Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 20.08.1986, Az.: 2 U 112/86
Ansprüche aus einer Hausratsversicherung wegen Entwendung von Schmuck in der Abwesenheit während des Urlaubs; Fahrlässige Herbeiführung eines Diebstahls wegen Aufbewahrung eines Wohnungsschlüssels im Zählerkasten; Sicherung des Zugriffs auf einen Wohnungsschlüssel durch Unbefugte wegen Sicherung der Haustür mit einem Schnappschloss
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 20.08.1986
- Aktenzeichen
- 2 U 112/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1986, 23481
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1986:0820.2U112.86.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 14.04.1986 - AZ: 4 O 275/86
Rechtsgrundlagen
- § 1 Nr. 1b VHB
- § 3 B Nr. 1d VHB
- § 3 B Nr. 1e VHB
- § 276 Abs. 1 BGB
Fundstelle
- NJW-RR 1986, 1472 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Forderung
In dem Rechtsstreit
...
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 1986
unter Mitwirkung der
Richter am Oberlandesgericht xxx und xxx und
des Richters am Landgericht xxx für
Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14. April 1986 verkündete Urteil des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.900,-- DM nebst 4% Zinsen seit dem 5. November 1985 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Wert der Beschwer der Beklagten beträgt 6.900,-- DM.
Tatbestand
Die Klägerin macht Ansprüche aus einer bei der Beklagten - unter Bezugnahme auf die VHB 74 - abgeschlossenen Hausratsversicherung geltend.
Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 23.7. bis 6.8.1985 im Urlaub. Einen Schlüssel zu ihrer Wohnungstür hatte sie während dieser Zeit in einem Zählerkasten deponiert, der im Treppenaufgang vor der Oberwohnung installiert ist. Der Vorflur und das Treppenhaus sind durch eine mit einem Schnappschloß versehene Hauseingangstür gesichert; diese Tür weist außerdem ein abschließbares Sicherheitsschloß auf, das jedoch nicht betätigt worden war.
Nach Rückkehr aus dem Urlaub stellte die Klägerin fest, daß aus einer auf dem Nachtkasten stehenden Schmuckschatulle zwei goldene Damenarmbanduhren, eine Goldkette und zwei Goldarmbänder im Werte von insgesamt 6.900,-- DM entwendet worden waren. - Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, daß der oder die unbekannten Täter die Wohnungstür mittels des im Zählerschrank deponierten "richtigen" Schlüssels geöffnet haben.
Die Klägerin hat vorgetragen: Sie habe nur einen Wohnungsschlüssel besessen. Diesen habe sie im Zählerkasten hinterlassen, weil die Bewohner der oberen Wohnung nur durch ihre Wohnung in den Keller gelangen könnten. Andererseits habe auch ihre Freundin den Schlüssel benötigt, um ihre Blumen gießen zu können; sie habe daher den Schlüssel nicht an die Oberbewohner aushändigen können. Unter diesen Umständen könne keine Rede davon sein, daß sie den Diebstahl des Schlüssels durch fahrlässiges Verhalten begünsigt habe.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Klägerin habe den Diebstahl im Sinne von § 3 B Nr. 1 e VHB fahrlässig herbeigeführt. Ein Zählerkasten sei als gängiger Aufbewahrungsort für Schlüssel allgemein bekannt. Daran ändere sich nichts dadurch, daß die Außentür regelmäßig ge- aber nicht verschlossen gewesen sei. Ein Schnappschloß sei für einen Dieb leicht zu öffnen. Es sei auch nicht ausgeschlossen, daß eine solche Tür mal nicht einschnappe und dann für jederman offenstehe.
Durch das am 14. April 1986 verkündete Urteil hat der Einzelrichter der 10. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg die Klage abgewiesen und ausgeführt: Die Klägerin habe den Versicherungsfall fahrlässig herbeigeführt. Es liege nahe, daß ein Dieb, der in das Haus eindringen wolle, im Zählerkasten nachsehe, ob sich dort ein Wohnungsschlüssel befinde. Im übrigen sei bekannt, daß unverschlossene Schnapptüren wesentlich leichter geöffnet werden könnten, als ein abgeschlossenes Sicherheitsschloß. - Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin fristgerecht Berufung eingelegt.
In erster Linie wendet sie sich dagegen, daß sie den Diebstahl der Schlüssel fahrlässig begünstigt habe. - Hilfsweise stützt sie sich auf den Entwendungstatbestand nach § 3 B Nr. 1 d VHB.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.900,-- DM nebst 4% Zinsen seit dem 5.11.1985 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, die Klägerin könne nicht auf den Entwendungstatbestand des § 3 B Nr. 1 d VHB "ausweichen", zumal sie in erster Instanz zugestanden habe, daß die Tür zu ihrer Wohnung mittels des im Zählerkasten des Hausflurs hinterlegten Schlüssels geöffnet worden sei. - Die Verwendung eines solchen - oder gar im Schloß steckenden - Schlüssels zum Öffnen der Wohnungstür stelle aber bereits tatbestandsmäßig keinen Diebstahl im Sinne der VHB dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze verwiesen.
Die Ermittlungsakte 22 u Js 32338/85 der Staatsanwaltschaft Oldenburg war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung mußte Erfolg haben, denn die Klage ist aus § 1 VVG in Verb. mit den §§ 1 Nr. 1 b, 3 B Nr. 1 e VHB (74) begründet.
In erster Instanz war von beiden Parteien ausdrücklich vorgetragen und damit zugestanden (§ 288 ZPO), daß der oder die Täter - nachdem sie auf ungeklärte Weise in den Hausflur gelangt waren - mittels des im Zählerkasten hinterlegten Schlüssels die Wohnungstür der Klägerin geöffnet haben. Von diesem Geständnis kann sich die eine oder andere Partei nicht durch bloßes Aufzeigen anderer Entwendungsmöglichkeiten lösen (§ 290 ZPO). Unter diesen Umständen ist allein über einen "Einbruchsdiebstahl" nach § 3 B Nr. 1 e VHB zu entscheiden. - Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt auch die Verwendung eines solchen Schlüssels einen Diebstahl entsprechend dieser Bestimmung dar. Diebstahl im Sinne des Versicherungsrechts ist in weitem Sinne zu verstehen. Es genügt, wenn der Dieb die Schlüssel zu einmaligem Gebrauch an sich nimmt und sie dann am Tatort zurückläßt (vgl. Martin, Sachversicherungsrecht, 2. Aufl., Anm. D VIII, Rdn. 6).
Der Senat teilt nicht die Ansicht des Landgerichts, daß die Klägerin den Diebstahl der Schlüssel durch fahrlässiges Verhalten begünstigt hat. Insbesondere ist es unwesentlich, aus welcher Motivation die Klägerin die Schlüssel im Zählerkasten zurückgelassen hat. Entscheidend ist, ob dieser Vorgang als solcher den Vorwurf der Fahrlässigkeit begründet. Das ist nicht der Fall. Der Schlüssel war in zweifacher Weise gegen den Zugriff Unbefugter gesichert. Einmal war die äußere Haustür durch ein Schnappschloß gesichert. Auch wenn dieses nicht die gleiche Sicherheit wie ein abgeschlossenes Schloß bot, war doch der Zugang zum Flur und Treppenhaus nicht ungehindert möglich. Zudem war der Schlüssel nicht etwa - wie in steckendem Zustand - derart griffbereit, daß einem Täter die Überwindung des Verschlusses keine ernsthaften Hindernisse bot. Vielmehr mußte sich ein Täter ernstlich auf die Suche nach dem Schlüssel begeben, mit der Gefahr entdeckt zu werden. Dies um so mehr, als sich der Zählerkasten nicht unten im Flur befindet, sondern im Treppenhaus vor der Oberwohnung. - In diesem Zusammenhang ist auch - wie stets im Versicherungsrecht - der Gesichtspunkt beachtlich, daß der Wert einer Versicherung nicht durch Übersteigerung der an den Versicherungsnehmer zu stellenden Sorgfaltspflicht völlig in Frage gestellt werden darf. - Die Abwägung all dieser Umstände rechtfertigt nicht den Vorwurf, die Klägerin habe den Schlüssel zu ihrer Wohnung nicht mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 1 BGB) verwahrt.
Die Schadenshöhe ist ausdrücklich nicht bestritten.
Der - der Höhe nach ebenfalls unstreitige - Zinsanspruch ist aus den §§ 284, 286, 288 BGB begründet.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Ziffer 10, 713 und 546 Abs. 2 ZPO.