Landgericht Hannover
Urt. v. 05.07.2022, Az.: 36 Ns 65/22

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
05.07.2022
Aktenzeichen
36 Ns 65/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 68049
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2022:0705.36NS65.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 27.04.2022 - AZ: 220 Cs 7101 Js 5461/22 (114/22)

In der Strafsache
gegen
XXX,
geboren am XXX in XXX,
wohnhaft: XXX, XXX,
wegen Trunkenheit im Verkehr
hat die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover auf die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Hannover - Strafrichter - vom 27. April 2022 in der Sitzung vom 5. Juli 2022, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Landgericht XXX
als Vorsitzende,
XXX,
XXX
als Schöffen,
Staatsanwältin XXX
als Beamtin der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt XXX,
als Verteidiger,
Justizobersekretärin XXX
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 27.04.2022 wird verworfen.

Die Kosten der Berufung einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten im Berufungsverfahren trägt die Landeskasse.

Angewendete Vorschriften: §§ 316 Abs. 1, Abs. 2, 44 StGB.

Gründe

(abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO)

I.

Mit Urteil des Amtsgerichts Hannover - Strafrichter - vom 27. April 2022 (220 Cs 7101 Js 5461/22 (114/22)) wurde der Angeklagte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt, auf das die Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis und der Sicherstellung des Führerscheins angerechnet worden ist. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit der sie die Entziehung der Fahrerlaubnis, die Einziehung des Führerscheins und die Verhängung einer Sperrfrist von mindestens vier Monaten erstrebt.

Die Berufung der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

II.

Zur Person des Angeklagten hatte die Kammer folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte wuchs bei seinen Eltern auf. Er ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Der Angeklagte besuchte die Schule und beendete diese mit dem Abitur. Im Anschluss nahm der Angeklagte ein Studium für Mechatronik und Robotik auf und befindet sich im letzten Semester. Ab Oktober wird der Angeklagte nach Beendigung seines Studiums in Vollzeit bei der Firma XXX arbeiten. Er lebt von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz.

Der Angeklagte ist bislang weder strafrechtlich noch mit einer Verkehrsordnungswidrigkeit in Erscheinung getreten.

III.

1.

Der Angeklagte hat den Einspruch gegen den Strafbefehl auf den Rechtsfolgenausspruch und weiter innerhalb des Rechtsfolgenausspruches auf die Frage beschränkt, ob sich der Angeklagte durch die Tat als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Die Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt ist wirksam. Die Beschränkung innerhalb des Rechtsfolgenausspruches auf die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis, der Einziehung des Führerscheins und der Verhängung einer Sperrfrist ist indes nicht wirksam. Insoweit gelten im Strafbefehlsverfahren die gleichen Voraussetzungen wie im Berufungsverfahren. Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB ist unwirksam, wenn Charaktermängel des Angeklagten der Grund der Anordnung sind (Schmidt, in Meyer-Goßner/Schmidt, Strafprozessordnung, 65. Auflage, 2022, Rn. 28). So liegt der Fall hier.

Aufgrund der wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch sind jedoch folgende Feststellungen zum Tatgeschehen rechtskräftig geworden:

"in XXX

am XXX gegen XXX Uhr

fahrlässig im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt zu haben, obwohl Sie infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage waren, das Fahrzeug sicher zu führen.

Durch die Tat haben Sie sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.

Ihnen wird zur Last gelegt:

Sie befuhren mit dem E-Scooter Tier, Versicherungskennzeichen 498WMV, u. a. die XXX, obwohl Sie infolge Alkoholeinwirkung mit einem Blutalkoholgehalt von mindestens 1,20 Promille (Blutentnahmezeitpunkt: 03:13 Uhr) nicht mehr fahrtüchtig waren, was Sie hätten erkennen können und müssen."

2.

