Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 29.08.1989, Az.: 3 W 27/89

Gültigkeit des Beschlusses einer Wohnungseigentümerversammlung; Verstoß gegen die Verpflichtung zur ordnungsmäßigen Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums; Anspruch auf eine nicht notwendigerweise kurzfristige weitergehende Instandsetzung und Instandhaltung eines Gebäudes; Erfordernis der Zustimmung aller Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft für die Zuweisung eines ausschließlichen Nutzungsrechts am Gemeinschaftseigentum; Unwirksamkeit einer Vertretungsregelung nach Treu und Glauben wegen Unzumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
29.08.1989
Aktenzeichen
3 W 27/89
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1989, 15268
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1989:0829.3W27.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG ... - 06.02.1989 - AZ: 8 T 572/88
AG ... AZ: 34 II 62/87

Fundstellen

  • NJW-RR 1990, 979-980 (Volltext mit red. LS)
  • WuM 1990, 171-172 (Volltext mit red. LS)

Prozessführer

Wohnungseigentümer ... und ..., die Wohnungseigentümer

Prozessgegner

1. ...,

2. ... u. ... (zugleich Verwalter), ...

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluß des Landgerichts ... vom 6. Februar 1989 dahin abgeändert, daß der Beschluß der Wohnungseigentümerversammlung vom 9. September 1987 zu Tagesordnungspunkt 6 für ungültig erklärt wird.

Die sofortigen weiteren Beschwerden der Antragsgegner zu 1. und zu 2. werden zurückgewiesen.

Die Antragsgegner tragen die Gerichtskosten des gesamten Verfahrens als Gesamtschuldner.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens über die weitere Beschwerde werden nicht erstattet.

Der Rechtsbeschwerdewert wird auf 17.000,- DM festgesetzt.

Gründe

1

Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluß auf die sofortige Beschwerde der Antragsteller den Beschluß des Amtsgerichts ... vom 15.08.1988 abgeändert und den Beschluß der Wohnungseigentümerversammlung vom 09.09.1987 zu Tagesordnungspunkt 4 insgesamt für ungültig erklärt. Die weitergehende Beschwerde der Antragsteller und die Beschwerde der Antragsgegner zu 2. hat das Landgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Der Beschluß zu Tagesordnungspunkt 4 über die Zuweisung von Teilflächen zur Anlegung von Nutzgärten sei mangels Einstimmigkeit unwirksam. Der Beschluß zu Tagesordnungspunkt 6 über die Herausnahme der Scheune von der Instandsetzung/Instandhaltung bis auf Widerruf verstoße weder gegen gesetzliche Bestimmungen noch gegen die Teilungserklärung, vielmehr halte sich dieser Beschluß im Rahmen des den Wohnungseigentümern bei der Verwaltung ihres Eigentums zustehenden weiten Ermessensspielraums. Die Feststellung des Amtsgerichts, daß die Wohnungseigentümer berechtigt seien, sich im Falle ihrer Verhinderung durch Dritte in den Wohnungseigentümerversammlungen vertreten zu lassen, sei nicht zu beanstanden, da es den Antragstellern wegen der zwischen ihnen und den weiteren Wohnungseigentümern seit mehreren Jahren bestehenden Spannungen nicht zumutbar sei, sich im Falle ihrer Verhinderung durch andere Wohnungseigentümer vertreten zu lassen.

2

Der landgerichtliche Beschluß ist sämtlichen Wohnungseigentümern am 28.02.1989 zugestellt worden. Die Antragsteller haben am 14.03.1989 sofortige weitere Beschwerde erhoben und im wesentlichen geltend gemacht, der Beschluß zu Tagesordnungspunkt 6 verstoße gegen die Verpflichtung zur ordnungsmäßigen Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums, insbesondere deshalb, weil die Herausnahme der Scheune von Instandhaltungsmaßnahmen zeitlich nicht begrenzt sei ("bis auf Widerruf"). Die Antragsgegner zu 2. haben am 14.03.1989, die Antragsgegner zu 1. haben am 17.04.1989 sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Sie halten die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 09.09.1987 zu den Tagesordnungspunkten 4 (Nutzgärten) und 6 (Instandhaltung der Scheune) für gültig und meinen, daß das Amtsgericht und das Landgericht den Feststellungsantrag der Antragsteller hinsichtlich der Vertretungsregelung im Verhinderungsfalle zu Unrecht für zulässig und begründet erachtet hätten. Dementsprechend beantragen sie, unter Abänderung der Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts den Antrag der Antragsteller zu Tagesordnungspunkt 4 insgesamt sowie den Feststellungsantrag der Antragsteller zurückzuweisen; ferner beantragen sie, die weitere Beschwerde der Antragsteller zurückzuweisen.

