 2014 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass abgesehen von dem Zeitraum zwischen dem 16. September 2009 und dem 16. Februar 2012 eine MdE von 40 v.H. befundangemessen sei.
Unmittelbar nach der am 25. Juni 2014 erfolgten Untersuchung beim Sachverständigen kam es beim Kläger zu einer deutlichen Zunahme der Beschwerden im rechten Kniegelenk mit notwendiger stationärer Behandlung vom 30. Juni bis 5. August 2014 (Bericht des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses Hamburg vom 4. August 2014). Seit dem 30. Juni 2014 bestand laufend Arbeitsunfähigkeit aufgrund dieser Symptomatik. Vor diesem Hintergrund ergab die erneute durch die Kammer veranlasste Begutachtung durch den Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. H., dass die MdE ab dem 1. August 2014 nunmehr mit 50 v.H. einzuschätzen sei (Gutachten vom 9. Juni 2016).
Die Beklagte ließ für die Zeit ab dem 30. Juni 2014 Verletztengeld durch die Krankenkasse auszahlen (etwa Schreiben der Beklagten an die DRV Knappschaft-Bahn-See vom 7. August 2014, 10. September 2014 und 30. Oktober 2014; Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 19. November 2014 und Aufstellung der Knappschaft vom 30. März 2015). Mit nicht angefochtenem Bescheid vom 22. Dezember 2015 stellte die Beklagte die Zahlung des Verletztengeldes zum 27. Dezember 2015 ein.
Aufgrund der Ergebnisse der Begutachtung durch Dr. H. bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 1. Januar 2016 nunmehr eine Rente nach einer MdE von 50 v.H. (Bescheid vom 21. Juli 2016).
Der Kläger begehrt nunmehr noch die Zahlung einer Rente nach einer MdE von 50 v.H. auch für die Zeit ab dem 1. August 2014. Diesem Anliegen stünde auch nicht entgegen, dass für den Zeitraum bis zum 27. Dezember 2015 Verletztengeld gezahlt worden sei, weil dies nicht zuträfe.
Er beantragt,
den Bescheid vom 11. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2013 in der Fassung des Bescheides vom 21. Juli 2016 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, eine Rente nach einer MdE von 50 von Hundert auch schon für den Zeitraum ab dem 1. August 2014 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihre getroffenen Entscheidungen. Die Verletztenrente sei erst ab dem 1. Januar 2016 neu festzustellen gewesen, weil noch bis zum 27. Dezember 2015 Verletztengeld bezogen wurde (Hinweis auf §§ 73 Abs. 1, 74 Abs. 2 SGB VII).
Neben der Gerichtsakte lag die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten vor und war Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.
Der Kläger ist nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), soweit die Beklagte die Gewährung einer höheren Rente nach einer MdE von 50 v.H. für die Zeit vom 1. August 2014 bis zum 27. Dezember 2015 abgelehnt hat, weil der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 21. Juli 2016 (§§ 95, 96 SGG) insoweit rechtmäßig ist. Rechtswidrig ist allerdings die Ablehnung der Rentenerhöhung für die Zeit vom 27. bis zum 31. Dezember 2015.
Für den gesamten noch streitgegenständlichen Zeitraum ist zunächst im Vergleich zum letzten bindenden Dauerrentenbescheid vom 5. Oktober 1993 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, da die Folgen des Arbeitsunfalls mit einer MdE von 50 v.H. zu bewerten sind (dazu I.). Ob diese wesentliche Änderung aber tatsächlich zu einer Neufeststellung der Rente führt, hängt davon ab, inwieweit die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 SGB VII erfüllt sind, da die Norm auch für die Neufeststellung von Renten Anwendung findet, die wie hier vor dem Inkrafttreten des SGB VII (=1. Januar 1997) erstmals festgesetzt worden sind (dazu II.). Aufgrund der Anwendung des § 74 Abs. 2 SGB VII hat der Kläger nur für die Zeit vom 28. bis 31. Dezember 2015 Anspruch auf die Neufeststellung seiner Verletztenrente (dazu III.). An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts, wenn man die Anwendbarkeit von § 622 Abs. 3 RVO, der Vorgängerregelung des § 74 Abs. 2 SGB VII, unterstellt (dazu IV.).
I.