Ergänzend hat die Kammer zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte überfuhr auf dem Radweg fahrend eine rote Ampel im Bereich der XXX in Richtung XXX Straße und wurde deshalb von dem Polizeibeamten XXX angehalten. Vor dem Überfahren der roten Ampel vergewisserte sich der Angeklagte, dass sich keine anderen Verkehrsteilnehmer auf der Straße befinden. Nach der Belehrung wegen einer Ordnungswidrigkeit reagierte der Angeklagte kooperativ und einsichtig. Ausfallerscheinungen zeigte der Angeklagte weder beim Befahren des Radweges noch bei der Kontrolle vor Ort. Ein Atemalkoholtest wurde durchgeführt, weil der Angeklagte von sich aus angegeben hatte, vor Fahrantritt Alkohol konsumiert zu haben. Die Fahrerlaubnis des Angeklagten wurde am 15. Januar 2022 sichergestellt und die Fahrerlaubnis dem Angeklagten mit Beschluss vom 24. Januar 2022 entzogen. Der Führerschein wurde dem Angeklagten am 27. April 2022 am Ende der erstinstanzlichen Hauptverhandlung wieder ausgehändigt.

IV.

Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte einer fahrlässigen Trunkenheit im Straßenverkehr gemäß § 316 Abs. 1, Abs. 2 StGB schuldig gemacht.

Er handelte vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.

VI.

Im Rahmen der Rechtsfolgenentscheidung hat sich die Kammer von folgenden Erwägungen leiten lassen:

1.

Die Kammer ist von dem Strafrahmen des § 316 Abs. 1 StGB ausgegangen, der Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vorsieht.

Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat die Kammer zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er das Tatgeschehen von Beginn an vollumfänglich geständig eingeräumt hat, dass er sein Fehlverhalten bereut und Einsicht gezeigt hat. Zu Gunsten des Angeklagten sprach weiterhin, dass er bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hielt die Kammer eine Geldstrafe von

25 Tagessätzen

für tat- und schuldangemessen und hat darauf erkannt.

Die Höhe des Tagessatzes hat die Kammer gemäß § 40 Abs. 2 StGB aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten auf 15,00 € festgesetzt.

2.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis, die Einziehung des Führerscheins und die Verhängung einer Sperrfrist gemäß §§ 69, 69a StGB kam vorliegend nicht in Betracht.

Der Angeklagte hat sich nicht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Zwar spricht nach § 69 Abs. 2 StGB die Begehung einer Trunkenheit im Verkehr für die Annahme charakterlicher Ungeeignetheit. Die Regelvermutung wird vorliegend jedoch widerlegt. Für die Widerlegung der Regelvermutung kommen eine Vielzahl sonstiger, namentlich in der Persönlichkeit des Täters liegender, der Tat vorausgehender sowie in einer Veränderung der maßgeblichen Umstände in der Zeit zwischen Tatbegehung und Zeitpunkt der Entscheidung begründeter Gründe in Betracht, welche die Indizwirkung der Regelbeispiele widerlegen und im Rahmen einer Gesamtwürdigung Anlass zum Absehen von einer Maßregelanordnung geben können. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung hat die Kammer berücksichtigt, dass der Angeklagte sich bereits am Tatort und auch im weiteren Verfahren vollumfänglich geständig und reuig gezeigt hat. Er konnte nachvollziehbar darlegen, dass er sich der Gefahren von alkoholisierter Teilnahme am Straßenverkehr sehr wohl bewusst ist. Hinzu kommt, dass der Angeklagte den E-Scooter zu einem Zeitpunkt benutzt hat, als sich keine weiteren Verkehrsteilnehmer in dem betroffenen Bereich bewegt haben. Er hat den E-Scooter auf einem Radweg geführt, sich vor dem Überqueren der Straße davon überzeugt, dass sich keine weiteren Verkehrsteilnehmer im näheren Umfeld befinden und alkoholbedingte Ausfallerscheinungen nicht gezeigt. Hinzu kommt, dass die Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit nicht erheblich überschritten worden ist und der Angeklagte bislang weder mit Verkehrsordnungswidrigkeiten noch mit Verkehrsstraftaten in Erscheinung getreten ist. Aus den genannten Gründen war von der Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis abzusehen.

Die Kammer hat jedoch ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB verhängt und dieses mit drei Monaten, die durch die Zeit der erfolgten Sicherstellung des Führerscheins und der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Hauptverhandlung abgegolten war, bemessen.

VII.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.