Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 03.08.1989, Az.: 1 VG A 188/88

Rechtmäßigkeit einer Polizeiverfügung bezüglich der Untersagung des Auslaufs eines Hundes im hauseigenen Garten; Konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch das anhaltende Bellen eines Hundes; Ständiges Missachten von Polizeiverordnungen

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
03.08.1989
Aktenzeichen
1 VG A 188/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 16956
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:1989:0803.1VG.A188.88.0A

Verfahrensgegenstand

Störung durch Hundegebell

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Durch das häufige und anhaltende Bellen eines Hundes kann zum einen fortlaufend die Rechtsnorm des § 11 NdsSOG verletzt werden und zudem die dadurch bereits eingetretene Störung repressiv unterbunden werden, da hierin eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestehen kann.

  2. 2.

    Zur Gefahrenabwehr im polizeirechtlichen Sinne gehört u.a. die Störungsbeseitigung und die Abwehr weiterer Störungen, die im ständigen Mißachten von Polizeiverordnungen liegen.

Die 1. Kammer Lüneburg des Verwaltungsgerichts Stade hat
auf die mündliche Verhandlung vom 3. August 1989
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dietze,
die Richterin am Verwaltungsgericht Preßler und
den Richter am Verwaltungsgericht Schmidt sowie
die ehrenamtlichen Richter kfm. Angestellte Renate Runge und Mechanikermeister Alois Rupprecht
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen eine Polizeiverfügung, durch die ihr auferlegt wurde, ihren Hund in der Zeit von 19.00 bis 8.00 Uhr sowie von 12.00 bis 15.00 Uhr nicht im Garten herumlaufen und bellen zu lassen.

2

Im Dezember 1987 beschwerte sich bei der beklagten Samtgemeinde der Nachbar der Klägerin, der Beigeladene zu 1), über das grundlose und anhaltende Bellen ihres Hundes, eines Hovawart, der schon um ca. 6.00 Uhr morgens in den Garten gelassen werde, wo er bellend umherlaufe und ungestörtes Schlafen verhindere. Schon Mitte des Jahres 1987 sei die Klägerin ohne Erfolg gebeten worden, die Lärmbelästigungen zu vermindern; damals sei u.a. nur geantwortet worden, der Hund möge keine Langschläfer. Eine schriftliche Bitte vom 30. Oktober 1987 sei ebenso erfolglos geblieben wie ein Schreiben vom 23. November 1987. Mit seinem Schreiben vom 28. Dezember 1987 unterstrich der beigeladene Nachbar nochmals die Ruhestörungen durch das Hundegebell.

3

Im Januar 1988 ging bei der Beklagten eine Unterschriftenliste ein, derzufolge sich die Unterzeichner der Liste - Anlieger der ... straße im Wohnort der Klägerin - durch das Bellen des Hundes nicht belästigt oder gestört fühlten. Daraufhin wurde die Klägerin im Februar 1988 mündlich "abgemahnt" und den beiden Beigeladenen von der Beklagten empfohlen, den Weg der privaten Klage zu beschreiten.

4

Im April 1988 erstattete der Beigeladene zu 1) bei der Polizei in ... Anzeige wegen ruhestörenden Lärms gemäß § 117 OWiG gegen den Sohn der Klägerin, die er durch eine Auflistung der Störungszeiten vom 4. April 1988 ergänzte. Nachdem ihr Sohn mitgeteilt hatte, daß nicht er der Halter des Hundes sei, wurde die Klägerin zum Vorwurf des ruhestörenden Lärms durch Hundegebell angehört. Sie teilte u.a. mit, sie sei als Lehrerin tätig, so daß der Hund, wenn sie in der Schule sei, sich grundsätzlich im Haus befinde; es handele sich bei ihrem Hund um einen "Hovawart", der ein hervorragender Wachhund, aber keineswegs ein "Kläffer" sei.

