Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 20.08.1986, Az.: 2 U 95/86
Auszahlung eines Teilbetrages der Versicherungsleistung aus einer Unfallversicherung; Tod wegen des Absturzes eines Flugzeuges; Vorliegen der Fluggasteigenschaft trotz Beteiligung an den Startvorbereitungen und am Führen des Flugzeuges
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 20.08.1986
- Aktenzeichen
- 2 U 95/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1986, 23482
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1986:0820.2U95.86.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Aurich - 12.03.1986 - AZ: 2. O. 1310/85
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs. 3a Nr. 1 AUB
- § 4 Abs. 4 AUB
Fundstelle
- NJW-RR 1986, 1474 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
...
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 1986
unter Mitwirkung des
Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht xxx,
des Richters am Oberlandesgericht xxx und
des Richters am Landgericht xxx
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12. März 1986 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Aurich geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer der Kläger beträgt 5.200,-- DM.
Tatbestand
Die Kläger verlangen von der Beklagten die Auszahlung eines Teilbetrages der Versicherungsleistung aus einer zu ihren Gunsten abgeschlossenen Unfallversicherung ihres Sohnes xxx.
Der damals 32-jährige Sohn der Kläger kam am xxx Januar xxx zusammen mit dem Piloten xxx und dem Passagier xxx bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Er hatte bei der Beklagten - unter Bezugnahme auf die AUB - eine Unfallversicherung abgeschlossen, wonach die Kläger bei einem Unfall mit 60.000,-- DM bezugsberechtigt sind. Die Parteien streiten darüber, ob xxx bei dem Absturz des Flugzeugs Fluggast im Sinne von § 4 Abs. (3) a Nr. 1 AUB gewesen ist.
xxx war von Beruf xxx und Inhaber einer Apotheke sowie einer Drogerie in xxx. Mit 1/3 Anteil war er geschäftsführender Gesellschafter der eingetragenen "xxx Flugzeug xxx GmbH", der Halterin des Flugzeugs, mit dem er abgestürzt ist. xxx besaß eine Privatpilotenlizenz, die jedoch nicht zum Führen des abgestürzten Flugzeugmusters berechtigte. Ferner war er Inhaber einer Funksprechlizenz.
Für den Tag des Absturzes hatte xxx den Transport von 39 Kartons Medikamenten vom Flugplatz xxx nach xxx geplant. Den Transport wollte er selbst begleiten, da er zugleich mit Geschäftspartnern in xxx verhandeln wollte. Durchgeführt werden sollte der Transport mit einem zweimotorigen Flugzeug, Fabrikat xxx vom Typ "xxx" der xxx Flugzeug xxx-GmbH, einer Maschine, die von zwei Piloten, aber auch von einem Piloten geflogen werden konnte und durfte. Für den Flug waren der bei der GmbH angestellte Flugzeugführer xxx als Pilot sowie der Flugzeugführer xxx als Co-Pilot vorgesehen.
Ziel und Zweck des Fluges mußten geändert werden, weil am Tage vor dem Abflug der Kaufmann xxx das Flugzeug für einen Flug als Passagier von xxx nach xxx charterte. Anstatt eines Direktfluges von xxx nach xxx sollte nunmehr der Flug über xxx durchgeführt werden.
Die Maschine war am morgen des 16.1.1981 so beladen, daß auf den Plätzen hinter dem Co-Piloten lediglich noch der Passagier xxx Platz fand. xxx blieb deshalb keine andere Sitzgelegenheit als der Platz des Co-Piloten neben dem Flugzeugführer xxx. Der als Co-Pilot vorgesehene xxx flog deshalb mangels Platzes nicht mit. Nach dem Start um 7.32 Uhr Ortszeit stürzte die Maschine nach einer Flugdauer von ca. drei Minuten ab, nachdem aus der Maschine nur noch der Funkspruch gekommen war: "Wir haben einen Notfall, wir kommen zurück".
Die Kläger haben behauptet: Ihr Sohn habe lediglich als Gesellschafter der xxx GmbH Anweisung zum Tanken gegeben und mit dem verantwortlichen Flugzeugführer gemeinsam das Checking durchgeführt. Der vor dem Start geführte Funksprechverkehr der Maschine mit dem Flugleiter sei von dem Piloten xxx und nicht von ihrem Sohn durchgeführt worden. Soweit der Flugleiter xxx im Zuge der Ermittlungen zur Aufklärung des Unfalls ausgesagt habe, ihr Sohn habe diesen Funksprechverkehr geführt, müsse der Flugleiter sich verhört haben. Sofern sich der Flugleiter nicht verhört habe, sei ihr Sohn als funksprechkundiger Mitunternehmen des Fluges vermutlich für den vorübergehend verhinderten Piloten eingesprungen, um den Start, der sich verzögert habe, nicht weiter hinauszuzögern. Der Notruf aus der Maschine nach dem Start sei ebenfalls von xxx erfolgt, möglicherweise aber auch von ihrem Sohn, der als funksprechkundiger Fluggast den Piloten in der Notlage habe helfen wollen.
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.200,-- DM nebst 4% Zinsen seit dem 12.11.1985 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, xxx habe sich an den Startvorbereitungen und nach dem Start am Führen des Flugzeugs beteiligt, so daß er nicht mehr als Fluggast anzusehen sei.
xxx habe das Checking der Maschine gemeinsam mit dem Piloten xxx durchgeführt, auf xxx Weisung sei die Maschine betankt worden. xxx habe dann sowohl vor dem Start den Funksprechverkehr der Maschine mit dem Flugleiter geführt als auch nach dem Start den Notruf abgesetzt.
Durch das am 12. März 1986 verkündete Urteil hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Aurich der Klage stattgegeben und ausgeführt: Für den geplanten Flug sei xxx ursprünglich als Fluggast vorgesehen gewesen, denn er habe lediglich seine Medikamente nach xxx bringen wollen. Diese Zweckbestimmung habe aber auch nach Änderung der Flugroute über xxx fortbestanden. Allerdings komme eine evtl. Tätigkeit des Sohnes der Kläger sowohl vor dem Start (Hilfe beim Checking und Funkverkehr mit dem Tower) als auch nach dem Start (Absetzen des Notrufs) als Indiz dafür in Betracht, daß er - entgegen seiner früheren Absicht - nicht als Fluggast, sondern als Mitglied der Besatzung an dem Flug teilgenommen habe. Nach Auffassung der Kammer- reichten jedoch die vorliegenden Indizien einzeln und zusammengenommen nicht für die Annahme aus, xxx habe den Flug nunmehr als Mitglied der Besatzung angetreten. - Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt.
Sie meint, das Landgericht habe die Beweislastverteilung verkannt. Die Kläger hätten zu beweisen, daß ihr Sohn lediglich Fluggast gewesen sei, und dagegen sprächen seine Aktivitäten vor und nach dem Start.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Parteien wiederholen im wesentlichen ihren Vortrag erster Instanz. Wegen der weiteren Einzelheiten ihres Vorbringens im zweiten Rechtszug wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze verwiesen. Die Akte xxx UJs xxx der Staatsanwaltschaft xxx war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung mußte Erfolg haben, denn die Klage ist nicht begründet. Die Kläger können nicht beweisen, daß ihr verunglückter Sohn Fluggast im Sinne von § 4 Abs. (3) a Nr. 1 AUB war.
Die Beklagte hat darin Recht, daß das Landgericht die Beweislast verkannt hat. Es meint, die - unterstellten - Indizien reichten nicht für die Annahme aus, xxx habe den Flug als Mitglied der Besatzung angetreten. Ein non liquet geht aber zu Lasten der Kläger, denn sie tragen nach der einhelligen Meinung die Beweislast dafür, daß ihr Sohn Fluggast war. Aus der Systematik des § 4 Abs. 3 und 4 AUB folgt, daß Luftverkehrsunfälle grundsätzlich von der allgemeinen Unfallversicherung ausgeschlossen sein sollen. Bei Streit über das Vorliegen eines Luftfahrt unfalls liegt die Beweislast daher beim Versicherer. Ist dagegen unstreitig, daß der Unfall anläßlich einer Luftfahrt eingetreten ist, kehrt sich die Beweislast um, da § 4 Abs. 3 AUB von dem allgemeinen Risikoausschluß lediglich hinsichtlich bestimmter Luftverkehrsunfälle wiederum eine Ausnahme macht. Die Voraussetzungen dieser Gegenausnahme sind mithin von Versicherungsnehmer zu beweisen (vgl. OLG Hamm VersR 1983, 801, 802 m.w.N.). - Der Inhalt der urkundenbeweislich verwertbaren Ermittlungsakte xxx UJs xxx der Staatsanwaltschaft xxx spricht gegen die Kläger, und etwas anderes in ihrem Sinne können sie nicht beweisen.
