Amtsgericht Hannover
Beschl. v. 19.01.2015, Az.: 44 XIV 64/14
Rechtswidrigkeit einer auf des Merkmal der Fluchtgefahr gestützten Haftanordnung gegenüber einem Asylbewerber
Bibliographie
- Gericht
- AG Hannover
- Datum
- 19.01.2015
- Aktenzeichen
- 44 XIV 64/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 20748
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGHANNO:2015:0119.44XIV64.14.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 15 Abs. 1 RL 2008/115/EG
- § 62 Abs. 1 AufenthG
Fundstellen
- InfAuslR 2015, 149
- ZAR 2015, 8-9
In der Abschiebehaftsache
betreffend den albanischen Staatsangehörigen ##########, geboren am #######1988 in Durres Alias : ########, geb. am #######1991 in Gjakova #########, geb. am ######1988 in Durres #######, geb. am #######1988 in Durres
Verfahrensbevollmächtigter : Rechtsanwalt Fahlbusch
-Betroffener-
weitere Verfahrensbeteiligte:
Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Recht und Ordnung, Leinstraße 14, 30159 Hannover
-Antragsteller/in-
hat das Amtsgericht Hannover - Abteilung 44 - durch die Richterin am Amtsgericht Gundelach
am 19.01.2015
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Betroffenen vom 01.12.2014 wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 21.11.2014 ( Aktenzeichen 44 XIV 64/14 ) den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Beteiligte trägt die notwendigen Auslagen des Betroffenen.
Dem Betroffenen wird Verfahrenskostenhilfe bewilligt.
Dem Betroffenen wird Rechtsanwalt Fahlbusch, Hannover, zur Wahrung seiner Interessen beigeordnet.
Der Gegenstandswert beträgt 3.000 Euro.
Gründe
Der Antrag des Betroffenen - mit Beschwerdeschriftsatz vom 01.12.2014 bzw. als Feststellungsbegehr vom 05.12.2014 - auf Feststellung, dass ihn der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 21.11.2014 ( Aktenzeichen 44 XIV 64/14 ) in seinen Rechten verletzt hat, ist zulässig und begründet.
I.
Die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt Hannover betrieb die Abschiebung des Betroffenen nach Albanien aufgrund seiner unbeschränkten Ausreisepflicht.
Der Betroffene ist albanischer Staatsangehöriger.
Erstmals reiste der Betroffene zu einem unbekannten Zeitpunkt (vermutlich vor dem 14.12.2006) unter seinen Aliaspersonalien ##########, geboren am ######1991 in Gjakova ins Bundesgebiet ein.
Er wurde in der Zeit vom 14.12.2006 bis zum 30.05.2008 mehrfach, nämlich am 14.12.2006, 04.07.2007, 25.11.2007 und 30.05.2008, von der Polizei im Rahmen von Personenkontrollen überprüft. Nach eigenen Angaben war er nicht im Besitz von Ausweispapieren. Da er zum damaligen Zeitpunkt Jugendlicher ohne festen Wohnsitz war, wurde er regelmäßig der Clearingstelle des Fachbereichs Jugend der Landeshauptstadt Hannover zugeführt bzw. aufgefordert, sich dort zu melden. Allerdings tauchte er fortwährend in die Illegalität ab.
Am 07.02.2009 wurde der Betroffene im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung aufgegriffen und im Rahmen einer Ermittlungsverfahrens wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Untersuchungshaft genommen.
Auf Antrag der Ausländerbehörde Hannover hat das Amtsgericht Hannover mit Beschluss vom 20.02.2009 gegen den Betroffenen Abschiebehaft angeordnet. Im Rahmen einer Haftbeschwerde gab er die Personaldaten ####### geboren am ######1988 in Durres als seine richtige Identität an. Mit Beschluss vom16.03.2009 wurde die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Mit Verfügung vom 25.03.2009 wurde dem Betroffenen die Abschiebung nach Albanien angedroht. Die Zustellung erfolgte gegen Empfangsbekenntnis am 31.03.2009. Die Verfügung ist bestandskräftig.
Die Abschiebung nach Albanien wurde am 08.04.2009 vollzogen.
Am 05.07.2011 wurde der Betroffene von den italienischen Behörden nach einer unerlaubten Einreise an der Grenze nach Albanien zurückgeschoben.
Zu einem unbekannten Zeitraum reiste der Betroffene erneut illegal ins Bundesgebiet ein.
Am 03.03.2012 wurde der Betroffene im Rahmen eines Einsatzes in einer Spielhalle in Hannover angetroffen. Nachdem er die Polizeibeamten bemerkte, versuchte er die Spielhalle zu verlassen. Dies gelang ihm jedoch nicht. Er wies sich mit einem gültigen albanischen Reisepass, ausgestellt auf den Namen #######, geboren am ######1988 in Durres, aus. Im Rahmen des EDV-Abgleichs wurde festgestellt, dass der Betroffene zur Festnahme ausgeschrieben ist. Daraufhin wurde er in Polizeigewahrsam genommen.