5

Nach Vorlage einer umfangreichen Auflistung der auf das Hundegebell zurückgehenden Störungen von seiten der Beigeladenen und Ortsbesichtigungen der Beklagten erließ diese ihre angefochtene Ordnungsverfügung vom 2. Juni 1988, durch die der Klägerin auferlegt wurde, ihren Hund nicht in der Zeit von 19.00 Uhr abends bis 8.00 Uhr morgens sowie nicht zwischen 12.00 Uhr und 15.00 Uhr im Garten herumlaufen und bellen zu lassen. Zur Begründung heißt es in der Verfügung u.a., nach wiederholter Besichtigung des Grundstücks der Klägerin stehe fest, daß der Hund "oft und schnell zum Bellen" neige, "auch wenn ein erkennbarer Anlaß nicht gegeben" zu sein scheine. Das decke sich mit glaubwürdigen Aufzeichnungen der Nachbarn über die Häufigkeit des Bellens - "teilweise bis täglich 60 mal". Zugleich drohte die Beklagte für jeden Fall des Nichtbefolgens der Verfügung ein Zwangsgeld von 250,- DM an.

6

Ihren daraufhin erhobenen Widerspruch hat die Klägerin im wesentlichen folgendermaßen begründet: Sie halte den Hund schon seit 6 Jahren und währenddessen habe sich noch niemand gestört gefühlt. Die Beschwerden ihrer neu zugezogenen Nachbarn gingen entweder auf "ausgeprägt querulatorische Veranlagung" oder auf deren "Übersensibilität" zurück. Für die Erfüllung der Ordnungsverfügung müsse die Klägerin bei ihrem Dienstherrn eine Freistunde von 8.00 bis 9.00 Uhr beantragen, "um mit ihrem Hund Gassi gehen zu können". Derartige Befreiungen vom Dienst seien aber "nur im Zusammenhang mit Stillzeiten für stillende Mütter bekannt". Es sei deshalb erforderlich, daß der Hund rechtzeitig vor 7.00 Uhr aus dem Haus gelassen werde, u. zw. mindestens für eine halbe Stunde, da er "sein Geschäft nicht auf Befehl innerhalb weniger Minuten erledigen" könne. Eine Mittagszeit aber lasse sich problemlos einrichten - auch wenn dem Nachbarn mittags "vor Schreck noch nicht das Besteck aus der Hand gefallen" sei. Nachdem sich der beigeladene Nachbar im Juli 1988 über die weiterhin andauernden Lärmbelästigungen abermals beschwert hatte und nochmals Ortsbesichtigungen durchgeführt worden waren, wurde der Widerspruch durch Widerspruchsbescheid des Landkreises ... vom 9. August 1988 - zugestellt am 12. August 1988 - als unbegründet zurückgewiesen.

7

Zur Begründung ihrer am 12. September 1988 erhobenen Klage erweitert und vertieft die Klägerin ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren unter Hinweis darauf, daß ihre Nachbarn besonders geräuschempfindlich seien. Lärm durch Bellen liege gar nicht vor. Durch die angefochtene Ordnungsverfügung werde eine "artgerechte Tierhaltung" verhindert. Hundehaltung brauche nicht wegen eines einzigen querulatorischen Nachbarn hinter einem angeblichen Lärmschutz zurückzutreten. Die auferlegten Ruhe-, ja "Einsperrzeiten" seien nicht sachgerecht. Sie beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 1988 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landkreises ... vom 9. August 1988 aufzuheben.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie unterstreicht, daß die Aufzeichnungen der Beigeladenen durch stichprobenartige Kontrollen bestätigt worden seien, so daß nicht von einer besonderen Lärmempflindlichkeit der Nachbarn, sondern von einer objektiv gegebenen Lärmbelästigung mit gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen auszugehen sei. Bei aller (gebotenen) Skepsis gegenüber nachbarschaftlichen Auseinandersetzungen habe hier doch Anlaß zum Einschreiten bestanden. Das Verhalten des Hundes der Klägerin sei "anormal": Er belle, sobald er sich nur frei bewegen dürfe, ohne erkennbaren Anlaß vor sich hin. Die sehr freizügige Hundehaltung der Klägerin verstoße somit gegen § 7 ihrer Verordnung über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - PolVO - vom 23. Februar 1984, so daß eine Verletzung der Rechtsordnung vorliege.

10

Die durch Beschluß der Kammer vom 3. August 1989 zum Verfahren beigeladenen Nachbarn unterstützen die Beklagte ohne eigenen Antrag.

