Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 29.07.2015, Az.: 6 B 41/15

Aufgabentext; Beurteilungsfehler; Bewertungsfehler; Bewertungsmaßstab; Chancengleichheit; juristisches Staatsexamen; Klausurendurchgang; Lösungsskizze; Notenbildung; Sonderklausurenkurs; Verfälschung; Wiederholung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
29.07.2015
Aktenzeichen
6 B 41/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 44869
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Prüfungsbescheid des Antragsgegners, mit welchem dieser das erneute Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung durch die Antragstellerin festgestellt hat und begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung, ihre Klausurleistungen aus fünf der von ihr im Oktober 2013 angefertigten Klausuren unter der Bedingung, dass sie im Hauptsacheverfahren obsiegt, neu zu bewerten, hilfsweise, ihr vorläufig die Teilnahme an dem nächstmöglichen stattfindenden Klausurdurchgang zu gestatten und die von ihr angefertigten Aufsichtsarbeiten zu bewerten und sie ggf. vorläufig an der mündlichen Prüfung teilnehmen zu lassen.

Die Antragstellerin wurde zum 1. März 2011 in den juristischen Vorbereitungsdienst in Niedersachsen aufgenommen. Die zweite juristische Staatsprüfung bestand die Antragstellerin im ersten Versuch nicht, die erreichte Gesamtpunktzahl betrug 25 Punkte. Vom 1. bis 15. Oktober 2013 nahm sie an der Wiederholungsprüfung teil und erzielte in den vorgeschriebenen acht Klausuren folgende Noten:

ZU-Klausur

mangelhaft

3 Punkte

ZG-Klausur

mangelhaft

3 Punkte

SR-Klausur

mangelhaft

3 Punkt

VR-Klausur

mangelhaft

3 Punkte

VA-Klausur

mangelhaft

3 Punkte

A1-Klausur

ausreichend

6,5 Punkte (Mittelwert aus 8 und 5 Pktn.)

A2-Klausur

befriedigend

8 Punkte

W/VR-Klausur

mangelhaft

2 Punkte

Der Antragsgegner eröffnete der Klägerin die Klausurergebnisse mit Bescheid vom 14. Februar 2014 und teilte ihr mit, dass sie die zweite juristische Staatsprüfung gemäß § 14 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausbildung der Juristinnen und Juristen vom 15. Januar 2004 (NJAG) abermals nicht bestanden habe, da trotz der erreichten Gesamtpunktzahl von 31,5 Punkten weniger als 3 Aufsichtsarbeiten mit mindestens „ausreichend“ bewertet worden seien.

Nach Einsicht in die Prüfungsakte am 24. Februar 2014 legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 11. März 2014 Widerspruch gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14. Februar 2014 ein, den sie unter dem 24. April 2014 mit zum Teil umfangreichen Einwendungen gegen die Bewertungen der W/VR-Klausur, die VA-Klausur, die VR-Klausur, die ZU-Klausur und die ZG-Klausur begründete. Darüber hinaus machte die Antragstellerin geltend, dass der Beurteilungsmaßstab ihres Klausuren-Durchganges dadurch verfälscht worden sei, dass einige Prüflinge die Prüfungsthemen im Voraus erfahren hätten.

Der Antragsgegner übermittelte den Gutachtern die Einwendungen der Antragstellerin jeweils zusammen mit den Klausurbearbeitungen und den bisherigen Voten und teilte der Antragstellerin unter dem 8. Mai 2014 mit, dass eine Entscheidung über ihren Widerspruch im Hinblick auf eine mögliche Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erst nach Abschluss des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens gegen den Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes (LJPA) B. sowie der vom Justizministerium selbst durchgeführten Kontrollen der schriftlichen und mündlichen Prüfungen erfolge, da als Grundlage der Widerspruchsentscheidung zunächst festgestellt werden solle, welche Klausuren bzw. mündlichen Prüfungen in welchen Prüfungsdurchgängen von Verfahrensmängeln betroffen seien. Die jeweiligen Prüfer gaben in der Folge schriftliche Stellungnahmen ab, in denen sie die Einwendungen der Antragstellerin im Wesentlichen zurückwiesen und nach nochmaliger Prüfung jeweils an der bisherigen Bewertung der Klausuren festhielten.

Im Rahmen der Sonderprüfungen aller Klausuren aus dem Zeitraum Herbst 2011 bis Frühjahr 2014 sowie des Strafverfahrens gegen den ehemaligen Referatsleiter PA I. des LJPA B. wurden insgesamt 15 Prüflinge ermittelt, bei denen der konkrete Verdacht bestand, dass sie sich unrechtmäßig die Klausurlösungen vorab verschafft hatten. Hinsichtlich der von der Antragstellerin angefertigten Klausuren wurde bei den ZG, A1, VA und SR-Klausuren von den jeweiligen Prüfern jeweils auch eine Klausur (Kennziffer 9654/13 6) korrigiert, bei der der konkrete Verdacht bestand, dass sich der betreffende Prüfling die Klausurlösungen vorab beschafft hatte. Dessen Leistungen wurden mit 5 Punkten (ZG-Klausur), 6 Punkten (A1-Klausur), 15 Punkten (VA-Klausur) und 6 Punkten (SR-Klausur) bewertet.

Im Januar 2015 forderte der Antragsgegner die jeweiligen Prüfer auf, mitzuteilen, ob sich die Bewertung der Klausur (Kennziffer 9654/13 6), die dem Täuschungsverdacht unterlag, auf die Bewertung der jeweiligen Klausur der Antragstellerin ausgewirkt habe und ob und in welchem Umfang sich die Bewertung der Klausur der Antragstellerin ändere, wenn die betreffende Klausur (Kennziffer 9654/13 6) unberücksichtigt bliebe. Sämtliche Prüfer äußerten sich daraufhin dahingehend, dass sie eine Beeinflussung der Bewertung der Klausur der Antragstellerin durch das Ergebnis der Klausur mit der Kennziffer 9654/13 6 ausschließen könnten.