Rechtsgrundlage für die Erhöhung der Rente wegen einer Änderung der Verhältnisse ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X iVm. § 73 Abs. 1 und 3 SGB VII. § 73 SGB VII ist auch für Versicherungsfälle anzuwenden, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII eingetreten sind (§ 214 Abs. 3 Satz 2 SGB VII). Die Übergangsvorschriften für Renten für Versicherungsfälle im Beitrittsgebiet (§ 215 Abs. 6 SGB VII iVm. § 1154 Abs. 1 RVO) finden bei einer Änderung von Unfallfolgen nach dem 1. Januar 1992 keine Anwendung mehr (siehe bereits: BT.-Drs. 12/405, Seite 156; auch Dahm in Lauterbach, Unfallversicherung, Stand November 2011, § 215 Rn. 18).
Nach der Grundregelung in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist demnach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Rente wird darüber hinaus aber schon in neuer Höhe nach Ablauf des Monats geleistet, in dem die Änderung wirksam geworden ist (§ 73 Abs. 1 SGB VII). Bei der Feststellung der MdE ist eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 vom Hundert beträgt; bei Renten auf unbestimmte Zeit muss die Veränderung der MdE länger als drei Monate andauern (§ 73 Abs. 3 SGB X). Bei der Prüfung einer wesentlichen Änderung von Unfallfolgen kommt es also zum einen auf die zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordene Feststellung tatsächlich bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse an, die ursächlich auf dem Unfall beruhen. Diese sind mit den aktuell bestehenden unfallbedingten Gesundheitsverhältnissen zu vergleichen (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 2013 - B 2 U 25/11 R - Rn. 16).
Für den hier noch allein streitigen Zeitraum vom 1. August 2014 bis zum 31. Dezember 2015 steht aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. fest, dass die Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. August 1985 mit einer MdE von 50 v.H. statt ursprünglich 30 bzw. 40 v.H. zu bewerten sind. Der Sachverständige hatte festgestellt, dass sich der Befund des rechten Kniegelenks seit August 2014 (erstmals dokumentiert im Aufnahmebefund der DianaKlinik Bad Bevensen aus diesem Monat) deutlich verschlechtert hat. Beim Kläger hatte sich ein Kniegelenksempyhsem (Keimeinschleppung ins Knie) gebildet, das jederzeit eine akute Befundverschlechterung verursachen kann, so wie hier geschehen. Daraus resultiert nach den Ausführungen des Sachverständigen eine noch weiter eingeschränkte Belastungsfähigkeit des rechten Beines, die sich auch radiologisch durch die Kalksalzminderung im Knochen verifizieren lässt. Dieser medizinischer Sachverhalt mit den Folgen für die MdE-Bewertung ist zwischen den Beteiligten auch nicht mehr umstritten (siehe bereits den Schriftsatz der Beklagten vom 21. Juni 2016 und den Bescheid vom 21. Juli 2016).
II.
Der aus dem vorstehenden folgende grundsätzliche Änderungsanspruch ab dem Monat, der dem Monat folgt, in dem die Änderung wirksam geworden ist (§ 73 Abs. 1 SGB VII) besteht allerdings nur, soweit die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 SGB VII nicht erfüllt sind. Nach dieser Norm dürfen Renten nicht für die Zeit neu festgestellt werden, in der Verletztengeld zu zahlen ist oder ein Anspruch auf Verletztengeld wegen des Bezugs von Einkommen oder des Erhalts von Betriebs- und Haushaltshilfe oder wegen der Erfüllung der Voraussetzungen für den Erhalt von Betriebs- und Haushaltshilfe nicht besteht.