Fluggast im Sinne von § 4 Nr. (3) a AUB ist nicht, wer dazu bestimmt ist, das Luftfahrzeug verantwortlich zu führen oder den verantwortlichen Flugzeugführer dabei zu unterstützen (Personal), oder wer im Auftrag des Veranstalters sonstige Dienste am Flugzeug zu verrichten hat. Alle sonstigen Insassen sind Fluggäste. Die Fluggasteigenschaft endet somit erst bei der Zugehörigkeit zur Besatzung. Zur Besatzung zählen indessen nicht nur diejenigen Personen, die zur Bedienung des Fluggeräts notwendig und ausreichend sind. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Flugzeug von einem Piloten ohne Mithilfe hätte geführt werden können. Zum fliegenden Personal zählt auch der Insasse, der hilfsweise das Flugzeug steuern oder die Führung durch Hilfsdienste unterstützen soll. Er scheidet von Beginn des Fluges an als Fluggast aus, selbst wenn er bis zum Unfall die vorgesehenen Tätigkeiten nicht ausgeübt hat. Anders ist es dagegen, wenn erst während des Fluges Aufgaben übernommen werden. Beruht das Eingreifen des Insassen auf einer Notlage, so stellt diese schon den Beginn der Verwirklichung seines Fluggastrisikos dar. Es besteht daher kein Anlaß, dem Insassen den Versicherungsschutz zu versagen, nur weil er zur Abwendung der unmittelbar drohenden Gefahr Aufgaben der Besatzung übernimmt. Hierzu ist er unter Umständen sogar verpflichtet (vgl. BGH VersR 1984, 155/156).
Nach diesen Maßstäben sprechen die aus der Ermittlungsakte zu entnehmenden Umstände, daß der Sohn der Kläger am Checking zumindest beteiligt war, die Anweisung zum Tanken gab - diese Tatsachen als solche waren in erster Instanz sogar zugestanden - und er nach den Angaben des Flugleiters xxx den Funkverkehr bis zum Start übernommen hatte, dafür, daß xxx dazu bestimmt war, den Piloten xxx durch Übernahme des Funksprechverkehrs zu unterstützen. Unstreitig besaß er auch eine entsprechende Lizenz. Dem steht - entgegen der Meinung der Kläger - nicht entgegen, daß nach der Rechtsprechung des BGH (a.a.O.) unter Flug nur der Vorgang vom Start bis zur folgenden Landung zu verstehen ist. Es geht hier nur um Beweisanzeichen, die einen Rückschluß auf die Bestimmung des Sohnes der Kläger zur Unterstützung des Piloten zulassen. In diesem Sinne deuten die genannten Umstände darauf hin, daß xxx den Piloten bestimmungsgemäß unterstützen wollte.
Die Kläger können etwas anderes, d.h. daß ihr Sohn nur Fluggast war, nicht beweisen. Soweit die Kläger in der zweiten Instanz behaupten, daß den Funkverkehr bis zum Start nicht der Versicherte, sondern der Flugzeugführer xxx geführt habe, handelt es sich nicht um eine Haupttatsache, die in das Wissen eines bestimmten Zeugen gestellt ist. Sie räumen nämlich an anderer Stelle ein, daß sie selbst gar nicht wissen, wer tatsächlich den Sprechfunkverkehr bis zum Start geführt hat. Sie wollen vielmehr aus dem Umstand, daß nach Eintritt des Notfalls der Pilot xxx die Stimme, die den Notruf durchgab, als die ihres Sohnes erkannt haben soll, schließen, daß der Flugleiter xxx, der angegeben hatte, der Pilot habe den Notruf abgesetzt vor dem Start die Stimme des Piloten xxx mit der ihres Sohnes verwechselt habe. Das ist indessen nicht zwingend; vielmehr läßt der Notruf keinen deutlichen Hinweis auf den Funkverkehr vor dem Start zu. D.h. selbst wenn xxx beim Empfang des Notrufs die Stimme xxx für die xxx hielt, ist das kein zwingendes Indiz dafür, daß er vor dem Start die Stimme xxx für die xxx hielt. Auch nach dem Vortrag der Kläger kann xxx aber keine Angaben zu dem Funksprechverkehr vor dem Start machen. Es stehen daher keine Zeugen zur Verfügung, die die Angaben xxx vor der Polizei und dem Luftfahrtbundesamt nicht nur entkräften, sondern widerlegen könnten.
Nach alledem ist kein geeigneter Beweis dafür angetreten worden, daß der verunglückte Sohn der Kläger Fluggast im Sinne von § 4 Nr. (3) a AUB war, so daß die Klage abzuweisen war.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Ziffer 10, 713 und 546 Abs. 2 ZPO.