Der Antragsgegner wies den Widerspruch der Antragstellerin durch Widerspruchsbescheid vom 25. März 2015 zurück. Zur Begründung bezog er sich auf die beigefügten Stellungnahmen der Prüfer und führte ergänzend aus, dass keine beachtlichen Beurteilungsfehler vorlägen. Die Prüfer seien weder von einem falschen Sachverhalt noch von falschen Tatsachen ausgegangen. Ihnen stehe bei der Bewertung der Prüfungsleistungen ein Beurteilungsspielraum zu. Anhaltspunkte für die Befangenheit bestimmter Korrektoren beständen nicht. Ein Verstoß gegen das auf Art. 3 des Grundgesetzes (GG) beruhende Gebot der Chancengleichheit liege nicht vor. Die Korrektoren seien jeweils gesondert zu der Frage angehört worden, ob sich die Korrektur einer Klausur, deren Verfasser die Lösung unrechtmäßig vorab erlangt habe, auf die Bewertung der Klausur der Antragstellerin ausgewirkt habe und hätten dies übereinstimmend verneint. Es habe sich kein Hinweis darauf ergeben, dass die Bewertung der Klausuren der Antragstellerin durch die Bewertung der betreffenden Klausur, deren Verfasser sich unlauterer Mittel bedient habe, negativ beeinflusst worden sei.

Die Antragstellerin hat am 24. April 2015 Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen 6 A 148/15 geführt wird und um vorläufigen Rechtsschutz ersucht. Sie vertieft und ergänzt ihre bereits im Widerspruchsverfahren erhobenen Einwendungen gegen die Bewertungen der einzelnen Klausuren und trägt weiter vor, dass es für die Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit unerheblich sei, ob die Bevorzugung einzelner Prüfungskandidaten zu einer Benachteiligung der anderen Prüfungskandidaten führe. Entscheidend sei allein, dass einem Kandidaten ein Vorteil durch einen Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes bewusst verschafft worden sei, da dieser die Gefahr einer grundlegenden Verfälschung des Gesamtleistungsbildes mit sich bringe. So sei eine Prüfungsentscheidung bereits dann objektiv rechtswidrig, wenn sie aufgrund eines Prüfungsverfahrens getroffen worden sei, in dem ein Prüfling Vorteile genossen habe, die anderen nicht gewährt worden seien und die sich auf die Geeignetheit der Prüfung, Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings festzustellen, auswirken könnten. Wenn einzelne Prüflinge im Voraus erfahren hätten, welche Prüfungsaufgaben zu erwarten seien, sei die betreffende Aufgabe ungeeignet, Gegenstand einer Prüfung zu sein.

Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und trägt vor, dass keine Verzerrung des Beurteilungsmaßstabes bereits darin erblickt werden könne, dass einzelnen Prüflingen die Lösung der Klausur vorab bekannt gewesen sei. Vorliegend sei der Grundsatz der Chancengleichheit nicht verletzt, da innerhalb des Klausuren-Durchganges der Antragstellerin nur die Klausurleistungen eines einzigen Prüflings auf unrechtmäßig erlangten Lösungen beruhten. Hierbei habe sich wiederum nur eine Klausur befunden, die mit 15 Punkten überdurchschnittlich gut bewertet worden sei. Hinsichtlich der übrigen Bewertungen von 5, 6 und 6 Punkten komme eine Verzerrung des Beurteilungsmaßstabes von vorneherein nicht in Betracht. Die mit 15 Punkten bewertete Klausur sei bei der Bewertung der Klausur der Antragstellerin nach den Stellungnahmen der Prüfer nicht berücksichtigt worden, sondern ihre Leistung unabhängig davon beurteilt worden. Da innerhalb des gesamten im Rahmen der Sonderprüfungen untersuchten Zeitraums von zweieinhalb Jahren lediglich 15 Prüflinge im Verdacht ständen, sich unrechtmäßig Klausurlösungen verschafft zu haben, sei auszuschließen, dass sich über den genannten Gesamtzeitraum insgesamt eine Verschiebung des grundsätzlichen Anforderungsprofils ergeben habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie des Strafverfahrens gegen den früheren Referatsleiter PA I. des LJPA C. B. (Aktenzeichen 33 KLs/760 Js 44594/14) verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne von § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtordnung (VwGO) ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist (Anordnungsanspruch), sowie die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 930 der Zivilprozessordnung). Der materielle Anspruch ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Prüfung zu unterziehen, wobei der Antragsteller glaubhaft machen muss, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen.

Bezüglich des Hauptantrages der Antragstellerin, den Antragsgegner zur vorläufigen Neubewertung der Klausuren zu verpflichten, deren Bewertung sie angefochten hat, hat die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Die Bewertung der in Rede stehenden Klausuren der Antragstellerin ist nach der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht zu beanstanden.

Die Bewertung von Prüfungsleistungen unterliegt einer nur eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 17.04.1991 - 1 BvR 419/81 - juris) und des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 24.02.1993 - 6 C 32.92 -, NVwZ 1993, 689; Urteil vom 24.02.1993 - 6 C 35.92 -, NVwZ 1993, 681, jeweils zitiert nach juris) ist bei berufsbezogenen Prüfungen - wie hier der zweiten juristischen Staatsprüfung - zu unterscheiden zwischen Fachfragen und prüfungsspezifischen Wertungen. Bei Fachfragen hat das Gericht darüber zu befinden, ob die von dem Prüfer als falsch bewertete Lösung im Gegenteil richtig oder mit der vorgenommenen Begründung jedenfalls vertretbar ist. Lässt die Prüfungsfrage unterschiedliche Ansichten zu, ist dem Prüfer ein Bewertungsspielraum eingeräumt. Dem Prüfling muss dann aber ein angemessener Antwortspielraum zugestanden werden. Unter Fachfragen sind alle Fragen zu verstehen, die einer fachwissenschaftlichen Erörterung zugänglich sind. Dagegen steht den Prüfern ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Bewertungsspielraum zu, soweit sie prüfungsspezifische Wertungen treffen müssen. Dem liegt das Gebot der vergleichenden Beurteilung von Prüfungsleistungen zugrunde, das letztlich aus dem das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit herzuleiten ist. Prüfer müssen bei ihrem wertenden Urteil von Einschätzungen und Erfahrungen ausgehen, die sie im Laufe ihrer Examenspraxis bei vergleichbaren Prüfungen entwickelt haben. Prüfungsnoten dürfen daher nicht isoliert gesehen werden. Ihre Festsetzung erfolgt in einem Bezugssystem, das von den persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen der Prüfer beeinflusst wird. Die komplexen Erwägungen, die einer Prüfungsentscheidung zugrunde liegen, lassen sich nicht regelhaft erfassen. Eine gerichtliche Kontrolle würde insoweit die Maßstäbe verzerren. Denn in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren eines einzelnen Kandidaten könnte das Gericht die Bewertungskriterien, die für die Gesamtheit vergleichbarer Prüfungskandidaten maßgebend waren, nicht aufdecken, um sie auf eine nur in Umrissen rekonstruierbare Prüfungssituation anzuwenden. Es müsste eigene Bewertungskriterien entwickeln und an die Stelle derjenigen der Prüfer setzen. Dies wäre mit dem Grundsatz der Chancengleichheit unvereinbar, weil einzelne Kandidaten so die Möglichkeit einer vom Vergleichsrahmen der Prüfer unabhängigen Bewertung erhielten.