Grundsätzlich sind die Vorschriften des SGB VII über Renten aber nur auf Versicherungsfälle anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten des SGB VII eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten erstmals festzusetzen sind (§ 214 Abs. 3 Satz 1 SGB VII). In diesem Fall gelten die Regelungen der RVO. Die Voraussetzungen sind hier auch grundsätzlich erfüllt, weil der Kläger bei Beginn des hiesigen Änderungsverfahrens eine Dauerrente bezog, die mit Bescheid vom 5. Oktober 1993 festgestellt worden war. Wie bereits ausgeführt, regelt § 214 Abs. 3 Satz 2 SGB VII (mit Wirkung vom 7. Mai 1997 durch das Dritte Gesetz zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen und zur Änderung anderer Gesetze vom 29. April 1997 in das SGB VII eingefügt) aber, dass § 73 SGB VII auch für Versicherungsfälle vor Inkrafttreten des Gesetzes Anwendung findet. Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfes soll die Vorschrift sicher stellen, dass bei zukünftigen Rentenänderungen die Neuregelung über das Wirksamwerden dieser Änderungen (§ 73 SGB VII) einheitlich anzuwenden ist, unabhängig davon wann der Versicherungsfall eingetreten ist (BT-Drs. 13/7144, S. 11). Dieses verständliche, auch der besseren praktischen Handhabbarkeit von Rentenänderungen (siehe Dahm aaO., § 214 Rn. 13) dienende Regelungsziel wird aber konterkariert, soweit tatsächlich ausweislich des Wortlautes nicht ausschließlich die Regelungen des SGB VII bei Rentenänderungen Anwendung finden sollen, weil die Vorschrift des § 74 Abs. 2 SGB VII nicht erwähnt wird, obwohl letztere einen bedeutenden Ausnahmefall für die Nichtzahlung von Renten nach einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse darstellt. Insoweit handelt es sich um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers. Dies gilt auch deshalb, weil keine anderen Gründe ersichtlich sind, die den Gesetzgeber dazu bewogen haben könnten, § 74 Abs. 2 SGB VII von der Regelung in § 214 Abs. 3 Satz 2 SGB VII auszunehmen. Insbesondere ist § 74 Abs. 2 SGB VII auch keine echte Neuregelung im Vergleich zu der Rechtslage nach dem Recht der RVO. § 622 Abs. 3 RVO enthielt nämlich eine jedenfalls teilweise ähnliche Regelung ("Eine neue Feststellung der Verletztenrente darf für die Zeit nicht getroffen werden, in der Verletztengeld oder Übergangsgeld zu zahlen ist oder ein Anspruch auf Verletztengeld oder Übergangsgeld wegen Bezugs von Arbeitsentgelt oder von Krankengeld nicht besteht."). Gleichwohl bestehen Unterschiede (z.B. ist nach der neuen Rechtslage nicht mehr ausgeschlossen, eine Rente neu festzustellen, obwohl Übergangsgeld bezogen wird), die dem Ziel einer einheitlichen Anwendung der Änderungsregelungen diametral entgegenstünden, wenn man § 622 Abs. 3 RVO weiterhin anwenden würde.
III.
Nach § 74 Abs. 2 SGB VII ist mithin die Neufeststellung der Rente des Klägers für die Zeit vom 1. August 2014 bis 27. Dezember 2015 ausgeschlossen, weil die Beklagte durch die Krankenkasse des Klägers in diesem Zeitraum aufgrund dessen unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit Verletztengeld bewilligt und gezahlt hat (§§ 48, 45 Abs. 1 Nr. 1, 46 Abs. 1 SGB VII). Dies ergibt sich aus dem aus der Akte der Beklagten ersichtlichen Schriftverkehr zwischen dieser und der DRV Knappschaft-Bahn-See. Soweit der Kläger der Meinung ist, dass er tatsächlich gar kein Verletztengeld in diesem Zeitraum erhalten habe, so ist dies ohne Bedeutung, weil die Regelung nur darauf abstellt, ob überhaupt ein Anspruch auf Verletztengeld besteht ("Verletztengeld zu zahlen ist"). Dass ein solcher Anspruch bestanden hat, steht außer Frage. Dem Kläger bleibt es aber unbenommen die Beklagte außerhalb dieses Verfahrens zu bitten, zu prüfen, ob das Verletztengeld ggf. nicht in gesetzlicher Höhe ausgezahlt worden ist.
Für den Zeitraum 28. bis 31. Dezember 2015 steht § 74 Abs. 2 SGB VII einer Neufeststellung der Rente aber nicht entgegen, da die Zahlung von Verletztengeld nur bis einschließlich 27. Dezember 2015 erfolgte, weshalb eine Neufeststellung der Rente ab dem darauffolgenden Tag geboten ist (so auch Bereiter/Hahn/Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 74 Rn. 9.3; Meibom in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 74 Rn. 26; KassKomm/Ricke, SGB VII, § 74 Rn. 10; Dahm, aaO., § 74 Rn. 11). Soweit die Beklagte davon ausgeht, dass in Anwendung des § 73 Abs. 1 SGB VII eine Rentenzahlung erst ab dem Monat möglich ist, der auf den Monat folgt, in dem der Verletztengeldanspruch weggefallen ist, so ist diese Auslegung nach dem Wortlaut der Normen zwar denkbar, würde aber dem Sinn und Zweck des § 74 Abs. 2 SGB VII widersprechen.