Mit Verfügung vom 09.03.2012 wurde der Betroffene gem. § 55 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und die Abschiebung nach Albanien angedroht. Die Zustellung erfolgte gegen Empfangsbekenntnis am 15.03.2012. Die Verfügung ist bestandskräftig.
Am 22.03.2012 wurde er vom Amtsgericht Hannover wegen Verstoßes gegen das AufenthG zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt.
Die Abschiebung nach Albanien wurde am 27.03.2012 aus der Abschiebehaft vollzogen.
Am 21.07.2013 wurde der Betroffene im Rahmen einer Spielhallenkontrolle in Hannover angetroffen. Er verfügte über keinerlei Ausweispapiere. Aufgrund der Fahndungsausschreibung aus der letzten Abschiebung wurde er festgenommen.
Am 25.07.2013 wurde der er vom Amtsgericht Hannover wegen Einreise in das und Aufenthalts im Bundesgebiet entgegen § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 5,00 Euro verurteilt.
Mit Verfügung vom 30.07.2013 wurde dem Betroffenen Abschiebung nach Albanien angedroht. Die Zustellung erfolgte gegen Empfangsbekenntnis am 30.07.2013. Die Verfügung ist bestandskräftig.
Die Abschiebung wurde am 15.08.2013 aus der Abschiebehaft vollzogen. Die Wirkung der Abschiebung wurde bis zum 14.08.2016 befristet; ein Zustellungsnachweis ist aus der aktuell vorliegenden Akte der Antragstellerin nicht ersichtlich.
Am 20.11.2014 wurde der Betroffene im Rahmen einer Personenkontrolle überprüft. Er war nicht im Besitz von Ausweispapieren und gab gegenüber den Polizeibeamten die Personalien ######## an. Zwecks Identitätsfeststellung wurde er der Dienststelle der Polizeiinspektion Hannover Mitte zugeführt. Ein Abgleich mit seinen Fingerabdrücken ergab seine wahre Identität. Aufgrund der Fahndungsausschreibung aus der letzten Abschiebung wurde er festgenommen.
Der Betroffene war nicht im Besitz der erforderlichen Ausweispapiere. Er hatte im Rahmen seiner Vernehmung keine Angaben gemacht. Der Zeitpunkt der erneuten Wiedereinreise ist unbekannt.
Der Betroffene wurde von der Verwaltungsbehörde bzw. Polizei am 20.11.2014, um 17.20 Uhr vorläufig in Gewahrsam genommen, § 62 Abs. 5 AufenthG.
Ferner leitete die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz gegen den Betroffenen ein. Die Zustimmung der Staatsanwaltschaft Hannover bezüglich dieses Verfahrens zur Abschiebung des Ausländers nach § 72 Abs. 4 AufenthG wurde am 21.11.2014 um 10.30 Uhr von OStA Burgard fernmündlich erteilt. Das im beschleunigten Verfahren am selben Tag verhandelte Verfahren wurde gemäß § 153 StPO eingestellt. Die schriftliche Zustimmung der Staatsanwaltshaft Hannover wurde am 28.11.2014 durch OStA Burgard erteilt.
Die Ausländerbehörde hatte mit Schriftsatz vom 21.11.2014 beantragt, gegen den Betroffenen nach seiner persönlichen Anhörung im Wege der einstweiligen Anordnung Abschiebungshaft für die Dauer von 2 Wochen, mithin bis zum 05.12.2014 einschließlich anzuordnen und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anzuordnen. Eine nach § 59 AufenthG erneut erforderliche Abschiebungsandrohung war seitens der Ausländerbehörde bis dahin nicht ergangen. Die erforderliche Rückkehrentscheidung lag mithin zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht vor. In der Hauptsache hat die Ausländerbehörde darüber hinaus mit Schriftsatz vom 21.11.2014 die Anordnung von Abschiebungshaft für die Dauer von 6 Wochen beantragt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Anträge der Ausländerbehörde Bezug genommen. Der Betroffene wurde am 21.11.2014 persönlich angehört.
Mit Beschluss vom 21.11.2014 , Aktenzeichen 44 XIV 64/14, hatte das Amtsgericht Hannover - wegen Fehlens der Rückkehrentscheidung - zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung gegen den Betroffenen Abschiebungshaft bis längstens zum 05.12.2014 angeordnet unter Feststellung der Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 und 5 AufenthG.
Gegen den Beschluss des Amtsgericht Hannover vom 21.11.2014, Az. 44 XIV 64/14, hatte der Betroffene sodann mit Schriftsatz seines von ihm beauftragten Bevollmächtigten vom 01.12.2014, hier eingegangen am 01.12.2014, Beschwerde. Eine Beschwerdebegründung erfolgte zunächst nicht.
Ferner hatte er beantragt, dem Betroffenen Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten zu bewilligen.