Soweit den Prüfern danach im Hinblick auf prüfungsspezifische Wertungen ein Bewertungsspielraum verbleibt, hat das Gericht lediglich zu überprüfen, ob die Grenzen dieses Spielraums überschritten worden sind, weil die Prüfer etwa von falschen Tatsachen ausgegangen sind, allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze missachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.10.1993 - 6 C 12/92 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 320, S. 308). Zu diesen prüfungsspezifischen Fragen, die der Letztentscheidungskompetenz der Prüfer überlassen bleiben, gehören insbesondere die Benotung, die Gewichtung verschiedener Aufgaben untereinander, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabenstellung und die Würdigung der Qualität der Darstellung (BVerwG, Beschluss vom 17.12.1997 - 6 B 55/97 -, NVwZ 1998, 738, zit. nach juris).

Nach diesen Maßstäben sind die Beurteilungen der W/VR-Klausur, der VA-Klausur, der VR-Klausur, der ZU-Klausur sowie der ZG-Klausur der Antragstellerin nach summarischer Prüfung bewertungsfehlerfrei.

Bezüglich der Bewertung der W/VR-Klausur trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor, die Korrektoren hätten fälschlicherweise das Fehlen eines Gutachtens bemängelt, das nach dem Merkblatt des Niedersächsischen Justizministeriums „Die Aufsichtsarbeit aus dem Öffentlichen Recht mit einer verwaltungsfachlichen Aufgabenstellung“ jedoch entbehrlich gewesen sei. Dies gelte auch für die Kritik, dass keine Sachverhaltsdarstellung vorgenommen worden sei. Diese sei ebenfalls entbehrlich gewesen, da allein Rechtsansichten streitig gewesen seien. Dass sie die Zulässigkeitsprobleme in einem voran gestellten Vermerk erörtert habe, sei vertretbar und dürfe daher nicht als falsch bewertet werden. Dies gelte auch bezüglich der ausschließlichen Erörterung problematischer Zulässigkeitsfragen. Auch ihr Vorschlag, den Sachbearbeiter per innerdienstlichen Vermerk über den Fortgang der Sache zu informieren sei praxisgerecht und habe deshalb nicht als falsch bewertet werden dürfen.

Dem hält die Antragsgegnerin entgegen, dass der Gutachter weder das Fehlen eines Gutachtens noch kritisiert habe, an welcher Stelle der Klausur Probleme in Vermerkform erörtert worden seien, sondern vielmehr die inhaltlichen Defizite der Bearbeitung angegriffen habe. Eine Sachverhaltsdarstellung sei nach dem von der Antragstellerin zitierten Merkblatt grundsätzlich anzufertigen. Darüber hinaus habe die Antragstellerin nicht alle von dem Gutachter als problematisch angesehen Bereiche der Zulässigkeitsprüfung behandelt. Im Übrigen beträfen die von der Antragstellerin gerügten Punkte gerade nicht die Fehlerschwerpunkte der Klausur.

Nach summarischer Prüfung liegen bezüglich der Bewertung der W/VR-Klausur der Antragstellerin durch die Gutachter D. und E. keine Beurteilungsfehler vor, die eine Neubewertung der Klausur gebieten. Es ist nicht ersichtlich, dass ein vertretbares Vorgehen der Antragstellerin als falsch gewertet wurde. Der Erstbeurteiler D., dessen Urteil sich der Zweitgutachter vollumfänglich angeschlossen hat, hat nachvollziehbar ausgeführt, dass weder der von seinem Lösungsvorschlag abweichende Prüfungsaufbau noch die fehlende Sachverhaltsdarstellung zu der Bewertung der betreffenden Klausur mit der Note „mangelhaft“ beigetragen hätten. Vielmehr war Grundlage für die Bewertung die oberflächliche Bearbeitung der Zulässigkeitsfragen und insbesondere der materiellrechtlichen Problemstellungen. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale der Ermächtigungsgrundlage wurden von der Antragstellerin nicht gründlich geprüft, auch fehlte es an einer überzeugenden Argumentation im Bereich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, die den Schwerpunkt der Klausur bildete.

Die Antragstellerin trägt gegen die Bewertung der VA-Klausur im Wesentlichen vor, dass diese willkürlich erfolgt und Richtiges als falsch gewertet worden sei. So seien bestimmte Wörter unterstrichen und als fehlerhaft gewertet worden, deren Schreibweise laut Duden korrekt sei. Darüber hinaus finde sich auf S. 9 die Randbemerkung „unsubstantiiert, spekulativ“, obwohl an dieser Stelle der gutachterlich-rechtsberatenden Klausur eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Mandantin geboten gewesen sei, wobei der Prüfling davon habe ausgehen dürfen, dass die Informationen der Mandantin vollständig und wahr seien.

Der Antragsgegner entgegnet insoweit, dass der Erstbeurteiler innerhalb seiner Stellungnahme dargelegt habe, dass sich seine Unterstreichungen nicht auf die Rechtsschreibung der Antragstellerin bezögen. Auch in den Ausgangsvoten finde sich kein Hinweis darauf, dass sich die Rechtsschreibung der Antragstellerin negativ auf die Bewertung ausgewirkt habe. Die Prüferkritik auf Bl. 9 sei nicht zu beanstanden, da das Mandantenvorbringen keinen Anlass für die an dieser Stelle dargelegten Überlegungen geboten habe.