§ 73 Abs. 1 SGB VII geht grundsätzlich davon aus, dass Renten nach einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse erst ab dem Monat in neuer Höhe zu leisten sind, der auf dem Monat folgt, in der die Änderung wirksam geworden ist. Gemeint ist aber ausschließlich das Wirksamwerden der Änderung im Sinne des §§ 48 Abs. 1 SGB X, 73 Abs. 1 SGB VII, also insbesondere der Zeitpunkt der MdE-Erhöhung (hier August 2014). So ist auch der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass im Übrigen für das Wirksamwerden ergänzend § 48 SGB X gelte (BT-Drs., 13/2204, S. 93). Es geht ausschließlich, darum zu verhindern, dass MdE-Änderungen oder andere Änderungen von für die Rentenhöhe (vgl. § 56 SGB VII) relevanten Tatsachen Tag genau wirksam werden.
Der Gesetzgeber hat dann auch in § 74 Abs. 2 SGB VII systematisch konsequent eine Regelung geschaffen, die in bestimmten Fallkonstellationen die Zahlung einer höheren Rente trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 73 SGB VII ausschließt. Sie ist insoweit auch als "Ausnahmeregelung für die Änderung von Renten" überschrieben.
Die Vorgängerregelung zu § 74 Abs. 2 SGB VII in § 619 Abs. 3 RVO (später unverändert § 622 Abs. 3 RVO), die im Hinblick auf die Neufeststellungssituation bei bestehendem Anspruch auf Verletztengeld eine weitestgehend identische Regelung enthielt, wurde durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 geschaffen. Zweck der Vorschrift sollte es sein, im Falle einer Wiedererkrankung die neue Feststellung der Verletztenrente erst dann zuzulassen, wenn die Arbeitsunfähigkeit beendet ist. Der Erfolg des Heilverfahrens müsse erst abgewartet werden, um über eine wesentliche Änderung befinden zu können. Dies bedeute keine Verschlechterung, da im Falle der Arbeitsunfähigkeit Verletztengeld gezahlt werde (BT-Drs. IV/120, S. 61). Normzweck ist also zunächst der Vorrang des Heilverfahrens zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Renten sollen nur dann neufestgestellt werden, wenn das Heilverfahren beendet, Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt ist und der gesundheitliche Zustand sich stabilisiert hat. Die finanzielle Absicherung stellt die Zahlung von Verletztengeld sicher. Dies ist aber der entscheidende Punkt. Sinn der Regelung ist gerade den Doppelbezug von Verletztengeld und Verletztenrente zu vermeiden. Endet aber der Verletztengeldanspruch, ob nun durch Beendigung der Arbeitsunfähigkeit oder nach Ablauf der 78. Woche gerechnet vom Beginn der Wiedererkrankung an (§§ 48, 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VII), wenn - wie hier -mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen sind, besteht auch keine finanzielle Absicherung mehr. Ein Doppelbezug von Verletztengeld und -rente ist nicht mehr möglich. Auch ist selbst bei einem "78. Wochen-Fall" wie hier der gesundheitliche Zustand insoweit stabil, als feststeht, dass Arbeitsfähigkeit nicht mehr zu erreichen und insoweit ein Endzustand eingetreten ist.
IV.
Abschließend ist noch zu bemerken, dass sich an dem soeben dargestellten Ergebnis (siehe III.) nichts ändert, wenn man davon ausgeht, dass § 74 Abs. 2 SGB VII keine Anwendung findet. Dann würde § 622 Abs. 3 RVO weitergelten. Nach dieser Vorschrift darf eine neue Feststellung der Verletztenrente für die Zeit nicht getroffen werden, in der Verletztengeld oder Übergangsgeld zu zahlen ist oder ein Anspruch auf Verletztengeld oder Übergangsgeld wegen Bezugs von Arbeitsentgelt oder von Krankengeld nicht besteht. Unterschiede zur Regelung des § 74 Abs. 2 SGB VII sind - jedenfalls in Bezug auf die Konkurrenz von Neufeststellung und Verletztengeld - nicht erkennbar, weshalb die vorherigen Ausführungen sinngemäß auch hier gelten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beklagte ursprünglich zu Recht die Zahlung einer höheren Rente abgelehnt hatte.
Für den Kläger ist die Berufung kraft Gesetzes zulässig (§ 143 SGG). Die für die Beklagte mangels Erreichen des Beschwerdewertes von 750,01 EUR nicht kraft Gesetzes zulässige Berufung (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG) war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).