Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 14.10.1993, Az.: 1 U 16/93
Ersatz des Wiederbeschaffungswertes eines Fahrzeuges zum Unfallzeitpunkt abzüglich dessen Restwertes aufgrund eines Unfallereignisses; Totalschaden an einem PKW aufgrund des Zusammenstoßes mit einem Reh; Erstattung von Rettungskosten zur Vermeidung eines Zusammenstoßes eines Kraftfahrzeugs mit Haarwild
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 14.10.1993
- Aktenzeichen
- 1 U 16/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1993, 23062
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1993:1014.1U16.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Braunschweig - 16.02.1993 - AZ: 10 O 240/92
Rechtsgrundlagen
- § 256 ZPO
- § 7 Abs. 1 S. 2 AKB
- § 8 Abs. 1 AKB
- § 14 AKB
- § 62 Abs. 1 S. 1 VVG
- § 63 Abs. 1 S. 1 VVG
Fundstellen
- NJW-RR 1994, 1447-1448 (Volltext mit red. LS)
- VersR 1994, 1293-1294 (Volltext mit red. LS)
- zfs 1995, 21-22 (Volltext)
Verfahrensgegenstand
Feststellung der Leistungspflicht aus einem Versicherungsvertrag
...
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
... des Oberlandesgerichts ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. September 1993
für Recht erkannt:
Tenor:
Aufgrund der Berufung des Klägers wird das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 16. Februar 1993 abgeändert.
Es wird festgestellt, daß der Beklagte aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Teilkaskoversicherungsvertrages Nr. ... betreffend den Pkw ... verpflichtet ist, dem Kläger den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs zum Unfallzeitpunkt abzüglich des Restwertes aufgrund des Unfallereignisses vom 21.06.1991 zu ersetzen.
Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer des Beklagten sowie der Berufungsstreitwert betragen 12.000,00 DM.
Tatbestand:
Zwischen den Parteien besteht ein Fahrzeugteilversicherungsvertrag hinsichtlich des Pkw ... des Klägers. Am Abend des 21.06.1991 befuhr der Bruder des Klägers, der Zeuge ... mit dem Fahrzeug die Bundesstraße 248 aus Richtung Autobahn 39 in Richtung .... In Höhe des Kilometersteins 29,5 kam er mit dem Fahrzeug nach links von der Fahrbahn ab.
Der Kläger behauptet, sein Bruder sei mit dem Wagen verunglückt bei dem Versuch, einem Reh auszuweichen, das plötzlich von rechts nach links die Fahrbahn überquert habe. Durch das Ausweichen sei der Zusammenstoß verhindert worden. An dem Fahrzeug sei infolge des Unfalls wirtschaftlicher Totalschaden entstanden. Der Kläger meint, der Beklagte sei unter dem Gesichtspunkt der Rettungspflicht gehalten, den Schaden zu ersetzen. Die Zulässigkeit der Feststellungsklage ergebe sich aus Gründen der Prozeßökonomie. Die Bezifferung der Schadenshöhe sei dem Kläger nicht möglich, da der Beklagte es unterlassen habe, ein Gutachten einzuholen.
Der Beklagte bestreitet den Unfallverlauf mit Nichtwissen. Er hält die Feststellungsklage für unzulässig und außerdem für unbegründet. Seine Leistungspflicht entfalle auch deshalb, weil der Kläger eine zur Leistungsfreiheit führende Obliegenheitsverletzung begangen habe. Er habe nämlich entgegen seiner Zusage keine Fotos und sonstige Schadensunterlagen vorgelegt, so daß für den Beklagten keine Möglichkeit bestanden habe, sich davon zu überzeugen, ob tatsächlich ein Totalschaden vorlag.
Von der Darstellung des weiteren Tatbestandes wird gem. §543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
Die gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts vom Kläger eingelegte Berufung ist zulässig und begründet.
1.
