Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 19.02.2014, Az.: 9 U 166/13

Entscheidung des Berufungsgerichts bei erstinstanzlicher Abweisung der Klage als im Urkundsverfahren unstatthaft

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.02.2014
Aktenzeichen
9 U 166/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 11407
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2014:0219.9U166.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 02.10.2013

Fundstellen

  • BauR 2014, 1048
  • MDR 2014, 1228

Amtlicher Leitsatz

Bei einer im ersten Rechtszug erfolgten Abweisung der Klage als im Urkundsverfahren unstatthaft nach § 597 Abs. 2 ZPO kann im vom Kläger betriebenen Berufungsverfahren - wie nach einem klagabweisenden erstinstanzlichen Prozessurteil - bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen die Klage insgesamt durch Sachurteil abgewiesen werden. Das Verschlechterungsverbot des § 528 ZPO steht dem nicht im Wege (entgegen RGZ 57, 42, 44).

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 2. Oktober 2013 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unbegründet abgewiesen wird.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter von dem Beklagten als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin Ausgleich eines Verrechnungskontos, das sich ausweislich des Jahresabschlusses der Insolvenzschuldnerin zum 30. Juni 2011 auf einen Betrag von rund 300.000 € zu Lasten des Beklagten belief.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts, der tatsächlichen Feststellungen und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil des Landgerichts Bezug genommen, das die Klage als im Urkundsprozess unstatthaft abgewiesen hat.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Prozessziel weiterverfolgt. Er macht geltend, entgegen der Auffassung des Landgerichts habe der Beklagte durch die Unterzeichnung des - als Urkunde vorliegenden - Jahresabschlusses die streitgegenständliche Forderung anerkannt.

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Er wiederholt zudem seinen Vortrag, wonach er die Forderung durch Überweisung beglichen habe, aus der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 11. September 2013 (vgl. Verhandlungsprotokoll Bl. 18 d. A.).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers erweist sich als unbegründet.

Zwar macht der Kläger zu Recht geltend, dass der Beklagte entgegen der Auffassung des Landgerichts die Forderung dadurch anerkannt hat, dass er, was urkundlich belegt ist (Jahresabschluss zum 30. Juni 2011, Anlage K 1 im gesonderten Hefter), als Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter (vgl. Seite 6 der Anlage K 3 im gesonderten Hefter) den Jahresabschluss aufgestellt und beschlossen hat (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2009, II ZR 264/07, NZG 2009, 569).

Jedoch erweist sich die Klage deswegen als unbegründet, weil der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zu Protokoll hat erklären lassen und wie unstreitig geblieben ist, das streitgegenständliche Verrechnungskonto "durch zwei Zahlungen in Höhe von 80.000 € am 14. September 2012 und 320.000 € am 24. September 2012 ausgeglichen", die Forderung mithin erfüllt hat. Zwar hat das Landgericht diese in der mündlichen Verhandlung aufgestellte und unstreitig gebliebene Behauptung nicht in den Tatbestand seines Urteils aufgenommen, sie ist aber durch das Verhandlungsprotokoll erwiesen, § 314 S. 2 ZPO.

Auch wenn das Landgericht die Klage lediglich nach § 597 Abs. 2 ZPO als im Urkundsprozess unstatthaft abgewiesen hat, hindert dies den Senat nicht daran, wegen des unstreitigen und materiellrechtlich durchgreifenden Erfüllungseinwandes die Klage insgesamt durch Sachurteil abzuweisen.

Zwar hat das Reichsgericht in einer Entscheidung vom 25. Januar 1904 (RGZ 57, 42, 44) die Auffassung vertreten, bei einer Klagabweisung als in der gewählten Prozessart unstatthaft komme ein endgültig klagabweisendes Sachurteil wegen des Verschlechterungsverbots des § 528 ZPO nur in Betracht, wenn auch der Beklagte Rechtsmittel eingelegt habe (vgl. auch die diese Entscheidung zitierenden Kommentare von Musielak, ZPO, 10. Aufl., Rn. 9 zu § 597, sowie Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., Rn. 21 zu § 579). Diese Ansicht entspricht jedoch nicht der mittlerweile ganz herrschenden Meinung zur Entscheidungsbefugnis des Berufungsgerichts bei erstinstanzlicher Klagabweisung durch Prozessurteil und dagegen gerichteter Berufung (allein) der Klagpartei mit dem Ziel, eine Sachentscheidung zu erreichen. Insoweit ist es nach nahezu einhelliger Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung zulässig, das abweisende Prozessurteil im zweiten Rechtszug bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen durch ein ebenfalls klagabweisendes Sachurteil zu ersetzen, obwohl der Berufungskläger dadurch schlechter gestellt wird, weil ihm eine neue Klage unmöglich gemacht wird (Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 4. Aufl., Rn. 51 zu § 528, Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., Rn. 32 zu § 528 je m. w. N.). Diese Schlechterstellung hat der Kläger als Rechtsmittelführer hinzunehmen, weil er durch die Stellung des Berufungsantrages, mit dem er ein Sachurteil gerade erreichen will, sein Begehr in der Sache uneingeschränkt der Prüfung durch das Berufungsgericht unterstellt. Sähe man das Berufungsgericht durch das Verschlechterungsverbot daran gehindert, die Klage insgesamt abzuweisen, obwohl diese zwar zulässig (bzw. im Urkundsverfahren statthaft), aber unbegründet ist, müsste das Berufungsgericht mangels eigener (negativer) Sachentscheidungskompetenz den Rechtsstreit an die erste Instanz zurückverweisen, damit die Abweisung dort ausgesprochen wird (vgl. für den Fall eines Prozessurteils Wieczorek/Schütze/Gerken, aaO.) Dass ein solcher Umweg weder interessengerecht ist noch dem Kompetenzverhältnis im Instanzenzug entspricht, liegt auf der Hand. Die das Verhältnis zwischen Prozess- und Sachurteil betreffenden Erwägungen gelten in gleicher Weise bzw. erst recht bei einem die Klage als im Urkundsverfahren unstatthaft abweisenden erstinstanzlichen Urteil.

Die Kostenentscheidung folgt § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 S. 2 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) liegen nicht vor. Die vom Senat vertretene Auffassung zur Zulässigkeit eines Sachurteils in der Berufungsinstanz, nachdem diese im ersten Rechtszug lediglich als im Urkundsverfahren unstatthaft abgewiesen worden ist, entspricht der ganz herrschenden Auffassung zum Verschlechterungsverbot nach einem Prozessurteil, die Abweichung von einer reichsgerichtlichen Entscheidung stellt keinen Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 543 ZPO dar (vgl. auch die seinerzeit ausdrückliche Regelung in § 546 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 in der bis zur ZPO-Reform geltenden Fassung).