11

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin wird durch die angefochtene Polizei- und Ordnungsverfügung der beklagten Samtgemeinde nicht in ihren Rechten verletzt (§§ 113, 114 VwGO).

13

Die Verfügung wurde zutreffend auf § 11 Nds.SOG gestützt und von der nach diesem Gesetz zuständigen Behörde (§ 79 Abs. 2 Nds.SOG i.V.m. § 72 Abs. 2 NGO) erlassen. Eine Anwendung des Bundesimmissionsschutzgesetzes - BImSchG - kam nicht in Betracht, da der Lärm nicht von einer "Anlage" iSv § 2 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG hervorgerufen wurde und wird.

14

Zu Recht ist die Beklagte davon ausgegangen, daß durch das häufige und anhaltende Bellen des Hundes zum einen fortlaufend eine Rechtsnorm verletzt wurde (nachfolgend a), somit eine bereits eingetretene Störung (repressiv) zu unterbinden war, und zum anderen eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung iSv § 11 Nds.SOG bestand (nachfolgend b). Demgemäß konnte sie nach den §§ 1, 11 Nds.SOG die zur Gefahrenabwehr und zur Schadensbeseitigung notwendigen Maßnahmen treffen. Dieses Vorgehen der Beklagten war nicht dadurch ausgeschlossen, daß in allen Fällen von Lärmstörungen durch Hundegebell wohl auch privatrechtliche Ansprüche der Beigeladenen auf Unterlassung (§§ 903, 906 ff. BGB) gegeben sind (OVG Lüneburg, OVGE 27, 321). Denn die Beklagte konnte, ja mußte sich - bei Vorliegen einer Störung der öffentlichen Sicherheit - für ein Einschreiten entscheiden, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Interesse der Allgemeinheit aufrechtzuerhalten (Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, 413).

15

a)

Zu den Aufgaben der Beklagten gehört es, als Polizei- und Ordnungsbehörde über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in ihrem Zuständigkeitsbereich zu wachen. Daß hierzu auch die Eindämmung und Unterbindung der mit übermäßigem Hundegebell verbundenen Lärmbelästigungen gehört, zeigt die Polizeiverordnung der Beklagten vom 23. Februar 1984 - PolVO -, deren Ungültigkeit nicht geltend gemacht und auch nicht ersichtlich ist. § 7 Abs. 1 dieser PolVO lautet wie folgt:

"1.
Haustiere und andere Tiere sind so zu halten, daß sie nicht durch anhaltende und häufige Geräusche die Nachbarschaft über Gebühr in ihrer Ruhe stören. Besonders ist darauf zu achten, daß anhaltendes und störendes Bellen verhindert und vermieden wird."

16

Da diese Vorschrift gemäß § 37 Nds.SOG i.V.m. § 9 PolVO bußgeldbewehrt ist, liegt bei sich laufend wiederholenden Verstößen gegen § 7 PolVO zugleich auch eine Störung, nämlich eine fortwährende Verletzung der Rechtsordnung vor, die von der Beklagten nach § 11 Nds.SOG abgewehrt und unterbunden werden konnte. Denn zur Gefahrenabwehr im polizeirechtlichen Sinne gehört u.a. die Störungsbeseitigung und die Abwehr weiterer Störungen, die im ständigen Mißachten der genannten Polizeiverordnung liegen (vgl. Hamann, DÖV 1989, 209 ff./211 m.w.N.). Die PolVO der Beklagten ist hier mit Blick auf § 3 Abs. 2 Nds.SOG trotz der bundesrechtlichen Regelung des ruhestörenden Lärms in § 117 OWiG anwendbar, weil § 117 OWiG nur ein Auffangtatbestand ist und hinter der spezielleren PolVO der Beklagten zur Tier- und Hundehaltung zurücktritt (vgl. OLG Düsseldorf, NVwZ 1984, 197 [OLG Düsseldorf 11.04.1983 - 5 Ss OWi 105/83 117/83 I]).