Das nach §256 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der erhobenen Feststellungeklage ist gegeben, auch wenn der Kläger seinen Schaden vorprozessual (z. B. Schreiben vom 11.09.1991) mit etwa 17.000,00 DM beziffert hat.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß das Feststellungsinteresse nicht ausnahmslos dann verneint werden kann, wenn eine entsprechende Leistungsklage erhoben werden könnte. In diesem Fall sind Gründe der Prozeßwirtschaftlichkeit und der Vereinfachung des Verfahrens von entscheidender Bedeutung. Aber immer dann, wenn die Durchführung eines Feststellungsverfahrens nach den Besonderheiten des Falles zu einer abschließenden oder prozeßwirtschaftlich sinnvollen Entscheidung der zwischen den Parteien bestehenden Streitigkeiten führen kann, werden gegen die Zulässigkeit dieses Feststellungsverfahrens keine prozessualen Bedenken bestehen (BGH VersR 1956, 477, 478; NJW 1951, 887, 888 [BGH 06.06.1951 - II ZR 24/50]) [BGH 06.06.1951 - II ZR 24/50]. Derartige prozeßökonomische Gründe für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage werden auch anerkannt im Deckungsprozeß gegen die Versicherung, denn es ist zu erwarten, daß eine Versicherungsgesellschaft, sofern ihre Leistungspflicht rechtskräftig festgestellt ist, es nicht auf einen weiteren Prozeß über die Höhe der Entschädigung ankommen lassen wird, sondern ihre Verpflichtung allein aufgrund des Feststellungsurteils erfüllt (vgl. Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 15. Aufl., AKB §8 Rdnr. 104 m.w.N.). Begründet wird diese Ansicht vor allem mit den in den Versicherungsbedingungen (z.B. §14 AKB) vorgesehenen außergerichtlichen Sachverständigenverfahren über die Höhe eines Schadens; dieses Verfahren führe schneller als eine gerichtliche Beweiserhebung, also ebenso zuverlässig und außerdem ohne Kostenrisiko zu einer Wertfeststellung, der ein Versicherer auch folge; daher liege es gerade nicht im Interesse des Geschädigten, eine auf mehr oder weniger unsicheren Wertschätzungen basierende Leistungsklage zu erheben (vgl. z.B. OLG Hamm, VersR 1982, 641, 642; Stiefel/Hofmann, a.aO., AKB §14, Rdnr. 8 m.w.N.). Die Feststellungsklage ist in derartigen Fällen also auch dann zulässig, wenn der Schaden beziffert werden könnte.
Ein derartiger Fall ist vorliegend gegeben. Der Kläger behauptet unter Beweisantritt, er habe den Beklagten vor Klageerhebung zur Erstattung eines Gutachtens aufgefordert. Der Beklagte bestreitet das nicht. Der tatsächlich eingetretene Umfang des Schadens mag im weiteren außergerichtlichen oder auch gerichtlichen Verfahren ermittelt werden unter Berücksichtigung z.B. der in der Unfallanzeige sowie in den beiden vom Kläger vorgelegten Kaufverträgen enthaltenen Angaben zu den technischen Daten und zu den vereinbarten Preisen. Dieses künftige Verfahren gilt vor allem der Ermittlung des Restwerts des Wagens sowie der Prüfung der Frage, ob ein wirtschaftlicher Totalschaden entstanden ist, wie der Kläger behauptet.
Der Beklagte kann das Feststellungsinteresse auch nicht mit seinem wenig substantiellen Vorbringen in Frage stellen, der Kläger habe trotz eines telefonischen Hinweises durch einen Sachbearbeiter des Beklagten keine weiteren Unterlagen über den behaupteten Unfall eingereicht. Der Beklagte hat seinem Vorbringen zufolge anschließend Versicherungsschutz dem Grunde nach abgelehnt. Nach §8 Abs. 1 AKB mußte der Kläger seinen Versicherungsanspruch daraufhin zur Vermeidung des Verlustes innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend machen. Dies kann er aber nicht nur durch eine Leistungsklage, sondern auch durch eine Feststellungsklage tun (vgl. Stiefel/Hofmann, a.a.O., AKB §14, Rdnr. 8 m.w.N.).
2.