3

Die sofortigen weiteren Beschwerden sind zulässig. Bei der am erst am 17.04.1989 erhobenen weiteren Beschwerde der Antragsgegner zu 1. handelt es sich sachlich um eine sofortige weitere unselbständige Anschlußbeschwerde, die im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit jedenfalls in den sog. echten Streitsachen (hier: Verfahren nach § 43 WEG) zulässig ist (BGHZ 95, 118 [BGH 27.06.1985 - VII ZB 16/84]).

4

Das Rechtsmittel der Antragsteller ist begründet, während die Rechtsmittel der Antragsgegner sachlich nicht gerechtfertigt und daher zurückzuweisen sind.

5

1.

Der Beschluß der Eigentümerversammlung vom 09.09.1987 zu Tagesordnungspunkt 6 ist entgegen der Auffassung des Amtsgerichts und des Landgerichts ungültig, da er gegen den sich aus § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG ergebenden Anspruch der Antragsteller auf ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums verstößt. Dieser Anspruch besteht trotz des am 11.09.1987 erfolgten teilweisen Einsturzes der Scheune. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob die Scheune zu mehr als der Hälfte ihres Wertes zerstört ist und die Antragsteller nach § 22 Abs. 2 WEG nicht berechtigt wären, den Wiederaufbau zu verlangen. Entscheidend ist, daß sämtliche Wohnungseigentümer erklärtermaßen bereit sind, die Scheune in einem Umfang zu sichern, daß ein späterer Wiederaufbau möglich ist. Dies ergibt sich u.a. aus dem Beschluß der Wohnungseigentümer vom 22.10.1987 zu Tagesordnungspunkt 1, der Gegenstand des Verfahrens 3 W 15/89 ist. Sind aber sämtliche Wohnungseigentümer im Grundsatz darüber einig, die Scheune nicht abreißen oder verfallen zu lassen, sondern sie mit nicht unerheblichem finanziellen Aufwand zu sichern, so folgt daraus der weitergehende Anspruch der Antragsteller auf eine, wenn auch nicht notwendigerweise kurzfristige weitergehende Instandsetzung und Instandhaltung des Gebäudes. Denn ihnen ist eine Beteiligung an den Kosten der Sicherungsarbeiten und an den gegebenenfalls in Eigenleistung zu erbringenden Abstützungs- und Abdichtungsarbeiten nur dann zumutbar, wenn die begründete Aussicht besteht, daß die Scheune in absehbarer Zeit wieder instandgesetzt wird. Eine solche begründete Aussicht besteht nach dem Beschluß zu Tagesordnungspunkt 6 der Eigentümerversammlung vom 09.09.1987 nicht, da die Scheune danach "bis auf Widerruf" von Instandsetzungs- und Instandhaltungsmaßnahmen ausgenommen sein soll. Es ist zwar zutreffend, daß den Wohnungseigentümern bei der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums ein weiter Ermessensspielraum zusteht. Dieser Spielraum wird jedoch überschritten, wenn Teile des Gemeinschaftseigentums gegen den Willen eines Wohnungseigentümers von der Instandhaltung und Instandsetzung ohne zeitliche Begrenzung ausgenommen werden sollen. Die Formulierung "bis auf Widerruf" hätte daher zumindest mit einer vertretbaren zeitliche Einschränkung versehen werden müssen - längstens bis zum .... Hierzu bestand um so mehr Veranlassung, als den Wohnungseigentümern ausweislich des Beschlusses vom 09.09.1987 bekannt war, daß die Scheune baufällig war und daher in absehbarer Zeit Maßnahmen zu treffen waren, um sie zu erhalten.