Die Kammer kann nach summarischer Prüfung bezüglich der Bewertung der VA-Klausur der Antragstellerin durch die Gutachter F. und G. keine Beurteilungsfehler feststellen. Es ist nicht ersichtlich, dass sich potentielle Rechtsschreibfehler auf die Beurteilung der Klausur ausgewirkt haben. Der Erstgutachter hat vielmehr ausdrücklich dargelegt, dass das Unterstreichen einzelner Wörter keine Wertung als „Fehler“ darstelle. Hinsichtlich der Randbemerkung „unsubstantiiert, spekulativ“ auf S. 9 der Klausurlösung führt der Erstgutachter beanstandungsfrei aus, dass die diesbezüglichen Ausführungen der Antragstellerin nicht überzeugend seien, da diese keine weitergehende Begründung für die dargestellte befürchtete jedoch nach den tatsächlichen Anhaltspunkten fern liegende Gefahr (der Zaun wird abgerissen und treibt bei Hochwasser im Fluss) angeführt habe. Insoweit wird sowohl auf das Erstgutachten als auch die Stellungnahme von Herrn F. im Widerspruchsverfahren (Bl. 53 f. der Verwaltungsakte) Bezug genommen. Schwerpunkt der Kritik der Gutachter, die die Bewertung der Klausur mit der Note „Mangelhaft“ aller Voraussicht nach trägt, ist im Übrigen erkennbar nicht die Wertung der Darstellungen auf Blatt 9 der Klausurlösung, sondern sind weitere schwerwiegende Mängel der Bearbeitung wie insbesondere das verfehlte Prüfungsziel (Vorgehen gegen den Beschluss des VG Hannover vom 4. Oktober 2013), die fehlende Problematisierung der fehlenden vorherigen Anhörung sowie der fehlenden Begründung für die Inkongruenz von Rechtsbehelfs- und Ausführungsfrist sowie der allgemeine Mangel an nachvollziehbarer Argumentation.

Bezüglich der Bewertung der VR-Klausur trägt die Antragstellerin vor, dass nicht existente Fehler beanstandet worden seien und sich der Erst- und Zweitkorrektor widersprächen. So sei die Kritik, es fehle auf Seite 3 der Klausurbearbeitung an einem Bezug zu einer die Freiheit der Berufsausübung begründenden Vorschrift im Grundgesetz, unbegründet, da Art. 12 GG sowohl auf Seite 5 und 6 ausdrücklich genannte werde. Während der Erstkorrektor auf S. 14 der Klausurbearbeitung durch Haken signalisiert habe, dass er die betreffenden Ausführungen als richtig bewerte, habe der Zweitkorrektor an dieser Stelle bemerkt „Das wurde gerade nicht gezeigt!“. Mithin widersprächen sich die Korrektoren und der Zweitkorrektor habe eine im Hinblick auf die Wertung des Erstkorrektors vertretbare Auffassung als falsch bewertet. Darüber hinaus sei die laut Duden korrekte Schreibweise des Wortes „sodass“ fälschlicherweise als Fehler angestrichen worden.

Hierauf erwidert der Antragsgegner, dass sich die Kritik des Korrektors auf Seite 3 der Klausurlösung nicht darauf beziehe, dass Art. 12 GG nicht bzw. erst an späterer Stelle genannt werde, sondern dass es an einer brauchbaren Subsumtion fehle. Ein Widerspruch zwischen den Korrekturen liege nicht vor, vielmehr handele es sich um korrekte Bewertungen unterschiedlicher Punkte der Klausurlösung. Die Rechtschreibung der Antragstellerin sei nicht in die Bewertung der Klausur eingeflossen.

Die Bewertung der VR-Klausur der Antragstellerin durch die Korrektoren H. und I. ist nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Zwar führt der Gutachter H. in seinem Erstvotum an, dass mit der (an späterer Stelle genannten) Berufsfreiheit keine Vorschrift des Grundgesetzes in Verbindung gebracht werde, doch ist der Hauptkritikpunkt die unbrauchbare Subsumtion unter diese Vorschrift, die den Schutzbereich des Grundrechtes und seine rechtlichen Schranken hätte beinhalten müssen. Die Feststellung, dass die Ausführungen der Antragstellerin an dieser Stelle mangels Systematik und konkreten Rechtsbezugs unbrauchbar seien, begegnet keinen Bedenken. Widersprüchliche Wertungen der Korrektoren liegen ausweislich der Stellungnahmen im Überdenkungsverfahren erkennbar nicht vor. Die jeweiligen Randbemerkungen auf Seite 14 der Klausurlösung beziehen sich auf unterschiedliche Punkte. So hat der Gutachter H. erkennbar den zweiten Satz des betreffenden Absatzes mit einem Haken gekennzeichnet, in welchem die Antragstellerin ausführt, dass der diskutierte Auskunftsanspruch nach dem LFGB nicht weitergehender sei als der nach dem VlG und Informationen über konkrete Mängel nicht gewährt werden könnten. Diese Ansicht wird auch von dem Gutachter I. geteilt. Anhaltspunkte dafür, dass mögliche Rechtsschreibfehler in die Beurteilung des Erst- oder Zweitgutachters eingeflossen sind, ergeben sich weder aus den entsprechenden Gutachten noch aus den Stellungnahmen im Überdenkungsverfahren.

In Bezug auf die Bewertung der ZU-Klausur macht die Antragstellerin geltend, dass der als besonders schwerwiegender Fehler gewertete scheinbar bestehende Widerspruch zwischen Tenor und Entscheidungsgründen offensichtlich auf einem Schreibfehler beruhe, was für die Korrektoren problemlos zu erkennen gewesen sei. In der Praxis sei ein solcher offensichtlich Fehler von Amts wegen nach § 319 Abs. 1 ZPO zu berichtigen. An die unter erheblichen Zeitdruck stehenden Prüflinge könnten keine höheren Anforderungen gestellt werden als in der Praxis. Darüber hinaus sei es vertretbar, keine Ausführungen zur Zulässigkeit zu machen, sofern diese unproblematisch sei, so dass es nicht als Fehler habe gewertet werden dürfen, dass sie die Zulässigkeit lediglich im Rahmen eines Einleitungssatzes festgestellt habe.

Dem hält der Antragsgegner entgegen, dass die Kritik der Korrektoren nicht ausschließlich die unterschiedliche Summe in Tenor und Entscheidungsgründen betroffen habe, sondern zahlreiche weitere Fehler des Tenors aufzähle. Soweit die Antragstellerin überhaupt Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage mache bzw. diese feststelle, müsse sie hierzu auch eine knappe Begründung liefern.

Nach summarischer Prüfung liegen bezüglich der Bewertung der ZU-Klausur der Antragstellerin durch die Gutachter J. und K. keine Beurteilungsfehler vor, die eine Neubewertung der Klausur gebieten. Die Kritik der Korrektoren an der Formulierung des Tenors im Hinblick auf den Zinsanspruch und die Nebenentscheidungen ist beanstandungsfrei. Soweit der Zweitkorrektor den durch einen Schreibfehler verursachten Widerspruch zwischen Tenor und Entscheidungsgründen als „schwerwiegenden“ Fehler eingestuft hat, betrifft dies den einer gerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogenen Bewertungsspielraum der Gutachter. Hierzu zählt wie oben dargestellt nicht nur die Frage, mit welcher Punktzahl die Arbeit zu bewerten ist, sondern auch die Gewichtung einzelner Prüfungsteile im Rahmen der gesamten Aufgabenstellung, die Gewichtung der Schwere einzelner Fehler und einzelner positiver Ausführungen sowie der Gesamteindruck der Leistungen des Prüflings (vgl. Niehues/Fischer, a.a.O., RN. 635). Ein Beurteilungsfehler bezüglich der Wertung des Erstkorrektors, dass im Falle der ausdrücklichen Feststellung der Zulässigkeit der Klage eine zumindest knappe Begründung zu liefern wäre, liegt nicht vor. Dies entspricht der auch von der Antragstellerin zitierten Ausbildungsliteratur. Soweit sich die Antragstellerin im Widerspruchsverfahren gegen eine Randbemerkung des Zweitkorrektors auf S. 15 der Klausurbearbeitung gewandt hat, ist auf dessen Ausführungen im Überdenkungsverfahren (Bl. 58 der Verwaltungsakte) Bezug zu nehmen.

Die Antragstellerin rügt die nach ihrer Auffassung willkürliche Bewertung der ZG-Klausur. Zudem bestehe die Besorgnis der Befangenheit der Korrektoren. Der Zweitkorrektor RiLG L. sei Arbeitsgemeinschaftsleiter sowie Ausbilder der Antragstellerin im Rahmen eines Sonderklausurenkurses mit lediglich acht Teilnehmern gewesen. Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft sei von der Antragstellerin eine handschriftliche Proberelation angefertigt worden, im Klausurenkurs zwei Klausuren pro Woche aus dem Themenbereich Zivilrecht. Aus diesem Grund sei dem Zweitkorrektor die Handschrift der Antragstellerin vertraut gewesen. Es bestehe der Verdacht, dass dieser die Korrektur nicht unbefangen vorgenommen habe, da er durch eine diffamierende Email des Ausbilders RiLG M. in eine Auseinandersetzung des Ausbilders mit der Antragstellerin hineingezogen worden sei. Darüber hinaus sei eine vertretbare Lösung zum Umfang von Verkehrssicherungspflichten auf Seite 7 der Klausurbearbeitung als falsch gewertet worden, die im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH stehe. Weiterhin sei auch der Aufbau auf Seite 28 der Klausurbearbeitung bemängelt worden, obwohl dieser vertretbar sei und dem in einer im Klausurenkurs ausgehändigten Lösungsskizze gewählten Aufbau entspreche.

Dem hält der Antragsgegner entgegen, dass sich beide Korrektoren dahingehend geäußert hätten, dass sie das Schriftbild der Antragstellerin nicht hätten zuordnen können. Zudem habe der Zweitkorrektor nicht zahlreiche, sondern nur einzelne Klausuren der Klägerin korrigiert, da in dem genannten Sonderklausurenkurs die Klausuren im Wechsel von unterschiedlichen Korrektoren gestellt und korrigiert worden seien. Die Ausführungen der Antragstellerin bzgl. des Umfanges der Verkehrssicherheitspflichten seien nicht als falsch, sondern als unzureichend gewertet worden. Zudem habe sie an dieser Stelle den Sachverhalt nicht ausreichend ausgewertet. Die Kritik am Aufbau der Klausurlösung sei ebenfalls berechtigt. Die Ausführungen zum Mitverschulden seien in einer Relationsklausur im Rahmen der Schlüssigkeit bzw. Erheblichkeit zu erörtern.

Die Bewertung der ZG-Klausur der Antragstellerin durch die Korrektoren N. und L. ist nach summarischer Prüfung nicht als beurteilungsfehlerhaft anzusehen. Der Erstkorrektor hat die Leistung der Antragstellerin umfassend gewürdigt und seine Beurteilung nachvollziehbar und detailreich begründet. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass seine Bewertung durch sachfremde Erwägungen wie etwa eine persönliche Kenntnis der Antragstellerin beeinflusst wurde. Dass eine persönliche Kenntnis des Zweitkorrektors dessen Beurteilung beeinflusst hat, erscheint bereits auf Grund der Tatsache, dass sich dieser der umfangreichen Beurteilung des Erstgutachters angeschlossen hat, gänzlich unwahrscheinlich. Zudem hat dieser ausdrücklich im Widerspruchsverfahren geäußert, die Verfasserin nicht anhand des Schriftbildes identifizieren zu können. Soweit die Antragstellerin im Widerspruchsverfahren versucht hat, den Verdacht eines Zusammenwirkens der beiden Korrektoren zu ihrem Nachteil auf Grund der persönlichen Kenntnis des Zweitkorrektors ihrer Person im Hinblick auf eine Auseinandersetzung mit einem weiteren Kollegen zu konstruieren, erscheint dies lebensfremd und fernliegend. Es bestehen wie dargelegt keinerlei Anhaltspunkte für eine durch persönliche Befindlichkeiten beeinflusste Korrektur. Bezüglich der Ausführungen der Antragstellerin zu dem Umfang der Verkehrssicherheitspflichten ist festzuhalten, dass die Korrektoren nicht das von ihr gefundene Ergebnis als falsch gewertet, sondern ihre Argumentation als nicht überzeugend angesehen haben. Hinsichtlich der Kritik an dem Aufbau der Klausurlösung der Antragstellerin bzgl. des Mitverschuldens wird auf die überzeugenden Ausführungen der Korrektoren im Widerspruchsverfahren Bezug genommen (Bl. 65 und 67 der Verwaltungsakte).

Die Antragstellerin hat jedoch nach summarischer Prüfung den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf (vorläufige) Wiederholung der ZG-Klausur und der VA-Klausur im Hinblick auf eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit. Bezüglich der ZU-Klausur, der VR-Klausur sowie der W/VR-Klausur besteht ein solcher Anspruch nicht.

Die Wahl eines Prüfungsstoffes ist am Grundsatz der Chancengleichheit zu messen. Dieser in Art. 3 Abs. 1 GG wurzelnde Grundsatz gebietet es, möglichst gleichmäßige äußere Voraussetzungen für alle Prüflinge zu schaffen und ihnen damit gleiche Erfolgschancen einzuräumen. Jede Form der Bevorzugung oder Benachteiligung von Prüfungskandidaten ist verboten; beide Arten der Ungleichbehandlung sind geeignet, den Zweck der Prüfung zu vereiteln und das Prüfungsergebnis zu verfälschen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16.01.1984 - 7 B 169.83 -; vom 23.03.1994 - 6 B 72.93 -; vom 25.04.1996 - 6 B 49.95 -; OVG Münster, Urteil vom 20.11.2012 - 14 A 755/11 - jeweils zitiert nach juris). Der Grundsatz der Chancengleichheit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beispielsweise dann verletzt, wenn ein Prüfling dadurch bevorzugt wird, dass der Prüfer in der Prüfung eine Aufgabe stellt, auf deren Lösung er den Prüfling durch privaten Nachhilfeunterricht besonders vorbereitet hat (BVerwG, Beschluss vom 16.01.1984 a.a.O.) oder der Prüfungsstoff einer mündlichen Prüfung gegenüber einem bestimmten Prüfling vor der Prüfung angekündigt wurde (VGH Mannheim, Beschluss vom 03.04.1987 - 9 S 151/86 - NVwZ 1987, 1013 [VGH Baden-Württemberg 03.04.1986 - 9 S 151/86]).

Das Prüfungsamt ist zudem in den Fällen, in denen auf Grund eines dem Prüfungsamt zuzurechnenden Verhaltens die Prüfungsaufgabe vorher bekannt wird, berechtigt, die Wiederholung der betreffenden Klausur anzuordnen. Eine entsprechende Verpflichtung besteht jedoch nicht, so lange jedenfalls weniger als 10% der Prüflinge die Klausur bereits bekannt war (vgl. Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht - Verfahren, Vermeidbare Fehler, Rechtsschutz, 3. Auflage 2007, RN. 102 unter Verweis auf VG Karlsruhe, Beschluss vom 02.03.2000 - 7 K 533/00 - Veröffentlichung nicht bekannt). Der Prüfling hat kein subjektiv-öffentliches Recht auf Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit als objektiv-rechtliches Gebot (BVerwG, Beschluss vom 03.10.1986 - 7 B 89.86 - juris). Denn es besteht grundsätzlich kein Zusammenhang zwischen einer Täuschung eines Prüflings und den Bewertungen der Leistungen anderer Prüflinge. Das Prüfungsergebnis der anderen wird nicht allein dadurch, dass ein Mitprüfling eine ihm nicht zustehende Note erschlichen hat, unrichtig, denn grundsätzlich sind Prüfungsleistungen allein nach dem absoluten Maßstab ohne Rücksicht auf die Leistungen der Mitprüflinge zu bewerten (OVG Münster, Urteil vom 20.11.2012 a.a.O.). Deswegen besteht kein Anspruch auf eine erneute Prüfung, weil andere Prüflinge eine bessere Examensnote erschlichen haben (BVerwG, Beschluss vom 06.04.1984 - 7 C 26.84 -; vgl. auch VG Aachen, Urteil vom 27.10.2008 - 5 K 845/07 - jeweils zitiert nach juris).

Dies gilt jedoch nur, wenn das eigene Verfahren des Prüflings korrekt verlaufen ist und seine eigenen Prüfungsleistungen ordnungsgemäß bewertet wurden, das heißt, wenn der für die Benotung der Prüfungsleistung anzulegende Beurteilungsmaßstab gleich geblieben und nicht durch möglicherweise auf Täuschungshandlungen zurückzuführende Verschiebungen im Leistungsniveau der Prüflinge beeinflusst wurde. Eine Auswirkung der rechtswidrigen Bevorzugung von Prüfungskandidaten auf die Rechtsmäßigkeit des Prüfungsverfahrens der nicht bevorzugten Prüfungsgruppe könnte dann angenommen werden, wenn die gleichheitsgerechte Bewertung dieser Gruppe auch bei Anwendung des absoluten Prüfungsmaßstabes nicht mehr gesichert wäre (vgl. dazu OVG Münster, a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Denn die Beeinflussung nach absolutem Maßstab wird auch durch relative Elemente mit beeinflusst. Der besonders gute oder schlechte Ausfall einer Prüfung beeinflusst nämlich die Annahme eines Prüfers für diesen Termin, wo - als Basis der Notenbildung - die durchschnittliche Leistung liegt. Die Leistungen der Mitprüflinge lassen Rückschlüsse auf den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe zu, was wiederum die Notengebung beeinflusst. Dementsprechend ist anerkannt, dass es grundsätzlich zulässig ist, die Leistungen der anderen Prüfungsteilnehmer vergleichend heranzuziehen, um eine vernünftige und gerechte Relation der Bewertungen untereinander zu erreichen (s. dazu die Ausführungen im Rahmen des Beurteilungsspielraumes). Daher kann die Bevorzugung einzelner Prüfungskandidaten dann zu einer Benachteiligung der anderen Prüfungskandidaten führen, wenn durch die Bevorzugung die Gefahr einer grundlegenden Verfälschung der vernünftigen und gerechten Relation der Bewertungen untereinander und damit auch eine schlechtere Bewertung der Leistungen der nicht bevorzugten Mitprüflinge besteht. Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Entscheidend ist hierbei vor allem, wie groß die Gruppe der Prüfungskandidaten insgesamt war und wie viele Prüfungskandidaten Vorteile erhalten haben (vgl. OVG Münster, a.a.O. unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 14.06.1963 - VII C 44.62 - BVerwGE 16, 150, 152).

Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 26. Februar 2015 (33 KLs/760 Js 44594/14 (20/14)) gegen Herrn C. B., der seit September 2011 an das Niedersächsische Landesjustizprüfungsamt abgeordnet und dort als Abteilungsleiter PA I eingesetzt war, ist festgestellt worden, dass dieser in mehreren Fällen Referendaren einige Zeit vor der jeweiligen Prüfung Aufgabentexte von Klausuren mit samt den ausschließlich für die Prüfer bestimmten Prüfervermerken oder von ihm selbst entworfenen Lösungsskizzen (regelmäßig gegen die Verschaffung materieller oder immaterieller Vorteile) zur Verfügung gestellt hat. Die durch das Niedersächsische Justizministerium von April 2014 bis Dezember 2014 durchgeführten Sonderprüfungen aller seit September 2011 in Niedersachsen erbrachten Prüfungsleistungen im zweiten Juristischen Staatsexamen haben zudem einen konkreten Verdachtsfall hinsichtlich des unredlichen Erwerbs von Klausursachverhalten und -lösungen im Klausurendurchgang der Antragstellerin im Oktober 2013 ergeben. Hinsichtlich der von der Antragstellerin angefertigten Klausuren wurde bei den ZG, A1, VA und SR-Klausuren von den jeweiligen Prüfern jeweils auch eine Klausur (Kennziffer 9654/13 6) korrigiert, bei der der konkrete Verdacht bestand, dass sich der betreffende Prüfling die Klausurlösungen vorab beschafft hatte. Dessen Leistungen wurden mit 5 Punkten (ZG-Klausur), 6 Punkten (A1-Klausur), 15 Punkten (VA-Klausur) und 6 Punkten (SR-Klausur) bewertet.

Nach summarischer Prüfung ist hinsichtlich der betroffenen angefochtenen Klausuren der Antragstellerin (ZG- und VA-Klausur) der Grundsatz der Chancengleichheit verletzt. Bei einem Umfang von lediglich 15-20 zu korrigierenden Klausuren kann nicht ausgeschlossen werden, dass die vermeintliche Prüfungsleistung des Verfassers bzw. der Verfasserin der Klausur mit der Kennziffer 9654/13 6 die Bewertung der übrigen 14-19 Klausuren beeinflusst hat. Denn die Bewertung einzelner Klausuren ist nicht gänzlich unabhängig von der Leistung der übrigen Prüflinge. Sofern eine juristische Klausur von vielen Prüflingen sehr ordentlich bearbeitet wird, wird zwangsläufig ein strengerer Bewertungsmaßstab angelegt als in den Fällen, in denen die Prüflinge nur gelegentlich ein Problem erkannt und richtig gelöst haben (Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht - Verfahren, Vermeidbare Fehler, Rechtsschutz, 3. Auflage 2007, RN. 104). Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die mit 15 Punkten bewertete VA-Klausur des Kandidaten oder der Kandidatin, der/die sich unrechtmäßige Vorteile verschafft hat, da diese auf den ersten Anschein deutlich überdurchschnittliche Leistung das Bild des Korrektors hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades der zu lösenden Aufgabe und des möglichen Leistungsvermögens der Kandidaten beeinflusst haben kann und es nicht auszuschließen ist, dass bei der Korrektur der übrigen Klausurlösungen und damit auch der VA-Klausur der Antragstellerin, deren Qualität im Vergleich zu der genannten Klausur deutlich abfiel, zumindest unbewusst ein strengerer Maßstab angelegt wurde. Aber auch bezüglich der mit 5 Punkten bewerteten, einem Täuschungsverdacht unterliegenden ZG-Klausur des betreffenden Kandidaten/der betreffenden Kandidatin besteht nach summarischer Prüfung die Möglichkeit der Verzerrung des Beurteilungsmaßstabes. Gerade wenn Kandidaten, die ohne den unredlich erlangten Vorteil die betreffende Klausur nicht hätten lösen können, stattdessen durchschnittliche noch brauchbare Leistungen abliefern, kann bei den Korrektoren der Eindruck einstehen, dass es sich um eine lösbare Aufgabe gehandelt hat und eine leicht schlechtere Lösung wie die der Antragstellerin nicht als ausreichend, sondern als mangelhaft zu bewerten ist. Aus dem beigezogenen Strafverfahren gegen Herrn B. ist der Kammer bekannt, dass insbesondere Kandidaten, die bereits im ersten Versuch die zweite juristische Staatsprüfung nicht bestanden hatten und deren Scheitern im zweiten Versuch wahrscheinlich war, auf das Angebot der Weitergabe von Klausursachverhalten und -Lösungen eingegangen sind, so dass eine Leistungssteigerung des betreffenden Kandidaten bzw. der betreffenden Kandidatin auch dann anzunehmen ist, wenn diese lediglich durchschnittliche Noten mit Hilfe der Vorteilsverschaffung erlangt haben.

Demnach hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch auf Gestattung der (vorläufigen) Wiederholung der betreffenden Klausuren und im Bestehensfalle auf vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung glaubhaft gemacht. Ist das Prüfungsverfahren bezüglich der in Rede stehenden Prüfung rechtswidrig, kommt keine Neubewertung der betreffenden Prüfungsleistung in Betracht, sondern allein die vorliegend hilfsweise beantragte Gestattung, die Prüfung erneut abzulegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.01.1984 a.a.O.).

Insoweit hat die Antragstellerin auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Versagung des begehrten einstweiligen Rechtsschutzes würde zu schweren und unzumutbaren Nachteilen bei der Antragstellerin führen. Denn die vorläufige Nichtzulassung zur Wiederholung der genannten Klausuren und ggf. zur mündlichen Prüfung hätte eine erhebliche Prüfungsverzögerung zur Folge und es ist der Antragstellerin nicht zuzumuten, das Prüfungswissen bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens auf dem aktuellen Stand zu halten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 1996 - 1 BvR 638/96 - juris). Aus den vorgenannten Gründen besteht auch kein Vorwegnahmeverbot der Hauptsache. Ungeachtet der Frage, ob das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache überhaupt im Rahmen der Regelungsanordnung Anwendung findet, würden der Antragstellerin jedenfalls unverrückbare Rechtsnachteile bis zum Ergehen der Hauptsacheentscheidung drohen. Im Übrigen findet bei einer nur vorläufigen Zulassung zur mündlichen Prüfung keine Vorwegnahme der Hauptsache statt, da sich die sog. "Vorwegnahme der Hauptsache" im weit verstandenen Sinne (vgl. hierzu Kopp-Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 123 RN. 14b) nur auf die Zeit der Geltungsdauer der einstweiligen Anordnung bezieht und die Frage der Bedürftigkeit, d. h. Notwendigkeit des Erlasses der einstweiligen Anordnung sich bereits aus dem Anordnungsgrund hinreichend ergibt. Eine wirkliche (echte) Vorwegnahme der Hauptsache findet nur dann statt, wenn für die Zukunft irreversible Fakten geschaffen werden, die einstweilige Anordnung die Hauptsacheentscheidung also gegenstandslos macht (vgl. Kopp/Schenke, VwG0, a.a.O., § 123 Rdnr. 14 b, 14 c). Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall, da die Antragstellerin durch die vorläufige Zulassung zur Wiederholung der betreffenden Klausuren und möglicherweise zur mündlichen Prüfung nur eine ungesicherte Rechtsposition erlangt. Denn es ist im Hauptsacheverfahren weiterhin notwendig zu klären, ob die Bewertung der betreffenden Klausuren der Antragstellerin unter Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit erfolgte, weil die Zulassung zur Wiederholung der Klausuren nur unter dem Vorbehalt der endgültigen Entscheidung ergeht. Unterliegt die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren, entfällt die vorläufig eingeräumte Rechtsposition rückwirkend, so dass im Ergebnis die Hauptsache  - auch wenn für den Zeitpunkt der Geltungsdauer der einstweiligen Anordnung (Interimszeitraum) die gerichtliche Zwischenregelung maßgeblich ist - dauerhaft jedenfalls nicht vorweggenommen wird (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1993 - 6 C 20/92 - ; VG Schwerin, Beschluss vom 17. November 2000 – 7 B 859/00 – juris Rn. 39)

Vorliegend ist es zur Überzeugung der Kammer nicht zu einer Verfälschung des Beurteilungsmaßstabes bezüglich der Korrektur der übrigen angefochtenen Klausuren der Antragstellerin gekommen, so dass es insoweit an einem Anordnungsanspruch fehlt. Denn es bestehen zum einen keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass die Korrektoren, die die ZU, VR und W/VR-Klausur der Antragstellerin korrigiert haben, auch solche Klausuren zu beurteilen hatten, deren Verfasser sich unrechtmäßige Vorteile verschafft haben. Die durch das Niedersächsische Justizministerium von April 2014 bis Dezember 2014 durchgeführten Sonderprüfungen aller seit September 2011 in Niedersachsen erbrachten Prüfungsleistungen im zweiten Juristischen Staatsexamen haben keine weiteren Verdachtsfälle hinsichtlich des unredlichen Erwerbs von Klausursachverhalten und -lösungen im Klausurendurchgang der Antragstellerin ergeben. Die Kammer sieht auch keine Veranlassung, das Ergebnis der Überprüfung sämtlicher 1822 Examensarbeiten auf Übereinstimmungen mit den jeweiligen Lösungsskizzen und andere Hinweise auf Täuschungshandlungen anzuzweifeln. Die Übergabe der Prüfungsmaterialen erforderte nach den Erkenntnissen der Kammer aus dem Strafverfahren gegen Herrn B. stets einen erheblichen Organisations- und Geheimhaltungsaufwand unter Verwendung nicht-registrierter Prepaid-Handys und Treffen an unverdächtigen Orten, so dass ein Wissens-Transfer „zwischen Tür und Angel“ ausgeschlossen erscheint. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Kandidaten, die sich die Klausurlösungen teilweise unter Aufbringung erheblicher finanzieller Mittel oder im Rahmen sexueller Beziehungen zu dem Beschuldigten B. verschafft hatten und sich damit des erheblichen Risikos einer Entdeckung und Aberkennung der Examensleistung nach § 15 Abs. 2 NJAG begeben haben, bereit waren, die jeweiligen Lösungen oder Teile davon an andere Kandidaten weiterzugeben und das Risiko einer Entdeckung damit zu vergrößern. Eine Häufung von unerwartet überdurchschnittlichen oder besonders ähnlichen Klausurlösungen hätte ein solches Risiko erheblich erhöht.

Zum anderen ist eine Verfälschung des Beurteilungsmaßstabes über den Klausurendurchgang der Antragstellerin hinaus ebenfalls nicht anzunehmen. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die jeweiligen Gutachter in dem begrenzten Zeitraum zwischen September 2011 und Juli 2013 eine oder auch mehrere Klausuren korrigiert haben, die von den oben dargestellten Unrechtmäßigkeiten betroffen waren, doch kann hieraus nicht auf eine durchgreifende Beeinflussung ihres Beurteilungsmaßstabes für spätere Zeiträume wie den Klausurdurchgang der Antragstellerin im Oktober 2013 geschlossen werden. Nach den oben dargestellten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann die Bevorzugung einzelner Prüfungskandidaten dann zu einer Benachteiligung der anderen Prüfungskandidaten führen, wenn durch die Bevorzugung die Gefahr einer grundlegenden Verfälschung der vernünftigen und gerechten Relation der Bewertungen untereinander und damit auch eine schlechtere Bewertung der Leistungen der nicht bevorzugten Mitprüflinge besteht. Entscheidend sind hierbei die Umstände des Einzelfalles, insbesondere, wie groß die Gruppe der Prüfungskandidaten insgesamt war und wie viele Prüfungskandidaten Vorteile erhalten haben. Vorliegend kann angesichts der geringen Anzahl der betroffenen Klausuren innerhalb einer Vergleichsgruppe von mehreren Hundert rechtmäßig erbrachten Prüfungsleistungen, unabhängig von der Frage, ob einer der im vorliegenden Fall tätigen Gutachter überhaupt mit einer betroffenen Klausur befasst war, nicht angenommen werden, dass sich die persönlichen Bewertungskriterien der jeweiligen Prüfer nachhaltig verschoben haben.

Nach obigen Ausführungen waren die in von der Antragstellerin im Übrigen zu bearbeitenden Fallgestaltungen (ZU, VR und W/VR-Klausur) auch geeignet, die Kandidaten, die das Ausbildungsziel erreicht haben, von denen zu unterscheiden, die es nicht erreicht haben. Ob eine Prüfungsaufgabe geeignet ist, das Fachwissen und die fachliche Qualifikation eines Kandidaten zu erfragen, hängt auch davon ab, ob und inwieweit der Prüfling die zutreffende Lösung kannte. Wenn einzelne Kandidaten im Voraus erfahren haben, welche Prüfungsaufgaben zu erwarten sind, etwa wenn die Aufgaben zuvor von Mitgliedern des Prüfungsamtes mit einem Teil der Prüflinge besprochen worden sind, kann nicht nur der Grundsatz der Chancengleichheit verletzt sein, sondern die betreffende Aufgabe zudem auch ungeeignet sein, Gegenstand einer Prüfung zu sein, da den betreffenden Kandidaten lediglich eine Gedächtnis- oder Abschreibeleistung abverlangt wird, die nicht geeignet ist, die Kandidaten, die das Ausbildungsziel erreicht haben, von denen zu unterscheiden, die dies nicht erreicht haben (BVerwG, Urteil vom 09.08.1996 - 6 C 3.95 - juris). Dies gilt beispielsweise dann, wenn ein Examensfall zuvor in einem Repetitorium besprochen wurde und damit einem erheblichen Teil der Kandidaten bekannt war (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage 2014, RN. 381). Eine solche Fallgestaltung ist vorliegend nicht gegeben. Wie oben dargestellt, ist nach den Sonderprüfungen des Beklagten davon auszugehen, dass die Sachverhalte der übrigen von der Antragstellerin anzufertigenden Klausuren nicht weitergegeben bzw. nicht verwendet wurden und sie als Prüfungsaufgaben geeignet waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.