Die Klage ist auch begründet. Materielle Anspruchsgrundlage sind die §§62 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 1 Satz 1 VVG. Danach ist der Versicherungsnehmer im Versicherungsfall verpflichtet, nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen; Aufwendungen, die er zu diesem Zweck macht, fallen dem Versicherer auch dann zur Last, wenn sie erfolglos bleiben, soweit aber der Versicherungsnehmer sie den Umständen nach für geboten halten durfte. Der Bundesgerichtshof hat anerkannt, daß die in §62 Abs. 1 Satz 1 VVG normierte Rettungspflicht in der Sachversicherung nicht voraussetzt, daß der Versicherungsfall bereits eingetreten ist. Es genügt vielmehr, daß dieser unmittelbar bevorsteht. Für die Erstattung von Rettungskosten zur Vermeidung eines Zusammenstoßes eines Kraftfahrzeugs mit Haarwild kommt es auch nicht darauf an, ob der Versicherungsnehmer selbst oder ein berechtigter Fahrer die Rettungstätigkeit ausgeübt hat (BGH VersR 1991, 459, 460[BGH 20.02.1991 - IV ZR 202/90] = DAR 1991, 261, 262 [BGH 20.02.1991 - IV ZR 202/90]) [BGH 20.02.1991 - IV ZR 202/90]. Diese Ansicht hat der BGH damit begründet, daß der Versicherungsnehmer nach §62 Abs. 1 VVG schon "bei" dem Eintritt des Versicherungsfalls "für die Abwendung und Minderung des Schadens" tätig werden müsse und nicht erst nach Eintritt des Versicherungsfalles. Voraussetzung eines Ersatzanspruchs ist allerdings, daß der Versicherungsnehmer substantiiert darlegt und ggf. auch beweist, daß die in den genannten Vorschriften im übrigen aufgeführten Voraussetzungen gegeben sind, vorliegend also insbesondere, daß der Bruder des Klägers gebremst hat, um einem Reh oder einem anderen Haarwild auszuweichen.
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, daß der Bruder des Klägers tatsächlich mit dem Fahrzeug verunglückt ist, weil er einem Reh ausweichen wollte.
Allerdings ist nicht zu verkennen, daß einige Umstände vorhanden sind, die gegen die Richtigkeit der Behauptung des Klägers sprechen könnten: Bereits das Landgericht hat darauf hingewiesen, daß der Zeuge ... als Fahrer des Wagens auch ein Eigeninteresse daran hat, daß als Ursache des Unfalls von einem Ausweichen vor dem Haarwild ausgegangen werde. Die Berücksichtigung dieses Umstandes ist ebensowenig unzulässig wie der Hinweis, daß der Zeuge der Bruder des Klägers ist. Sodann könnte durchaus die Vermutung entstehen, daß der Zeuge ... infolge überhöhter Geschwindigkeit die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und deshalb nach links von der Fahrbahn abgekommen ist, und zwar ohne durch ein Reh oder ein anderes Tier zum Bremsen und Herumreißen des Lenkrades veranlaßt worden zu sein. Denn der Zeuge hat die zu dieser Zeit verhältnismäßig selten befahrene Straße bei Dunkelheit - der Unfall ereignete sich nach 23.00 Uhr - und Regenwetter befahren und ist im Ausgang einer relativ scharfen Rechtskurve nach links von der Fahrbahn abgekommen.
Indessen erscheinen die Angaben, die der Zeuge ... von dem Unfallgeschehen gemacht hat, glaubhaft. Gesichtspunkte, die die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Frage stellen könnten, sind nicht ersichtlich. Der Zeuge hat bei seiner erneuten Vernehmung durch den Senat ausgesagt, er sei auf der ihm gut bekannten Strecke betont vorsichtig gefahren und habe mitten in der Kurve plötzlich ein Reh im Lichtkegel der Scheinwerfer gesehen, das etwa 10 Meter entfernt von rechts in Trabgeschwindigkeit die Fahrbahn überquert und sich etwa in der Mitte der Fahrbahn befunden habe. Infolge eines heftigen Schrecks und seiner reflexartigen Bewegungen - sofortiges extrem starkes Bremsen verbunden mit Lenken zunächst nach rechts und nach Ausbrechen des Fahrzeughecks nach links sodann nach links - sei er dann gegen ein neben der linken Fahrbahnhälfte stehendes Schild gefahren und anschließend die Böschung hinuntergerutscht. Diese Unfallschilderung des Zeugen ist in sich stimmig und daher glaubhaft. Gegen sie spricht auch nicht der Umstand, daß sich rechts neben der Straße ein Zaun befindet, sodaß es unmöglich oder zumindest sehr unwahrscheinlich wäre, daß sich dort ein Reh aufhält und auf die andere Straßenseite läuft. Denn nach der eingeholten amtlichen Auskunft des Polizeireviers ... vom 18.08.1993 ist dieser ca. 2,50 Meter hohe Zaun ungefähr 15 Meter von der Fahrbahnkante entfernt. Die dem Bericht beigefügten Farbfotos zeigen außerdem, daß der Streifen bis zu diesem Zaun mit hohem Gras, Büschen und Bäumen dicht bewachsen ist. Unter diesen Umständen ist es durchaus möglich, daß sich in diesem Streifen auch Wild aufhält, das möglicherweise zuvor aus dem Gelände links neben der Straße gekommen ist und, da der weitere Weg nach rechts durch den Zaun versperrt ist, über die Straße dorthin zurückkehrt. Für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen ... spricht auch, daß der Zeuge bei seiner Vernehmung durch den Senat von sich aus und ohne daß der Kläger dies vorher behauptet hätte angegeben hat, das Reh habe sich, als er es erblickt habe, etwa in der Mitte der Fahrbahn befunden und habe sich in Trabgeschwindigkeit nach links bewegt. Dieser Teil der Zeugenaussage führt zu einem rechtlichen Problem, bei dessen Lösung der Kläger durchaus Nachteile hätte befürchten müssen, wenn er und sein Bruder dessen Aussage vorher abgesprochen hätten. Die Einzelheiten werden im nächsten Abschnitt dargestellt werden.