17

Nach den Feststellungen der Beklagten und den Aufzeichnungen der Beigeladenen ist von fortdauernden Verstößen der Klägerin gegen § 7 PolVO auszugehen, so daß dahinstehen kann, ob daneben zugleich auch noch die §§ 223 StGB und 117 OWiG erfüllt sind (vgl. hierzu Urt. des AG Hannover v. 19.10.1962 in Gossrau u.a., Handbuch des Lärmschutzes und der Luftreinhaltung, 4. Bd., Nr. 60 116). Die Klägerin hält ihren Hund nicht so, wie das § 7 PolVO vorschreibt, nämlich in der Weise, daß die Nachbarschaft nicht "durch anhaltende und häufige Geräusche ... über Gebühr in ihrer Ruhe gestört" wird. Vor allem "verhindert" sie nicht ein "anhaltendes und störendes Bellen" (§ 7 Nr. 1 PolVO) ihres Hundes. Vielmehr läßt sie ihren Hovawart bereits morgens gegen 6.00 Uhr - z. T. auch schon um 5.50 Uhr (24. November 1987) - in ihren Garten, wo er dann nach Angaben der Beigeladenen ca. 20-25 m von deren Schlafzimmerfenster entfernt häufig und anhaltend laut bellt, ja geradezu "kläfft". Das setzt sich in den Mittags-, Nachmittags- und Abendstunden oft fort. So hat der Hund der Klägerin beispielsweise am Sonntag, dem 8. Mai 1988, nach den Aufzeichnungen der Beigeladenen etwa jede Viertelstunde, insgesamt 60mal, anhaltend und lautstark gebellt. Nach dem Widerspruchsbescheid des Landkreises ist der Hund der Kläger demgemäß "als 'notorischer Kläffer' zu bezeichnen". Das wird durch die Aufzeichnungen der Beigeladenen, an deren Wahrheitsgehalt die Kammer nach Lage der Dinge bei lebensnaher Betrachtung nicht zweifelt, hinreichend belegt und glaubhaft bestätigt. Die Glaubwürdigkeit der Beigeladenen wird durch deren abgewogene Ausführungen und die Darlegung gestützt, in der ... straße würden noch viele andere Hunde (Schäferhunde, Setter usw.) gehalten, die allesamt unauffällig seien und die keineswegs wie der der Klägerin als "Kläffer" bezeichnet werden könnten. Das demgegenüber unsubstantiierte und mehr Schutzcharakter tragende Bestreiten der Klägerin vermag im Vergleich zu den umfangreichen und detaillierten Aufzeichnungen der Beigeladenen über die Störungszeiten nicht zu überzeugen.

18

Bei dieser Lage der Dinge war es Sache der Klägerin, die Unwesentlichkeit der Störungen, die durch ihre Hundehaltung eintreten, zu belegen und zu beweisen (Drews/Wacke/Vogel/Martens, aaO, 409; BGH NJW 1985, 2823 [BGH 12.07.1985 - V ZR 172/84]). Die von ihr zu diesem Zweck vorgelegte Unterschriftenliste einiger Anlieger der Seevestraße, die sich durch den Hund der Klägerin weder belästigt noch gestört fühlen, belegt indes keineswegs eine Fehleinschätzung des Hundegebells durch die Beklagte und damit einen Ermessensfehler beim polizeilichen Vorgehen. Denn zum einen sind diese Anlieger dem Gebell nicht aus einer Entfernung von nur 20 bis 25 m ausgesetzt, können sich deshalb schon gar nicht gravierend gestört fühlen, und zum andern kann die Unterschriftsleistung von Freundschaft und Rücksichtnahme auf eine gute Nachbarschaft bestimmt gewesen sein. Hinzu kommt, daß die Anlieger selbst überwiegend ebenfalls Hundehalter sind, sich also mit der Klägerin in gewissem Umfange "solidarisiert" haben könnten. Im übrigen ist es für das Vorliegen eines Verstoßes gegen die PolVO ohne Bedeutung, ob sich die gesamte Nachbarschaft - gleichgültig, in welchem Umkreis - nun gerade gestört fühlt (oder nicht):

"Es kommt nicht darauf an, ob noch andere Einwohner oder ob die Nachbarn des Hauses sich gestört fühlten. Weder die vorgelegten Bescheinigungen der anderen Hausbewohner noch die vorgelegte ärztliche Bescheinigung, welche eine allgemeine Störung für nicht annehmbar erachtet, ..., konnten deshalb in Betracht kommen. Nach der Rechtsprechung des OVG genügt es, daß die Störung der Nachtruhe auch nur eines Mieters Gesundheit gefährdet, und diese Voraussetzung war jedenfalls erfüllt." (PrOVG in PrVBl. Bd. 48, 442)

19

Die von Amts wegen durchgeführten Ortsbesichtigungen, die letztlich ein Bellen des Hovawart auch bei gar nicht erkennbarem Anlaß ergaben, haben demgegenüber nach Ansicht der Kammer das stärkere Gewicht und sind bei Gesamtbetrachtung aller Umstände verläßlicher Anhalt für ein erheblich störendes Bellen des Hundes. Der schließlich von der Klägerin unternommene Versuch, die Beigeladenen als "übersensibel" und "querulatorisch" darzustellen, bleibt ohne Erfolg: Diese Methode, einerseits den aus dem eigenen Rechtskreis stammenden Lärm als unerheblich darzustellen und andererseits die Lärmbetroffenen als Menschen zu kennzeichnen, die "sich anstellen", ist im Lärmschutzrecht hinreichend bekannt (vgl. Lärmfibel des Umweltbundesamtes, S. 18). Unerheblich ist schließlich, daß die Beigeladenen das Nachbarhaus erst später bezogen haben als die Klägerin das ihre, diese sich also auf sog. "ältere Rechte" berufen kann; denn niemand muß bei Einzug in ein Wohnhaus mit übermäßigem, nach der vorhandenen Rechtsordnung nicht zulässigem Lärm rechnen und diesen gar dulden (BGH, NJW 1977, 146).

20

Schon aufgrund der damit gegebenen fortdauernden Verstöße gegen eine gültige Vorschrift der PolVO war die Beklagte berechtigt, die angefochtene Verfügung als unselbständige Ordnungsverfügung zu erlassen.

21

b)

Abgesehen von diesem Verstoß der Klägerin gegen die genannte PolVO ist der Beklagten aber auch in der Bewertung zu folgen, daß das häufige und anhaltende Hundegebell eine Gefahr für die Gesundheit darstellt und zu einer nicht mehr zumutbaren Nervenbelastung der Beigeladenen werden kann. Im Urteil des OVG Lüneburg vom 30. Oktober 1970 (OVGE 27, 321) heißt es insoweit:

"... ist die Bevölkerung aber gegen jedes weitere Übermaß von Geräuschen beispielsweise durch ständiges lautes Hundegebell besonders empfindlich, so daß gerade dort eine Gefährdung der Gesundheit besonders nahe liegt (...). Die medizinische Wissenschaft hat erkannt, daß durch ständigen Lärm nicht nur die Nervosität gesteigert, sondern auch Erkrankungen des vegetativen, unbewußten Nervensystems und dadurch wiederum Magenerkrankungen sowie Magengeschwüre hervorgerufen werden können, aber auch Herzkrankheiten und Kreislaufstörungen, ja sogar Schädigungen des Gehirns (...)"

22

Daß diese Bewertung von Hundegebell als Lärm und als gravierende Ruhestörung einer inzwischen schon langen deutschen Rechtstradition entspricht, zeigt die ältere Rechtsprechung zum Hundelärm, wie sie von Wiethaup (DWW 1962, 40 f.) dargestellt wurde, zeigen aber auch neuere Entscheidungen verschiedener Obergerichte (VGH Bad.Württ., DÖV 1975, 608 mit Anm. Engelhardt; OVG Lüneburg, Beschluß v. 5.12.61, in Gossrau u.a., aaO, Nr. 50 274; VGH Kassel, DVBl. 1960, 780). Auch die Rechtsprechung der Zivilgerichte bestätigt das (LG München I v. 16.5.1988 - 25 O 11 850/87, Kurzinformation in dng 1989, 231; AG Wiesbaden, DWW 1988, 18; AG Westerburg, DWW 1987, 100; LG Braunschweig, NdsRpflg 1975, 275; LG Würzburg, NJW 1966, 1031 [LG Würzburg 30.12.1965 - 3 S 142/65] mit Anm. Kuchinke). Angesichts des hier gegebenen häufigen und anhaltenden Hundegebells kann auch nicht etwa davon gesprochen werden, daß es sich lediglich um Belästigungen minderen Grades handele, die nicht mit den Mitteln der Gefahrenabwehr, die für schwerwiegendere Rechtsbeeinträchtigungen gedacht seien, bekämpft werden könnten (vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 221 m.w.N.). Sowohl die Aufzeichnungen der beiden Beigeladenen als auch die bei den Ortsbesichtigungen der Beklagten gewonnenen Erkenntnisse sprechen dafür, daß es sich nicht mehr nur um bloße Unannehmlichkeiten handelt, wie sie im Zusammenleben der Menschen nun einmal hingenommen werden müssen. Häufigkeit, Intensität und Dauer des Bellens zu Zeiten, für die sich in der Bevölkerung allgemein ein spezifisches Ruhebedürfnis entwickelt hat (vgl. 3.3 der Hinweise des Länderausschusses für Immissionsschutz, NVwZ 1988, 135), vor allem aber die Summierung jedes für sich gesehen möglicherweise noch als Unannehmlichkeit zu wertenden Bellens führt zur Bewertung als insgesamt doch schwerwiegende Beeinträchtigung (ebenso für Summierungen auch Drews/Wacke/Vogel/Martens, aaO, 221). Dabei fällt auch ins Gewicht, daß die beiden Beigeladenen Anspruch darauf haben, z.B. bei geöffnetem Fenster zu schlafen und hierbei nicht durch Hundegebell aus nächster Nähe in der Weise gestört zu werden, daß sie ihren Schlaf etwa am frühen Morgen ständig unterbrechen oder gar abbrechen müssen. Schon diese sich wiederholenden Schlafstörungen indizieren eine wesentliche Beeinträchtigung der beiden Beigeladenen. Daß es schließlich auch in diesem Zusammenhang unerheblich ist, ob sich neben den Beigeladenen noch andere Nachbarn gestört fühlen (oder nicht), versteht sich von selbst und bedarf keiner Vertiefung (s.o.; vgl. auch OLG Stuttgart, NJW-RR 1986, 1141 [OLG Stuttgart 05.02.1986 - 13 U 110/85] r.Sp.; ebenso schon PrOVG, PrVerwBl. Bd. 25, 79; Bd. 50, 429).

23

Demgemäß konnte die Beklagte sich ohne Rechtsfehler zum Einschreiten gegen die Klägerin entschließen, u. zw. einerseits zum Schutze der Beigeladenen vor Hundelärm und andererseits zur Beachtung der Vorschriften über die Tier- und Hundehaltung im Gebiet der Beklagten, wie sie in der genannten PolVO zum Ausdruck kommen. Ermessensfehler der Beklagten sind weder insoweit noch hinsichtlich der verfügten Ordnungsmaßnahme feststellbar (§ 114 VwGO). Denn weder der Grundsatz der Subsidiarität polizeilichen Einschreitens noch der der Verhältnismäßigkeit wurden von der Beklagten verletzt.

24

Der Subsidiaritätsgrundsatz ist schon deshalb nicht verletzt, weil der polizeiliche Schutz individueller Rechte - hier des Rechts auf Ruhe - dann nicht mehr subsidiär ist, wenn die Individualrechte zugleich auch durch öffentlich-rechtliche Normen geschützt werden (Drews/Wacke/Vogel/Martens, aaO, 239). Das ist hier durch § 7 PolVO, aber auch durch § 117 OWiG der Fall, die aus öffentlichem Interesse der Bekämpfung des Lärms dienen. War die Beklagte aber ohnehin aus diesem Grunde nicht an einem Einschreiten gehindert, so konnte sie auch noch im Interesse eines Lärm- und Gesundheitsschutzes der beiden Beigeladenen vorgehen.