6

2.

Das Landgericht hat zutreffend erkannt, daß der Beschluß zu Tagesordnungspunkt 4 über die Zuweisung von Teilflächen zur Anlegung von Nutzgärten mangels einstimmiger Beschlußfassung insgesamt unwirksam ist. Diese rechtliche Beurteilung entspricht der ganz überwiegend vertretenen Auffassung, daß die Zuweisung eines ausschließlichen Nutzungsrechts am Gemeinschaftseigentum in jedem Fall der Zustimmung aller Miteigentümer bedarf (vgl. Bay ObLG MDR 1972, 607; OLG Stuttgart NJW - RR 1987, 330 [OLG Stuttgart 21.11.1986 - 8 W 581/85]; KG NJW - RR 1987, 653, jeweils mit Nachweisen). Das Kammergericht hat in der zuletzt genannten Entscheidung seine frühere entgegenstehende Rechtsprechung (NJW 1972, 691 = WM 1972, 711), auf die sich die Antragsgegner zu 1. berufen, ausdrücklich aufgegeben.

7

3.

Die Feststellung des Amtsgerichts zur Vertretungsregelung ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht und entgegen der Ansicht der Antragsgegner nicht zu beanstanden. Die Antragsteller haben angesichts der Zerstrittenheit der Beteiligten ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Feststellung. Selbst wenn an den bisherigen Eigentümerversammlungen jeweils zumindest einer der Antragsteller teilgenommen hat, besteht die nicht nur theoretische Möglichkeit, daß beide Antragsteller verhindert sein können, an künftigen Eigentümerversammlungen teilzunehmen. In diesen Fällen wäre es für sie wegen der zwischen ihnen und den übrigen Wohnungseigentümern bestehenden Spannungen unzumutbar, sich durch diese vertreten zu lassen, da sie befürchten müßten, daß ihre Interessen durch die anderen Wohnungseigentümer nicht gewahrt werden würden, vielmehr die anderen Eigentümer die Gelegenheit nutzen könnten, in auch die Antragsteller berührenden Angelegenheiten Beschlüsse zu fassen.

8

Die von den Antragsgegner angefochtene Vertretungsregelung widerspricht nicht der in BGHZ 99, 90 [BGH 11.11.1986 - V ZB 1/86] = NJW 1987, 650 = MDR 1987, 485 = JZ 1987, 463 = DNotZ 1988, 24 und anderswo abgedruckten Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Zwar ist danach eine in der Teilungserklärung enthaltene Vertretungsregelung, die der in der vorliegenden Sache entspricht, grundsätzlich wirksam. Der Bundesgerichtshof hat es jedoch offen gelassen, ob im Einzelfall Ausnahmen wegen Unzumutbarkeit nach Treu und Glauben geboten sein können. Dies ist aus den dargelegten Gründen für den Fall der Verhinderung der Antragsteller zu bejahen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall dadurch, daß es sich hier um eine kleine Wohnanlage handelt, die von den Wohnungseigentümern selbst bewohnt wird, während es sich in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall um eine große Wohnanlage handelte, deren Wohnungseigentümer die Anlage nur zum Teil bewohnten. Ferner ist in der vorliegenden Sache offenkundig, daß die Beschränkung der Vertretungsmöglichkeit für den Fall der Verhinderung beider Antragsteller für diese unzumutbar ist, während der Bundesgerichtshof in dem von ihm entschiedenen Fall u.a. ausgeführt hat, es sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, warum die Beschränkung der Vertretungsmöglichkeit gerade für die Antragstellerin unzumutbar sein sollte. Da die Antragsteller im Ergebnis in allen Punkten Erfolg haben, entspricht es billigem Ermessen, den Antragsgegnern die Gerichtskosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens war nicht, anzuordnen, da für die Rechtsbeschwerdegegner die Aussichtslosigkeit ihrer Anträge nicht von vornherein erkennbar war.

9

Der Rechtsbeschwerdewert entspricht dem Geschäftswert der Vorinstanzen.

Streitwertbeschluss:

Der Rechtsbeschwerdewert wird auf 17.000,- DM festgesetzt.