Entgegen der Annahme des Landgerichts wird die Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen Dannheim auch nicht dadurch beeinträchtigt, daß der Zeuge nach dem Unfall erst eine erhebliche Strecke zu Fuß zur Wohnung des Klägers gegangen ist und erst anschließend die Polizei verständigt hat. In jener Gegend ist nachts nicht viel Verkehr, wie die Polizeibeamten ... und ... als Zeugen bestätigt haben. Der Zeuge ... hat außerdem die Entfernung zwischen der Unfallstelle und dem Ortskern von ... - dort wohnt der Kläger - mit etwa 2 km angegeben. Für diese Strecke hat der Zeuge ... nach seinen Bekundungen ungefähr eine halbe Stunde gebraucht; allerdings sei er dabei über die Wiesen gelaufen. Unter Berücksichtigung dieser Zeit- und Entfernungsangaben erscheint die weitere Aussage des Zeugen ... nachvollziehbar, er sei sogleich nach dem Unfall zur Wohnung seines Bruders gegangen, um von dort die Polizei zu verständigen.
3.
Die Reaktion des Zeugen ... als er das Reh in nur etwa 10 Meter Entfernung plötzlich mitten auf der Fahrbahn bemerkte, war nach der eigenen Einschätzung des Zeugen falsch. Der Zeuge hätte nämlich, wie er ausgesagt hat, rechts bleiben und an dem Reh vorbeifahren können. Das Reh bewegte sich immerhin in Trabgeschwindigkeit und hatte bereits die Hälfte der Fahrbahn überquert, als der Zeuge es zuerst sah. Daß ein Ausweichen nach rechts möglich gewesen wäre, ist dem Zeugen, wie er weiter bekundet hat, allerdings erst hinterher richtig bewußt geworden. Damit stellt sich die Frage, ob ein Versicherungsanspruch wegen einer Rettungshandlung auch dann besteht, wenn das konkrete Verhalten des Versicherungsnehmers oder des berechtigten Fahrers objektiv falsch war, aber subjektiv geschah, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Diese Frage ist zu Gunsten des Klägers zu beantworten. Nach dem Wortlaut von §63 Abs. 1 Satz 1 VVG muß der Versicherer alle Aufwendungen erstatten, die der Versicherungsnehmer zur Abwendung oder Minderung des Schadens macht, auch wenn sie erfolglos bleiben, "soweit der Versicherungsnehmer sie den Umständen nach für geboten halten durfte". Wenn der Versicherungsnehmer oder der berechtigte Fahrer also eine Rettungsmaßnahme subjektiv gewollt haben, es aber an der objektiven Eignung für diesen Zweck fehlt, werden die Rettungskosten ersetzt, soweit der Fahrer schuldlos oder nur leicht fahrlässig gehandelt hat (Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl. 1992, W II Rdnr. 24 (S. 1589); Prölss/Martin - Voit, VVG, 25. Aufl. 1992, §63 Anm. 2 a; auch OLG Bremen, VVGE, §63 VVG Nr. 1). Kur bei grober Fahrlässigkeit ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen. Die Formulierung "für geboten halten durfte" spricht zwar auch bei leichter Fahrlässigkeit gegen eine Ersatzpflicht. Es wäre jedoch mit §62 Abs. 2 VVG nicht zu vereinbaren, einen Ersatzanspruch wegen Unterlassens jeglicher Rettungsmaßnahmen erst bei grober Fahrlässigkeit auszuschließen, bei falscher Beurteilung der Eignung einer zu ergreifenden Maßnahme dagegen bereits bei leichter Fahrlässigkeit (BGH VersR 1977, 709, 711; Martin, a.a.O.; Prölss/Martin - Voit, a.a.O.). Ein Versicherungsanspruch besteht also auch dann, wenn die Rettungshandlung zwar objektiv nicht notwendig oder sogar falsch, jedoch subjektiv gewollt war, sofern den Fahrer für sein Verhalten keine grobe Fahrlässigkeit trifft.