Mit ergänzendem Schriftsatz vom 04.12.2014 hatte die Ausländerbehörde - unter Aufrechterhaltung des Antrages auf Anordnung von endgültiger Abschiebungshaft vom 21.11.2014 - letztlich beantragt, gegen den Betroffenen Abschiebungshaft bis einschließlich zum 02.01.2015 anzuordnen. Die Antragstellerin hatte insoweit ergänzend zu ihren bisherigen Schriftsätzen erklärt, dass dem Betroffenen am 21.11.2014 die Anhörung zugesandt wurde. Diese war ihm am 21.11.2014 zugegangen. Ebenfalls wurde die Landesaufnahmebehörde Außenstelle Langenhagen angeschrieben und gebeten, 4 Lichtbilder zu beschaffen, mit dem Betroffenen das entsprechende Antragsformular aufzunehmen und anschließend an die Landesaufnahmebehörde Außenstelle Lüneburg weiterzuleiten, damit das erforderliche Passersatzpapier beschafft werden kann. Am 25.11.2014 wurde mit dem Betroffenen der Passersatzpapierantrag aufgenommen. Die Unterlagen wurden am 26.11.2014 an die Landesaufnahmebehörde Außenstelle Lüneburg gesandt. Nach Eingang der Unterlagen hatte die Landesaufnahmebehörde Außenstelle Lüneburg am 01.12.2014 den Passersatzpapierantrag an die albanischen Behörden weitergeleitet. Mit Schreiben vom 26.11.2014 wurde dem Betroffenen die Abschiebung nach Albanien angedroht. Die Abschiebungsandrohung war dem Betroffenen am 26.11.2014 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Eine Rückkehrentscheidung lag daher vor.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Anträge der Ausländerbehörde Bezug genommen.
Der Betroffene wurde am 05.12.2014 erneut persönlich angehört.
Mit Beschluss vom 05.12.2014, Aktenzeichen 44 XIV 66/14, hat das Amtsgericht Hannover unter Zurückweisung des Antrages auf Anordnung von endgültiger Abschiebungshaft den Betroffenen aus der Haft entlassen und den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 21.11.2014 ( Az. 44 XIV 64/14) aufgehoben.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 05.12.2014 hat der Betroffene sodann seine Beschwerde vom 01.12.2014 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover ( Az. 44 XIV 64/14) formell umgestellt auf den Antrag festzustellen, dass der angefochtene Beschluss ihn in seinen Rechten verletzt hat.
Aktuell hat das Gericht über diesen Feststellungsantrag zu befinden. Die Ausländerakte liegt dem Gericht immer noch vor.
II.
Die gemäß § 58 FamFG statthafte Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 21.11.2014 ( Az. 44 XIV 64/14) ist, da form- und fristgerecht eingelegt, zulässig. Die einstweilige Haftanordnung ist zwar durch den weiteren Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 05.12.2014 ( Az. 44 XIV 66/14) gegenstandslos geworden und somit erledigt; der Betroffene kann jedoch den bereits in der Beschwerdeschrift enthaltenen, gemäß § 62 FamFG statthaften Feststellungsantrag weiter verfolgen. Die auf Feststellung der Rechtsverletzung gerichtete Beschwerde ist auch begründet.
Durch die einstweilige Anordnung von Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 und 5 AufenthG ist der Betroffene in seinen Rechten verletzt worden.
Der Verfahrensbevollmächtigte trägt begründet vor, dass die Definition der hier maßgeblichen " Fluchtgefahr" gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 wortlautidentisch ist mit der Definition in Art 28 Abs. 2 Dublin III-VO, mithin eine gleiche Rechtsanwendung und Rechtsauslegung geboten ist. Für die Fälle der Dublin -Verordnung hat der BGH mit seinen Entscheidungen vom 26.6.2014 und 22.10.2014 ( BGH Beschlüsse V ZB 31/14 und 124/14) für die Fallvarianten des § 62 Abs. 3 Nr. 1 ( illegale Einreise) und Nr. 5 ( Fluchtgefahr) festgestellt, dass es an einer gesetzlichen Grundlage für die Definition des Begriffs der Fluchtgefahr fehlt. Nach Artikel 15 Abs. 1 der vorliegend maßgeblichen Rückführungsrichtlinie ist nach dem Wortlaut zur Durchführung einer Abschiebung ebenfalls erforderlich, dass eine "Fluchtgefahr" bestehen muss, welche nach Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie - auch -nach objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien zu bestimmen ist. Eine solche gesetzliche Grundlage ist - gegenwärtig - für das entscheidende Gericht nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, 83 Abs. 2 FamFG i. V. m. § 128 c Abs. 3 KostO. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Es entspricht unter Berücksichtigung der Regelung des Art. 5 Abs. 5 EMRK billigem Ermessen, die beteiligte Ausländerbehörde zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 128 c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
Die Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Fahlbusch beruht auf §§ 76 ff, § 78 Abs. 2 FamFG.