25

Unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes hat die Beklagte eine Regelung verfügt, die rechtlicher Überprüfung standhält. Denn die festgesetzten Zeiten, während der die Klägerin - gleich auf welche Weise - dafür Sorge zu tragen hat, daß das störende "Kläffen" ihres Hundes im Garten unterbleibt, sind bei Abwägung ihrer Interessen mit den nachbarlichen Interessen durchaus angemessen und nicht etwa als übermäßige Beschränkung der Hundehaltung zu bewerten. Der Klägerin ist weder aufgegeben worden, ihren Hund "abzuschaffen" (vgl. dazu Hamann, aaO, 215; OVG Lüneburg, OVGE 27, 321), weil etwa die Ruhe der Mitmenschen wichtiger sei als die Liebhaberei einzelner (vgl. OLG Düsseldorf, aaO), noch aber, dafür zu sorgen, daß das Bellen vollständig über den gesamten Tag unterbleibt (vgl. dazu Preuß. OVG, Urt. v. 16.4.1931 III C 2/31 in Gossrau u.a., aaO, Nr. 50 250). Sie hat lediglich während der ihr auferlegten Zeiten dafür zu sorgen, daß das Hundegebell im Garten unterbleibt, wobei ihr völlig freigestellt bleibt, in welcher konkreten Form sie dieses eindeutige Ziel der genügend bestimmten Ordnungsverfügung erreicht (vgl. Preuß. OVG, aaO; Drews/Wacke/Vogel/Martens, aaO, 435; vgl. auch LG München I, aaO, das dem Nachbarn einen Anspruch auf angemessene Einschränkung der Auslaufzeiten eines Hundes einräumt). Während der übrigen Zeit kann die Klägerin ihren Hund stundenlang im Garten herumlaufen und bellen lassen. Daß der Klägerin damit nichts Unmögliches und Unzumutbares abverlangt wird, liegt auf der Hand. Ihr Einwand, sie könne ihren Hund nicht einfach "abschalten", berücksichtigt nicht, daß ihr hinreichend andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, ein Bellen ihres Hundes während der festgelegten Zeiten nun gerade in ihrem Garten zu unterbinden. So könnte sie z.B. - falls sie das nicht selbst tun kann oder will - ihren Sohn oder andere Personen damit beauftragen, ihren Hund während der auferlegten Tageszeiten in der näheren Umgebung auszuführen oder ihn im Hause zu beaufsichtigen. Da ihr Hund während der Nacht - wenn er im Hause ist - offenbar nicht oder nur selten anschlägt, geht es im Kern ohnehin nur um diese Tageszeiten morgens, mittags und abends. Ein unbeaufsichtigter Freilauf des Hundes während der genannten Zeiten gerade im Garten, der gewöhnlich mit übermäßigem Bellen, ja "Kläffen" verbunden ist, hat jedenfalls mit Rücksicht auf die Interessen der beigeladenen Nachbarn zu unterbleiben.

26

Die festgesetzten Zeiten berücksichtigen im übrigen hinreichend, daß sich in der Bevölkerung für die Zeit von 6.00 bis 7.00 Uhr morgens und von 19.00 bis 22.00 Uhr abends ein erhöhtes Schutzbedürfnis entwickelt hat, dem nach den Hinweisen des Länderausschusses für Immissionsschutz (NVwZ 1988, 135) im Falle von Lärm, der von Freizeitanlagen ausgeht, durch einen Zuschlag von 6 dB(A) zu den sonst anzunehmenden Mittelungspegeln Rechnung zu tragen ist. Angesichts dieses allgemeinen Schutzbedürfnisses in den Morgen- und Abendstunden und unter Berücksichtigung von § 6 PolVO, welcher seinem Gehalt nach der Lärmbekämpfung im Gebiet der Beklagten dient und der auch die Einhaltung einer Mittagspause vorsieht, konnte die Beklagte ermessensfehlerfrei die von der Klägerin zu beachtenden Zeiten festsetzen.

27

Die angefochtene Polizeiverfügung war auch an die Klägerin zu adressieren, die als Halterin des Hovawart für dessen Bellen bzw. "Kläffen" verantwortlich war und ist. Damit ist auch unter dem Gesichtspunkt des richtigen Verfügungsadressaten (Hamann, aaO, S. 215) kein Rechtsfehler erkennbar.

28

Nach allem war die gegen die Polizei- und Ordnungsverfügung der Beklagten gerichtete Anfechtungsklage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Dietze,
Richterin am VG Preßler hat Urlaub und kann deshalb ihre Unterschrift nicht beifügen. Dietze,
Schmidt