Der Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens kann dem Zeugen ... nicht gemacht werden. Der Zeuge hat glaubhaft ausgesagt, er habe, als er das Reh bemerkt habe, einen heftigen Schreck bekommen und reflexartig versucht, zunächst nach rechts auszuweichen und habe dann, als das Fahrzeug von der Fahrbahn abzukommen drohte, nach links gegengesteuert. Er habe auch zugleich extrem stark gebremst. Seine reflexartige Reaktion habe sich vielleicht noch dadurch verstärkt, daß ihm irgendwie bewußt geworden sei, daß es nicht sein Fahrzeug und daß der Wagen außerdem sehr teuer gewesen sei. Der Zeuge hat seiner Einlassung zufolge auf jeden Fall einen größeren Schaden vermeiden wollen. Erst hinterher sei ihm dann richtig bewußt geworden, daß er auch einfach rechts an dem Reh hätte vorbeifahren können, ohne außerdem die von ihm beschriebene Lenkbewegung zu machen. Das Verhalten des Zeugen stellte also die sofortige Reaktion auf ein plötzlich auftretendes Ereignis im Straßenverkehr dar und begründet allenfalls den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit. Keinesfalls kann festgestellt werden, daß der Zeuge die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, also schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und das nicht beachtet hätte, was in der konkreten Situation jedem hätte einleuchten müssen, wie es Voraussetzung für grobe Fahrlässigkeit wäre (ständige Rechtsprechung, z.B. BGH, VersR. 1983, 1011; NJW 1980, 886, 888 [BGH 06.07.1979 - I ZR 96/77]). Treffend hat der Zeuge gesagt, es sei eben vorrangig der Schreck gewesen, der sein Verhalten bestimmt habe. Ein - wenn auch möglicherweise vorwerfbares - Verhalten in einer derartigen Situation kann nicht als grobe Fahrlässigkeit angesehen werden.
4.
Der Beklagte macht hilfsweise Leistungsfreiheit wegen Verletzung einer Obliegenheitspflicht durch den Kläger geltend. Auch diese Einwendung des Beklagten ist nicht begründet. Nach §7 I 2 AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann. Eine Verletzung dieser Mitwirkungspflicht führt zur Leistungsfreiheit des Versicherers (§7 V 4 AKB, §6 Abs. 3 VVG). Der Beklagte begründet die Obliegenheitsverletzung mit der Behauptung, der Kläger habe telefonisch angekündigt, er werde Schadensunterlagen und Fotos vorlegen, nachdem der Beklagte zuvor mitgeteilt gehabt habe, er könne im Rahmen der Teilkaskoversicherung nur den Glasbruch abwickeln. Unabhängig davon, daß der Kläger bestreitet, er habe sich zur Vorlage weiterer Unterlagen bereit erklärt, ist folgendes zu berücksichtigen: Der Beklagte räumt selbst ein, seine grundsätzliche Einstandspflicht für den geltend gemachten Unfall in Abrede genommen und sich lediglich zur Regulierung des Glasschadens bereit erklärt zu haben. Unter diesen Umständen ist nicht zu erkennen, aus welchem Grund der Kläger an der Aufklärung des Unfalls noch weiter hätte mitwirken müssen. Obliegenheitsverletzungen führen deshalb zum Haftungsausschluß, weil dadurch die Überprüfung eines Versicherungsfalls erschwert oder sogar ausgeschlossen wird. Ein derartiges Verhalten ist dem Kläger nicht vorzuwerfen, nachdem der Beklagte seine Einstandspflicht bereits vorher abgelehnt und allenfalls für den Glasschaden in Aussicht gestellt hatte.
5.
Als unterliegende Partei trägt der Beklagte die Kosten des gesamten Rechtsstreits, §91 ZPO. Die Modifizierung des Klageantrags in der Senatsverhandlung ist kostenrechtlich ohne Bedeutung. Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§546 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO.